Die Blockade ist durchbrochen: Nach über zehn Monaten des politischen Patts konnte die konservative PP Ende Oktober schliesslich eine Minderheitsregierung bilden. Stabilität wird dadurch aber nicht in die spanische Gesellschaft kommen. Der Blick zurück zeigt die Implosion der PSOE unter dem Druck des Kapitals. Der Blick nach vorn zeigt Austerität und Widerstand und eine Linke vor grossen Herausforderungen.

Die sozialdemokratische PSOE war in Spanien im vergangenen Jahr Dreh- und Angelpunkt des Klassenkampfes. Das Muster ist uns bereits aus anderen Ländern bekannt, man denke nur an Griechenland und Frankreich: Die Sozialdemokratie wird im Rahmen der organischen Krise des Kapitalismus zwischen den Fronten zerrieben.

Die PSOE zwischen Stuhl und Bank
Dass auch die PSOE stark an Unterstützung einbüssen musste, kann kaum erstaunen. Einerseits sassen die Sozialdemokraten in den ersten Jahren der Krise ab 2008 noch in der Regierung und wussten nichts Besseres zu tun als arbeiterInnenfeindliche Sparmassnahmen durchzuführen. Andererseits wurde die PSOE zusammen mit der konservativen Volkspartei (PP) völlig zurecht von immer grösseren Teilen der Bevölkerung als Pfeiler eines maroden und korrupten Zwei-Parteien-Systems wahrgenommen. Die Legitimitätskrise dieses Systems hat unter anderem die riesigen Massenmobilisierungen im Jahr 2011 hervorgebracht und mündete schliesslich in der politischen Krise nach den Parlamentswahlen im Dezember 2015.

In der Zwischenzeit hatte nämlich die erwähnte Protestbewegung in der neuen Partei „Podemos“ einen politischen Ausdruck gefunden. Bedroht durch den kometenhaften Aufstieg dieser diffusen, linken Formation hat die Bourgeoisie auch auf die vormals unbedeutenden „Ciudadanos“ (C’s) gesetzt. Nicht ohne Erfolg wurde mit C’s ein liberales Pendant zu Podemos geschaffen, das ebenso jung und frisch daherkam und den WählerInnen auch von bürgerlicher Seite eine Alternative zum delegitimierten Zwei-Parteien-System bieten sollte.

Der Erfolg dieser beiden neuen Formationen und der damit einhergehende gewaltige Einbruch der beiden „alten“ Parteien, führte zu einer Pattsituation nach den Wahlen 2015. Die PP blieb zwar die wählerstärkste Kraft, war aber selbst nicht mehr fähig, eine Regierung zu stellen. Alles hing nun von der Entscheidung der PSOE ab. Sollte sie ein Bündnis mit den linken Kräften eingehen? Das war kaum eine Option für die verbürgerlichte und institutionalisierte PSOE, die schon lange mit dem Kapital verbandelt war. Sollte sie dem Rat der Wortführer des Kapitals folgen und sich mit PP und C’s zur grossen Koalition verbünden? Das hätte den Sozialdemokraten aber noch die letzte Glaubwürdigkeit gekostet, schliesslich taten sie alles, um nicht mit der PP in den einen Topf geworfen zu werden, der mit „Korruption und Austerität“ beschriftet ist.

In dieser ungünstigen Lage entschieden die Sozialdemokraten, sich nicht zu bewegen und abzuwarten. Sie verhinderten damit die Regierungsbildung, was Neuwahlen im Juni 2016 erforderlich machte. Diese änderten jedoch nichts an der Situation: Alles hing wieder von der PSOE ab, die erneut zwischen bürgerlichen Stuhl und linke Bank fiel.

Implosion der PSOE Nach Monaten ohne Regierung wurde die Bourgeoisie ungeduldiger und aggressiver. Die Drohungen von Banken und namhaften Kapitalisten sowie die Hetze der spanischen Medien sollten die PSOE-Führung dazu bringen, mit der PP zusammenzuspannen. Dieser Druck übersetzte sich auch auf das Innere der Partei, wo Autoritätsfiguren nun immer stärker für die Bildung einer PP-Regierung eintraten. Doch Parteipräsident Sánchez, der eigentlich nur an die Parteispitze gesetzt wurde, um mit frischem Auftreten und linker Rhetorik die Fäulnis der PSOE zu verdecken, wollte partout nicht einlenken. In der Folge brach ein regelrechter Krieg im Innern der Sozialdemokratie aus. Sánchez wurde aus der Führung geputscht und zog sich schliesslich zurück. Damit war der Weg frei: Die neue PSOE-Führung entschied Ende Oktober, dem konservativen Mariano Rajoy durch Enthaltung die Regierungsbildung zu ermöglichen. Die PSOE hat sich damit ihr Grab geschaufelt. Sie wird die Minderheitsregierung von Rajoy permanent unterstützen müssen und ohne eigenes Profil keinerlei Anziehungskraft mehr ausüben. Gleichzeitig werden die internen Spannungen die PSOE nur noch weiter zerreissen. Davon zeugt schon, dass die Abgeordneten, die sich bei der Regierungsfrage nicht enthalten wollten, von der Parteiführung in einer Säuberungswelle mehrheitlich von den verantwortungsvollen Posten abgezogen wurden.

Austerität und Widerstand: Unidos Podemos
Die Blockade ist also gebrochen und die Bourgeoisie hat sich unmittelbar durchgesetzt. Allerdings verliert sie eine ihrer wichtigen Stützen, die seit 1978 zuverlässig ihre Herrschaft abzusichern half. Mit Beginn des neuen Aktes werden die Fronten zwischen den Klassen klarer ersichtlich sein. Eine konservative Regierung wird im aktuellen Kontext der Krise auf weitere brutale Sparmassnahmen zurückgreifen. Eine solche Konstellation aus unpopulärer Regierung und unliebsamer Sparpolitik schreit förmlich nach einer Radikalisierung der arbeitenden Bevölkerung. Es ist gut möglich, dass wir in der nächsten Zeit ein Wiederaufflammen der Widerstandsbewegungen auf der Strasse sehen werden. Die Podemos, die sich im Laufe dieses Jahres mit der Vereinigten Linken (IU) zum Wahlbündnis „Unidos Podemos“ zusammengeschlossen hat, bleibt für die Lohnabhängigen als einzige ersichtliche Alternative übrig und wird in dieser Phase eine entscheidende Rolle spielen. Podemos hat seit ihrer Gründung 2014 nicht immer nur eine gute Figur abgegeben, verhielt sich oft widersprüchlich und zögernd. Seit dem ausgebliebenen Erfolg bei den Wahlen im Juni und insbesondere in den letzten Wochen können wir aber einige Entwicklungen beobachten die in eine erfreuliche Richtung gehen. Seither findet ein reger Kampf um die Ausrichtung der Partei statt. Generalsekretär Iglesias entschied sich, einen deutlichen Schritt nach links zu machen und sich von der Linie des Politsekretärs Errejón zu distanzieren, der weiterhin auf einen bewusst schwammigen Diskurs setzt, um die Mitte zu gewinnen. Iglesias fordert nunmehr eine klare linke und kämpferische Politik, die von der Basis ausgeht und auf Mobilisierungen auf der Strasse setzt. Momentan scheint er damit in der Partei die Oberhand zu gewinnen.

Es wird von Unidos Podemos abhängen, ob kommende Kämpfe verbunden und mit einer politischen Perspektive versehen werden. Nur mit einer klaren sozialistischen Programmatik können die Lohnabhängigen Kurs nehmen auf den einzigen Ausgang aus der scheinbaren Sackgasse der kapitalistischen Krise.

Martin Kohler
ASEMA Genf