Der Sozialismus ist notwendig. Wer die Gesellschaft revolutionieren will, muss sie verstehen. Das ist unmöglich ohne die Theorie des Marxismus. Wer es heute ernst meint mit der Revolution, muss die Theorie des Marxismus lernen – als Teil der International Marxist Tendency, der revolutionären marxistischen Internationale.

Der Kapitalismus hat seinen Zenit überschritten. Die Krise wird zur Normalität, die Bourgeoisie hat keinen Ausweg. Die Arbeiterklasse sucht nach Auswegen. Nur schon dieses Jahr sahen wir aufständische Massenbewegungen in Kasachstan und Sri Lanka. Diese Prozesse sind nicht auf Drittwelt- und imperialistisch geknebelte Länder beschränkt. In den USA sahen wir grosse Lehrerstreiks 2018/2019, 2020 die grösste Massenbewegung in der Geschichte des Landes («Black Lives Matter»), eine Streikwelle Ende letztes Jahr («striketober») und jetzt eine Welle der gewerkschaftlichen Organisierung bei Amazon usw. Überall auf der Welt sind die Bedingungen der Weltrevolution am Reifen: Die herrschende Klasse kann immer weniger herrschen wie bisher und die Arbeiterklasse ist immer weniger bereit, beherrscht zu werden wie bisher.

Führung und Theorie

Die Massen lernen durch die Hammerschläge der Krise und mit doppelter und dreifacher Geschwindigkeit in den Kämpfen. Aber diese spontane Bewusstseinsentwicklung in einem mühseligen und harten «trial and error»-Prozess ist beschränkt: Sie reicht nicht, um in dem relativ kurzen Zeitfenster der revolutionären Massenbewegung die konsequenten Schlussfolgerungen zu ziehen.

Die Erfahrung von fast 200 Jahren Kämpfe der Arbeiterklasse zeigt, dass es für eine erfolgreiche sozialistische Revolution eine bewusste Führung braucht mit den richtigen Ideen, dem richtigen Programm und der richtigen Strategie und Taktik. Denn die Arbeiterklasse braucht Klarheit über ihre historische Aufgabe: im Kampf mit der Bourgeoisie die Macht erobern, die Kapitalisten enteignen und eine Planwirtschaft aufbauen. Die Aufgabe einer revolutionären Führung besteht darin, die Suche der Massen nach einem Ausweg abzukürzen, indem sie die Keime von richtigen spontanen Schlussfolgerungen zu entfalten und die Überreste von falschen Illusionen zu zerstören hilft. Sie ist der Katalysator, der den notwendigen spontanen Bewusstseinsprozess beschleunigt.

Dazu muss die Führung bereits vor den revolutionären Prozessen ein gewisses Mass an Verankerung in der Arbeiterklasse erkämpft haben. Und sie muss allem voran wirkliches Verständnis der Welt mitbringen. Sie muss die Lehren aus den vergangenen Kämpfen der Arbeiterklasse und die kondensierte Erfahrung der gesamten Menschheitsgeschichte mitbringen. Sie braucht allem voran die richtige Theorie.

Die Welt verstehen, um sie zu verändern

Die Menschen bilden sich hartnäckig ein, dass die Menschengeschichte – im Gegensatz zum ganzen Rest der Natur – keinen Gesetzen gehorcht. Aber in Wahrheit ist die Gesellschaft genauso wie die äussere Natur von objektiven Gesetzen bestimmt. Man kann die Gesellschaft genauso wenig wie die Natur willkürlich und völlig frei verändern. Wir können die Gesellschaft, genauso wie die Natur, nur entlang ihrer eigenen inneren Gesetzmässigkeiten verändern. Wer die Welt verändern will, muss sie verstehen. Die marxistische Theorie – und nur sie – ist die Wissenschaft, die fähig ist, die Welt zu verändern, weil deren allgemeinen Entwicklungsgang versteht.

Alles, was die einzelnen Menschen tun und lassen, geht durch ihre Köpfe. Insofern handeln sie bewusst. Aber die Logik der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung spielt sich bislang hinter dem Rücken der Menschen ab. Das sehen wir heute krasser denn je. Die Krisen des Kapitalismus brechen mit der Gewalt und unbeherrscht wie Meteoriteneinschläge über die Menschen herein. Die Arbeiterklasse zahlt brutal, die Spitzen der Bourgeoisie profitieren noch von der grössten Krise. Aber niemand versteht die Prozesse und hat sie bewusst und willentlich herbeigeführt. Auch nicht die Bourgeoisie, ihre Staaten und Ideologen. Noch in den 90ern sprachen diese vom «Ende der Geschichte». Heute stecken wir am Beginn der turbulentesten Periode der Menschheitsgeschichte. Das sagt alles. Die Theorie des Marxismus enthüllt das Geheimnis, wie die Menschheitsgeschichte funktioniert. Sie erkennt die Notwendigkeit hinter den vermeintlichen Zufälligkeiten. Sie erkennt die Zusammenhänge zwischen den vermeintlich isolierten Phänomenen. Kurz: der unbewusste geschichtliche Prozess findet im Marxismus seinen bewussten Ausdruck.

Der Test, ob das stimmt oder nicht – ob die marxistische Theorie den geschichtlichen Prozess wahrheitsgetreu abbildet oder nicht – beantwortet sich durch die Frage, ob diese Theorie die geschichtlichen Prozesse in ihren Grundzügen voraussehen kann oder ob sie permanent überrascht ist von den Ereignissen. Ein Beispiel. Marx hat in seinem «Kapital» die allgemeinen Bewegungsgesetze des Kapitalismus herausgearbeitet. Ein wichtiges Gesetz hat er so formuliert: «Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist … zugleich Akkumulation von Elend … auf dem Gegenpol, d.h. auf Seite der Klasse, die ihr eignes Produkt als Kapital produziert.» Im Oxfam-Bericht vom letzten Jahr lesen wir Folgendes. Seit 1995 hat das oberste 1% mehr als zwanzig Mal mehr vom global erarbeiteten globalen Reichtum erbeutet als die untere Hälfte der Gesellschaft. So besitzen die reichsten zehn Männer heute mehr als die unteren 3.1 Milliarden Menschen «auf dem Gegenpol», wo alle vier Sekunden jemand wegen dieser Ungleichheit stirbt. Die gesamte Entwicklung des Kapitalismus zeigt: Die marxistische Theorie hat sich bewährt.

Was ist die marxistische Theorie? Sie bildet eine «einheitliche Weltanschauung» (Lenin), die sich aber unterteilen lässt in drei Bestandteile: die Philosophie, die Geschichtsauffassung und die Ökonomie.

Dialektischer Materialismus

Jeder hat eine Philosophie: eine Weltsicht, eine Denkweise. Die Frage ist einzig, wie nahe sie der objektiven Wahrheit ist.

Die Philosophie ist auf die Welt gekommen als Bruch mit der Religion: als Versuch, die natürliche Welt aus sich selbst zu erklären, ohne Rückgriff auf Geister, Götter und überhaupt mystische Übersinnlichkeiten, also als Materialismus. Der dialektische Materialismus (die Philosophie des Marxismus) vollendet das. Er hat alles Rationale aus zweitausend Jahren Philosophiegeschichte in sich aufgenommen und alles Mystische abgestreift. Er ist der vollständige Bruch mit allen vermeintlichen göttlich-geistigen Ursprüngen und Antreibern der natürlichen Welt; der vollständige Bruch mit jeglichem gedanklichen Stop der absolut bewegten Natur in unseren Köpfen.

Was ist die Grundaussage des dialektischen Materialismus? Es gibt eine unendliche, natürliche, materielle Welt. Bewusstsein ist nichts von der Materie Abgekoppeltes. Es ist die höchste Funktion der Materie. Die Entwicklung des Denkens ist der Fortschritt in der Selbsterkenntnis der Materie. Die Welt ist absolut dynamisch, angetrieben durch ihre inneren Widersprüche. Die Ruhe ist ein Sonderfall der Bewegung.

Die Natur ist «die Probe auf die Dialektik» (Engels). Die Entwicklung der Naturwissenschaften seit Mitte des 19. Jahrhunderts und ihre industrielle gesellschaftliche Anwendung beweisen zunehmend die Weltanschauung des dialektischen Materialismus. Würden sich die Naturwissenschaften die Methode der materialistischen Dialektik aneignen, würde ihnen das nicht nur eine Menge an Verwirrung und Umwegen ersparen. Es würde ihr einen riesigen Anstoss geben.

Die materialistische Dialektik ist aber nicht nur potenzielles Arbeitswerkzeug für Naturwissenschaftler, sondern auch die wichtigste Waffe für Revolutionäre. Schauen wir die Welt statisch (undialektisch) an dann begnügen wir uns mit Momentaufnahmen des Prozesses – mit Fotos der Welt, wie sie bereits geworden ist. Diese Methode ist von Grund auf unbrauchbar, um zu antizipieren, wohin der Prozess geht und ihn dadurch mitbestimmen zu können. Als dialektische Materialisten begnügen wir uns nicht mit den gewordenen Phänomene. Wir sehen unter der ruhig und stabil erscheinenden Oberfläche die verborgenen Spannungen und Widersprüche. So können wir die Entwicklung einer Sache verstehen, denn der Widerspruch ist sozusagen der Motor der Bewegung. Wir können erkennen, wie sich die Widersprüche im Prozess zuspitzen – bis zu dem Punkt, wo das Ganze gesprengt wird. Die materialistische Dialektik sieht, wie im Bestehenden die Bedingungen seiner revolutionären Sprengung reifen: wie die Gegenwart mit der Zukunft schwanger geht, wie im Alten dessen Zerstörung und die sprunghafte Geburt des Neuen vorbereitet wird.

Der dialektische Materialismus drückt der Welt nicht willkürliche Gesetze von aussen auf. Sondern er hat hat die allgemeinen Bewegungsgesetze der Materie enthüllt. Darum funktionieren – bei aller Besonderheit – alle Phänomene im Allgemeinen nach diesen Gesetzen, auch die menschliche Geschichte. So konnte Rosa Luxemburg sagen, die materialistische Dialektik sei «die geistige Waffe, womit es [das Proletariat], materiell noch im Joch, die Revolution im Reiche des Geistes bereits vollzogen hat». Aber natürlich hat die menschliche Gesellschaft ihre Eigenarten: Ihre immanenten Gesetze müssen untersucht werden. Das macht der historische Materialismus. Er ist die Anwendung der materialistischen Dialektik auf die menschliche Geschichte.

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Historischer Materialismus

Der historische Materialismus ist materialistische Geschichtsauffassung. Der Mensch ist ein Naturwesen und muss sich physisch erhalten. Die Grundlage und das bestimmende Element jeder Gesellschaft ist darum die Arbeit: der Stoffwechsel dieses menschlichen Naturwesens mit der äusseren Natur. Ab dem Punkt, wo sich durch die Arbeit menschliches Bewusstsein entwickelt hat, geht alles durch den Kopf der Menschen. Ideen sind also ein Faktor in der Menschheitsgeschichte. Aber die materiellen Interessen und Bedürfnisse der Menschen sind primär: «Die ‘Idee’ blamierte sich immer, soweit sie von dem ‘Interesse’ unterschieden war.» (Marx und Engels)

Es sind denn auch nicht die Ideen, die den Geschichtsprozess antreiben, sondern der Kampf um die Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse durch die Arbeit. Die Geschichte der Menschheit ist die Geschichte des Fortschritts in der Beherrschung der Natur durch die Entwicklung der menschlichen Produktivkräfte (Produktionsmittel, Technologie).

Dieser Prozess der Entwicklung der Produktivkräfte ist nicht ein rein evolutionärer, linearer Prozess, sondern geschieht an gewissen Knotenpunkten in Sprüngen, Revolutionen; er geschieht nicht in gesellschaftlicher Harmonie, sondern durch den Kampf antagonistischer Klassen. Der Stand in der Entwicklung der Produktivkräfte bringt bestimmte Produktionsverhältnisse hervor und damit einhergehend bestimmte soziale Gruppen (Klassen): «Die Handmühle ergibt eine Gesellschaft mit Feudalherren, die Dampfmühle eine Gesellschaft mit industriellen Kapitalisten» (Marx). Die Produktionsverhältnisse sind der Rahmen, innerhalb dessen sich die Produktivkräfte entwickeln – bis zu einem Punkt, wo der Rahmen aus einem Katalysator zu einer Zwangsjacke wird und die weitere Entwicklung hemmt: Der Niedergang einer Gesellschaftsformation beginnt, der Kampf zwischen den Klassen verschärft sich. Das ergibt die revolutionären Perioden in der Geschichte. Gewisse herrschende Klassen halten an der überkommenen Gesellschaftsordnung fest, sie werden reaktionär. Fortschrittliche Klassen kämpfen für eine neue Gesellschaftsformation, in der die Produktivkräfte auf höherer Stufe entwickelt werden können. Der lebendige Klassenkampf entscheidet in den Phasen der organischen Krise einer gesellschaftlichen Epoche darüber, ob die revolutionären Klassen die überkommene Ordnung stürzen und eine neue Gesellschaftsordnung errichten können – oder ob die kämpfenden Klassen gemeinsam untergehen.

Marxistische Politik ist alles andere als unparteilich. Wir stellen uns voll und ganz auf die Seite der Befreiung der Menschen von Unterdrückung und Ausbeutung. Aber die Parteilichkeit der Marxisten ist nicht moralistisch und abstrakt, sondern wissenschaftlich untermauert. Wir sehen mit der materialistischen Geschichtsauffassung, welche Klassen die überkommene Ordnung verteidigen und welche Klassen potenzielle Trägerinnen des menschlichen Fortschritts sind, also der Befreiung des Menschen von der Herrschaft der äusseren Natur wie auch der Unterdrückung durch Menschen selbst. Marxistische Politik bedeutet, sich voll auf die Seite der fortschrittlichen Klassen im realen Klassenkampf zu stellen, diese Klassen zum Bewusstsein ihrer historischen Mission verhelfen – und sie so zum Sieg zu führen. Nur so können wir wirklich für Befreiung und gegen Unterdrückung kämpfen. Abstrakte Utopien und Moralvorstellungen – so gut gemeint und verständlich sie sein mögen – sind völlig untauglich dafür.

Die Gesellschaft, in der wir leben, ist der Kapitalismus. Die materialistische Geschichtsauffassung hat uns gezeigt, dass die Wirtschaft die Basis jeder Gesellschaftsform ist. Hier liegt der Schlüssel, um die kapitalistische Gesellschaft zu verstehen – und zu stürzen. Genau das macht die marxistische Ökonomie.

Marxistische Ökonomie

Die bürgerliche Ökonomie sieht den Kapitalismus als letztes Wort in der Geschichte der Menschheit. Die marxistische Ökonomie hingegen analysiert den Kapitalismus wie jedes Phänomen zwischen Himmel und Hölle: mit der materialistischen Dialektik. Für sie ist «die jetzige Gesellschaft kein fester Kristall, sondern ein umwandlungsfähiger und beständig im Prozess der Umwandlung begriffener Organismus» (Marx). Sie enthüllt die Notwendigkeit, mit der sich durch die widersprüchliche Entwicklung des Kapitalismus die Bedingungen verschärfen, welche die kapitalistische Gesellschaft sprengen werden.

Das «absolute Gesetz» der kapitalistischen Wirtschaftsweise ist die «Produktion von Mehrwert» (Marx). Aus Wert muss mehr Wert werden, Kapital muss angehäuft werden, sonst rührt kein Kapitalist einen Finger, sonst steht die Fabrik still. Marx hat das Geheimnis dieser Plusmacherei enthüllt. Im Kapitalismus wird die Arbeitskraft zur Ware, das macht die kapitalistische Warenwirtschaft aus. Der Kapitalist kauft diese spezielle Ware auf dem sogenannten Arbeitsmarkt. Der Konsum dieses Potenzials zu arbeiten bedeutet Verausgabung von Arbeit. Durch diese Arbeit wird mehr Wert geschaffen als die Arbeitskraft Wert hat. Der Mehrwert entsatmmt also der Produktion, nicht dem Warentausch.

Daraus ergibt sich der grundlegende soziale Gegensatz unserer kapitalistischen Gesellschaft. Auf der einen Seite steht die Arbeiterklasse: die Gruppe von Menschen, die nichts besitzt als ihre Arbeitskraft und dadurch gezwungen ist, diese an die Kapitalisten zu verkaufen und ausgebeutet zu werden. Auf der anderen Seite steht die Bourgeoisie: die winzige Gruppe an Menschen, welche die Macht zur Ausbeutung hat, weil sie die Mittel zur Produktion besitzt. Darin sind die Widersprüche, die den Kapitalismus sprengen werden, bereits im Kern enthalten.

Diese grundlegende Logik des Kapitalismus – durch die Ausbeutung der Arbeiterklasse Kapital anhäufen – schafft die Keime des Sozialismus im Kapitalismus. Die Anhäufung von Kapital die Produktion immer mehr vergesellschaftet und hat die Produktivkräfte krasser als jede vorhergehende Produktionsweise entwickelt. Damit schafft erst der Kapitalismus die grundlegendste Voraussetzung für eine klassenlose, egalitäre Gesellschaft, den Kommunismus: so weit entwickelte Produktivkräfte, dass es möglich wird, auf einem Niveau zu wirtschaften, dass kein Mangel mehr herrscht. Dieses Niveau ist längst erreicht. Aber im Kapitalismus kann dieses Potenzial nicht verwirklicht werden, ganz im Gegenteil: Die Überalterung des Kapitalismus bedeutet zunehmendes Elend für die Massen. Der Kapitalismus schafft und entwickelt auch eine Klasse die sowohl die potenzielle Macht und das objektive Interesse hat, den Kapitalismus zu stürzen. Diese Klasse ist die Arbeiterklasse. Sie produziert jeglichen Wert, jeden Franken Profit. Darum hat sie die Macht, die Bourgeoisie zu stürzen. Und sie hat auch das Interesse daran: Sie hat nichts zu verlieren als ihre kapitalistischen Ketten – aber sie hat im Kommunismus eine Welt zu gewinnen.

Genau dieselben Entwicklungsgesetze des Kapitalismus, die eine ungeheure Entwicklung von Produktivkräften und Arbeiterklasse hervorgebracht haben — genau dieselbe Logik führt auch zu immer tieferen und breiteren Krisen. Der Kapitalismus «gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor» (Marx und Engels). Die kapitalistische Gesellschaft beginnt zu serbeln: Es kommt zu Kriegen, Wirtschaftskrisen und Angriffen auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse. Als Materialisten sehen wir, dass das Bewusstsein träge ist. Aber die Hammerschläge der Krise reissen das Bewusstsein der Arbeiterklasse aus seinem Trägheitszustand heraus. Es ist dieselbe Entwicklung des Kapitalismus, die eine starke Arbeiterklasse erschafft, die diese Klasse zwingt, nach Auswegen aus dem zerfallenden Kapitalismus zu suchen. Es kommt zu revolutionären Prozessen. Genau diese Entwicklung sehen wir heute: Die Arbeiterklasse wird, mit historischer Notwendigkeit, von einer potenziell revolutionären Klasse immer mehr zur tatsächlich revolutionären Klasse.

Glitschiger Abhang oder granitenes Fundament

Die objektive historische Aufgabe der Arbeiterklasse ist der Sprung der Menschheit aus dem Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit: der Sprung in eine klassenlose Gesellschaft, in der die Beherrschung der Natur ein Niveau erreicht hat, auf dem sich alle frei entfalten können und keine Unterdrückung von Mensch durch Mensch mehr nötig ist. Dazu muss die Arbeiterklasse in einer Revolution die Bourgeoisie besiegen und die entwickelten Produktivkräfte in eine sozialistische Planwirtschaft hinüberretten und weiterentwickeln. Planwirtschaft bedeutet, dass die Menschen ihre Produktivkräfte und ihre eigenen gesellschaftliche Verhältnisse der menschlichen Vernunft unterordnen, sie «aus dämonischen Herrschern in willige Diener verwandeln» (Engels). Das ist von den ersten Schritten der Machtübernahme an eine bewusste Revolution. Aber die herrschende Klasse hat das Monopol auf die Kultur: Die herrschenden Ideen sind die Ideen der herrschenden Klasse.

Die Bourgeoisie hat das menschliche Denken auf ein nie gekanntes Niveau gehoben. Die Höhepunkte ausserhalb der Naturwissenschaften waren Hegels Dialektik (Philosophie), die Wertlehre von Smith und Ricardo (Ökonomie); das bürgerliche Denken hat auch den utopischen Sozialismus hervorgebracht und die – in Ansätzen materialistischen – Historiker der Epoche nach der französischen Revolution (Geschichtswissenschaft). Der Marxismus hat nicht bei null begonnen. Er hat angesetzt an diesen damaligen Höhepunkten des menschlichen Denkens. Sie sind die drei Quellen der marxistischen Theorie. Diese hat die Probleme, die von der Bourgeoisie gestellt wurden, gelöst. «Die ganze Genialität Marx’ besteht gerade darin, dass er auf die Fragen Antworten gegeben hat, die das fortgeschrittene Denken der Menschheit bereits gestellt hatte» (Lenin). So wurden aus den drei Quellen die drei Bestandteile des Marxismus, die wir kurz zu erklären versucht haben.

Aber seit der Marxismus mit Marx und Engels die theoretischen Probleme unserer Epoche in den Grundzügen gelöst hat, und seit der Kapitalismus rund um die Wende zum 20. Jahrhundert aufgehört hat, eine fortschrittliche Rolle zu spielen – seither ist die Bourgeoisie weit hinter die Errungenschaften ihres eigenen Denkens zurückgefallen. Sie wurde auch im Bereich der Ideen reaktionär. Die Grundaufgabe ihres Denkens – mit Ausnahme der Naturwissenschaften – besteht seither nicht mehr darin, die Wahrheit zu finden, sondern sie zu vernebeln. Sie muss die marxistische Theorie delegitimieren und die Arbeiterklasse daran hindern, mit ihr in Kontakt zu kommen. Wissenschaftlichkeit, Materialismus und Dialektik weichen Mystizismus, Idealismus und Verklärung. Der sogenannte Postmodernismus ist auch in dieser Hinsicht nichts Neues, sondern nur der bisherige Höhepunkt dieser Zerfallsgeschichte des bürgerlichen Denkens – oder der Tiefpunkt in der Geschichte des Denkens, wie man’s nimmt.

Es gibt kein Vakuum in den Köpfen der Menschen. Entweder wir nehmen also die Ideen des Marxismus in der vollen Konsequenz an: die Ideen, die den Standpunkt der revolutionären Arbeiterklasse einnehmen. Oder das Vakuum wird von bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideen gefüllt. Wer nicht auf dem granitenen Standpunkt der marxistischen Theorie steht, der steht auf einem glitschigen Abhang, der im Sumpf der reaktionären Ideen der (Klein-)Bourgeoisie landet. Der Ukraine-Krieg beweist das vor unseren Augen. Der Krieg testet alle linken Organisationen. Wir haben die Frage andernorts genau analysiert. Hier kommt es auf die Resultate an. Alle linken Strömungen – linke wie rechte Reformisten und die meisten pseudo-marxistischen Sekten – sind im Lager des westlichen Imperialismus gelandet. Sie unterstützen ökonomische Sanktionen und Waffenlieferungen des westlichen Imperialismus. Das heisst sie unterstützen die reaktionärste imperialistische Kraft auf dem Erdball, die gerade mit dem Blut der ukrainischen Massen einen Krieg darum führt, ob die Ukraine unter dem Einfluss des US- oder des russischen Imperialismus stehen soll. Die Arbeiterklasse kann nur verlieren.

Was tun?

Die Arbeiterklasse braucht eine bewusste Führung, um ihre historische Mission wahrzunehmen. Politische Strömungen, die auf diesem glitschigen Abhang stehen, können die Arbeiterklasse nur verwirren.

Wir müssen mit der grössten Dringlichkeit eine Organisation aufbauen, die voll auf dem Boden der marxistischen Theorie steht. Genau das macht die International Marxist Tendency. Unsere Kräfte sind zahlenmässig noch zu schwach, um eine Rolle in den grossen Kämpfen zu spielen. Aber wir haben bereits die richtigen Ideen: die Theorie des Marxismus. Darum und nur darum sagen wir, die IMT ist das Embryo einer zukünftigen revolutionären Führung der Arbeiterklasse. Heute schwimmen wir nicht mehr gegen den Strom: Mit der Jugend an der vordersten Front suchen immer weitere Teile der Arbeiterklasse nach Ideen, welche die Krisenspirale erklären und dadurch einen Ausweg aufzeigen können. Wir stehen am Beginn einer Periode, in der die Kräfte des Marxismus zu einer Massenkraft werden können.

Wer es heute ernst meint damit, dass der Kapitalismus gestürzt werden muss und dass es eine sozialistische Revolution braucht, der muss sich die Theorie des Marxismus aneignen. Das beginnt mit den Grundlagen seiner drei Bestandteile. Ohne diesen allgemein Leitfaden können wir weder die Kriegsfrage, noch die Frage der Inflation, und schon gar nicht die Probleme von Strategie und Taktik der Weltrevolution lösen. Wir fordern alle Interessierten jetzt auf, der IMT beizutreten und als Teil der marxistischen Internationale den Marxismus zu lernen und diesen zu einer Massenkraft zu machen. Das ist der Weg zur sozialistischen Weltrevolution.