[dropcap]W[/dropcap]ir befinden uns heute inmitten einer der tiefsten Krisen, die der Kapitalismus je erlebt hat. Während die 99% für die Krise zur Kasse gebeten werden, häufen die 1% immer schneller und immer noch mehr Reichtum an. Das hohe Ausmass von Skandalen und Korruption im Establishment entfremdet Millionen von der traditionellen Politik. All dies verursacht ein Hinterfragen der kapitalistischen Gesellschaft. Viele suchen nach Alternativen zum existierenden System, und eine wachsende Zahl sucht die Antwort im revolutionären Sozialismus.

Für viele ist klar, gegen was wir kämpfen: Korruption, Krise und Abbaupolitik; aber es kann schwerer sein, auszudrücken oder sogar sich vorzustellen, für was wir kämpfen. Konkret: Wie könnte eine neue Gesellschaft funktionieren? Wie würden unsere individuellen Leben davon betroffen sein? Wie wird der Sozialismus aussehen?

Dieser Artikel ist der dritte Teil einer Serie zum Thema „Wie wird der Sozialismus aussehen?“ Teil 1 | Teil 2 | Teil 4

Staat und Demokratie
Genauso wie Geld einmal im Sozialismus verschwinden wird, so wird es auch der Staat. Ein echter proletarischer Staat wird, als erste Handlung, den Prozess seiner eigenen Zerstörung beginnen. Dies geschieht darum, weil die Enteignung der Produktionsmittel und ihre Verwaltung durch die demokratische Kontrolle der ArbeiterInnen als Teil der Planwirtschaft beginnen wird, die Klassenunterschiede zu eliminieren, da diese durch den Unterschied zwischen den Besitzenden und den Nichtbesitzenden definiert werden. Eine Gesellschaft, in der alle die Produktionsmittel besitzen und bewirtschaften ist eine ohne Klassen; es ist eine Gesellschaft, die nicht länger einen Staatsapparat mit bewaffneten Institutionen, die von den Unterdrückenden benutzt werden um die Unterdrückten in Schach zu halten.

Vor der Klassengesellschaft, welche um etwa 10’000 v. Chr. während der neolithischen Revolution entstand, war die Gesellschaft nach primitiv-kommunistischen Regeln organisiert. Klassen existierten zu dieser Zeit nicht, da die Produktivkräfte unfähig waren, mehr zu produzieren als zum eigenen Überleben benötigt wurde, deshalb war eine besitzende und eine besitzlose Klasse eine wirtschaftliche Unmöglichkeit. Engels, der sich auf die Arbeit des Anthropologen Lewis Henry Morgan stützt, beschrieb die Art wie diese primitiven kommunistischen Gesellschaften funktionierten. Entscheidend, im Kontext einer Studie des irokesischen Gens, zeigt er auf:

Die Gewalt des Sachem [Friedensvorsteher] innerhalb des Gens war väterlich, rein moralischer Natur; Zwangsmittel hatte er nicht… Sie setzt den Sachem und Kriegshäuptling nach Belieben ab… Die Gentilgenossen schuldeten einander Hülfe, Schutz und namentlich Beistand zur Rache für Verletzung durch Fremde… Die Gens hat einen Rat, die demokratische Versammlung aller männlichen und weiblichen erwachsenen Gentilen, alle mit gleichem Stimmrecht.

Das ist eine Beschreibung einer Gesellschaft ohne Staatsstrukturen wie Polizei, Armee, Gerichte, Gefängnisse oder einer politischen Elite, die über und neben der Gesellschaft steht. Weil die Produktivkräfte in diesem Stamm gemeinsam besessen und bearbeitet wurden (aus Notwendigkeit um zu überleben) waren die wirtschaftlichen Interessen aller dieselben, was bedeutet, dass kein staatliches Instrument durch Zwang den Willen einer Klasse gegen die andere durchsetzen musste.

Die befehlshabenden Spitzen der Wirtschaft enteignen, sie unter demokratische Arbeiterkontrolle und -verwaltung stellen und sie als Teil einer sozialistischen Planwirtschaft führen, würde die wirtschaftliche Trennung der Menschen in Klassen auf ähnliche Weise entfernen und dadurch die materielle Basis des Staates entfernen. Wir würden zurückkehren in eine kommunistische Form der Gesellschaft, aber auf einer höheren Stufe, mit fortgeschrittenen Produktionskräften anstelle von primitiven.

Das Bild, wie der Staat unter dem Sozialismus aussehen wird, hebt sich scharf von dem ab, was in der UdSSR unter Stalin geschehen ist. Das bürokratische Monster, welches die Planwirtschaft in diesem Land erwürgte, war kein gesunder ArbeiterInnenstaat, es fehlte eine ArbeiterInnendemokratie – ein fundamentaler Aspekt, um eine gesunde sozialistische Wirtschaft zu führen. Der Kapitalismus hat das Ziel (aber versagt oft – wie wir diskutierten), den Wettbewerb zu nutzen um ineffiziente Produktion auf einem Minimum zu halten. Im dem Sozialismus, ohne konkurrierende Unternehmen, wird ein viel effektiverer Mechanismus um die Effizienz zu sichern und Korruption zu verhindern benötigt – dieser Mechanismus muss die demokratische Kontrolle der Wirtschaft durch gewöhnliche Menschen sein. Wie Trotzki einst sagte: Die Planwirtschaft braucht die ArbeiterInnendemokratie wie ein Körper Sauerstoff benötigt.

Konkret bedeutet das, dass Massnahmen getroffen werden müssen wie das volle Recht auf Abwahl von gewählten FunktionärInnen, welche auch nicht mehr verdienen dürfen als einen durchschnittlichen ArbeiterInnenlohn, sodass sie die selben materiellen Interessen haben wie die Menschen, die sie repräsentieren sollen. Wir sollen nicht fünf Jahre warten müssen, um Vertreter rauszuwerfen, welche Entscheidungen treffen, die nicht im Interesse der Mehrheit sind – proletarische Demokratie braucht mehr Kontrolle als das. Lenin sprach auch von der Notwendigkeit, alle in die Arbeit der Administration der neuen Gesellschaft zu involvieren, so, dass sich keine soziale Klasse von BürokratInnen einrichten kann, abgetrennt vom Rest der ArbeiterInnenklasse und über ihr stehend: Wenn alle BürokratInnen sind ist niemand BürokratIn.

Die Gründung von Gewerkschaften markiert einen grossen Sieg der ArbeiterInnenklasse, da diese demokratische Organisationen sind, geschaffen von der ArbeiterInnenklasse für die ArbeiterInnenklasse. In diesem Sinne verkörpern sie die Saat der sozialistischen Demokratie. Der marxistische Autor Rob Sewell stellt dies in seinem Buch In the Cause of Labour: History of British Trade Unionism fest, wo er sagt:

Die Gewerkschaften sind die grundlegenden Organisationen der Arbeiterklasse. Aber sie sind viel mehr als das. Sie sind die Keimzelle der zukünftigen Gesellschaft innerhalb der alten.

Er erklärt weiter, dass dies bedeute, dass sie besser geeignet sind für die Interessen der ArbeiterInnenklasse zu kämpfen:

Wieder und wieder haben die Arbeiter ihre Bewegung in Organe und Schulen der Solidarität, des Kampfes und Sozialismus verwandelt, um den Ausdruck Friedrich Engels‘ zu verwenden.

Die besetzte Flasko-Fabrik in Brasilien bietet uns wieder ein Beispiel für die konkreten Elemente einer ArbeiterInnendemokratie in der Praxis. Der gewählte Fabrikrat untersteht einem unmittelbaren Recht auf Abberufung. Der Rat trifft sich wöchentlich um die Pläne für die Fabrik zu diskutierten und die Protokolle dieser Treffen werden für alle ArbeiterInnen veröffentlicht. Weiter wird über das Fabrikbudget jeden Monat durch alle ArbeiterInnen abgestimmt. Dieses Modell, wie auch die Sowjets in Russland im frühen 20. Jahrhundert, legt die Kontrolle in die Hand der Menschen selbst, ohne sie zu zwingen, sich auf jemand anderen zu verlassen.

Die Sowjets waren gewählte ArbeiterInnenräte in denen die ArbeiterInnen teilnahmen und durch ihre Arbeitsstellen, Ortschaften und Regionen gewählt wurden. Solch eine demokratische Methode ist viel näher an der ArbeiterInnenklasse als eine bürgerliche Demokratie, da sie den Menschen direkte Kontrolle über ihr Leben gibt in einer Art, wie es die parlamentarische Demokratie nie kann. Nehmen wir die kommenden Wahlen in Grossbritannien zum Beispiel – welche Partei auch die Regierung bildet, es wird eine Regierung sein, die eine Austeritätspolitik umsetzt.

Wir haben keine wirkliche Wahl in dieser Sache, da die Wirtschaft in Privathand ist und um die kapitalistische Wirtschaft am laufen zu halten muss sich die Regierung dem Willen jener beugen, die die führenden Spitzen der Wirtschaft besitzen, den KapitalistInnen. Nur indem wir der ArbeiterInnenklasse die demokratische Kontrolle über die Wirtschaft geben, können wir eine echte demokratische Wahl garantieren.

Die Pariser Kommune
Wie auch die russischen Sowjets, so ist auch die noch frühere Pariser Kommune von 1871 ein Beispiel eines proletarischen Staates, welcher sich vom Staat, wie wir ihn im Kapitalismus verstehen, sehr unterscheidet. Marx beschreibt die Kommune folgendermassen:

Das erste Dekret der Kommune war daher die Unterdrückung des stehenden Heeres und seine Ersetzung durch das bewaffnete Volk.

Die Kommune bildete sich aus den durch allgemeines Stimmrecht in den verschiedenen Bezirken von Paris gewählten Stadträten. Sie waren verantwortlich und jederzeit absetzbar. Ihre Mehrzahl bestand selbstredend aus Arbeitern oder anerkannten Vertretern der Arbeiterklasse. Die Kommune sollte nicht eine parlamentarische, sondern eine arbeitende Körperschaft sein, vollziehend und gesetzgebend zu gleicher Zeit.

Die Polizei, bisher das Werkzeug der Staatsregierung, wurde sofort aller ihrer politischen Eigenschaften entkleidet und in das verantwortliche und jederzeit absetzbare Werkzeug der Kommune verwandelt. Ebenso die Beamten aller andern Verwaltungszweige. Von den Mitgliedern der Kommune an abwärts, mußte der öffentliche Dienst für Arbeiterlohn besorgt werden. Die erworbnen Anrechte und die Repräsentationsgelder der hohen Staatswürdenträger verschwanden mit diesen Würdenträgern selbst. Die öffentlichen Ämter hörten auf, das Privateigentum der Handlanger der Zentralregierung zu sein. Nicht nur die städtische Verwaltung, sondern auch die ganze, bisher durch den Staat ausgeübte Initiative wurde in die Hände der Kommune gelegt.

Das stehende Heer und die Polizei, die Werkzeuge der materiellen Macht der alten Regierung einmal beseitigt, ging die Kommune sofort darauf aus, das geistliche Unterdrückungswerkzeug, die Pfaffenmacht, zu brechen; sie dekretierte die Auflösung und Enteignung aller Kirchen, soweit sie besitzende Körperschaften waren. Die Pfaffen wurden in die Stille des Privatlebens zurückgesandt, um dort, nach dem Bilde ihrer Vorgänger, der Apostel, sich von dem Almosen der Gläubigen zu nähren.

Sämtliche Unterrichtsanstalten wurden dem Volk unentgeltlich geöffnet und gleichzeitig von aller Einmischung des Staats und der Kirche gereinigt. Damit war nicht nur die Schulbildung für jedermann zugänglich gemacht, sondern auch die Wissenschaft selbst von den ihr durch das Klassenvorurteil und die Regierungsgewalt auferlegten Fesseln befreit.

Die richterlichen Beamten verloren jene scheinbare Unabhängigkeit, die nur dazu gedient hatte, ihre Unterwürfigkeit unter alle aufeinanderfolgenden Regierungen zu verdecken, deren jeder sie, der Reihe nach, den Eid der Treue geschworen und gebrochen hatten. Wie alle übrigen öffentlichen Diener, sollten sie fernerhin gewählt, verantwortlich und absetzbar sein.

Damit gewöhnliche Menschen fähig sind, wirklich am demokratischen Ablauf der Gesellschaft teil zu nehmen, wie er oben von Marx beschrieben wurde, müssen sie auch Zeit dafür haben. Im Kapitalismus bedeutet die Länge der Arbeitswoche und der Druck des täglichen Lebens, dass die grosse Mehrheit komplett getrennt ist von politischen Aktivitäten. Für jemanden mit langen Arbeitszeiten oder zwei Jobs ist es das letzte was sie können oder wollen, an den Abenden und Wochenenden die Feinheiten wirtschaftlicher Planung oder Staatswesen zu studieren. Das führt dazu, dass, selbst wenn solche Studien gemacht würden, es keinen Unterschied machen würde, da normale ArbeiterInnen überhaupt nichts zu sagen haben darüber, wie die Wirtschaft oder Gesellschaft als ganzes geführt wird.

In einer sozialistischen Gesellschaft, wo Technologie, Automation und die Effizienz der Planwirtschaft die Stunden des Arbeitstages reduziert hat, werden gewöhnliche Menschen endlich die nötige freie Zeit haben um voll an der Führung der Gesellschaft daran teil zu haben. Indem die Wirtschaft unter echte demokratische Kontrolle der ArbeiterInnenklasse gestellt wird, werden die Menschen auch die Motivation haben sich einzubringen, dank dem Wissen, dass ihre Gedanken und Taten einen spürbaren Unterschied machen können.

Wie Marx‘ Beschreibung der Pariser Kommune oben illustriert, besteht die proletarische Demokratie auch darin, parlamentarische Institutionen durch ausführende zu ersetzen – Schwatzbuden mit echter Aktivität zu ersetzen. Während des Generalstreiks 1926 in Grossbritannien lehnte das Streikkomitee des Nordostens die Anfrage der Regierung ab, wichtigen Nachschub in der Region zu verteilen, da sie selbst schon ein System aufgestellt hatten, dies zu tun. Das Streikkomitee redete nicht einfach nur, erliess Resolutionen und delegierte die Verantwortung dann an andere – seine VertreterInnen trafen Entscheidungen, übernahmen die Verantwortung für deren Umsetzung und spürten die Konsequenzen mit allen anderen zusammen. Dies ist echte proletarische Demokratie und es ist grundsätzlich verschieden von der Höhle der heissen Luft des Parlaments.

Im Herzen der sozialistischen Demokratie liegt deshalb die Fähigkeit der Gesellschaft, die Entscheidungen, die sie trifft auch tatsächlich umsetzen zu können. Dies ist die grundlegende Hürde in der Demokratie im Kapitalismus – selbst wenn die Gesellschaft für Forderungen stimmt wie Vollbeschäftigung oder Investitionen in diesem oder jenem Sektor, wie können solche Forderungen in der Praxis umgesetzt werden, wenn alle echten Entscheidungen darüber, welche Jobs geschaffen werden und wo investiert wird in den Händen ungewählter BankerInnen und Bosse liegen? In der schlussendlichen Analyse benötigt wahre Demokratie deshalb die wirtschaftliche Kontrolle in den Händen der 99% anstatt der 1%.

Die Polizei, die Armee und das Gesetz
MarxistInnen verstehen den Staat in letzter Instanz als bewaffnete Körperschaft von Menschen über der Gesellschaft – Institutionen wie die Polizei oder die Armee. Unter dem Kapitalismus ist der Staat eine Waffe der Bourgeoisie, welche die Polizei und Armee benutzt um ihre Macht aufrecht zu erhalten; aber ein proletarischer Staat würde eine Waffe der ArbeiterInnen sein um sie gegen die Versuche der KapitalistInnen zu benutzten, sie weiterhin auszubeuten und zu unterdrücken. Das ist es, was MarxistInnen meinen, wenn sie die Bewaffnung der ArbeiterInnenklasse fordern. Es bedeutet die Polizei und Armee komplett umzubauen entlang der proletarischen Linie – die Kontrolle dieser Organisationen den ArbeiterInnen zu übergeben durch die demokratische Wahl von OffizierInnen und ihren Untergebenen unter der Aufsicht der organisierten ArbeiterInnenklasse.

Beispiele solcher Massnahmen konnten in Turin, Italien, 1920 gesehen werden, als die Roten Brigaden, zusammengesetzt aus freiwilligen ArbeiterInnen, gebildet wurden unter der Kontrolle der Fabrikkomitees. Die FIOM Gewerkschaft besetzte Fabriken und stellte Bürgerwehren auf, um die Fabriktore zu bewachen. Sie verliessen sich nicht auf die Kräfte des bürgerlichen Staates – sie erschufen eine Alternative zu diesen Strukturen unter der Kontrolle des Proletariats.

In ähnlicher Weise war Trotzki nach 1917 beauftragt, die Rote Armee in Russland von Grund auf neu aufzubauen unter den schwierigsten Bedingungen. Er führte ein System von KommissarInnen der Armee ein, deren Rolle als führende Kader der bolschewistischen Partei war, die politische Disziplin der Regimenter und der kommandierenden Generäle zu erhalten (Mangels militärisch-technischem know-how waren dies oft Generäle, die zuvor den früheren reaktionären Regimes des Zaren und der bürgerlichen provisorischen Regierung treu waren). Auf diese Weise wurde die Armee als eine Waffe des Proletariats konstruiert, nicht als Werkzeug für die konterrevolutionäre Bourgeoisie.

Mit der Zeit, wenn die Klassen sich unter den Bedingungen der vergesellschafteten Produktion auflösen, werden diese Institutionen verschwinden, da sie nicht mehr von einer Klasse gebraucht werden, um Dominanz über eine andere zu behalten. Die administrativen Tätigkeiten werden bleiben; aber, da alle BürokratInnen sind, wird das nicht zu einer Gruppe, die getrennt vom Rest der Gesellschaft steht, führen. Die Durchsetzung sozialer Verhaltensnormen etc. würde durch sozialen Druck in der Gesellschaft erfolgen, nicht durch eine Zwang ausübende Kraft von ausserhalb – in der gleichen Weise, wie zivilisiertes Verhalten in einer Gruppe FreundInnen reguliert wird oder wie es in den primitiven kommunistischen Gesellschaften war.

Basierend auf Morgans Studie über die Irokesen beschreibt Engels solche primitiven kommunistischen Gesellschaften folgendermassen:

Ohne Soldaten, Gendarmen und Polizisten, ohne Adel, Könige, Statthalter, Präfekten oder Richter, ohne Gefängnisse, ohne Prozesse geht alles seinen geregelten Gang. Allen Zank und Streit entscheidet die Gesamtheit derer, die es angeht, die Gens oder der Stamm, oder die einzelnen Gentes unter sich – nur als äußerstes, selten angewandtes Mittel droht die Blutrache, von der unsre Todesstrafe auch nur die zivilisierte Form ist, behaftet mit allen Vorteilen und Nachteilen der Zivilisation. Obwohl viel mehr gemeinsame Angelegenheiten vorhanden sind als jetzt – die Haushaltung ist einer Reihe von Familien gemein und kommunistisch, der Boden ist Stammesbesitz, nur die Gärtchen sind den Haushaltungen vorläufig zugewiesen -, so braucht man doch nicht eine Spur unsres weitläufigen und verwickelten Verwaltungsapparats. Die Beteiligten entscheiden, und in den meisten Fällen hat jahrhundertelanger Gebrauch bereits alles geregelt. Arme und Bedürftige kann es nicht geben – die kommunistische Haushaltung und die Gens kennen ihre Verpflichtungen gegen Alte, Kranke und im Kriege Gelähmte. Alle sind gleich und frei – auch die Weiber.

Für die meiste Zeit in der die Menschen auf diesem Planeten waren, etwa zwei Millionen Jahre, haben wir in solchen Gesellschaften gelebt und unser Verhalten innerhalb der Gesellschaft geregelt und nicht von Institutionen, die ausserhalb und oberhalb von ihr standen. Der Sozialismus würde eine Rückkehr zu dieser natürlichen Menschlichen Art eine Gesellschaft zu organisieren markieren – kooperativ anstatt antagonistisch.

Neben diesen Institutionen, die das Gesetz durchsetzen, gibt es auch die Institution des Gesetzes selbst, über welches Marx sagte, es kann nicht höher sein als seine wirtschaftliche Grundlage. Also wird die Existenz des Gesetzes so lange andauern wie der Staat, aber wie der Staat wird es ebenfalls irgendwann verschwinden.

Der sowjetische Jurist Evgeny Pashukanis diskutiert dies in seinem Buch Allgemeine Rechtslehre und Marxismus:

Das Absterben von Kategorien des bürgerlichen Rechts wird unter diesen Bedingungen das Absterben des Rechts überhaupt bedeuten, das heißt das Verschwinden des juristischen Moments aus den Beziehungen der Menschen zueinander.

Eine Charakteristik des Gesetzes unter dem Sozialismus, während es im Begriff ist zu verschwinden, ist, dass es nicht länger in einer komplett abstrakten Form existiert, wie unter dem Kapitalismus. Das bürgerliche Gesetz besteht darauf, dass die Justiz blind ist – in anderen Worten, sie wird ungleiche Dinge gleich behandeln. Deshalb setzt das Vertragsrecht voraus, dass die zwei Vertragsparteien sich ganz gleich gestellt sind, selbst wenn dies in der wirtschaftlichen und sozialen Realität nicht der Fall ist. Solch eine Einstellung innerhalb der bürgerlichen Gesetzgebung gräbt einfach Ungleichheit und Ungerechtigkeit ein. Das Gesetz unter dem Sozialismus, auf der anderen Seite, wäre nicht blind – es hätte beide Augen weit geöffnet und würde dazu schauen, die Interessen der ArbeiterInnenklasse zu verteidigen.

Genau so wie der Besitz der Produktionsmittel keine Frage des individuellen Besitzes sein wird und eine Sache des kollektiven Besitzes wird, so wird auch die Gesetzgebung weniger eine Thema von individuellen Rechten und mehr von kollektiven Rechten der Gesellschaft. Gegen diese Rechte wird Verhalten als kriminell oder nicht beurteilt werden im Sozialismus.

Eine Redewendung besagt, dass Besitz neun Zehntel des Gesetzes ausmacht – also wird die Abschaffung des Privateigentums der Produktionskräfte sicherlich einen Rückgang an Rechtsfällen und Verbrechen zur Folge haben. Wie kann man von einem Laden stehlen, wenn die Güter in diesem Laden im Überfluss vorhanden sind, frei verfügbar für die Menschen, um sie auf Basis ihrer Bedürfnisse zu nehmen? Es wäre so absurd wie jemanden des Diebstahls von Sauerstoff zu beschuldigen, weil er die Luft atmet, die er zum Leben braucht.

Im Kapitalismus existiert die grosse Mehrheit der Rechtsarbeit nur dafür, Verträge aufzusetzen und Klarheit über private Besitzrechte zu erlangen. Wenn der Besitz im Sozialismus nun in Kollektivbesitz ist, würde diese enorme Menge an Rechtsarbeit obsolet und könnte dafür zu gesellschaftlich nötigeren Aufgaben umgeleitet werden.

Weiter zur Frage des Verbrechens. Je näher wir einer Gesellschaft des Überflusses kommen, in der jeder und jede einen Job und eine Aufgabe, einen demokratischen Anteil an der Wirtschaft und dem eigenen Leben hat, desto kleiner wird das Motiv sein, überhaupt Verbrechen zu begehen. Dies geht soweit, dass jene, die Verbrechen begehen als Opfer der Übel der Gesellschaft behandelt werden können, anstatt sie wie wilde Tiere oder Sklaven einzusperren. Pashukanis erklärt diesen Punkt wie folgt:

Man stelle sich für einen Augenblick vor, daß das Gericht sich tatsächlich nur mit der Erwägung dessen abgäbe, auf welche Weise die Lebensbedingungen des Angeklagten derart verändert werden könnten, daß er entweder gebessert oder daß die Gesellschaft vor ihm geschützt würde – und der ganze Sinn der Bezeichnung »Strafe« verflüchtigt sich sofort.

Die Frage der Gesetzgebung führt auch zur Frage der Gesetzgeber selber – der politischen Parteien. Sozialismus bedeutet nicht einen Ein-Partei-Staat; aber es bedeutet eine Veränderung der Parteien, wie wir sie heute verstehen – versammelt um verschiedene Klasseninteressen – da diese Klassenunterschiede schnell erodiert werden. Während die Konservativen traditionell die Interessen der Bourgeoisie in Grossbritannien vertreten haben, wurde Labour von den Gewerkschaften gegründet um die Interessen der ArbeiterInnenklasse zu vertreten. In den USA repräsentieren die Demokraten und Republikaner zwei Flügel der Bourgeoisie, welche leicht verschiedene Ansichten darüber haben, wie man die Herrschaft des Kapitals am besten erhalten kann. Im Sozialismus werden politische Parteien nicht länger gegründet mit dem Ziel, bestimmte Klasseninteressen zu vertreten. sondern eher verschiedene Ideen, wie man am besten die Wirtschaft plant, wo man investiert und forscht, welche Prioritäten es gibt für die Gesellschaft, etc. Wir werden Parteien sehen, basierend auf Ideen und Wünschen, nicht Klassen.

Dieser Artikel ist der dritte Teil einer Serie zum Thema „Wie wird der Sozialismus aussehen?“ Teil 1 | Teil 2 | Teil 4