Wie eigenen wir uns Wissen an? Gibt es eine reale Welt ausserhalb unserer Sinne? Und wenn ja, in welchem Verhältnis stehen wir zur Aussenwelt? In diesem wichtigen theoretischen Beitrag verteidigt der marxist.com– Redakteur Alan Woods den Materialismus gegen den Idealismus und den obskurantistischen, postmodernen Subjektivismus, der heute an den Universitäten verbreitet ist.

Dieser Artikel erschien ursprünglich als Einleitung zur neuen englischen Ausgabe von Lenins Klassiker «Materialismus und Empiriokritizismus»: Original auf Englisch.

Joseph Dietzgen sagte einmal, die offizielle Philosophie sei keine Wissenschaft, sondern ein Schutzwall gegen den Sozialismus. Er hatte ganz recht. Egal wie entrüstet sie es leugnen mögen, sind die Berufsphilosophen von den Verteidigern des Status quo als Verbündete im Kampf gegen den Marxismus angeworben worden. Dies war in der Zeit des Kalten Krieges besonders eklatant, als die CIA Philosophie und Kunst als Waffen gegen den Kommunismus einsetzte. Aber es gilt auch heute noch.

Seit dem Moment, als der Marxismus zu einer bedeutenden Kraft geworden ist, die die bestehende Ordnung in Frage stellt, befindet sich das Establishment in einem permanenten Krieg gegen jeden Aspekt der marxistischen Ideologie, angefangen beim dialektischen Materialismus. Allein die Erwähnung des Marxismus löst in diesen Kreisen garantiert eine reflexartige Reaktion aus. «Veraltet», «unwissenschaftlich», «längst widerlegt», «Metaphysik» und der ganze Rest der fadenscheinigen und ermüdenden Litanei der Reaktion.

In den heiligen Wänden der philosophischen Fakultäten sind nicht nur Marx und Engels personae non grata. Auch der arme alte Hegel, der einst als der Philosoph der Philosophen schlechthin gepriesen wurde, ist Opfer einer wirklich schändlichen Verschwörung des Schweigens oder von noch Schlimmerem.

Diese Situation ist nicht nur ein Ausdruck von Unwissenheit und Vorurteilen (obwohl es von beidem reichlich gibt). Es sind mächtige materielle Interessen im Spiel, die schnell alle ausser die Mutigsten davon überzeugen, dass es nicht klug ist, diejenigen zu beleidigen, die die Gelder geben und die akademischen Karrieren kontrollieren.

Es ist auch offensichtlich, dass die postmoderne akademische Bande nicht gerne daran erinnert wird, dass es einmal eine Zeit gab, in der Philosophen tatsächlich etwas Tiefgründiges und Wichtiges über die reale Welt zu sagen hatten.

Die Bedeutung der Theorie

Schon in Was Tun? erklärte Lenin:

«Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben. Dieser Gedanke kann nicht genügend betont werden in einer Zeit, in der die zur Mode gewordene Predigt des Opportunismus sich mit der Begeisterung für die engsten Formen der praktischen Tätigkeit paart.» (W.I. Lenin, Werke, Bd 5, S. 379.)

Er fügte hinzu, dass «die Rolle des Vorkämpfers nur eine Partei erfüllen kann, die von einer fortgeschrittenen Theorie geleitet wird.» Und einer der wichtigsten Beiträge zur marxistischen Theorie ist zweifellos Materialismus und Empiriokritizismus.

Lenin begann mit der Abfassung dieses marxistischen Klassikers im Februar 1908. Das war auf dem Höhepunkt der Periode der Reaktion, die auf die Niederlage des Aufstands in Moskau im Dezember 1905 folgte. Die Arbeiterklasse war erschöpft. Der Bauernaufstand, auf den Lenin seine Hoffnungen für einen Wiederaufschwung der revolutionären Welle setzte, kam zu spät. Die Initiative ging auf das zaristische Regime über, das in die Offensive ging.

Es folgte eine Welle der schwärzesten Reaktion, die mehrere Jahre andauerte. Massenverhaftungen, Hinrichtungen im Schnellverfahren und die gnadenlose Zerschlagung jeglicher Opposition dezimierten die Bewegung. Die Marxisten (damals als Sozialdemokraten bekannt) waren der brutalsten Verfolgung ausgesetzt. Ihre Führer wurden gejagt, inhaftiert und nach Sibirien geschickt, oder hingerichtet. Tausende weitere wurden ohne Gerichtsverfahren ermordet.

Diese Niederlage hatte eine zutiefst demoralisierende Wirkung auf die Bewegung und vor allem auf jene Intellektuellen, die mit der Revolution sympathisiert hatten, als sie in vollem Gange war, sich aber von ihr abzuwenden begannen, sobald die Reaktion einsetzte. Im Kleinbürgertum machte sich eine pessimistische Stimmung breit.

Dies drückte sich in einem allgemeinen Gefühl der Hoffnungslosigkeit aus, einer Tendenz, den Klassenkampf aufzugeben und sich nach innen zu wenden, nach neuen Ideen und Allheilmitteln zu suchen, einschliesslich mystischer und halbreligiöser Ideen (z.B. das «Gotterbauertum»). In diesem Kontext liegt die wahre Bedeutung von Lenins Kampf gegen den philosophischen Revisionismus.

Ungefähr zu dieser Zeit kam der subjektive Idealismus von Richard Avenarius und Ernst Mach bei einer Schicht der russischen Intelligenz in Mode. Er entsprach genau der vorherrschenden Stimmung von Niedergeschlagenheit, Pessimismus und Mystizismus.

Die sozialistische Bewegung blieb von dieser Entwicklung nicht verschont und eine Schicht von ihr begann, dem Machismus Zugeständnisse zu machen. Dies war Teil des Prozesses der Konterrevolution auf der Ebene der Ideen.

Das Kleinbürgertum und die Revolution

Dasselbe Muster lässt sich immer wieder nach gescheiterten Revolutionen beobachten. Sobald die revolutionäre Bewegung Rückschläge erleidet, sehen wir eine grosse Reihe deprimierter Intellektueller, die sich in ungehöriger Eile von der Bewegung abwenden und sich in ihre sichere Studierstube zurückziehen.

Die Intellektuellen sind ein ziemlich genaues Barometer für die wechselnden Stimmungen des Kleinbürgertums. Als Zwischenschicht, die zwischen dem Proletariat und dem Bürgertum steht, bilden sie eine organisch instabile soziale Schicht, die ständig zwischen den beiden grossen Polen der Gesellschaft schwankt.

Insofern die Schicht der Intellektuellen (die «Intelligenz») in der Lage ist, sich der Arbeiterklasse und dem revolutionären Sozialismus zuzuwenden, erweist sie sich stets als ein höchst unbeständiger, schwankender und unzuverlässiger Verbündeter. Wenn sich die Arbeiterklasse in eine revolutionäre Richtung bewegt, kann ein Teil der kleinbürgerlichen Intellektuellen sich in ekstatischer Begeisterung wägen. Aber diese Stimmungsschwankungen können sehr schnell in ihr Gegenteil umschlagen.

Die Intelligenz verliert den Glauben an die Stärke der Arbeiterklasse, gibt dem Druck der Reaktion nach und rückt nach rechts. Die Ideale des kollektiven Kampfes werden durch die Suche nach individuellen Lösungen ersetzt. Subjektivismus, Relativismus und Agnostizismus, mit anderen Worten: philosophischer Idealismus, beginnen sich durchzusetzen.

Sie erfinden alle möglichen ausgefallenen Ideen, um die Ursachen von Niederlagen zu erklären. Aber ausnahmslos geben sie der Arbeiterklasse die Schuld für ihre eigenen Misserfolge. Und sie fangen immer an, von der Notwendigkeit «neuer Ideen» und der «Freiheit der Kritik» zu faseln, um der «erstickenden Orthodoxie» (dem Marxismus) ein Ende zu bereiten, die sie ihrer Meinung nach im Stich gelassen hat.

«Freiheit der Kritik»

In Russland erschien zwischen 1906 und 1908 eine Reihe von Büchern und Artikeln, verfasst von Alexander Bogdanow, Anatoli Lunatscharski und W. A. Basarow sowie von anderen linken Intellektuellen wie dem Menschewiken Pawel Juschkewitsch und dem Haupttheoretiker der Partei der Sozialrevolutionäre, Wiktor Tschernow. Die Hauptaussage dieser Werke war, dass der Marxismus «veraltet» sei. Er müsse aktualisiert werden, indem man ihn mit den «neuen» Entdeckungen von Mach und Averanius ergänzt.

Aber der Marxismus ist eine einheitliche und harmonische Weltanschauung. Er ist keine Sammlung von guten Ideen, von denen jede einzelne nach Belieben verändert werden kann. Diese so genannten «kleinen Anpassungen» liefen in der Praxis auf eine völlige Negierung des Marxismus und seiner materialistischen Philosophie hinaus.

Diese Ideen waren nicht nur grundlegend falsch, sondern begannen auch, in den Reihen der Bolschewiki ein Echo zu finden – sogar auf der Führungsebene. Bogdanow war zu diesem Zeitpunkt eine der prominentesten Personen im bolschewistischen Zentralkomitee und Mitglied der Redaktion der bolschewistischen Zeitung Wperjod. In der Zeit vor der Revolution von 1905 hatten er und andere, die seiner philosophischen Linie folgten, eine führende Rolle gespielt. Er baute sich auch ein Renommee als Experte für die Frage der Philosophie auf.

Auf dem Gebiet der Philosophie belesen zu sein, bedeutet jedoch nicht unbedingt, dass man die Philosophie auch versteht. Bogdanow und seine Anhänger zeigten wiederholt, dass ihr Verständnis der marxistischen Theorie beschränkt und recht oberflächlich war und zu starren Schemata und Formeln tendierte. Sie zeigten ein völliges Fehlen an Verständnis für die marxistische Philosophie: Die dialektische Methode war ihnen gänzlich fremd. Diese Tatsache sollte sie später zu einer Reihe von ultralinken Fehlern auf dem Gebiet der Taktik führen.

Wie andere Revisionisten vor (und nach) ihnen, riefen auch die bolschewistischen Machisten nach der «Freiheit der Kritik». Sie betonten, dass sie nicht gegen den Marxismus seien, sondern diesen lediglich «auf den neuesten Stand» bringen wollten, in Übereinstimmung mit den «neusten Entdeckungen» der Wissenschaft und Philosophie.

Aber das war nur ein Trick und ein Ablenkungsmanöver von der Tatsache, dass sie sich vom Marxismus entfernten und die Partei mit sich mitreissen wollten. Lenin war in dieser Hinsicht sehr deutlich:

«Genosse Sashin […] fordert, den ‘Mitgliedern der Partei’ müsse ‘die völlige Freiheit ihrer revolutionären und philosophischen Gedanken’ ‘gewährleistet’ sein.
Diese Losung ist durch und durch opportunistisch. Eine derartige Losung wurde in allen Ländern innerhalb der sozialistischen Parteien nur von Opportunisten aufgestellt und bedeutete in der Tat nichts anderes als die ‘Freiheit’, die Arbeiterklasse durch die bürgerliche Ideologie zu demoralisieren. ‘Gedankenfreiheit’ (lies: Freiheit der Presse, des Wortes, des Gewissens) fordern wir ebenso wie Koalitionsfreiheit vom Staat (aber nicht von der Partei). Die Partei des Proletariats hingegen ist eine freie Vereinigung, geschaffen für den Kampf gegen die ‘Gedanken’ (lies: gegen die Ideologie) der Bourgeoisie, für das Verfechten und Durchsetzen einer ganz bestimmten, nämlich der marxistischen Weltanschauung. […] Diese Unaufrichtigkeit besteht darin, dass die einen ‘Wperjod’-Leute das Proletariat allzugern zu den Ideen der bürgerlichen Philosophie (zum Machismus) zurückziehen wollen und dass sich die anderen der Philosophie gegenüber gleichgültig verhalten und lediglich ‘völlige Freiheit’ … für den Machismus fordern.» (W.I. Lenin, Werke, Bd 16, S. 271f..)

Die Bibel lehrt uns, dass es nichts Neues unter der Sonne gibt. Und in Wirklichkeit gab es nichts Neues, weder in den Ideen von Mach und Avenarius noch in den Behauptungen der russischen Machisten, eine Aktualisierung des Marxismus zu besitzen. Marx und Engels haben viele Kämpfe gegen den idealistischen Revisionismus geführt, der berühmteste Fall ist Engels‘ Polemik gegen Eugen Dühring.

Im Laufe der Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung haben sich immer wieder einige kluge Leute mit der Behauptung hervorgetan, sie wollten den Marxismus auf den neuesten Stand bringen. Bogdanow und seine Mitdenker waren genau solche Leute. In der Praxis spiegeln diese Elemente den Druck fremder Klassen wider.

Die Arbeiterklasse existiert nicht im Vakuum. Sie ist von anderen Klassen und sozialen Schichten umgeben, deren Klassenanschauung sich in der Arbeiterbewegung widerspiegeln kann. Der Klassenkampf ist daher nicht nur ein wirtschaftlicher und politischer, sondern vor allem auch ein philosophischer Kampf, wie Lenin immer wieder betonte.

Lenins Kampf gegen Revisionismus

Lenin hatte nie einen Hehl aus seinen Differenzen mit Bogdanow in der Frage der Philosophie gemacht. Mehrere Jahre lang war er jedoch bereit, mit ihm zusammenzuarbeiten und dessen anderen Fähigkeiten in den Dienst der Partei zu stellen. Sobald Lenin jedoch von den systematischen Versuchen erfuhr, die philosophische Grundlage des Marxismus zu untergraben, erklärte er den Machisten den Krieg. Er nahm einen entschlossenen Kampf auf, um die grundlegenden Ideen des Marxismus gegen den Revisionismus zu verteidigen. Der höchste Ausdruck dieses Kampfes war die Veröffentlichung von Materialismus und Empiriokritizismus im Jahr 1909. Damals schrieb Lenin an Maxim Gorki, der sowohl mit Bogdanow als auch mit Lunatscharski eng befreundet war und mit einigen ihrer Ansichten sympathisierte:

«Jetzt sind die Umrisse der Philosophie des Marxismus [eine Serie von Artikeln die anlässlich eines von Bogdanow und seinen Verbündeten organisierten Symposiums geschrieben wurden – AW] erschienen. Ich habe alle Artikel durchgelesen, ausser dem Suworowschen (ich bin gerade dabei), und bei jedem Artikel war ich einfach toll vor Empörung. Nein, das ist kein Marxismus! Und unsere Empiriokritiker, Empiriomonisten und Empiriosymboliker geraten in einen Sumpf. Dem Leser vorzumachen, dass der ‘Glaube’ an die Realität der Aussenwelt ‘Mystik’ sei (Basarow), auf die scheusslichste Weise Materialismus und Kantianertum zu verwechseln (Basarow und Bogdanow), die Wesensverschiedenheit des Agnostizismus (Empiriokritizismus) und des Idealismus (Empiriomonismus) zu predigen, – den Arbeitern einen ‘religiösen Atheismus’ und eine ‘Anbetung’ der höchsten menschlichen Potenzialitäten zu lehren (Lunatscharski), – die Engelssche Lehre von der Dialektik als Mystik zu erklären (Beermann), – aus der stinkenden Quelle irgendwelcher französischer ‘Positivisten’ – Agnostiker oder Metaphysiker zu schöpfen, – hol sie der Teufel – mitsamt der ‘symbolischen Theorie der Erkenntnis’ (Juschkewitsch)! Nein, das ist zu stark! Natürlich wir sind simple Marxisten, in der Philosophie unbelesen, aber warum muss man uns so beleidigen und so etwas als Ph[iloso]phie des M[arxi]smus auftischen! Ich lasse mich eher vierteilen, als dass ich mich damit einverstanden erkläre, an einem Organ oder an einem Kollegium mich zu beteiligen, das solche Sachen predigt.» (W.I. Lenin, Brief an A. M. Gorki, 1908.)

Es handelte sich keineswegs um eine Debatte über obskure philosophische Doktrinen. Es war ein Kampf um die Seele der revolutionären Bewegung. Lenin beschrieb sehr klar, was der machsche Angriff tatsächlich bedeutete: «Bei uns aber gibt es Leute, die als Marxisten gelten möchten und eine Philosophie in die Massen tragen, welche hart an Fideismus grenzt.» (W.I. Lenin, Werke, Bd. 14, S. 69.)

Materialismus und Idealismus

Die Grundzüge der marxistischen Philosophie (dialektischer Materialismus) wurden von Friedrich Engels in Anti-Dühring und Ludwig Feuerbach und das Ende der klassischen deutschen Philosophie erläutert. Hier schreibt Engels, dass die grundlegenden philosophischen Strömungen der Materialismus und der Idealismus sind. Lenin erklärt in seinem Buch den Unterschied zwischen diesen philosophischen Strömungen:

«Der Materialismus betrachtet die Natur als das Primäre, den Geist als das Sekundäre, er setzt das Sein an die erste, das Denken an die zweite Stelle. Für den Idealismus gilt das Umgekehrte. Diesen Grundunterschied der ‘zwei grossen Lager’, in die sich die Philosophen der ‘verschiedenen Schulen’ des Idealismus und des Materialismus spalten, macht Engels zum Eckpfeiler seiner Betrachtungen und beschuldigt jene, die die beiden Ausdrücke Idealismus und Materialismus in einem andern Sinne gebrauchen, direkt der ‘Verwirrung’.» (Ebd. S. 92.)

Lenins Kampf bestand in erster Linie darin, den grundlegenden Unterschied zwischen Idealismus und Materialismus deutlich zu machen und Klarheit über die wirkliche Bedeutung des Machismus zu schaffen, der im Grunde nichts anderes als eine Form des Idealismus darstellte. Er griff die russischen Machisten wegen ihrer «Meuterei auf den Knien» gnadenlos an und forderte sie auf, mit ihrer «Abrechnung» mit den Anschauungen des Marxismus, den sie aufgegeben haben, «offen, direkt, entschieden und klar» hervorzutreten (Ebd. S. 10.).

Wie es bei Revisionisten üblich ist, versuchten Bogdanow und Lunatscharski, ihren Bruch mit dem Marxismus durch eine Reihe unehrlicher Tricks und Täuschungen zu verschleiern. Doch Lenin riss ihnen gnadenlos die Maske vom Gesicht und enthüllte den reaktionären idealistischen Inhalt, der sich darunter verbarg.

Schritt für Schritt, Schicht für Schicht, entlarvt dieses Buch den Idealismus in all seinen Erscheinungsformen. Ebenso gründlich, wie Engels auf die Ideen Dührings antwortete, zitiert Lenin ausführlich aus den philosophischen Schriften der russischen Machisten sowie aus den Schriften anderer Wissenschaftler und Philosophen.

Manche Leute beklagen sich, dass Lenins Buch eine schwere Lektüre sei. Das mag sein. Aber die einzige Möglichkeit, auf falsche Ideen zu antworten, ohne der Verzerrung oder des Missverständnisses bezichtigt zu werden, besteht genau darin, das Geschriebene Wort für Wort zu zitieren. Das ist es, was Lenin tut, und niemand kann sich darüber beschweren, dass er seine Gegner nicht fair behandelt.

Aber gerade deshalb ist er berechtigt, über sie das schärfste Urteil zu fällen – und er zögert nicht, dies zu tun. Er nennt sie Wirrköpfe und andere Dinge, die man in universitären Seminarräumen nicht zu hören gewohnt ist. Aber wie wir sehr gut wissen, gibt es auch dort keinen Mangel an Wirrköpfen, auch wenn sich niemand traut, sie beim richtigen Namen zu nennen.

Lenins Ziel war ganz einfach: Er wollte den wirklichen Unterschied zwischen dem dialektischen Materialismus des Marxismus und dem subjektiven Idealismus der Machisten zum Vorschein bringen. Das ist ihm glänzend gelungen.

Bei der Analyse der verschiedenen Schattierungen und Ausdrucksformen des Machismus auf internationaler Ebene betonte Lenin, dass wir in «jeder philosophischen Frage, die durch die neue Physik aufgerollt wurde, […] den Kampf zwischen Materialismus und Idealismus verfolgen [können].» (Ebd. S. 339.) Und er zeigte:

«Hinter einem Haufen neuer terminologischer Spitzfindigkeiten, hinter dem Schutt gelahrter Scholastik fanden wir immer, ausnahmslos, die zwei Grundlinien, die zwei Grundrichtungen bei der Lösung der philosophischen Fragen. Ob man als das Primäre die Natur, die Materie, das Physische, die Aussenwelt ansieht und Bewusstsein, Geist, Empfindung (nach der heutzutage verbreiteten Terminologie: Erfahrung), Psychisches u. dgl. als das Sekundäre betrachtet – das ist die Grundfrage, die in der Tat nach wie vor die Philosophen in zwei grosse Lager trennt.» (Ebd. S. 339-340.)

Lenin nahm diesen ideologischen Kampf so ernst, dass er bereit war, mit der gesamten Führung der bolschewistischen Fraktion anhand dieser Fragen zu brechen. Die Spaltung erfolgte 1909, als Lenin sich entschloss, mit Bogdanow und Lunatscharski zu brechen, anstatt auch nur das geringste Zugeständnis an ihren philosophischen Revisionismus, ihren sektiererischen Formalismus und ihre ultralinke Politik zu machen. Dies geschah nach fast zwei Jahren interner Auseinandersetzungen. Als es zur Spaltung kam, war es Lenin jedoch gelungen, die Mehrheit der Partei für die Position des dialektischen Materialismus zu gewinnen, und es waren Bogdanow und die Machisten, die gingen.

Idealismus und Religion

Der Materialismus lehnt die Vorstellung ab, dass Geist und Bewusstsein etwas von der Materie Getrenntes sind. Das Denken ist lediglich die Existenzweise des Gehirns, das, wie das Leben selbst, nur eine auf eine bestimmte Weise organisierte Materie ist. Der Geist ist das, was wir die Summe der Aktivitäten des Gehirns und des Nervensystems nennen. Aber dialektisch gesehen ist das Ganze grösser als die Summe der Teile. Diese Sichtweise entspricht weitgehend den Entdeckungen der Wissenschaft, die nach und nach die Funktionsweise des Gehirns aufdeckt und seine Geheimnisse lüftet.

Im Gegensatz dazu beharrt der Idealismus weiterhin darauf, das Bewusstsein als ein «Mysterium» darzustellen, als etwas, das wir nicht verstehen können. Er mystifiziert die physische und kausale Verbindung zwischen dem denkenden Geist und dem menschlichen Körper. Dieses so genannte Geist-Körper-Problem ergibt sich aus der Tatsache, dass geistige Phänomene sich qualitativ von den physischen Körpern zu unterscheiden scheinen, von denen sie anscheinend abhängen. Der konsequente Materialismus verteidigt hingegen die Ansicht, dass Geist und Körper aus einer Substanz bestehen.

Die idealistische Strömung in der Philosophie ist mindestens so alt wie Platon und Pythagoras, die die physische Welt als eine schlechte Nachahmung der vollkommenen Idee (Form) betrachteten, die vor der Entstehung der Welt existierte. Diese Sichtweise passt sehr gut zu den Interessen der religiösen Lobby, die mit grossem Nachdruck alles verteidigt, was von den uralten Vorurteilen über die Seele, ein Leben nach dem Tod und all dem anderen religiösen Unsinn, der sich seit den entferntesten und primitivsten Zeiten im menschlichen Gehirn angesammelt hat, noch zu verteidigen ist. Hinter der respektablen Fassade des philosophischen Idealismus verbergen sich Religion und Aberglaube. Die unbefleckte und ewige Seele sollte im Inneren des schäbigen, unvollkommenen und kurzlebigen materiellen Körpers eingeschlossen sein und sich nach der Erlösung im Moment des Todes sehnen, wenn wir «den Geist aufgeben» und ins Paradies schweben (wenn wir Glück haben).

Im Laufe der Geschichte war die Religion ein Hindernis für den Fortschritt der Wissenschaft. Die Kirche steht dem Fortschritt des Wissens feindlich gegenüber, denn jeder Fortschritt in der Wissenschaft entzieht dem religiösen Aberglauben eine weitere Grundlage. Die Religion basiert auf blindem Glauben, nicht auf Wissen. Sie stützt sich auf die Angst vor dem Unbekannten – und deshalb ist das Unbekannte ihr grösster Verbündeter. Deshalb beruhen alle Religionen auf Mystik, Obskurantismus, Wundern usw.

Die Kirche versuchte, den Weg des Fortschritts und der Wissenschaft mit den Feuern der Inquisition zu versperren, aber ohne Erfolg. Das sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert war eine Zeit, in der die Philosophie noch ihre ganze Kraft hatte. Ihre Ideen waren auf eine Weise relevant, wie sie es heute nicht mehr sind. Philosophie war wirklich Wissenschaft und Wissenschaft war Philosophie. In dieser schönen neuen Welt schien es, als hätte Gott keinen Platz.

Isaac Newton, ein Theist, hat Gott eine Rolle in seinem Uhrwerk-Universum zugedacht: die eines Anfangsimpulses. Doch nach dieser elementaren Aufgabe gab es für den Allmächtigen für den Rest der Ewigkeit eigentlich nichts mehr zu tun. Die neue Philosophie bot eine Grundlage für den Atheismus, und die Verteidiger des Glaubens waren sich dessen sehr wohl bewusst.

Der entschiedenste Gegner des Materialismus zu dieser Zeit war George Berkeley (1685-1753). Berkeley war ein Engländer, der Bischof von Cloyne in Irland wurde. Als endgültige und definitive Antwort auf den Materialismus vertrat er die Ansicht, dass die Materie selbst nicht existiere und dass die Welt erst dann entstehe, wenn sie beobachtet werde. Er griff das Konzept der Materie mit der Begründung an, es sei so voller Widersprüche, dass es für die Suche nach Wissen nutzlos sei.

Lenin zeigt deutlich die Beziehung zwischen idealistischer Philosophie und Klerikalismus auf und zitiert ausführlich aus den Werken von Bischof Berkeley und anderen Protagonisten der Kirche:

«Aus der Lehre von der Materie oder körperlichen Substanz», sagt er, «sind auch alle jene unfrommen Systeme des Atheismus und der Religionsverwerfung hervorgegangen… Wie sehr die materielle Substanz den Atheisten aller Zeiten wert gewesen ist, bedarf nicht der Erwähnung. Alle ihre monströsen Systeme stehen in einer so offenbaren und notwendigen Abhängigkeit von ihr, dass, ist dieser Eckstein einmal weggenommen, das ganze Gebäude notwendig zusammenstürzen muss, so sehr, dass sich nicht länger der Zeitaufwand lohnen wird, eine besondere Betrachtung auf die Absurditäten einer jeden nichtswürdigen Sekte von Atheisten zu richten.» (Berkley, In: Ebd. S. 18.)

Wie wir aus den obigen Ausführungen ersehen können, entwickelte Bischof Berkeley seinen subjektiven Idealismus als Antwort auf den seiner Ansicht nach materialistischen Atheismus Newtons und der anderen Wissenschaftler seiner Zeit. Er lehnte die Infinitesimalrechnung von Newton und Leibniz ab, weil die Anerkennung der unendlichen Teilbarkeit des «realen Raums» den Grundpostulaten seiner Philosophie widersprach.

Er nutzte geschickt die Argumente des Empirismus, um den Materialismus zu widerlegen und die Religion zu verteidigen. Er tat dies ganz bewusst, um den Atheismus zu bekämpfen, den er – ganz richtig – durch den Fortschritt der Wissenschaft auf dem Vormarsch zu sehen glaubte.

Bischof Berkeley hat auf geniale Weise gezeigt, dass die Logik des Empirismus, wenn sie auf die Spitze getrieben wird, zu der Schlussfolgerung führt, dass wir die Existenz der physischen Welt nicht unabhängig von unseren (meinen) Sinnen beweisen können. Ausgehend von dem unbestreitbaren Satz «ich interpretiere die Welt durch meine Sinne», zog er die Schlussfolgerung, dass ich nichts ausser meinen Empfindungen wissen kann.

Anstelle von Lockes Aussage «Nihil est in intellectu quod non sit prius in sensu» («Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen gewesen wäre»), behauptete Berkeley: «esse est percipi», d. h. «Sein ist Wahrgenommenwerden». Die Dinge können nur insofern existieren, als sie wahrgenommen werden. Daher ist es unmöglich, mit Sicherheit zu sagen, dass die Welt ausserhalb meiner Sinneswahrnehmung existiert. Diese philosophische Doktrin, nach der das Subjekt das Sein bestimmt, wird subjektiver Idealismus genannt.

Aber Berkeleys Argument hatte einen entscheidenden Fehler. Die unausweichliche Logik seines Arguments ist Solipsismus: Nur ich existiere. Da meine Sinneswahrnehmung das Sein bestimmt, kann ich die Existenz von etwas anderem als mir selbst nicht beweisen. Aber wenn das der Fall ist, wo kommt dann Gott ins Spiel? Dann muss sicherlich auch Gott nichts weiter als eine Einbildung sein – nur ein weiterer «Sinnesinhalt»!

Berkeley war kein Narr. Wie wir sehen werden, war er sich dieser unbequemen Tatsache sehr wohl bewusst. Er versuchte sie zu umgehen, indem er die Existenz einer Vielzahl von geistigen Substanzen und auch eines «kosmischen Geistes» (Gott) postulierte.

Dieses Dilemma war das Thema eines amüsanten Limericks, der wie folgt lautet:

«There was a young man who said ‘God
Must find it exceedingly odd
To think that the tree
Should continue to be
When there’s no one about in the quad.’»
Reply:
«Dear Sir: Your astonishment’s odd;
I am always about in the quad.
And that’s why the tree
Will continue to be
Since observed by, Yours faithfully, God.»
(«Ein junger Mann sagte: ‘Gott muss es äusserst merkwürdig finden, zu denken, dass der Baum auch noch weiter existieren soll, wenn niemand vor Ort ist.’»
Antwort:
«Geehrter Herr: Ihr Erstaunen ist seltsam; Ich bin immer vor Ort. Und so wird der Baum auch weiterexistieren, weil er wahrgenommen wird von mir, Ihrem Gott»)

R. Knox, God in the Quad

Das Gedicht ist amüsant und geistreich. Aber es ist nur für diejenigen von ernsthaftem Interesse, die das Bedürfnis haben, sich auf einen unsichtbaren Geist zu berufen, um zu beweisen, dass der Baum, den wir wahrnehmen, wirklich existiert. Doch was wirklich bewiesen werden müsste, bevor wir ein derartiges Urteil wagen, ist nicht das Dasein des Baumes, den wir alle sehen können, sondern jenes eines unsichtbaren Geistes, den wir per Definition nicht sehen können.

Erkenntnistheorie

Die Erkenntnistheorie – auch Epistemologie genannt – spielt in der Geschichte der Philosophie eine zentrale Rolle. Sie trifft den Kern des Gegensatzes zwischen philosophischem Materialismus und Idealismus.

Das so genannte Subjekt-Objekt-Problem beschäftigt die Philosophen seit Jahrhunderten. Es befasst sich mit der Analyse der menschlichen Erfahrung und der Frage, was innerhalb der Erfahrung «subjektiv» und was «objektiv» ist.
Wie können wir die Welt «ausserhalb» von uns erkennen? Die Frage wird in Form einer Dichotomie gestellt:
a) das denkende «Subjekt» («Ich») und
b) das Objekt des Denkens (die «äussere» Welt).

Diese Frage wurde bereits von Aristoteles aufgeworfen, aber im modernen – erkenntnistheoretischen – Sinne stammt sie aus dem 17. Jahrhundert und wurde von bürgerlichen Philosophen wie René Descartes und John Locke gestellt. Descartes, der Idealist war, führte den Begriff des Dualismus ein. In Descartes‘ Dualismus werden Geist und Körper als zwei völlig getrennte Substanzen dargestellt. Daher auch das «duale» Element.

Der Fehler besteht darin, das Bewusstsein als ein «Ding» zu behandeln, als eine unabhängige Entität, die von der menschlichen Sinnestätigkeit getrennt und unabhängig ist. Die unüberwindbare Schwierigkeit des Dualismus ist folgende: Wenn der Geist gänzlich verschieden vom physischen Körper ist, wie können die beiden dann interagieren?

Heute wissen wir vieles, was Descartes nicht wusste: über die Funktionsweise der Natur, die Welt der Moleküle, Atome und subatomaren Teilchen oder über die elektrischen Impulse, die die Arbeit des Gehirns steuern. Anstelle einer geheimnisvollen Seele beginnen wir, wissenschaftlich zu verstehen, wie der menschliche Körper und das Gehirn funktionieren.
Die Entdeckungen der modernen Wissenschaft haben die Vorstellung vom Bewusstsein als unabhängigem «Ding» unwiderruflich widerlegt. Doch so seltsam es auch erscheinen mag, an Verfechtern dieses mystischen Unsinns mangelt es auch im 21. Jahrhundert nicht.

Subjekt, Objekt und Dialektik

Die erste Frage ist, «was» wir wissen. Das zweite Problem ist die Frage, «wie» wir wissen, was wir wissen. Das ist im Wesentlichen das, was die Erkenntnistheorie zu beantworten versucht.

Dass ich die Welt durch meine Sinne interpretiere, ist ein grundlegender Gedanken. Diese Feststellung ist in Wirklichkeit eine reine Tautologie. Denn ohne Augen, Ohren, Hände und Gehirn kann ich überhaupt kein Wissen über die Welt haben. Der subjektive Idealismus folgert daraus, dass ich in Wirklichkeit kein wirkliches Wissen über die Welt ausserhalb meiner eigenen Empfindungen haben kann. Um es mit den Worten des logisch-positivistischen Philosophen A. J. Ayer zu sagen: Alles, was ich wissen kann, sind meine «Sinnesinhalte».

Das so genannte Erkenntnisproblem stellt sich nur, wenn das Bewusstsein betrachtet wird als

a) etwas, das von einem physischen Körper getrennt ist, und

b) etwas, das von der materiellen Welt getrennt ist.

In Wirklichkeit sind der subjektive Idealismus und der philosophische Dualismus lediglich eine Idealisierung der starren Trennung zwischen geistiger und manueller Arbeit. Tatsächlich wird die Mystifizierung des menschlichen Denkens so weit getrieben, dass behauptet wird, nur mein Denken sei real. Das «Diesseits» wird dem «Jenseits» gegenübergestellt, als ob die beiden durch eine undurchdringbare Wand getrennt wären.

Der dialektische Materialismus geht vom Grundsatz aus, dass die objektive Welt unabhängig vom Subjekt existiert, die beiden aber Teil einer dialektischen Einheit sind. Das Bewusstsein ist keine trennende «Wand» zwischen Subjekt und Objekt. Es ist vielmehr eine Brücke, die die beiden verbindet. Das Subjekt ist selbst ein Objekt, insofern als der Mensch den objektiven Gesetzen der Natur und der Gesellschaft unterworfen ist.

Aber durch ihre subjektive Aktivität können die Menschen mit der objektiven Welt, die sie umgibt, interagieren und sie tun dies auch. Eben dadurch wird nicht nur die Natur, sondern auch die Gesellschaft tiefgreifend verändert.

Subjekt und Objekt sind also keine ewig fixierten und unbeweglichen Gegensätze. Beide können ihre Seite wechseln, die eine Seite geht in die andere über und umgekehrt. Sie reagieren konstant aufeinander, was das Resultat der sozio-ökonomischen Tätigkeit der Menschen ist. Es ist durch die Praxis und nicht durch die passive Betrachtung, durch welche Männer und Frauen kontinuierlich ihre Umwelt verändern, und sich dabei stets auch selbst verändern.

In dieser Tätigkeit spielt das Denken überhaupt keine zwingende Rolle. Die meisten Veränderungen geschahen ohne jede vorherige Planung oder bewusstes Nachdenken. Diese Veränderungen sind das Ergebnis menschlicher sinnlicher Tätigkeit: menschlicher Arbeit, von der Arbeit mit primitiven Steinwerkzeugen bis hin zur Aktivität mit Kernreaktoren.

Die Macht der Abstraktion

Die menschliche Tätigkeit ermöglicht uns, die Welt, in der wir leben, und ihre Gesetze zu verstehen, und befähigt uns daher letztlich, diese Gesetze zu beherrschen, uns über sie zu erheben und die wahre Freiheit zu erlangen, was die Erkennung (das Verständnis) der Notwendigkeit ist.

Wir denken nicht nur mit dem Gehirn, sondern mit unserem ganzen Körper. Deshalb beginnt ein Baby die materielle Welt zu verstehen, indem es sie einfach in den Mund nimmt und versucht, sie zu essen. Mit den Worten Goethes: «Im Anfang war die Tat».

Aber das Denken darf nicht als isolierte Tätigkeit («der Geist in der Maschine») gesehen werden, sondern als Teil der gesamten menschlichen Erfahrung, der menschlichen sinnlichen Tätigkeit und in Wechselbeziehung mit der Welt und mit anderen Menschen. Es muss als Teil dieses komplexen Prozesses permanenter Wechselwirkung gesehen werden, nicht als isolierte Tätigkeit, die diesem mechanisch angefügt wird.

Wenn wir sagen, dass alles Wissen auf Erfahrung beruht, dann ist damit keineswegs meine persönliche Erfahrung gemeint, sondern die gesamte kollektive Erfahrung der Menschen über einen Zeitraum von Hunderttausenden von Jahren.

Die Welt existierte schon lange bevor der Mensch oder eine andere Lebensform zur Stelle war, um sie zu beobachten. Belebte Materie (Leben) ist auf natürliche Weise aus lebloser Materie entstanden. An einem bestimmten Punkt entwickelten sich einfache einzellige Lebewesen zu komplexeren Lebensformen, wirbellose Tiere zu Wirbeltieren und so weiter. Aus der weiteren Entwicklung eines zentralen Nervensystems entwickelte sich ein Gehirn, und schliesslich das menschliche Gehirn und das menschliche Bewusstsein. Wir sind Materie, die sich ihrer selbst bewusst geworden ist.

Diese Erklärung wird durch alle Entdeckungen der Wissenschaft gestützt. Aber für den Idealismus bleibt dies ein geschlossenes Buch. Alle Formen des Idealismus sind untrennbar mit der Religion verbunden und führen unweigerlich zur Religion zurück.

In diesem Zusammenhang schrieb Trotzki kurz vor seiner Ermordung:

«’Wir wissen über die Welt nichts als das, was uns die Erfahrung lehrte.’ Dies stimmt, wenn man Erfahrung nicht als die direkte Wahrnehmung durch unsere Sinnesorgane versteht. Wenn wir Materie auf Erfahrung im engen empiristischen Sinn beschränken, ist es uns nicht möglich, jemals etwas über den Ursprung der Arten, oder noch weniger, etwas über die Bildung der Erdkruste zu wissen. Zu sagen, die Erfahrung ist Grundlage für alles, heisst, zu viel zu sagen oder gar nichts. Erfahrung ist ein aktives Wechselverhältnis zwischen Subjekt und Objekt. Erfahrung ausserhalb dieser Kategorie zu analysieren – das heisst ausserhalb der objektiven materiellen Umgebung des Beobachters, zu der auch die gehören, die dem entgegengestellt sind oder einen anderen Standpunkt einnehmen –, das zu tun, bedeutet die Erfahrung in eine formlose Einheit aufzulösen, wo es weder Objekt noch Subjekt gibt, sondern nur den mystischen Lehrsatz der Erfahrung. Erfahrung oder Erleben dieser Art kommt nur bei Säuglingen im Mutterleib vor, doch leider hat ein Säugling keine Möglichkeit, die wissenschaftlichen Schlüsse seiner Erfahrungen mit jemandem zu teilen.»

Es ist genau diese kollektive Erfahrung, die es uns ermöglicht, dem, was wir über die Welt wissen, einen Sinn zu geben, die Informationen, die wir durch unsere Sinne erhalten, genau und wissenschaftlich zu beurteilen und die Schlüsse zu ziehen, die uns erlauben, korrekte Vorhersagen über die physische Welt und die Gesellschaft zu treffen.

Wissen ist also nicht auf den engen Bereich der individuellen Sinneswahrnehmung beschränkt, denn um die begrenzten Informationen aus meiner individuellen Erfahrung zu verstehen, muss ich mich auf eine grosse Menge von Informationen stützen, die von Generation zu Generation in Form von theoretischen Abstraktionen weitergegeben werden.

Das Wort Abstraktion selbst kommt aus dem Lateinischen und bedeutet «herausgezogen» oder «abgesondert», was sehr deutlich zeigt, dass alle theoretischen Verallgemeinerungen (einschliesslich der abstraktesten mathematischen Formeln) letztlich aus der Beobachtung der physischen Welt abgeleitet sind. Wir zählen bis zehn, nicht weil das Dezimalsystem besser ist als jedes andere (das ist es nicht), sondern nur, weil wir zehn Finger haben, die wir immer noch dazu nutzen, zu zählen, um einfache Summen zu bilden.

Sind diese Abstraktionen erst einmal etabliert, scheinen sie sich zu verselbstständigen und stellen ein mächtiges Werkzeug zum Verständnis der Welt. Sie stellen ein unverzichtbares Werkzeug für den Fortschritt der Wissenschaft dar, die die dialektische Einheit von Deduktion und Induktion, von Theorie und Praxis, von wissenschaftlichen Hypothesen mit Beobachtung und Experiment repräsentiert. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar.

Der physische Ursprung des Bewusstseins

Der Fortschritt der Wissenschaft hat die Antworten geliefert, die den physischen Ursprung des Bewusstseins erklären. Wir wissen, wie organische Materie (Leben) auf natürliche Weise aus anorganischer Materie hervorgeht. Schon die frühesten Formen des Lebens zeigen Anzeichen von Empfindungsvermögen. Die Reizbarkeit, d. h. die Art und Weise, wie lebende Organismen auf die physischen Reize der Aussenwelt reagieren, ist bei allen Lebensformen vorhanden.

Sogar bei Pflanzen gibt es ein ähnliches Phänomen, wenn sich die Blumen der Sonne zuwenden. Worauf reagieren sie dabei? Nicht auf «Sinnesinhalte», denn Pflanzen haben keine Sinne als solche. Sie reagieren auf äussere Reize aus der physischen Welt. Das ist bei allen lebenden Organismen so. In jedem Fall reagieren sie auf äussere Reize.

Wir wissen heute, dass die Nervenzellen sowohl elektrisch als auch chemisch wirken. An den Enden jeder Nervenzelle gibt es spezialisierte Bereiche, die Synapsenendknöpfchen, die eine grosse Anzahl von winzigen Membransäckchen enthalten, die chemische Neurotransmitter enthalten. Diese Chemikalien übertragen Nervenimpulse von einer Nervenzelle zur anderen. Nachdem ein elektrischer Nervenimpuls eine Nervenzelle entlanggewandert ist, erreicht er die Endigung und stimuliert die Freisetzung von Neurotransmittern aus ihren Säckchen.

Die Neurotransmitter wandern über die Synapse (der Knotenpunkt zwischen den benachbarten Neuronen) und stimulieren die Produktion einer elektrischen Ladung, die den Nervenimpuls weiterleitet. Dieser Vorgang wiederholt sich immer wieder, bis ein Muskel bewegt oder entspannt wird oder das Gehirn einen Sinneseindruck wahrnimmt. Diese elektrochemischen Vorgänge können als die «Sprache» des Nervensystems betrachtet werden, mit der Informationen von einem Teil des Körpers zu einem anderen übertragen werden.

Diese wissenschaftliche Erklärung räumt sofort auf mit der mystisch-idealistischen Sichtweise des Denkens und des Bewusstseins als etwas Mysteriöses und Unerklärliches, etwas, das von den normalen Abläufen der Natur und anderen Körperfunktionen getrennt sei. Diese wiederum werden in Wechselwirkung mit der materiellen Umwelt durch kollektive gesellschaftliche Arbeit geformt und entwickelt.

Die Evolution hat verschiedene Möglichkeiten entwickelt, um auf die physische Umwelt zu reagieren, um das Überleben des Einzelnen (Nahrung) und der Spezies (Fortpflanzung) zu sichern. So wie wir einige Gene sogar mit den niederen Bakterien teilen, so teilen wir auch diese gemeinsame Fähigkeit. Doch beim Menschen hat sich diese blosse Möglichkeit zu etwas entwickelt, das auf einer qualitativ anderen Stufe steht als bei den restlichen Tieren.

Man kann sagen, dass es bei Katzen, Hunden, Pferden und anderen höheren Säugetieren etwas gibt, das dem Bewusstsein ähnelt. Sicherlich haben Experimente an Schimpansen gezeigt, dass sie so etwas wie ein Selbstbewusstsein besitzen könnten. Es könnte sogar möglich sein, Elemente, die dem Bewusstsein ähneln, bei niederen Lebensformen wie Vögeln oder sogar Ameisen nachzuweisen.

Aber je weiter wir uns vom Menschen entfernen, desto weniger haben diese Dinge mit dem Selbstbewusstsein zu tun. Wir haben es hier mit empfindungsfähigen Lebensformen zu tun, nicht mit Bewusstsein. Daher ist es nicht möglich, das menschliche Bewusstsein mit dem von anderen Tieren gleichzusetzen.

Diese Tatsachen sind jedem bekannt, der auch nur das geringste Interesse an der modernen Wissenschaft hat, und nur eine ignorante Person oder jemand, der um jeden Preis die Tatsachen ignorieren und religiöse Vorurteile und Aberglauben verteidigen will, kann sie leugnen.

Im richtigen Kontext betrachtet, hat der menschliche Geist nichts Mystisches an sich. Dennoch haben Philosophen Verwirrung in diese Frage gebracht, indem sie, in einigen Fällen ganz bewusst, die Tatsachen verdrehen, falsch interpretieren und ignorieren, um mit religiösen und mystischen Ideen hausieren zu gehen.

Empirismus

Der Ursprung dieser Verwirrung in der Erkenntnistheorie ist im 17. Jahrhundert zu suchen, als die Menschheit darum kämpfte, sich vom religiösen Obskurantismus (Bestreben, die Menschen bewusst in Unwissenheit zu halten) des Mittelalters zu befreien. Ein wichtiger Schritt in diesem Kampf war die Entwicklung des Empirismus in England.

In seinen Anfängen spielte der Empirismus eine äusserst fortschrittliche und revolutionäre Rolle. Er richtete sich gegen die Kirche und die Freiheit der Wissenschaft und verkündete die Überlegenheit von Beobachtung und Experiment gegenüber dem Dogma. Die frühen Empiristen (Bacon, Locke und Hobbes) waren Materialisten. Wie bereits erwähnt, lautete ihr Schlachtruf «Nihil est in intellectu quod non sit prius in sensu». («Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen gewesen wäre.»)

Ihr Beharren auf der Sinneswahrnehmung als Grundlage allen Wissens stellte seinerzeit einen gigantischen Sprung vorwärts dar gegenüber den leeren Spekulationen der mittelalterlichen Gelehrten. Es ebnete den Weg für die rasche Ausbreitung der Wissenschaft, die auf empirischen Untersuchungen, Beobachtungen und Experimenten beruhte.

Doch trotz ihres ungeheuren revolutionären Charakters, war diese frühe Form des Materialismus einseitig, begrenzt und daher unvollständig.

Die Behauptung, dass es im Verstand nichts gibt, was nicht von den Sinnen abgeleitet ist, enthält den Keim einer zutiefst richtigen Idee. Das ist Materialismus. Aber die Einseitigkeit des Empirismus lässt die Tür zum subjektiven Idealismus offen, der die Existenz einer vom Beobachter unabhängigen materiellen Realität leugnet.

Auf solch verwirrte Form dargelegt hatte diese Idee die schädlichsten Folgen für die weitere Entwicklung der Philosophie. Die bedeutenden Fortschritte der frühen englischen Materialisten Hobbes und Locke wurden von dem oberflächlichen Epigonen David Hume abgelöst, der später einen negativen Einfluss auf die Philosophie von Kant ausübte. In Bischof George Berkeley fand diese Form des subjektiven Idealismus ihren konsequentesten Verfechter.

Dieser einseitige Empirismus, d. h. der subjektive Idealismus, beeinflusste in verschiedenen Verkleidungen immer wieder sowohl die moderne bürgerliche Philosophie als auch die Wissenschaft. Eine der schädlichsten davon war der sogenannte logische Positivismus. Unter dem Einfluss dieser Ideen bestritt der österreichische Wissenschaftler Ernst Mach, mit dem sich Lenin in diesem Buch ausführlich befasst, die Existenz von Atomen, da man sie weder sehen, fühlen noch hören könne.

Subjektiver Idealismus: Ein philosophischer Schwindel

Die Argumente des subjektiven Idealismus scheinen auf den ersten Blick eine unwiderlegbare Logik zu besitzen. Und in der Tat: Wenn man die grundlegende Prämisse akzeptiert, ist es nahezu unmöglich zu antworten. Doch man kann eine solche Prämisse nicht akzeptieren, ohne in die absurdesten Widersprüche zu geraten, wie Bischof Berkeley selbst bald feststellte.

In Wirklichkeit beruhen sie auf einem intellektuellen Schwindel, dem philosophischen Äquivalent des Taschenspielertricks. Das Argument geht von folgender Prämisse aus: «Ich erkenne die Welt durch meine Sinne.» Diese Aussage ist wahr und unbestreitbar, soweit sie reicht. Ich kann die Welt nur durch meine Sinne erkennen. Doch wie wir gesagt haben, müssen wir eine weitere Aussage hinzufügen: Die Welt existiert unabhängig von meinen Sinnen. Sonst verfallen wir in die groteskesten Widersprüche und Absurditäten.

Die gesamte Wissenschaft basiert genau auf folgender Tatsache:
a) Die Welt existiert ausserhalb von uns selbst, und
b) wir können sie im Prinzip verstehen.

Der Beweis für diese Behauptungen, wenn es denn eines Beweises bedürfte, besteht in den mehr als 2’000 Jahren des Fortschritts der Wissenschaft, d. h. der ständigen Zunahme des Wissens gegenüber der Unwissenheit.

Das englische Wort «science» (Wissenschaft) selbst kommt vom lateinischen Wort «wissen», während das gegenteilige Wort Ignoranz lediglich das lateinische Wort für Nicht-Wissen ist. Natürlich gibt es viele Dinge, die wir über das Universum nicht wissen. Aber die gesamte Geschichte der Wissenschaft beweist, dass wir das, was wir heute nicht wissen, morgen wissen werden. Es ist diese ständige Suche nach der Wahrheit, die die treibende Kraft für jeden Fortschritt im Bereich des Denkens und der Ideen ist.
Wie Lenin schreibt:

«In der Erkenntnistheorie muss man, ebenso wie auf allen anderen Gebieten der Wissenschaft, dialektisch denken, d. h. unsere Erkenntnis nicht für etwas Fertiges und Unveränderliches halten, sondern untersuchen, auf welche Weise das Wissen aus Nichtwissen entsteht, wie unvollkommenes, nicht exaktes Wissen vollkommener und exakter wird.» (W.I. Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus, Werke, Bd. 14, S. 96.)

Logischer Positivismus

Das Wiederauftauchen lange toter Ideen in verschiedenen Verkleidungen spiegelt einerseits die Krise der kapitalistischen Ideologie wider. Andererseits widerspiegelt es aber das philosophische Vakuum, das durch die Tatsache verursacht wurde, dass der Marxismus nach dem Zweiten Weltkrieg für eine ganze historische Periode zurückgeworfen wurde.

Im Jahr 1909 hat Lenin in seinem Buch den subjektiven Idealismus von Mach und Avenarius gründlich zerschlagen. Aber der subjektive Idealismus selbst ist bis heute sehr lebendig. Mit einem gezielten Tritt in den Hintern zur Tür hinausgeworfen, schlich er sich einfach hinten herum und unbeobachtet durch ein Seitenfenster wieder hinein.

Dieser subjektive Idealismus wurde von der durch Ernst Mach vertretenen Schule und später vom Wiener Kreis (O. Neurath, Carnap, Schlick, Frank und andere) sowie dem logischen Positivismus in die Philosophie des 20. Jahrhunderts überführt. In Grossbritannien wurde sie von Professor A. J. Ayer vertreten, dessen Buch Sprache, Wahrheit und Logik (Language, Truth and Logic) in den 1960er Jahren Einfluss an den Universitäten hatte.

Die Grundthese von Ayers Buch ist, dass das einzige gesicherte Wissen, das wir haben können, das ist, was er «Sinnesinhalte» nennt. In den ersten Kapiteln seines Buches wird diese These auf verschiedene Weise entwickelt und wiederholt, so dass der Eindruck einer absolut unwiderstehlichen logischen Kette entsteht. Aber das ganze Konstrukt bricht zusammen, wenn er zu erklären versucht, worin diese Sinnesinhalte eigentlich bestehen.

Wir können die Frage sehr einfach stellen, so dass sogar ein Universitätsprofessor sie verstehen kann: Kann es Sinnesinhalte ohne Augen, Ohren und ein materielles Gehirn geben? Kann es ein materielles Gehirn ohne ein zentrales Nervensystem und einen materiellen Körper geben? Und kann es einen materiellen Körper geben, ohne dass es eine physische Umgebung gibt, die ihn mit den für seine Existenz notwendigen Lebensmitteln versorgt?

Selbstverständlich wird keine dieser Fragen beantwortet oder überhaupt gestellt. Wie üblich setzt der Autor das voraus, was zu beweisen wäre und schlussfolgert dann es bewiesen zu haben! Trotz seiner «cleveren» und kultivierten Erscheinung ist dies eine Denkweise, die im wahrsten Sinne des Wortes kindisch ist, so wie ein Baby weint, wenn seine Mutter das Zimmer verlässt, weil sie für es nicht mehr existiert.

Diese falschen und schädlichen Ideen repräsentieren die Sichtweise der kleinbürgerlichen Intelligenz, für die alles mit dem «Ich», mit «mir selbst» beginnt und endet.

«Mein Geschäft, meine Karriere, meine Individualität, meine Gefühle, meine Unterdrückung, meine Erfahrungen, mein Kampf gegen die ungerechte Welt, die mich nicht versteht» und so weiter und so fort. «Wenn die Welt nicht mit mir übereinstimmt, ist etwas mit der Welt nicht in Ordnung.»

Dies fasst die Weltanschauung der kleinbürgerlichen Intelligenz zusammen und bestimmt ihre gesamte Psychologie. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der subjektive Idealismus ihr natürlicher philosophischer Lebensraum ist. Er übt auf den kleinbürgerlichen «Denker» die gleiche Faszination aus wie ein Honigtopf auf eine Fliege.

Nun, selbst unter dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit müsste man sagen, dass diese Theorie absolut unbrauchbar ist. Sie kann unser Wissen keinen einzigen Millimeter voranbringen. Welchen Unterschied macht es für einen Chemiker in seinem Labor, zu leugnen, dass die Chemikalien in seinem Reagenzglas ein objektives Wesen besitzen, oder sie als blosse Ansammlung von Sinnesinhalten zu beschreiben?

Schliesslich muss er immer noch seine Experimente durchführen, um herauszufinden, worin die Realität dieser «unwirklichen» Objekte besteht. Und: Nachdem Professor Ayer den ganzen Tag damit verbracht hat, die Objektivität der Materie zu leugnen, hat er sich vermutlich nicht geweigert, sein Abendessen zu essen, weil dieses nicht wirklich existieren würde.

Zweifellos werden unsere Freunde des logischen Positivismus diese Argumente als «naiven Realismus» zurückweisen, womit sie Materialismus meinen. Dieses Wort verwenden sie als Erniedrigung, mit dem sie jede denkbare Kritik abwehren wollen. Wir für unseren Teil ziehen es vor, dieselbe schlichte Sprache zu verwenden, die Lenin benutzte, als er die subjektiven Idealisten lediglich als Wirrköpfe bezeichnete. Dies ist eine zutreffende Charakterisierung von Leuten, die versuchen, lächerliche Vorstellungen als ernsthafte Argumente vorzubringen.

In Materialismus und Empiriokritizismus zeigt Lenin auf, dass der subjektive Idealismus unweigerlich zum Solipsismus führt. Die meisten logischen Positivisten versuchen, den Vorwurf des Solipsismus mit einem Achselzucken abzutun, ihn entrüstet zu leugnen, das Thema mit allerlei kompliziertem und abstrusem Jargon zu verwirren oder es einfach als Witz abzutun.

Aber es bleibt ihnen überlassen, die Frage zu beantworten.

Der britische Philosoph Bertrand Russell traf einmal auf einer Party eine Dame, die ihm mitteilte, dass sie Solipsistin sei, und sich fragte, warum es nicht mehr von ihnen gäbe. Diese amüsante Anekdote offenbart auf eindrucksvolle Weise die inneren Widersprüche des subjektiven Idealismus. Russells Witz kann jedoch das philosophische Problem der Erkenntnis nicht aus der Welt schaffen. Dieses muss philosophisch, d. h. theoretisch, beantwortet werden. Marx hat dies in den Thesen über Feuerbach getan, Lenin noch umfassender in Materialismus und Empiriokritizismus.

Jahrzehntelang präsentierten die Verfechter des logischen Positivismus ihre Ideen arrogant als «Wissenschafts-Philosophie». Es liegt eine tiefe Ironie darin, denn sie warfen auch dem dialektischen Materialismus (ohne die geringste Grundlage) vor, die Rolle der «Königin der Wissenschaften» anzustreben.

Mit dem natürlichen Fortschritt der Wissenschaft wird die offene Unterstützung des subjektiven Idealismus, wie zuvor die Religion, zunehmend unhaltbar. Doch paradoxerweise üben die Ideen (oder besser gesagt, die Voreingenommenheit) des subjektiven Idealismus immer noch einen starken Einfluss auf die Köpfe einiger Wissenschaftler aus, die in ihrer Studienzeit dem halbgaren Unsinn des logischen Positivismus ausgesetzt waren und sich von dieser Erfahrung nie erholt haben.

Wie Marx und Engels die Frage stellten

In Ludwig Feuerbach stellt Engels fest, dass die zentrale Grundfrage der gesamten Philosophie, insbesondere der modernen Philosophie, die «Frage nach dem Verhältnis des Denkens zum Sein, des Geistes zur Natur» ist. Er geht dann auf eine der wichtigsten Fragen der Philosophie ein: die Erkenntnistheorie.

Engels fragt:

«Wie verhalten sich unsere Gedanken über die uns umgebende Welt zu dieser Welt selbst? Ist unser Denken imstande, die wirkliche Welt zu erkennen, vermögen wir in unsern Vorstellungen und Begriffen von der wirklichen Welt ein richtiges Spiegelbild der Wirklichkeit zu erzeugen?» (Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, MEW, Dietz Verlag, Berlin. Band 21, 1962, S. 275.)

«Diese Frage heisst in der philosophischen Sprache die Frage nach der Identität von Denken und Sein und wird von der weitaus grössten Zahl der Philosophen bejaht» sagt Engels, darunter nicht nur alle Materialisten, sondern auch die konsequentesten Idealisten wie Hegel, der die reale Welt für die Verwirklichung einer mystischen «absoluten Idee» hielt.

«Daneben gibt es aber noch eine Reihe andrer Philosophen, die die Möglichkeit einer Erkenntnis der Welt oder doch einer erschöpfenden Erkenntnis bestreiten. Zu ihnen gehören unter den neueren Hume und Kant, und sie haben eine sehr bedeutende Rolle in der philosophischen Entwicklung gespielt.» (ebd. S. 276.)

Wir sehen also, dass es in der Philosophie eigentlich drei Strömungen gibt: zwei konsistente oder monistische Tendenzen – Materialismus und Idealismus – und eine inkonsistente Tendenz, die zwischen empirischem Materialismus und subjektivem Idealismus schwankt. Die letztgenannte Denkrichtung fand ihren stärksten Ausdruck in der Philosophie von Immanuel Kant. Hume und Kant, die eigentlichen Vorfahren des logischen Positivismus, tendierten beide dazu, die «Erscheinung» von dem, was erscheint, die Wahrnehmung von dem, was wahrgenommen wird, das «Ding für uns» vom «Ding an sich» zu trennen.

Kant räumte die Existenz der materiellen Welt ein, versuchte aber, zwischen dieser und der Erscheinungswelt eine Grenze zu ziehen. Das «Ding an sich», das er als «unerkennbar» bezeichnete, sei etwas komplett anderes als die Erscheinung. Es gehöre dem «Jenseits» an und sei dem Wissen unzugänglich, offenbare sich aber dem Glauben.

Hier erscheint die Sinneswahrnehmung als ein dritter Begriff, der die äussere physische Welt vom wahrnehmenden Subjekt (dem Ich) trennt. Die Sinne erscheinen als Hindernis für wirkliche Erkenntnis, statt als Brücke zum Verständnis und damit zur Beherrschung der realen, physischen Welt.

Der Kant’sche Trick bestand darin, das Unerkennbare mit dem Unbekannten zu verwechseln. In Wirklichkeit wird das «Ding an sich» durch den ständigen Fortschritt des menschlichen Bewusstseins, der Wissenschaft, der Industrie und der Technologie allmählich zu einem «Ding für uns». Durch diesen Fortschritt ist das, was gestern noch unbekannt war, uns heute bekannt oder wird morgen bekannt sein.

Für Marxisten sind die menschlichen Ideen und Begriffe letztlich nichts anderes als Widerspiegelungen der materiellen Welt. Der Wahrheitsgehalt dieser Widerspiegelungen wird auf der Grundlage der menschlichen Tätigkeit geprüft und die Ideen gegebenenfalls angepasst.

Der materialistische Standpunkt

Der frühe, mechanische Materialismus war nicht in der Lage, dieses Problem zu lösen und zu einem wissenschaftlichen Verständnis der wirklichen Beziehung von Subjekt und Objekt zu gelangen. Damit befasste sich Marx in seinen Thesen über Feuerbach. Der frühe Materialismus war durch den Stand der damaligen Wissenschaft beschränkt, die sehr starr und mechanisch war (Engels nannte dies die «metaphysische Anschauung», obwohl wir das Wort Metaphysik heute anders verwenden).

Die Mechanik sieht die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt auf eine vereinfachte, statische und einseitige Art und Weise: Stossen, Ziehen, Hebel, Flaschenzug usw. Alle Bewegung wird von aussen zugeführt. Newtons mechanisches Universum bedurfte eines Anstosses durch den Allmächtigen, um es in Bewegung zu setzen, aber danach funktionierte es perfekt, wie ein Uhrwerk. Die Beziehung war passiv und einseitig.

In diesem uhrwerkartigen Universum gibt es wenig oder gar keinen Raum für subjektive Tätigkeit und kreative Entschlusskraft. Jede Handlung ist durch die ewigen Gesetze der Natur vorbestimmt.

Im Gegensatz dazu übertrieben die Idealisten die Rolle des Subjekts und betrachteten es als das Allerwichtigste. Sie leiteten sogar die Existenz des Objekts aus dem Subjekt ab. Die Vorstellung von der Tätigkeit des Subjekts wurde von dem objektiven Idealisten Hegel erhalten und entwickelt. Das ist es, was Marx meinte, als er sagte, dass die subjektive Seite von den Idealisten entwickelt wurde, nicht von den Materialisten. Es war die Zusammenführung der beiden Elemente, des Begriffs der Tätigkeit des Subjekts der Idealisten und des Begriffs der Objektivität der materiellen Welt, die den Schlüssel zur Lösung des Problems darstellte.

Die Argumente des subjektiven Idealismus und des Subjekt-Objekt-Problems lassen sich leicht beheben, wenn wir den Standpunkt der Praxis einnehmen und die Erkenntnistheorie von einem konkreten historischen Standpunkt aus angehen statt vom Standpunkt einer leeren und statischen Abstraktion. Dies wurde von Marx in der zweiten seiner Thesen über Feuerbach behandelt:

«Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme – ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit, i.e. die Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit des Denkens – das von der Praxis isoliert ist – ist eine rein scholastische Frage.”

MEW 3, S. 5ff.

Letztlich wird die Wahrheit des Materialismus durch die Geschichte der Wissenschaft selbst geliefert. Der Mensch betrachtet die Natur nicht nur, sondern verändert sie aktiv, und diese unaufhörliche produktive Tätigkeit ist es, die die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Ideen beweist, wie Engels erklärt:

«Die schlagendste Widerlegung dieser wie aller andern philosophischen Schrullen ist die Praxis, nämlich das Experiment und die Industrie. Wenn wir die Richtigkeit unsrer Auffassung eines Naturvorgangs beweisen können, indem wir ihn selbst machen, ihn aus seinen Bedingungen erzeugen, ihn obendrein unsern Zwecken dienstbar werden lassen, so ist es mit dem Kant’schen unfassbaren ‘Ding an sich’ zu Ende. Die im pflanzlichen und tierischen Körper erzeugten chemischen Stoffe blieben solche ‘Dinge an sich’, bis die organische Chemie sie einen nach dem andern darzustellen anfing; damit wurde das ‘Ding an sich’ ein Ding für uns»

MEW 21, S. 276.
Eine Periode des Niedergangs

In der Periode ihres historischen Aufstiegs spielte die Bourgeoisie eine äusserst fortschrittliche Rolle. Nicht nur indem sie die Produktivkräfte entwickelte und damit die Macht der Menschheit über die Natur gewaltig steigerte, sondern auch durch die Ausweitung von Wissenschaft, Wissen und Kultur.

Luther, Michelangelo, Leonardo, Dührer, Bacon, Kepler, Galilei und viele andere Wegbereiter der Zivilisation leuchten hell wie eine Galaxie und beleuchten die breite Strasse des kulturellen und wissenschaftlichen Fortschritts der Menschheit, die durch Reformation und Renaissance eröffnet wurde.

In seiner Jugend war das Bürgertum in der Lage, grosse Denker hervorzubringen: Locke, Hobbes, Kant, Hegel, Adam Smith und Ricardo. In der Zeit seines Niedergangs ist es nur noch zur Produktion von Haarspaltern imstande.

Die letzte grosse Welle solcher Ideen kam in den 70er, 80er und 90er Jahren als Reaktion auf die Niederlagen einer weltweiten Reihe von Revolutionen. Diese Niederlagen wurden durch den Zusammenbruch der Sowjetunion noch verstärkt. Dies führte zum Wachstum der Schule des Postmodernismus, darin inbegriffen die postmoderne Philosophie, der Poststrukturalismus, der Postkolonialismus, die Queer-Theorie und eine ganze Reihe sogenannter identitätspolitischer Theorien.

Aber während Mach und Avenarius, wie Lenin brillant gezeigt hat, schlechte Kopien von Berkeley, Kant und Hume waren, sind die postmodernen Genies von heute schlechte Kopien von schlechten Kopien. Sie versuchen verzweifelt, originell zu erscheinen, und bemühen sich, ihre Stümperhaftigkeit zu verbergen, indem sie ihre Werke mit unverständlicher, verworrener und absichtlich zweideutiger Sprache vollstopfen.

Man sagt, es gibt nichts Neues unter der Sonne. Die gesamte Geschichte der bürgerlichen Philosophie unserer Zeit bestätigt diese Aussage. Jede einzelne philosophische Schule der letzten 150 Jahre ist auf die eine oder andere Weise lediglich eine Wiederholung der irrationalen Ideen des subjektiven Idealismus – der grobsten, absurdesten und sinnlosesten Spielart des Idealismus.

Die letzte postmoderne Modeerscheinung ist nur eine weitere dieser Varianten. Sie hat dazu gedient, eine ganze Generation von Philosophiestudenten an den Universitäten zu verwirren und zu desorientieren. Sie bilden sich ein, etwas völlig Neues und Neuartiges entdeckt zu haben, während sie in Wirklichkeit nur die Absurditäten früherer Philosophien wiederholen, die bereits 1908 von Lenin umfassend zerschlagen wurden. Hier haben wir den eindrucksvollsten Beweis für die Richtigkeit des gefeierten Ausspruch von Marx: «Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein».

Die Degeneration der bürgerlichen Philosophie ist ein Spiegelbild der Sackgasse des kapitalistischen Systems selbst. Ein System, das irrational geworden ist, muss sich auf irrationale Ideen stützen. In ihrem Bemühen, sich selbst zu erhalten, hat sich die Bourgeoisie gegen ihre eigene revolutionäre Vergangenheit gewandt. Indem sie sich gegen die besten Traditionen der Aufklärung wendet, klammert sich der Kapitalismus immer stärker an die modernen Nachfahren des feudalen Mystizismus und der Scholastik.

Ein Mensch, der am Abgrund steht, ist nicht zu rationalem Denken fähig. Auf eine vage Art und Weise spüren die Ideologen der Bourgeoisie, dass das von ihnen verteidigte System an sein Ende kommt. Die Ausbreitung irrationaler Strömungen, von Mystizismus und religiösem Fanatismus spiegeln das Gleiche wider.

Heutzutage sind die subjektiven Idealisten auf ein verzweifeltes Nachhutgefecht beschränkt, das auf die völlige Auflösung der Philosophie hinausläuft und sie ganz auf die Semantik reduziert (das Studium der Bedeutung von Worten).

Die endlosen Diskussionen über Bedeutung und Semantik und die Feinheiten der Bedeutungen erinnern an die endlosen Debatten der mittelalterlichen Gelehrten über so faszinierende Themen wie die Frage, ob Engel ein Geschlecht hätten und wie viele von ihnen auf einem Nadelkopf tanzen können. Das Problem ist, dass sie in ihrer Besessenheit von der Form den Inhalt völlig vergassen. Solange die formalen Regeln befolgt wurden, konnte der Inhalt so absurd sein, wie es beliebte.

Marx bemerkte einmal: «Philosophie und Studium der wirklichen Welt verhalten sich zueinander wie Onanie und Geschlechtsliebe.» (K. Marx und F. Engels, Die deutsche Ideologie, MEW 3, S. 218.) Die moderne bürgerliche Philosophie zieht das Erstere dem Letzteren vor. In ihrer Besessenheit, den Marxismus (und den Materialismus im Allgemeinen) zu bekämpfen, hat sie die Philosophie in die schlimmste Zeit ihrer alten, überholten und sterilen Vergangenheit zurückgezerrt.

Die Tatsache, dass all dieses Getue und Gefummel, dieses Spiel mit Worten überhaupt als Philosophie bezeichnet werden konnte, ist ein Beweis dafür, wie tief das moderne bürgerliche Denken gesunken ist. Hegel schrieb in der Phänomenologie des Geistes: «An diesem, woran dem Geiste genügt, ist die Grösse seines Verlustes zu ermessen.» Das wäre eine passende Grabinschrift für die gesamte bürgerliche Philosophie nach Hegel und Marx.

In der gegenwärtigen Periode kommt der revolutionären Avantgarde der Arbeiterklasse, den Marxisten, die Ehre zuteil, gegen den Strom zu kämpfen, das mystische und irrationale Denken zu bekämpfen. Um noch einmal die Worte von Joseph Dietzgen zu zitieren: «Die Philosophie ist keine Wissenschaft, sondern ein Schutzwall gegen die Sozialdemokratie.» (Damals bezeichneten sich die Marxisten als Sozialdemokraten.)

Und er fügte hinzu: «Dann ist es kein Wunder, dass die Sozialdemokraten ihre eigene Philosophie haben.» Diese Philosophie – die Philosophie des Marxismus – heisst dialektischer Materialismus. Sie bleibt eine der wichtigsten Waffen in unserem revolutionären Arsenal.

Jeder, der verstehen will, wie man diese Waffe richtig einsetzt, sollte es als seine Pflicht betrachten, einen der grundlegendsten Texte aus dem reichen Arsenal des marxistischen Denkens, Materialismus und Empiriokritizismus, nicht nur zu lesen, sondern sorgfältig zu studieren.

London, 16. Dezember 2020, Alan Woods, IMT