Am 20. Juli 2006 verstarb ein Pionier des britischen Trotzkismus und prägender Wegweiser des internationalen Marxismus des letzten Jahrhunderts. Anlässlich seines zehnten Todestages schildern wir in diesem Artikel das Lebenswerk von Ted Grant.

Dass renommierte britische Medien wie der Sender BBC und die Tageszeitungen The Times, The Financial Times, The Guardian und The Telegraph im Juli 2006 ausführliche Nachrufe auf den marxistischen Veteranen Ted Grant veröffentlichten, war kein Zufall. Ted Grant, der wenige Tage nach Vollendung seines 93. Lebensjahres am 20. Juli 2006 in einem Altersheim bei London verstorben ist, hatte in den 1970er und 1980er Jahren als Gründer und geistiger Vater eines starken marxistischen Flügels in der Labour Party Aufsehen erregt und das politische Establishment aufhorchen lassen. Daher rührt der Respekt, den ihm die seriöseren bürgerlichen Medien zu seinem Tod gezollt haben.

Die Person Ted Grant verkörperte im 20. Jahrhundert die Kontinuität des revolutionären Marxismus und den ununterbrochenen roten Faden, der uns mit den besten Traditionen der Bolschewismus und Leninismus und der Oktoberrevolution verbindet, eine Brücke von der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis in das 21. Jahrhundert. Mit ihm ist der letzte noch überlebende Pionier und Veteran eines revolutionären Marxismus in Großbritannien verschieden, der sich auf die Ideen von Marx, Engels, Lenin, Trotzki und Rosa Luxemburg gründete und in der Arbeiterbewegung des Vereinigten Königreichs über Jahrzehnte einen gewissen Einfluss und Anerkennung erreichen konnte.

Doch die spektakulären Erfolge, die seine Organisation in den 1970er und 1980er Jahren erringen konnte, haben eine lange Vorgeschichte und sind ohne seine Ideen und Perspektiven, seinen theoretischen Beitrag zur Weiterentwicklung des Marxismus nicht vorstellbar. In seinem langen politischen Leben, das er selbstlos in den Dienst der Sache sellte, erfuhr Grant mehrfach den Aufstieg und Niedergang politischer Organisationen und wurde dabei auch immer wieder – zuletzt 1992 – persönlich zum Opfer von organisatorischen Manövern und Ausschlüssen aus der eigenen Organisation, ohne dadurch jemals seinen revolutionären Optimismus zu verlieren. Grant widersetzte sich stets der Versuchung, mit organisatorischen Mitteln politische Probleme lösen zu wollen. Er stellte das Engagement für die Verteidigung marxistischer Grundsätze gegen allerlei Kritik und Anfeindungen in den Mittelpunkt seines Lebens und nahm dafür wie kein Zweiter seiner Generation große persönliche Opfer in Kauf. Seine von vier wesentlichen Lebensabschnitten geprägte, faszinierende Biografie, seine Ideen und Methoden sind gerade auch im 21. Jahrhundert extrem hilfreich, um die Welt nicht nur zu verstehen und zu intepretieren, sondern sie zu verändern.

Erste Etappe: Jugend, Politisierung, Organisation, Weltkrieg
Ted Grant verbrachte den Großteil seines Lebens in der britischen Hauptstadt London, war aber kein gebürtiger Engländer oder Brite. Er wurde am 9. Juli 1913 unter dem Namen Isaac Blank in Germiston bei Johannesburg (Südafrika) geboren. Den südafrikanischen Akzent seiner englischen Aussprache konnte er auch nie ganz verleugnen. Sein Vater Max Blank stammte aus einer jüdischen Familie in der litauischen Industriestadt Taurag (Tauroggen). Er war um die Jahrhundertwende unter dem Eindruck anti-jüdischer Pogrome im damaligen zaristischen Russischen Reich auf der Suche nach einem besseren Leben nach Südafrika ausgewandert.

Der junge Isaac Blank bekam früh mit, wie schwarze Landarbeiter im zunehmenden Apartheidsystem Südafrikas besonders ausgebeutet und wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert wurden. Dies politisierte ihn schon in früher Jugend. Begeistert befasste er sich mit der Russischen Revolution 1917. Er las Schriften von Marx und Engels und wurde überzeugter Marxist. Über den südafrikanischen Kommunisten Ralph Lee kam er in Kontakt mit der damaligen, von Leo Trotzki ins Leben gerufenen antistalinistischen Internationalen Linken Opposition. Er befasste sich mit ihren Ideen und schloss sich der Bewegung an. Fortan sollte er nun sein Leben in den Dienst des revolutionären Marxismus stellen.

Im April 1934 gründeten die GenossInnen die „Bolshevik-Leninist League of South Africa“ und verfassten einen offenen Brief, der die stalinistische Ausrichtung der Kommunistischen Partei Südafrikas (CPSA) kritisierte. Wenig später fusionierte die Organisation mit einer anderen trotzkistischen Gruppe zur „Workers’ Party of South Afrika“, die sich vor allem auf die schwarze Arbeiterschaft orientierte. Isaac Blank und seiner MitstreiterInnen sahen sich nicht als weiße Wohltäter, die Erbarmen und Mitleid mit den armen Schwarzen hatten, sondern als internationalistische KollegInnen und GenossInnen in ein und dem selben Kampf. Sie leisteten Hilfestellung bei der Bildung gewerkschaftlicher Organisationen und unterstützten 1934 tatkräftig einen Streik der Wäschereiarbeiter von Johannesburg. Dieser Streik schrieb Geschichte und begründete neue Traditionen in der südafrikanischen Arbeiterbewegung, auch wenn wenige Monate später die Unternehmer die vereinbarten Tarifverträge außer Kraft setzten und eine Repressionswelle begannen.

Angesichts der damals zugespitzten Weltkrise und der Drohung eines neuen Weltkriegs entschlossen sich Isaac Blank und andere GenossInnen zur Übersiedlung nach Europa. Sie gingen davon aus, dass dort die Umstände und Voraussetzungen für revolutionäre Arbeit besser waren als in Südafrika. Aufgrund der Sprache und Reisefreiheit innerhalb des damaligen britischen Staatenbunds Commonwealth lag ein Umzug nach Großbritannien nahe. Nach einer wochenlangen Seereise entlang der westafrikanischen Küste machten die jungen Revolutionäre Station in Paris, wo sich in jener Zeit die Zentrale der Internationalen Linken Opposition (ILO) befand. Damals hielt sich auch der 1928 aus der Sowjetunion ausgewiesene Leo Trotzki in Frankreich auf. Doch die Hoffnung der jungen Südafrikaner auf ein Zusammentreffen mit Trotzki ging nicht auf, weil sich dieser schon damals unter dem Druck von Faschisten und Stalinisten in ein Bergdorf bei Grenoble zurückziehen musste. Isaac Blank, der sich fortan Edward (Ted) Grant nannte, kam schließlich zusammen mit seinem Genossen Sid Frost (Max Basch) Ende 1934 in der britischen Metropole London an. Dort betätigten sie sich rasch als junge und begeisterte Revolutionäre in der Arbeiterbewegung.

Auch wenn der Faschismus im damaligen Großbritannien keine Chance auf Übernahme der Staatsmacht hatte, ließ das damalige Vordringen des Faschismus in Deutschland, Österreich, Spanien und Italien auch in der britischen Arbeiterbewegung die Alarmglocken läuten. In einer seiner ersten Publikationen erklärte Ted Grant die Ursachen für die Machtübertragung an Hitler und die deutschen Nazis 1933, schilderte die politischen Fehleinschätzungen der SPD und KPD und griff Trotzkis Idee einer antifaschistischen Arbeiter-Einheitsfront auf. Als die von Oswald Mosley angeführte britische Faschistenbewegung 1936 in Arbeitervierteln und jüdisch geprägten ärmeren Wohnvierteln im Londoner Osten aufmarschierte, beteiligte sich auch Ted Grant aktiv an erfolgreichen Demonstrationen und Blockadeaktionen.

In seinem 2002 erschienen Buch über die Geschichte des britischen Trotzkismus (History of British Trotskyism) schildert Ted Grant ebenso ausführlich wie spannend die langwierige und systematische Pionierarbeit in den 30er Jahren. Die GenossInnen organisierten sich zunächst in der winzigen, gegen den Strom schwimmenden Organisation Workers’ International League (WIL) und schufen später eine kleine, aber in der Bewegung anerkannte Partei, die Revolutionary Communist Party (RCP). Durch Zeitungsverkauf auf der Straße, bei Streiks und Demonstrationen und an der berühmten Speakers‘ Corner am Hyde Park gewannen sie neue Mitglieder hinzu. Stets orientierten sie sich in ihrer Alltagsarbeit am Alltagsleben der arbeitenden Bevölkerung und an der Basis und Anhängerschaft der großen Massenorganisationen der Arbeiterbewegung. Das war damals vor allem die Gewerkschaften und die traditionelle Labour Party, aber auch die in jenen Jahren erstarkte Independent Labour Party.

Unter dem Eindruck der damaligen Weltwirtschaftskrise, des 1936 einsetzenden spanischen Bürgerkriegs, der stalinistischen Säuberungswelle in der Sowjetunon und der heraufziehenden Gefahr eines neuen Weltkriegs radikalisierte sich die Arbeiterbewegung auch in Großbritannien. Durch ihre revolutionäre Kritik am Stalinismus konnten die britischen Trotzkisten auch Mitglieder der Kommunistischen Partei gewinnen. Die Veröffentlichungen aus jenen Jahren, darunter auch die von Ted Grant redigierten Publikationen Socialist Appeal und Workers International News, vermitteln tiefe Einblicke in die damalige Zeit und sind mit ihren politische Erklärungen und Analysen auch heute noch lesenswert und wertvoll. Ted Grant war immer bewusst, dass eine platte persönliche Denunziation und Beschimpfung der reformistischen Führung der Arbeiterbewegung nicht weiter hilft, sondern nur knallharte Fakten, Zahlen und Argumente und persönliche, handfeste Erfahrungen dazu geeignet sind, arbeitende Menschen für den revolutionären Marxismus zu gewinnen. Hart in der Sache, mild und freundlich im Ton, war stets seine Devise. Er verstand es zeit seines Lebens auch, komplizierte Zusammenhänge und theoretische Fragen in einer verständlichen Sprache ohne akademische Floskeln darzustellen.

Als Internationalisten und Teil der 1938 gegründeten “Vierten Internationale” war es für die GenossInnen stets selbstverständlich, dass sie zuallererst die internationale Lage analysierten und davon nationale Perspektiven ableiteten. So bilanzierte Ted Grant 1939 in der Broschüre “Spanische Lehren” den Sieg der Konterrevolution unter General Franco im spanischen Bürgerkrieg und zeigte darin schonungslos auf, wie die Fehler der linken und Arbeiterorganisationen die erst möglich machten. Mit dieser Niederlage war der Weg in den Zweiten Weltkrieg endgültig geebnet.

In den Kriegsjahren ab 1939 geriet die Organisation in das Visier britischer Geheimdienste, weil sie mit ihrer ebenso antifaschistischen wie antikapitalistischen und antiimperialistischen Agitation in Rüstungsbetrieben wie auch unter einfachen Soldaten der Königlichen Armee ein Echo fand. Der Bombenhagel über südenglischen Städten und die Angst vor einer Invasion der Nazi-Wehrmacht boten Labour Party und Gewerkschaften den Anlass für einen Burgfrieden mit den Herrschenden und Mitwirkung in einer Allparteienregierung unter dem konservativen Premier Winston Churchill. Die Arbeiterklasse war fest entschlossen, ihr Land gegen die Nazi-Gefahr zu verteidigen. Dieser Stimmung trugen auch die GenossInnen der WIL/RCP Rechnung. Sie forderten etwa mehr und bessere Luftschutzbunker und wiesen darauf hin, dass Churchill und die herrschende Klasse noch wenige Jahre zuvor Hitler bewundert und unterstützt hatten. „Als Hitler 1936 in das Rheinland einmarschierte, waren die Briten dafür, um Hitler als Gegengewicht zu Frankreich und zur Sowjetunion aufzubauen. Sie hätten 1936 noch durchaus Hitler stoppen können, wollten es aber nicht“, sagte mir Ted Grant in einem Interview zum Zweiten Weltkrieg im Jahre 1995.

Junge männliche Genossen, die ab 1939 in die Königliche Armee rekrutiert wurden, nutzten die dort herrschende tolerante Atmosphäre und liberale, „antifaschistische“ Stimmung gezielt aus, um unter einfachen Soldaten für sozialistische Ideen zu werben. Sie forderten eine Demokratisierung der Armee, Wahl der Offiziere und volle gewerkschaftliche Rechte für die Soldaten einschließlich Streikrecht und fanden damit ein starkes Echo.

Wir sagten: „Die Labour Party sollte aus der Allparteien-Regierung aussteigen, eine Alleinregierung anstreben, die Schalthebel der Wirtschaft in Gemeineigentum überführen und einen revolutionären Krieg gegen die Nazi-Truppen führen mit dem Ziel, das deutsche Volk dabei zu unterstützen, Hitler selbst zu stürzen.“ Während des Kriegs gab die Gruppe eine deutschsprachige sozialistische Zeitung für deutsche Kriegsgefangene in England heraus und erklärte darin, wie Hitler an die Macht kommen konnte und wie durch klassenkämpferische Politik der Frieden gesichert werden könnte. Sie verfolgten damit die Hoffnung, dass die Kriegsheimkehrer den sozialistischen Neuaufbau in Deutschland vorantreiben könnten.

Mit dem Kriegsende 1945 befand sich die gesamte Welt im Umbruch. Die stalinistische Sowjetunion war zur Weltmacht geworden. Ihre Armee schlug die Nazi-Wehrmacht 1943 in die Defensive und hielt zwei Jahre später die östliche Hälfte Europas besetzt. Ohne den Feldzug der alliierten Westmächte nach ihrer Landung in der Normandie 1944 wäre die Sowjetarmee vermutlich bis an den Atlantik durchmarschiert. In den bisherigen Kolonien Asiens und Afrikas erstrebten starke Befreiungsbewegungen die Unabhängigkeit vom Imperialismus. In West- und Südeuropa konnte sich der Kapitalismus trotz weit verbreiteter revolutionärer Stimmung mit Hilfe der Führung der traditionellen sozialdemokratischen und stalinistischen Arbeiter-Massenorganisationen wieder stabilisieren. Churchill gewann 1945 den Krieg und verlor wenig später die Unterhauswahlen an die Labour Party, die mit einer absoluten Mehrheit die Regierung übernahm.

Für die um die Vierte Internationale versammelte revolutionäre Bewegung stellten sich neue theoretische Fragen und Herausforderungen. Denn die neue Weltlage gestaltete sich aus revolutionär-marxistischer Sicht weitaus „ungünstiger“ als erhofft. Dies nüchtern zu begreifen und daraus die erforderlichen Schlüsse zu ziehen, ohne marxistische Grundüberzeugungen aufzugeben, erforderte mehr als nur ein Nachplappern von Texten Leo Trotzkis. In dieser komplizierten Lage wurde deutlich, dass Trotzkis Ermordung durch einen stalinistischen Agenten 1940 eine riesige politische Lücke hinterließ. Rückblickend betrachtet erwiesen sich nur die Führung der RCP und insbesondere Ted Grant als fähig, die neuen Gegebenheiten theoretisch zu begreifen.

In seinen Schriften aus der „Nachkriegszeit“ erklärte er die Faktoren, die zur Stabilisierung des westlichen Kapitalismus, einem neuen wirtschaftlichen Aufschwung und damit auch einer Stärkung reformistischer Illusionen in der Arbeiterbewegung führen würden. Gleichzeitig wies er nach, dass in Ost- und Südosteuropa, später auch in China und weiteren außereuropäischen, ex-kolonialen Ländern neue Staaten nach dem Muster der stalinistischen Sowjetunion („deformierte Arbeiterstaaten“) entstanden waren. Ted Grants Schriften über Ökonomie, die Stabilisierung der westlichen Industrieländer, Krieg und Frieden, Stalinismus sowie Befreiungskämpfe und Revolutionen in Afrika, Asien und Lateinamerika bildeten einen Kompass in einer schwierigen neuen Lage und bleiben uns als hochmoderne marxistische Klassiker erhalten.

Viele seiner Schriften aus der „Nachkriegszeit“ entstanden aus der politischen Auseinandersetzung mit maßgeblichen Führern der Vierten Internationale wie Pablo, Frank, Mandel, Cannon, Hansen, Healy, Lambert und Cliff, die in wichtigen, grundlegenden Fragen völlig andere Perspektiven und Ansichten vertraten. Ted Grants zentraler Vorwurf an ihre Adresse: Sie hatten einen ultralinken Standpunkt und verstanden nicht, dass der 2. Weltkrieg eine völlig andere Wendung genommen hatte, als es Trotzki 1938 erwartet hatte. Kriege haben ihre eigene Dynamik, selbst der größte Marxist kann ihren genauen Ausgang nicht prophezeien. Auch Hitler, Churchill, Roosevelt und Stalin wussten bei Kriegsausbruch nicht, wie der Krieg enden würde. Der 2. Weltkrieg war eine gigantische Schlacht zwischen der Sowjetarmee und Hitlers Wehrmacht, die sich auf die Ressourcen des gesamten Kontinents stützte. So wurde als Ergebnis des Krieges der Stalinismus für eine lange historische Epoche gestärkt.

Dass es Ted Grant und seine Mitstreiter in der RCP trotz des Engagements ihrer Mitglieder zunehmend schwerer hatten, spürten ihre Mitglieder nach 1945 zunehmend. Schließlich nahm die Labour-Regierung damals positive Sozialreformen in Angriff, führte den staatlichen Gesundheitsdienst NHS ein und verstaatlichte Eisenbahnen und Schwerindustrie. Anders als noch wenige Jahre zuvor gerieten Marxisten eher in die Defensive. Anstatt sich dies nüchtern einzugestehen, griff die Führung der Vierten Internationale zu bürokratischen Manövern und verordnete 1949 die Auflösung der RCP und Übergabe ihres Vermögens und der Führung an Gerry Healy. Ihre Mitglieder sollten einzeln in die Labour Party eintreten. Wenig später wurde Ted Grant aus der eigenen Organisation ausgeschlossen. Ein Vorgang, der sich in seinem späteren Leben noch mehrfach wiederholen sollte und der auch dazu führte, dass viele Mitstreiter demoralisiert und verzweifelt die Bewegung verließen.

Zweite Etappe: Der einsame Rufer in der Wüste
Während führende Vertreter der „Vierten Internationale“ noch Jahre nach Kriegsende davon sprachen, dass in Westeuropa Faschismus, Diktaturen und ein neuer atomarer Krieg bevorstünden, charakterisierte Ted Grant die Lage in den westeuropäischen Ländern als „Konterrevolution in demokratischer Form“. Er verstand, dass der starke kapitalistische Aufschwung ebenso wie das damals sehr hohe Wirtschaftswachstum in den stalinistischen Ländern nicht ewig anhalten würde. Daher bestand die Aufgabe von Marxisten in den 1950er Jahren darin, ihre Kräfte zusammen zu halten, zu „überwintern“ und sich auf künftige Klassenkämpfe und neue Offensiven vorzubereiten.

Ted Grant musste erleben, wie viele seiner Mitstreiter in jenen Jahren erschöpft und demoralisiert den Kampf aufgaben. So wurden die 1950er und 1960er Jahre die schwierigste Etappe in seinem Leben. Während jahrelange Weggefährten in Job und Familie aufgingen und dabei den (Anpassungs-)Druck der bürgerlichen Gesellschaft voll zu spüren bekamen, war der politische Kampf zur Verteidigung des Marxismus für Ted Grant weiter der zentrale Lebensmittelpunkt. In jenen Jahren hatte er jedoch nur eine Handvoll oder wenige Dutzend Anhänger und keine Organisation, die ihn mit einem bescheidenen, existenzsichernden Lohn hauptamtlich beschäftigen konnte. So musste er sich am Rande des Existenzminimums mit allerlei Jobs als Hausierer oder in einer Telefonzentrale durchschlagen. An ein Familienleben mit Frau und Kindern war nicht zu denken.

Vor dem Hintergrund von Vollbeschäftigung und steigendem Lebensstandard bedurfte es einer besonderen Sturheit und Hartnäckigkeit, um dem bürgerlichen und reformistischen Anpassungsdruck zu widerstehen. Ted nahm alle diese Rückschläge mit Gelassenheit hin. Er ließ sich nicht von der oberflächlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stabilität beeindrucken, analysierte die tiefer zugrunde liegenden Prozesse und hob die Notwendigkeit von Perspektiven hervor. Er wies nach, dass es über kurz oder lang zu einer tiefen Krise kommen müsste, die das Bewusstsein der Arbeiterklasse verändern und sich auch in den Massenorganisationen der Klasse widerspiegeln würde. Darauf müsse sich die Bewegung politisch und organisatorisch vorbereiten.

Allen Versuchen von „trotzkistischen“ Strömungen, diese Prozesse künstlich zu beschleunigen, Modeströmungen hinterher zu laufen oder sich durch opportunistische Anpassung und Verwässerung des eigenen Programms eine Basis in den Massenorganisationen aufzubauen, erteilte er eine Absage.

Insgesamt war Ted Grant jedoch in jenen frustrierenden Jahren der einsame Rufer in der Wüste, der in zumeist mäßig besuchten Veranstaltungen in Hinterzimmern seine Ideen vortrug und oftmals durch das ganze Land reiste, um einzelne Interessenten zu besuchen und mit ihnen zu diskutieren. Anstatt über die schwierige objektive Lage zu klagen, behielt er in jenen Jahren den Finger am Puls der Zeit und analysierte alle wichtigen und entscheidenden weltbewegenden Ereignisse: so etwa die Suez-Krise und die Ungarische Revolution 1956, das Regime de Gaulles in Frankreich ab 1958, die Spaltung zwischen der Sowjetunion und China, die Kubanische Revolution, die Koloniale Revolution am Beispiel von Syrien und Birma, Krisensymptome und Krisenanfälligkeit des westlichen Kapitalismus und der osteuropäischen stalinistischen Planwirtschaften. Aus der politischen Auseinandersetzung mit führenden Theoretikern der britischen KP heraus verfasste er 1969 gemeinsam mit Alan Woods das Buch „Lenin and Trotsky – What They Really Stood For“. Darin weisen die beiden Autoren anhand akribisch zusammengetragener Fakten und Zitate nach, dass Lenin und Trotzki von 1917 bis Lenins Tod 1924 in allen wesentlichen Fragen an einem Strang zogen und gemeinsam vor dem zunehmenden Aufkommen der stalinistischen Bürokratie warnten.

Bis zum Ausschluss 1965 hatte die Gruppe um Ted Grant den Status einer offiziellen Sektion des von Ernest Mandel und anderen angeführten „Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale“ (USFI), der damals größten Strömung im zunehmend gespaltenen Lager des „Trotzkismus“. Trotz etlicher Differenzen hatte er dort jahrelang versucht, für seine Perspektiven zu werben und Gleichgesinnte zu finden. Nun war die Organisation wieder völlig isoliert. Ted trauerte dem USFI keine Träne nach. Seine 1970 verfasste Broschüre „Programm der Internationale“ ist eine Art politischer Generalabrechnung mit den Fehlern und dem Versagen der verschiedenen „trotzkistischen“ Strömungen seit dem 2. Weltkrieg. Diese hatten aufgrund falscher Analysen, Methoden und Orientierungen auf zahlreichen Gebieten politische Verwirrung und einen enormen Verschleiß junger Anhänger zu verantworten. Ted betonte immer wieder, dass niemand fehlerfrei ist. Werden Fehler jedoch nicht erkannt und korrigiert, sondern eher gerechtfertigt und kaschiert, so wird daraus eine organische Tendenz und unheilbare politische Krankheit. Er wandte sich immer dagegen, statt mühsamer Aufbauarbeit in der Arbeiterbewegung auf Modeströmungen und opportunistische Anpassung oder auch ultralinke Abenteuer zu setzen.

Unter dem Motto „Wendet euch vom Sektierertum ab“ blickte Ted Grant nach vorne. Bis Ende der 1960er Jahre bahnte sich eine Wende in der objektiven Situation in Großbritannien an. Enttäuschungen über die Labour-Regierung unter Harold Wilson von 1964 bis 1970 und Angriffe durch die danach ins Amt gewählte konservative Regierung unter Edward Heath bewirkten eine Belebung und Radikalisierung der Arbeiterklasse und lösten größere Klassenkämpfe aus. Erstmals seit einer Epoche entwickelte sich wieder ein Nährboden für die Verankerung marxistischer Ideen in der Arbeiterbewegung.

Dritte Etappe: Militant auf dem Vormarsch
Während sich verschiedene „trotzkistische“ Strömungen Mitte der 1960er Jahre unter lautem Getöse aus der Labour Party verabschiedet hatten, begann die Gruppe um Ted Grant mit der Monatszeitung „Militant“ einen systematischen Kampf um die Verankerung in den Massenorganisationen der Klasse. Damals hatte die Organisation landesweit maximal 30 Mitglieder. Aber sie hatte klare Ideen und Perspektiven. Zunächst orientierte sie sich auf die Jugend und gewann dadurch bis 1970 die Mehrheit in der Labour-Jugendorganisation Labour Party Young Socialists (LPYS). Später schuf die Militant-Strömung, die inzwischen eine eigene Druckerei, eine Wochenzeitung und Organisation mit mehreren hundert Mitgliedern hatte, zunehmend auch Stützpunkte in den Parteigliederungen und Gewerkschaften. In den späten 1970er und 1980er Jahren hatte die Tendenz mehrere tausend Mitglieder, mehrere Dutzend Delegierte bei Parteitagen, drei marxistische Labour-Parlamentsabgeordnete, zahlreiche Kommunalmandate und Vorstandsfunktionen in Partei und Gewerkschaften. Nach der Gründung einer neuen Internationale 1974 breitete sich die Strömung auch europa- und weltweit aus. Die Rezession der kapitalistischen Weltwirtschaft und die revolutionären Prozesse in Portugal, Spanien und Griechenland 1974-75 waren eine Bestätigung von Ted Grants Perspektiven.

In Liverpool, wo die Strömung auf eine jahrzehntelange Tradition zurückblicken konnte, gewann Militant Anfang der 1980er die Mehrheit im Labour-Stadtverband. Als die Partei die Mehrheit im Stadtrat eroberte, widersetzte sich die „rote Hochburg“ Liverpool Mitte der 1980er Jahre den von der konservativen Regierung Thatcher vorgegeben „Sparzwängen“ und mobilisierte Gewerkschaften und Wohnbevölkerung gegen die Kahlschlagspolitik. Im Windschatten des damaligen Bergarbeiterstreiks erreichte Liverpool finanzielle Zugeständnisse der Regierung und lieferte damit ein Beispiel dafür, wie eine klassenkämpferische Kommunalpolitik aussehen kann.

Inzwischen war die von Ted Grant über Jahrzehnte aufgebaute Gruppe von der kleinsten zur größten und erfolgreichsten trotzkistischen Organisation geworden. Ende der 1980er Jahre initiierte sie eine Massenbewegung des Protestes und zivilen Ungehorsams gegen die von der Thatcher-Regierung erdachte und völlig ungerechte kommunale Kopfsteuer (Poll Tax). Diese Bewegung erfasste 18 Millionen Menschen und brachte 1990 zuerst die Kopfsteuer, schließlich auch Margaret Thatcher als Regierungschefin zu Fall.

Der zunehmende Einfluss von Militant in der Labour Party besorgte auch die Herrschende Klasse. Mit vermeintlichen „Enthüllungs-Stories“ setzten bürgerliche Medien jahrelang die Labour-Führung unter Druck und drängten auf einen Rausschmiss der Militant-Unterstützer. 1983 bestätigte ein Parteitag mehrheitlich den Ausschluss von Ted Grant und vier weiteren führenden Redaktionsamitgliedern aus der Labour Party. „Wir kommen wieder“, rief er in einer flammenden Verteidigungsrede den Delegierten zu: „Der Marxismus lässt sich nicht aus der Labour Party verbannen!“

Doch zu jener Zeit wurde die Militant-Organisation in gewisser Weise Opfer ihres eigenen Erfolgs. Jahrelange Massenkampagnen gingen an die Substanz und zehrten die Organisation aus. Die politische Festigung und Ausbildung litt, weil die Organisation ständig unter Strom stand. Die 200 Hauptamtlichen in der Organisation betrieben zunehmend eine „Stellvertreterpolitik“. Kommandomethoden schlichen sich ein, das politische Niveau fiel zurück. Wer diese Probleme anzusprechen versuchte, geriet zunehmend in Konflikt mit dem Organisationsapparat und der Zentrale und wurde subtil an den Rand gedrängt. So auch Ted Grant, der eine gründlichere politische Ausbildung der Mitglieder in den besten Traditionen der Tendenz anmahnte und dafür immer mehr in der Zentrale der eigenen Organisation von Informationen und Entscheidungen ausgegrenzt wurde.

Mit dem gleichzeitigen Umbruch und der Auflösung der stalinistischen Planwirtschaften in Osteuropa gestaltete sich die Lage in Großbritannien, Europa und weltweit ab 1990 aus linker und somit auch aus marxistisch-trotzkistischer Sicht wieder schwieriger als in den beiden Jahrzehnten zuvor. Die internen Konflikte in der Organisation eskalierten, als die Mehrheit der Führung, ausgehend von Liverpool und Schottland, eine Abkehr von der Labour Party einleitete und damit äußerst unrealistische Wachstumsprognosen für die Organisation verknüpfte. Ted Grant, inzwischen 78, gehörte zu den schärfsten internen Kritikern dieser Wende und sah darin eine Abkehr von jahrzehntelangen Traditionen. Ihm wurde keine Chance zu einer ernsthaften und gleichberechtigten Debatte gegeben. Anfang 1992 wurde er dann unter beschämenden Umständen von der eigenen Organisation ausgeschlossen und verstoßen, für deren erfolgreichen Aufbau er einen Großteil seines Lebens geopfert hatte.

Vierte Etappe: Ausschluss, Neuanfang und Kontinuität
Doch Ted Grant zog sich 1992 nicht aufs Altenteil zurück. Hand in Hand mit Alan Woods und anderen Mitstreitern in aller Welt, die von der alten, aus dem Ruder gelaufenen Organisation verstoßen wurden, wirkte er nach Kräften am Neuaufbau einer internationalen marxistischen Strömung mit. Die neue Internationale – IMT – hat mit ihrer Website www.marxist.com inzwischen internationale Bekanntheit erreicht.

Ted Grant hatte sich über die Jahrzehnte durch gesunde Ernährung, Leibesübungen und Gelassenheit fit gehalten und war in den 1990er Jahren für sein Alter noch sehr rüstig. In dieser intensiven Schaffensperiode unternahm er internationale Vortragsreisen, schrieb mehrere Bücher, Broschüren und längere Artikel und arbeitete auch die neue Weltlage und die eigene Geschichte auf. Sein gemeinsam mit Alan Woods verfasstes und 1995 aus Anlass des 100. Todestages von Friedrich Engels herausgegebenes Buch „Aufstand der Vernunft – marxistische Philosophie und moderne Naturwissenschaften“ ist zum Klassiker geworden und wurde mittlerweile in vielen Sprachen aufgelegt.

Diese Konzentration auf das feste theoretische Fundament war auch bitter nötig. Denn der Zusammenbruch des Stalinismus leitete ab 1990 eine noch nie dagewesene ideologische Offensive der bürgerlichen, neoliberalen Kräfte in allen gesellschaftlichen Bereichen, insbesondere auch in der weltweiten Arbeiterbewegung ein. In den 1990er Jahren waren alle kollektiven Ansätze, alle sozialistischen und kommunistischen Ideen diskreditiert. Dies bildete auch den Nährboden für eine offensive Privatisierungsstrategie auf allen Ebenen. Viele abtrünnige Ex-Kommunisten, Ex-Trotzkisten, Ex-Maoisten und Ex-Sozialisten stimmten das hohe Lied der kapitalistischen Marktwirtschaft an. Das „Ende der Geschichte“ wurde verkündet. Die europäische Einigung auf kapitalistischer Grundlage schien unaufhaltsam dem ganzen Kontinent Wohlstand und Wirtschaftswachstum zu bescheren. Doch Ted Grant behielt auch in diesen Jahren einen kühlen Kopf und entwickelte – wie schon in früheren Phasen – klare Perspektiven, die sich nicht nur an oberflächlichen Erscheinungen festmachten.

Während fast die ganze Welt damals der gemeinsamen europäischen Währung und der EU eine goldene Zukunft voraussagte, warnte Ted Grant schon 1998 vor Illusionen in die Möglichkeit, unterschiedliche kapitalistische Volkswirtschaften mit unterschiedlichen Etwicklungstendenzen mit einer einheitlichen Währung zu vereinigen. Die 2008 einbrechende Wirtschaftskrise und die anhaltenden Spannungen in der EU sind eine Bestätigung seiner Perspektiven.

Ein Buch mit wichtigen Werken von Ted Grant in deutscher Sprache erscheint demnächst. Bereits erschienen ist die neue, von Alan Woods verfasste englischsprachige Biografie „Ted Grant – The Permanent Revolutionary“, die über die Redaktion bestellt werden kann.

In seinem langen politischen Leben fand sich Ted Grant öfter in einer scheinbar auswegslosen Lage wieder. In widrigen Umständen, die viele andere kapitulieren ließen. Ihm war jedoch immer klar, dass sich die Geschichte nicht überlisten und austricksen lässt. Letztlich setzen sich die richtigen Ideen, Methoden und Perspektiven durch. Vor allem, wenn sie von einer neuen Generation aufgegriffen, verinnerlicht und in die Praxis umgesetzt werden. Worauf warten wir noch?