Die Weltwirtschaftskrise der 70er-Jahre, welche als Ölkrise in die Geschichtsbücher eingegangen ist, hatte für die Schweizer Wirtschaft besonders schwere Folgen. Der folgende Artikel versucht zu erklären, was damals genau passiert ist und welche Auswirkungen die Krise auf die ArbeiterInnenklasse und ihre Organisationen hatte.

Die weltweite Krise ab 1974 markierte einen entscheidenden Bruch mit der Hochkonjunktur der goldenen Jahrzehnte der 50er- und 60er-Jahre. Die simultane Rezession in den meisten Industrienationen offenbarte einmal mehr die Krisenhaftigkeit des kapitalistischen Wirtschaftssystems und erweckte breite Teile der ArbeiterInnenklasse aus dem Dornröschenschlaf mit dem Traum des ewigen Aufschwungs und der Vollbeschäftigung, welche den ArbeiterInnen als neue Realität verkauft wurde.

Die Schweiz wurde durch ihren veralteten Produktionsapparat und das Platzen der durch die Inflation angeheizten Immobilienblase besonders hart von der Krise getroffen. Es kam zu grossen Massenentlassungen und Betriebsschliessungen. Als Reaktion darauf wurden über 200’000 MigrantInnen aus der Schweiz ausgewiesen. So konnte die entstandene Arbeitslosigkeit in die Herkunftsländer der GastarbeiterInnen exportiert und die Arbeitslosenzahlen tief gehalten werden.

Es gelang der Schweizer Bourgeoisie also, die Krise auf bestimmte, schlechter organisierte Teile der ArbeiterInnenklasse abzuwälzen und die gewerkschaftlich stark organisierte männliche, Schweizer Arbeiterschaft weitgehend zu verschonen. So überlebte die Sozialpartnerschaft die Krise und es kam nicht zu einer breiten Konfrontation zwischen den Gewerkschaften und den Kapitalisten. Es gab zwar durchaus einen signifikanten Anstieg von spontanen Streiks und Betriebsbesetzungen. Sie blieben aber zumeist isolierte Kämpfe in einzelnen Betrieben und die Gewerkschaften setzten alles daran, den Arbeitsfrieden zu wahren. Diese Kämpfe konnten den Kapitalisten kaum Zugeständnisse abringen und die entlassenen Belegschaften mussten sich in den meisten Fällen mit Sozialplänen oder kurzfristigem Hinausschieben der Angriffe zufriedengeben. Die Unentschlossenheit der Gewerkschaftsführungen und ihr Festhalten an der Sozialpartnerschaft führten letztendlich zu einer Niederlage und zur Abwälzung der Krise auf die ArbeiterInnenklasse.

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Goldenes Zeitalter ade
Die Weltwirtschaftskrise von 1974 führte zur bis dahin tiefsten Rezession seit den 30er-Jahren. Als Ursache wird zumeist die sprunghafte Erhöhung des Erdölpreises durch die ölfördernden Länder angeführt. Diese war jedoch lediglich ein Auslöser, der ein strukturelles Problem der kapitalistischen Produktionsweise an die Oberfläche brachte. Die massiven Erhöhungen des Kapitalstocks in der Nachkriegszeit führten zu einem kontinuierlichen Absinken der Profitrate. Das heisst, die Unmengen an Kapital, welche in immer modernere Produktionsanlagen (gilt für die Schweiz nur bedingt) investiert wurden, warfen zunehmend weniger Profit ab. Es lohnte sich daher für Unternehmer, immer weniger zusätzliche Investitionen zu tätigen. So kann man schon zu Beginn der 70er-Jahre einen relativen Rückgang der Investitionen beobachten. Der Ölpreisschock führte dann zu einem regelrechten Einbruch der Investitionstätigkeit und kurz darauf auch der Produktion selbst. Obwohl die Krise in der Schweiz erst 1975 wirklich Einschlug, wurde diese besonders hart getroffen.

Verschiedene Faktoren waren für die Härte der Krise in der Schweiz verantwortlich. Auftakt war die Krise in der Bauwirtschaft, welche sich im letzten Quartal 1973 erstmals durch einen Rückgang der Bauinvestitionen bemerkbar machte. Zuvor hatte sich der Bausektor massiv aufgebläht, nicht zuletzt durch die hohen Inflationsraten, welche viel Kapital in Immobilien und Boden fliessen liessen. 1974 brach die Krise auf dem Bau erst richtig aus und mit ihr kam ein gewaltiger Einbruch der Produktion bei den Zulieferindustrien (Stein, Zement, Baumaschinen etc.). Im Bausektor allein gingen während der Krise über 100‘000 Arbeitsplätze verloren. Am stärksten betroffen war der Hochbau, wo 70 % der Stellen abgebaut wurden. Blieben die Exporte zu Beginn noch stabil und erweckten den Eindruck, die Schweiz würde die Weltwirtschaftskrise mit einem blauen Auge überstehen, zeigte sich im Jahr 1975, dass die Krise auf dem Bau bloss Vorbote einer tieferen Krise des Schweizer Kapitalismus war.

Die Verschlechterung der weltweiten Konjunktur erhöhte die internationale Konkurrenz und verkleinerte die Absatzmärkte. Der intakte Produktionsapparat der Schweizer Industrie, der dem Land nach dem Zweiten Weltkrieg einen grossen Vorteil auf dem Weltmarkt verschaffte, befand sich bei Ausbruch der Krise in veraltetem Zustand und konnte mit den modernen neuaufgebauten Industrieanlagen nicht mehr konkurrieren. Symptomatisch für dieses Phänomen ist die Uhrenindustrie. Aufgrund der guten Konjunkturlage wurde über Jahrzehnte der Produktionsapparat nicht signifikant modernisiert. So traf die Krise die Uhrenindustrie auch überdurchschnittlich hart. Die Exporte von Schweizer Uhren brachen um 21,3 % ein und die Uhrenproduktion schrumpfte im ersten Quartal 1975 im Vergleich zum Vorjahr um 34 %. Insgesamt sackte die Schweizer Industrie im besagten Zeitraum um 18 % ein. Die Zahl der Unternehmen in der Industrie ging im Zeitraum von 1967 bis 1975 um 20 % zurück.

Reaktion der Bourgeoisie
Nachdem die Schweizer Bourgeoisie schon frühzeitig ihre Investitionstätigkeit heruntergefahren hatte, reagierte sie auf den massiven Zusammenbruch mit Massenentlassungen, weitreichender Einführung der Kurzarbeit, Senkung der Kapazitätsauslastung in der Industrie und Betriebsschliessungen. So wurden im Zeitraum von 1973 bis 1977 rund 340‘000 Stellen vernichtet, was über 12 % der gesamten erwerbstätigen Bevölkerung ausmachte. Zusätzlich wurden 120‘000 ArbeiterInnen, vor allem in der Industrie, zu Kurzarbeit gezwungen. Die Kapazitätsauslastung der Schweizer Industrie sank in der ersten Hälfte des Jahres 1975 von 82 auf 75 %. Zudem verdoppelte sich von 1974 bis 1976 die Zahl der Konkurse. Wichtig ist hier zu betonen, dass vor allem auch mittlere Unternehmen beachtlicher Grösse ihre Türen schliessen mussten. Dies im Vergleich zu kleineren Konjunkturschwächen, wo mehrheitlich Kleinunternehmer Konkurs anmelden. Dies führte zu einer weiteren Zunahme der Kapitalkonzentration. Profiteure waren einmal mehr die Grossunternehmen.

Um die Arbeitslosigkeit tief zu halten und die sozialen Kosten zu minimieren, wurden die Entlassungen vor allem mit der Ausweisung von MigrantInnen und der Rückführung der Frauen an den Herd verbunden. So überschritt die Arbeitslosigkeit nicht einmal die 1 %-Marke. Am stärksten traf es die Saisonniers, bei welchen 76 % in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt wurden, aber auch bei den GrenzgängerInnen und MigrantInnen mit Jahresaufenthaltsbewilligungen ging der Beschäftigungsgrad um 20 bis 30 % zurück. Wenn man die Entlassungen nach den Geschlechtern aufschlüsselt, sieht man deutlich, dass die Frauen massiv stärker von den Abbaumassnahmen betroffen waren. Im Industriesektor wurden 21 % aller Ausländerinnen entlassen, während es bei den männlichen Ausländern nur 14 % waren. Bei den SchweizerInnen waren die Frauen ebenfalls mit 14 % Beschäftigungsrückgang viel stärker von der Krise betroffen als die Männer (6 %). Bei diesen 6 % war zudem vor allem die Jugend betroffen: 45,7 % der offiziell als arbeitslos Gemeldeten waren dementsprechend auch weniger als 30 Jahre alt. Die männliche Schweizer Stammarbeiterschaft war also kaum betroffen. Die grossen Konjunktureinbrüche, die Betriebsschliessungen und der gewaltige Beschäftigungsrückgang verbreiteten jedoch auch unter den Schweizer Arbeitern ein Klima der Angst, welches sich die Bourgeoisie zunutze machen wollte und breite Lohnsenkungen und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen durchzusetzen versuchte.

Reaktion der ArbeiterInnenbewegung
Der Klassenkampf in der Schweiz der Nachkriegszeit war geprägt von Friedenspflicht, Sozialpartnerschaft und steigendem Lebensstandard. Die Sozialpartnerschaft bedeutet, dass sich Gewerkschaftssekretäre und Unternehmer jeweils am Tisch über Lohnerhöhungen einigten, es aber zu keinen Kampfmassnahmen kam. Die Massenentlassungen, Restrukturierungen und Betriebsschliessungen in der Industrie führten aber ab dem Jahr 1974 zu ersten kollektiven Reaktionen der ArbeiterInnen. Es kam zu ersten „wilden” Streiks, wie beispielsweise in der Klavierfabrik Burger-Jacobi in Biel oder der Schuhfabrik Bally im Wallis. Dieses erste Aufbrechen des sozialen Friedens in der Industrie führte auch innerhalb der Gewerkschaften zu Diskussionen um die Friedenspflicht. So hinterfragte vor allem die Baugewerkschaft SBHV zunehmend die absolute Friedenspflicht. Die Industriegewerkschaft SMUV hielt jedoch an der seit 1937 geltenden Sozialpartnerschaft fest. Die weitere Zunahme von teils radikalen Arbeitskämpfen in der Industrie, wie zum Beispiel die Besetzung der Uhrenfabrik Bulova in Neuenburg oder der Streik von 600 ArbeiterInnen der Strickmaschinenfabrik Eduard Dubied, ebenfalls im Kanton Neuenburg, zwang die Gewerkschaften jedoch, sich hinter die Streikenden zu stellen. Sie versuchten dennoch möglichst schnell mit den Kapitalisten an den Verhandlungstisch zu sitzen um eine Beilegung des Konflikts zu erreichen. So wurden meist nur kleine Verbesserungen herausgeholt, wie zum Beispiel im Fall von Bulova, wo die Werksschliessung um ein Jahr verschoben wurde. Auch der Schweizerische Gewerkschaftsbund SGB spürte die Radikalisierung der ArbeiterInnenklasse und sah sich gezwungen, zum ersten Mal seit Jahrzehnten, zu Demonstrationen aufzurufen. Die Tatsache, dass der SGB aber im gleichen Zeitraum mit den ArbeitgeberInnenorganisationen, vor allem der Uhrenindustrie, Verhandlungen über geregelte Formen von Betriebsschliessungen und «gerechtfertigten» Entlassungen führte, zeigt deutlich, dass sich die grundlegende Herangehensweise der Gewerkschaften nicht geändert hatte.

Es entstand daher auch bald Widerstand gegen das Vorgehen der Gewerkschaftsbürokratie, allen voran des SMUV als grösster Industriegewerkschaft. Im Mai 1975 demonstrierten 150 ArbeiterInnen von General Motors gegen die Verhandlungspolitik des SMUV, und die geschlossene Betriebsversammlung der Maschinenfabrik Charmilles Technologies marschierte vor den Hauptsitz der Gewerkschaft um Druck auf die Bürokratie auszuüben, auch die Entlassungen ihrer ausländischen ArbeitskollegInnen in ihre Verhandlungen miteinzubeziehen. Versuche, die Gewerkschaften von innen zu demokratisieren, wie das „Manifeste 77“, welches von SMUV-GewerkschafterInnen aus der Romandie vorgelegt wurde, wurden von der Gewerkschaftsbürokratie unterdrückt und die Verantwortlichen ausgeschlossen. Das unbedingte Festhalten der Gewerkschaftsführungen am Arbeitsfrieden und der Sozialpartnerschaft verhinderte so eine Verallgemeinerung der aufbrechenden Arbeitskämpfe und führte dazu, dass die Arbeitskämpfe isoliert blieben. Die daraus folgende Niederlage der ArbeiterInnenklasse ebnete den Weg für die neoliberale Konterrevolution, welche mittels Deindustrialisierung, Privatisierungen und Angriffen auf die sozialen Errungenschaften die Profitraten der Kapitalisten auf Kosten der Lohnabhängigen wiederherstellte.