Weltweit beobachten wir heute soziale Kämpfe verschiedenster Art. Die Ursache ist überall der Kapitalismus. Die frühe Kommunistische Internationale bietet wichtige Erfahrungen, wie man diese Kämpfe international verbinden kann.

Eine Weltrevolution der Arbeitenden aller Länder – nichts weniger war das erklärte Ziel der Kommunistischen Internationale, kurz «Komintern». Die revolutionäre Welle am Ende des Ersten Weltkriegs blieb nicht auf Europa beschränkt. Auch in Zentralasien, dem Nahen und Fernen Osten, Lateinamerika, Indien und auf dem afrikanischen Kontinent erhob sich die arbeitende Bevölkerung gegen ihre Unterdrückung durch den Imperialismus. Ungeduld und Unerfahrenheit, aber auch Repression, führten in vielen Sektionen der Internationale zu Rückschlägen. Nichtsdestotrotz stellt die Komintern den bis dato weitreichendsten Schritt zur Schaffung einer revolutionären Weltpartei dar.

Unterstützung kolonialer Freiheitsbewegungen

1920 hatten die revolutionären Erhebungen in Europa bereits harte Rückschläge erlitten. In den Fokus rückte Asien. Der zweite Komintern-Kongress desselben Jahres war ein Schlüsselmoment in der Entwicklung der Internationale. Von den 218 Delegierten stammten rund 30 aus Asien. Bereits in den Aufnahmebedingungen zur Komintern verpflichteten sich die Sektionen «jede Freiheitsbewegung in den Kolonien nicht nur mit Worten, sondern auch in Taten zu unterstützen». Der Kongress befasste sich in einer eigenen Sitzung mit der «nationalen und kolonialen Frage». In der Diskussion liess sich Lenin von den radikaleren Thesen des indischen Marxisten M. N. Roy überzeugen: Die Komintern sollte nur die unterdrückten, arbeitenden Massen – die «national-revolutionären» Bewegungen – unterstützen, nicht die einheimische Bourgeoisie.

In welchem Kontext wurden diese Diskussionen geführt? Ausserhalb der entwickelten kapitalistischen Industrieländer lebte der Grossteil der Weltbevölkerung in bäuerlichen Verhältnissen. Es existierte oft weder eine klassische ArbeiterInnenklasse noch eine eigenständige Bourgeoisie. Welche Rolle spielten die Bauernmassen und die lokale Mittelschicht also in der sozialen Revolution?

Dasselbe Problem hatte sich bereits in der Russischen Revolution gestellt. Diese hatte gezeigt, dass die Bourgeoisie in einem rückständigen Land nicht fähig war, eine bürgerlich-demokratische Revolution durchzuführen. Sie war zwar ökonomisch wichtig, aber politisch impotent. Sie war finanziell von der imperialistischen Bourgeoisie abhängig und hatte deshalb dieselben Interessen wie diese. Die armen Bauern unter Führung der revolutionären ArbeiterInnenklasse mussten diese Aufgabe also selbst lösen. Aber statt ein bürgerliches System zu etablieren, schufen sie die neue Ordnung der Rätedemokratie. Die Verbreitung dieser Erfahrung war nicht einfach. In der Praxis betonte die Komintern aber die politische und organisatorische Unabhängigkeit ihrer Sektionen gegenüber den bürgerlichen Parteien.

Wahre Unabhängigkeit?

Wie Lenin analysiert hatte, war der Kapitalismus im imperialistischen Stadium unter Kontrolle des Finanzkapitals. Die kolonialen und halbkolonialen Länder waren vollständig von dieser internationalen Bourgeoisie abhängig.

Nach dem Ersten Weltkrieg propagierten die Siegermächte die Gleichheit und das Selbstbestimmungsrecht der Völker, beispielsweise durch den neu gegründeten Völkerbund, den Vorgänger der UNO. Diese Prinzipien werden im Kapitalismus aber zwangsläufig zu inhaltsleeren, abstrakten Formalitäten. Denn was bedeutet formelle politische Selbstbestimmung, wenn die neuen Nationen ökonomisch immer noch abhängig sind von ihren alten Kolonialherren? Wahre politische und ökonomische Selbstbestimmung wird nur durch Enteignung der Grossgrundbesitzer und der internationalen Grosskonzerne erreicht. Dass man sich diese erkämpfen muss, lernten später auch antikoloniale Regimes, wie Nasser in Ägypten oder Castro in Kuba. Der Völkerbund versuchte aber gar nicht, diese sozialen Ungleichheiten zu lösen. Die Komintern unterstützte als einzige internationale Organisation die kolonialen Unabhängigkeitsbewegungen oder die Emanzipation der schwarzen US-Bevölkerung finanziell, politisch und organisatorisch.

Indien: verpasste Revolution

Am Beispiel Britisch-Indiens zeigt sich, dass die Komintern die richtige Analyse hatte und diese auch in eine Strategie umsetzen konnte. Der Erste Weltkrieg und die Russische Revolution verschafften sozialistischen Ideen auch dort Auftrieb. Die Briten reagierten mit brutaler Gewalt, zum Beispiel im Massaker von Amritsar 1919, was die Radikalisierung weiter verstärkte.

In dieser Situation formierte sich der Embryo der späteren Kommunistischen Partei Indiens (KPI). M. N. Roy koordinierte die politische Arbeit vom sowjetischen Exil in Tashkent aus. Auf Rat der Komintern-Führung trat seine Strömung in die Indische Kongresspartei ein. Diese Partei wurde von bürgerlich-konservativen Figuren um Gandhi geführt, die zwar Galionsfiguren der Unabhängigkeit waren, sich aber klar auf die Seite der Imperialisten stellten, als sich der Klassenkampf zuspitzte. Trotzdem versammelte sich ein Grossteil der  arbeitenden Massen hinter dieser Partei. Das Ziel der Strömung war, die Autorität der Führer zu brechen und die Kongresspartei anhand von Klassenlinien zu spalten, indem sie die Führung zwangen, sich zur sozialen Revolution zu positionieren. Dies entsprang ihrer Analyse, dass die Arbeitenden die einzigen waren, die eine reale Unabhängigkeit erkämpfen konnten.

Die frühe KPI konnte sich jedoch nie zu einer Partei herausbilden, die in den marxistischen Ideen gefestigt war. Fraktionskämpfe, politische Unerfahrenheit, staatliche Repression und nicht zuletzt die Stalinisierung Ende der 1920er verunmöglichten ihr, im späteren Verlauf der Geschichte eine entscheidende Rolle zu spielen. Die bürgerlichen Führer um Gandhi und Nehru übernahmen wieder die Kontrolle über die Unabhängigkeitsbewegung. Statt sich klar gegen die britische Kolonialmacht zu stellen, zögerten sie und liessen sich auf deren «Kompromiss» ein, der unter anderem die Teilung Indiens und Pakistans 1947 beinhaltete. Hunderttausende Tote und religiöser Fundamentalismus waren das Ergebnis

Dieselbe Ausbeutung – derselbe Kampf

Die Haltung der Komintern in ihren ersten Jahren zur nationalen Frage war einerseits geprägt von Unsicherheiten und Fehlern aus Ungeduld und Unerfahrenheit. Doch im Kern brachte sie den Beweis für eine wichtige Einsicht: Die Arbeitenden der imperialistischen und der (heute ex-)kolonialen Länder wurden und werden von derselben kapitalistischen Klasse ausgebeutet. Deswegen liegt es im Interesse beider, den Kapitalismus zu überwinden, auch wenn sie ihren Kampf an unterschiedlichen Orten führen. Die Trennung zwischen Kämpfen der «Dritten Welt» und hiesigen Arbeitskämpfen oder zwischen Antirassismus und Antikapitalismus nützt nur der herrschenden Klasse. Die Komintern hat als einzige Organisation ihrer Zeit «nicht nur mit Worten, sondern auch in Taten» gezeigt, was es heisst, Kämpfe international zusammenzuführen. Sie kämpfte an verschiedenen Orten mit einer gesamtheitlichen Strategie, die von der Internationalen ausgearbeitet und umgesetzt wurden. Treten wir in ihre Fussstapfen!