Zwölf Stunden und mehr schuften DPD-FahrerInnen pro Tag, damit die Rendite für die Chefs stimmt. Bei der Post geht es in eine ähnliche Richtung. Was wir gegen die Folgen der Privatisierung tun können.

Die Diskussionen um die Zukunft der PostFinance hat die Privatisierung staatlicher Unternehmen einmal mehr auf die politische Agenda gesetzt. Kein Wunder: Wollen die Chefs und ihre parlamentarischen Vertreter ihre Profite sichern, müssen sie in der aktuellen Wirtschaftskrise zum Angriff auf den Service Public und seine Arbeitsbedingungen blasen.

«System DPD» = systematische Ausbeutung

Besonders hart bekommen das die ArbeiterInnen in den (ehemaligen) Hoheitsgebieten der Post zu spüren. Anfang letzten Jahres sorgten die miserablen Arbeitsbedingungen beim Kurierdienst DPD für Schlagzeilen in den Medien, als die Unia einen Bericht zu ihren Arbeitsbedingungen publizierte: 12- bis 14-stündige Arbeitstage ohne Mittagspause, unbezahlte Überstunden, permanente Überwachung und das Diktat des Scanners gehören für die DPD-Kuriere zum Alltag. 

Um gegen ihre miserablen Arbeitsbedingungen vorzugehen, haben sich die DPD-Kuriere bei der Unia in einem nationalen Komitee organisiert, für das jeder Standort Delegierte wählt. Mit Petitionen und offenen Briefen richteten sie sich an die Öffentlichkeit und erfuhren grossen Rückhalt.

Die Antwort der Bosse auf den beginnenden Widerstand der ArbeiterInnen: Repression. Im vergangenen Frühling wurden drei Gewerkschaftssekretäre von den Betreibern des DPD-Depots in Möhlin (AG) wegen Hausfriedensbruch angeklagt. Die gewerkschaftliche Arbeit von fünf Tessiner DPD-Fahrern wurde im Januar diesen Jahres mit einer Kündigung quittiert. Eine daraufhin lancierte Petition erzielte in wenigen Tagen 1’000 Unterschriften. Ihren Job haben die fünf Männer trotzdem noch nicht zurück. Und auch ihren KollegInnen an anderen Standorten wird die Kündigung angedroht, wenn sie sich gewerkschaftlich engagieren.

An den Arbeitsbedingungen der DPD-Fahrer hat die öffentlichkeitswirksame Kampagne der Unia sehr wenig geändert. Die Chefs lassen sich nicht von Bitti-Bätti-Petitionen überzeugen – egal, wie viele Unterschriften sie erhalten. Und die Arbeitenden von etwas anderem zu überzeugen versuchen, ist schädlich. Anständige Arbeitsbedingungen können nur garantiert werden, wenn die ArbeiterInnen sich selbstständig darum kümmern. Die ArbeiterInnen für diesen Kampf zu organisieren, ist die Aufgabe der Gewerkschaft.

Folgen des privatisierten Postmarkts

Gemäss Schätzungen der Unia liegen die Lohnkosten bei Privatunternehmen wie DPD gegenüber der Schweizerischen Post rund einen Drittel tiefer – sie beuten effizienter aus. Und damit die Post konkurrenzfähig bleiben kann, müssen ihre Mitarbeitenden dran glauben. 

In den letzten Jahren beklagen Pöstlerinnen und Päckli-Lieferanten der Post zunehmend, dass die Entwicklung auch bei ihnen in die gleiche Richtung geht: Stellenabbau bei zusätzlicher Ausweitung der Aufgabenliste führen zu längeren Arbeitszeiten und höherem Zeitdruck. Und auch hier diktiert der Scanner den Arbeitsalltag auf Schritt und Tritt. Diese Entwicklung begann zwar unabhängig vom Auftreten der DPD im Postsektor, wird aber dadurch verstärkt.

Die immer mieseren Arbeitsbedingungen bei DPD, Post und Co. sind kein Zufall, sondern eine logische Folge des Konkurrenzdrucks in einem privatisierten Sektor. Entsprechend geht die Lösung in einem ersten Schritt über die vollständige Verstaatlichung des Postsektors. So sinkt der Profitdruck, wodurch die Abwärtsspirale der Arbeitsbedingungen und des Service Public gebremst werden kann.

Warum die Chefs den GAV wollen

Auch die Unternehmen suchen jetzt einen Weg, um die Konkurrenzsituation zu entschärfen. Deshalb haben sie sich Ende 2021 im neu gegründeten Verband «Zustellung Schweiz» organisiert, um einen Gesamtarbeitsvertrag auszuhandeln. Ihr Ziel: gleiche (Anstellungs-)Bedingungen für alle.

Doch tatsächlich bedeutet das nur eins: schlechtere Bedingungen für alle Arbeitenden. Denn der Vorwand eines branchenweiten GAVs erlaubt der Post, ihre Anstellungsbedingungen dem grössten Konkurrenten DPD anzupassen und so weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben. Und für alle Unternehmen bietet ein GAV die Möglichkeit, Arbeitskämpfe auszubremsen. Win-win für’s Kapital.

Ein GAV ist eine Momentaufnahme des Kräfteverhältnis zwischen den ArbeiterInnen und ihren Kapitalisten. Passives Abwarten und Illusionen in die Sozialpartnerschaft zu schüren, stärkt einzig die Chefs. Die Gewerkschaften müssen umgehend mit den ArbeiterInnen des Postsektors für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen und die Unternehmen zu Zugeständnissen zwingen. So verschiebt sich das Kräfteverhältnis im GAV zugunsten der ArbeiterInnen.

Zunehmender Widerstand

DPD und Konsorten fürchten sich zurecht vor dieser Perspektive. Denn Arbeitskämpfe von Lieferanten nehmen zu: In der Schweiz streikten jüngst die Smood-Kuriere in der Romandie. Und die Lieferanten einer DPD-Tochterfirma in Sheffield (GB) schreiben mit ihrer seit Dezember andauernden Arbeitsniederlegung als längster «gig economy»-Streik aktuell Geschichte – um nur einige Beispiele zu nennen. 

Die Coronapandemie hat international zu einer wachsenden Bedeutung von Lieferdiensten geführt. Die Schweizerische Post beispielsweise stellte im Jahr 2021 mehr als 200 Millionen Pakete zu, was eine Steigerung um 10% im Vergleich zum Vorjahr darstellt. Im Alltag der ArbeiterInnen drückt sich das einerseits in einer stärkeren Arbeitsbelastung und andererseits in einem steigenden Bewusstsein für die zentrale gesellschaftliche Stellung der eigenen Arbeit aus. 

Ein idealer Nährboden also für erfolgreiche Kämpfe und gewerkschaftliche Aufbauarbeit, der durch die tägliche Ausbeutungserfahrung weiter gezüchtet wird. Die spriessenden Arbeitskämpfe beweisen, dass diese Herausforderung überwunden werden können und müssen.

Kämpfen – aber mit welchen Forderungen?

Tiefstlöhnen, langen Arbeitszeiten und schlechten Arbeitsbedingungen stehen horrende Gewinne und Post-Managerlöhne von einer halben Milliarde entgegen. Das ist Normalität im Kapitalismus. Sozialpartnerschaft bedeutet diese Normalität zu akzeptieren und aussichtslose Verhandlungen mit den Chefs zu führen. Nur Klassenkampf kann daran etwas ändern. Darüber müssen die Gewerkschaften Klarheit schaffen.

Die Kapitalisten schaffen eine künstliche Konkurrenzsituation zwischen den ArbeiterInnen zwischen aber auch innerhalb der Unternehmen. Diesem Konkurrenzdruck der Kapitalisten müssen die ArbeiterInnen mit Einheit entgegentreten. Im Kampf muss klar die Forderung verankert sein: gleicher Gesamtarbeitsvertrag mit Verbesserungen für alle – keine Sonderkonditionen für einzelne Unternehmen. Und dafür müssen nicht nur die DPD-Fahrer, sondern auch alle Postangestellten kämpfen. 

DPD, Post & Co.: verstaatlichen unter Arbeiterkontrolle!

Dass die erkämpften Mindestbestimmungen des GAV eingehalten werden, müssen die ArbeiterInnen selbst kontrollieren. Keine Illusionen in staatliche Stellen. Dieses Vertrauen wird nur enttäuscht werden, wie die anhaltenden Missstände bei DPD beweisen. Arbeitspläne, Löhne und Arbeitsbedingungen bestimmen weder Manager, Bundesräte oder Beamte noch Scanner, sondern die ArbeiterInnen selbst.

Und anstatt dass sich Postdienstleister gegenseitig konkurrieren, müssen Brief- und Paketlieferung über die Unternehmensgrenzen hinaus durch die ArbeiterInnen organisiert werden. Der Konkurrenz der Kapitalisten müssen die ArbeiterInnen also den Kampf für einen verstaatlichten Postsektor unter Arbeiter- und Konsumentenkontrolle entgegenstellen. Das ermöglicht bessere Arbeitsbedingungen und einen anständigen Service Public.

Wenn die ArbeiterInnen bei der Post und DPD zusammen kämpfen, können die Verhandlungen zum Gesamtarbeitsvertrag einen erfolgreichen Auftakt für diesen harten Kampf bilden.

Helga Wirt

VPOD Lehrberufe Zürich

Quelle Bild: https://www.unia.ch/de/arbeitswelt/von-a-z/dienstleistungsberufe/transport-logistik/respectdpd