Überall steigen die Preise. Die Schweiz ist dabei keine Ausnahme. Die Ursache ist die Krise des Kapitalismus und der Versuch der Bourgeoisie, diese mit billigem Geld zu bekämpfen. Die Arbeiterklasse muss sich wehren, um ihren Lebensstandard zu verteidigen.

Die weltweite Inflation (Teuerung) führt dazu, dass sich gerade überall die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse dramatisch verschlechtern. Nicht nur die Energiepreise sind explodiert, auch die Lebensmittelpreise steigen. Alles wird auf der ganzen Welt teurer. In der Türkei und Argentinien liegt die Inflation bei über 50%. In Sri Lanka führte die massive Inflation zu Massenprotesten. In den USA  lag die Inflationsrate im Februar im Vergleich zum Vorjahresmonat bei 7.9%, dem höchsten Wert seit 40 Jahren. In der EU liegt sie bei 5.8%. In Grossbritannien spricht man vom höchsten Fall des Lebensstandards seit 60 Jahren. In der Schweiz betrug die Teuerung im März 2.4% im Vergleich zum Vorjahresmonat. Sie fällt niedriger aus als im Ausland, ist aber trotzdem klar spürbar für die Arbeiterklasse.

In einer Umfrage von Comparis gaben 36% der Befragten an, dass die Teuerung einen grossen oder sehr grossen Einfluss auf ihr Konsumverhalten habe. Bei Geringverdienenden sind es sogar 58%. 85% geben an, dass ihnen die Inflation Sorgen bereitet. Inflation bedeutet, dass sich die Arbeiterklasse mit ihren Löhnen immer weniger leisten kann. Sie wird kämpfen müssen, um auch nur den jetzigen Lebensstandard zu verteidigen.

Die Gründe für die Inflation

Bürgerliche sehen jede ökonomische Krise als einzigartiges Ereignis, das von externen Faktoren ausgelöst wurde. Sie erklären jetzt, dass der Krieg in der Ukraine der Grund für die Teuerung sei. Davor war es die Pandemie. Diese Ereignisse spielen eine Rolle, sie sind aber nicht die Ursache der Inflation. Die Ursache ist letzten Endes der langjährige Versuch der Bourgeoisie, die Überproduktionskrise des Kapitalismus mit billigen Krediten zu bekämpfen.


Seit spätestens 2008 versucht sie die Wirtschaft anzukurbeln und Investitionen zu fördern, indem sie massiv Geld in die Wirtschaft pumpt. Wenn aber die Geldmenge erhöht wird, ohne dass mehr Wert produziert wird, verliert das Geld an Wert und die Preise steigen. Das ist ein Gesetz der Volkswirtschaft. Die Bedingungen für Inflation waren also schon vorher vorhanden. Weil das Geld aber wegen fehlenden profitablen Investitionsmöglichkeiten nicht in die Produktion, sondern in die Spekulation floss, stiegen erstmal nur die Immobilienpreise, Aktienkurse und andere Anlagen wie Kryptowährungen.


Corona verschärfte die Situation weiter und die Inflation schwappte auch in die Realwirtschaft über. Die bürgerlichen Regierungen drehten die Geldhähne noch weiter auf, um einen völligen Einbruch der Wirtschaft zu verhindern. Während dem ersten Jahr Corona wurden weltweit $16,5 Billionen in die Wirtschaft gepumpt. In den USA wurde sogar Geld direkt an die Bevölkerung verteilt. Die Steigerung der Nachfrage nach den Lockdowns führte schliesslich wegen der Anarchie des kapitalistischen Marktes und den komplexen, global vernetzten Produktionsketten zu Lieferproblemen und Knappheit (z.B. bei Mikrochips). Das fehlende Angebot führte zu einer Dynamik von Preissteigerungen. Der Krieg in der Ukraine mit all seinen Folgen, ganz besonders für die Energie- und Lebensmittelpreise, brachte das Fass endgültig zum Überlaufen und die Preissteigerungen sind ausser Kontrolle.


Diese Inflation ist auch nicht nur temporär und wird sich wieder in Luft auflösen, wie Bürgerliche oft behaupten. Sie wurde jahrelang von der Krise des Kapitalismus und den bürgerlichen Massnahmen dagegen vorbereitet und wird bleiben. Für die Bourgeoisie gilt jetzt, was schon Goethe sagte: Die Geister, die ich rief, die werd ich nun nicht los. Die Inflation stellt einen historischen Bruch dar, die Arbeiterklasse der entwickelten kapitalistischen Länder kennt das Problem der steigenden Preise seit Jahrzehnten nicht mehr. Nun wird sie wieder brutal damit konfrontiert.

Inflation in der Schweiz

In der Schweiz lag die Inflation im März im Vergleich zum Vorjahresmonat bei 2,4%. Es ist der höchste Wert seit der Krise von 2008. Vor allem die Preise für Benzin, Diesel und Gas sind massiv gestiegen. Erdölprodukte kosteten im Februar 2022 im Vergleich zum Vorjahresmonat ganze 27% mehr. Aber auch die Preise für andere Waren, wie Haushaltsartikel oder Kleider, sind klar gestiegen. Die Löhne steigen hingegen überhaupt nicht. Sie werden voraussichtlich dieses Jahr nur um 1,2% erhöht werden, das ist klar unter der Inflationsrate. Das bedeutet, dass die Löhne flächendeckend gekürzt werden.


Die Inflationsrate in der Schweiz ist aber klar tiefer als in anderen Staaten. Der Hauptgrund ist die Frankenstärke. Der Euro war in den letzten Wochen ungefähr gleich viel Wert wie der Schweizer Franken. Mit Ausnahme von der Krise von 2008 und dem Frankenschock von 2015 war der Franken noch nie so stark. Die Krise und Instabilität erhöht die Nachfrage nach dem «sicheren» Franken. Die Stärkung des CHF verbilligt die Importe. Mit gleich vielen Schweizer Franken können mehr Waren in ausländischen Währungen, ganz besonders dem Euro, gekauft werden. Das dämpft die steigenden Preise der Importe und so steigen die Preise in der Schweiz nicht gleich stark wie im Ausland.


Dabei handelt es sich aber um keine stabile Situation. Der Schweizer Franken wird nicht einfach die Inflation weiter ausgleichen. So stiegen die Preise der Importgüter im Vergleich zu Ende 2021 trotz der Frankenstärke um 5,5%. Das Gerede der bürgerlichen Medien über die Stabilität der Schweizer Wirtschaft und den Sonderfall Schweiz bezüglich der Inflation ist nichts ausser Wunschdenken.

Dunkle Wolken am Horizont

Der starke Franken verbilligt zwar Importe und dämpft damit die Inflation, er verteuert aber gleichzeitig die Exporte. Für eine Wirtschaft, die so exportabhängig ist wie die Schweizer Wirtschaft, ist das ein Problem. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) versucht seit Längerem die Frankenstärke mit Devisenkäufen zu bekämpfen. Dies gelingt allerdings immer weniger. 2015 musste sie den Euro-Mindestkurs aufgeben.
Momentan kann die Exportindustrie wegen der weniger stark wachsenden Produktionskosten (z.B. Strompreis) einigermassen wettbewerbsfähig bleiben und der hohe Franken ist nicht gleich problematisch wie auch schon.


Auch das bedeutet aber nicht Stabilität. Die Schweizer Industrie ist geschwächt und eine Krise folgt der nächsten. Dem Einbruch von 2008 folgte der Frankenschock von 2015, 2020 kam der Coronaeinbruch, 2021 die Probleme mit den Lieferketten und nun kommt die Inflation.
Ein Ende des Drucks auf den Franken ist nicht in Sicht. Der Druck wird sich sogar noch weiter erhöhen. Die Instabilität auf Weltebene wird weiter zunehmen. Die SNB ist gegen diese kolossalen Kräfte mehr oder weniger machtlos. Die Schweizer Wirtschaft ist den Stürmen der Weltwirtschaft völlig ausgeliefert. Auch der Druck auf die Preise wird sich nicht einfach in Luft auflösen, auch in der Schweiz werden sie weiter und stärker steigen.

Die Erhöhung der Leitzinsen

Das klassische Werkzeug der Zentralbanken, um die Inflation zu bekämpfen, ist die Erhöhung der Leitzinsen. So hat die amerikanische Fed den Leitzins um 0,25% erhöht und kündigte 6 weitere Erhöhungsschritte bis Ende Jahr an. Die Bank of England hat ihren Leitzins auf 0,75% erhöht. In der Europäischen Zentralbank (EZB) gibt es noch hitzige Diskussionen über die Erhöhung. Sobald die EZB den Leitzins erhöht, wird die Schweizerische Nationalbank gezwungen sein mitzuziehen, um den Wechselkurs einigermassen stabil zu halten. Auch wenn sie ihre Unabhängigkeit betont, ist sie de facto an die EZB gekoppelt.

Höhere Leitzinsen lösen aber überhaupt keine Probleme. Im Gegenteil, sie bereiten eine neue Krise vor. Wenn die Zentralbanken jetzt Leitzinsen erhöhen, um die Inflation zu bekämpfen, riskieren sie  in der jetzigen Situation eine Rezession. Die ohnehin schon tiefen Investitionen werden weiter zurückgehen. Hinzu kommt, dass ohne billige Kredite die Schulden, die in den letzten Jahren in allen Bereichen gigantische Ausmasse annahmen, nicht mehr zurückgezahlt werden könnten. Es könnte zu einer Schuldenkrise kommen. Egal welche Option die Zentralbanken wählen – Leitzinsen erhöhen oder nicht – es wird die falsche Wahl sein und weitere Krisen vorbereiten.  Alle Rettungsversuche vertiefen am Ende nur noch die Krise. Die Bourgeoisie ist völlig unfähig, wirklich etwas gegen die Inflation zu tun. Diese Ausweglosigkeit ist Ausdruck der Ausweglosigkeit des Kapitalismus.

Bei der Frage der Leitzinserhöhungen dürfen SozialistInnen deshalb keine der beiden Position einnehmen. Es ist das Problem der Bourgeoisie und ihres Systems. Keine der beiden Optionen ist auch nur ansatzweise im Interesse der Arbeiterklasse. Die Erhöhung der Leitzinsen wird von Austerität begleitet und auch die Folgen einer Rezession oder Schuldenkrise wird die Arbeiterklasse am härtesten spüren. Im Gegensatz zu dem, was viele Reformisten und Anhänger des Keynesianismus behaupten, löst Gelddrucken keine Probleme. Am Ende wird die Arbeiterklasse zur Kasse gebeten. Die aktuelle Situation zeigt das klarer denn je.  Die US-Arbeiterklasse muss jetzt jeden Dollar, den sie während Corona geschenkt bekommen hat, doppelt und dreifach zurückzahlen. Die Frage der Leitzinserhöhungen ist die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Was tun gegen Inflation?

Egal was passiert, die Bourgeoisie wird versuchen, die Arbeiterklasse für die Krise bezahlen zu lassen und sie brutal angreifen. Der Arbeiterklasse wird nichts anderes übrig bleiben, als sich zu wehren. Die massiven Proteste in Sri Lanka gegen die Inflation sind ein Vorgeschmack auf das, was global ansteht.
Auch in der Schweiz stellt sich die Frage, wie die Arbeiterbewegung auf die Inflation reagieren soll. Zunächst muss man klar sagen, dass jede Lohnerhöhung, die kleiner ist als die Inflationsrate, eine Lohnkürzung ist. Die Arbeiterklasse kann sich keine Lohnkürzungen leisten. Jede Lohnerhöhung, die tiefer als die Inflationsrate ist, muss abgelehnt werden. Das ist gerade für anstehende Lohnverhandlungen entscheidend. Die Bosse werden behaupten, dass steigende Löhne der Grund für die Inflation seien. Diese Lüge muss offen bekämpft werden. Es ist die Inflation, die die ArbeiterInnen zwingt, für höhere Löhne zu kämpfen, nicht umgekehrt. Schuld an der Inflation sind die Kapitalisten und ihr bankrottes System.
Die Bosse werden an die nationale Einheit appellieren und die ArbeiterInnen bitten, Opfer zu bringen, damit die Schweizer Firmen international konkurrenzfähig bleiben. Auch das müssen die Gewerkschaften entschieden ablehnen. Es gibt keine nationale Einheit zwischen Kapitalisten und ArbeiterInnen: Es sind die Kapitalisten, die versuchen auf Kosten der ArbeiterInnen ihre Profite zu sichern.


Es ist klar, dass die Bosse sich in der jetzigen Lage nicht durch raffinierte Hinterzimmerverhandlungen freundlich überzeugen lassen werden, die Löhne zu erhöhen. Der einzige Weg, um die notwendigen Lohnerhöhungen zu erkämpfen, sind Streiks und Massendemonstrationen. Darauf müssen sich die Gewerkschaften vorbereiten. Eine wichtige Forderung muss dabei die gleitende Lohnskala sein. Sie bedeutet die automatische Anpassung der Löhne an die steigenden Lebenshaltungskosten. Ohne diese wird jede Lohnerhöhung von der Inflation wieder aufgefressen.


Einige Kapitalisten und Händler werden versuchen, von der Inflation zu profitieren und durch die fallenden Löhne grössere Profite zu kassieren oder durch Spekulation die Preise von gewissen Gütern noch weiter in die Höhe treiben. Deswegen müssen Preiskontrollen auf lebensnotwendige Güter durch die Organisationen der Arbeiterklasse eingeführt werden. Wenn sich Firmen weigern, diese für die Arbeiterklasse notwendigen Massnahmen umzusetzen, müssen sie ohne Kompensation verstaatlicht und unter Arbeiterkontrolle geführt werden.


Diese Massnahmen mögen radikal klingen. Sie sind aber in der aktuellen Situation notwendig, um auch nur den jetzigen Lebensstandard zu erhalten. Entweder die Arbeiterklasse oder die Kapitalisten bezahlen für die Krise. Die einzige humane Lösung ist zweiteres. Es liegt einzig und allein am Kapitalismus, dass die Preise steigen und immer grössere Teile der Arbeiterklasse ihre Grundbedürfnisse nicht mehr befriedigen können. Das einzige Mittel gegen die Inflation und ihre tödlichen Folgen ist letzten Endes der Sozialismus – die Produktion nach den Bedürfnissen und nicht nach Profit.

Flurin Andry, JUSO Zürich
22.04.2022