Die Berner Reitschule schloss zwischen dem 9. Juli und dem 4. August ihre Türen. Die temporäre Schliessung war ein Protest gegen diverse soziale Missstände, welche nach Meinung des Betreiberkollektivs stadtpolitisch provoziert seien und vor die Reitschule verlagert würden. Die genannten Probleme sind real, erforderlich ist jetzt aber eine politische Strategie, um diese zu bekämpfen.

In ihrer Medienmitteilung vom 9. Juli schreibt die Reitschule, dass sich der Vorplatz «[…] nicht zuletzt als Konsequenz der verfehlten Jugend-, Nachtleben-, Sicherheits-, Drogen- und Asylpolitik der Stadt Bern, des Kantons und des Bundes, zum Kristallisationspunkt gesellschaftlicher Probleme entwickelt […]» habe. Während die Türen der Reitschule geschlossen blieben, wurden im Betreiberkollektiv Probleme und mögliche Massnahmen dagegen diskutiert.
Am 4. August öffnete die Halle schliesslich wieder die Tore. In der vorangehenden Medienmitteilung wurden nun zum Einen Massnahmen angekündigt, welche die Reitschule von sich aus ergreifen will, wie etwa die verstärkte Präsenz von ReitschülerInnen auf dem Vorplatz oder die Visualisierung des Reitschule-Manifests an mehreren Standorten in und rund um die Reitschule. Zum Anderen wurden Forderungen an die städtische Politik gerichtet. In Kurzfassung beinhalten diese die Einrichtung einer zweiten Drogenanlaufstelle, die Schaffung von mehr Freiraum sowie eine Ombudsstelle für die Zähmung polizeilicher Repression gegen Jugendliche und Randständige.

Eine Insel im Kapitalismus?
Die angesprochenen Probleme spiegeln aber auch die Widersprüche wieder, in denen sich die Reitschule als  alternatives Kulturzentrum selbst bewegt: primär ist es der Widerspruch, eine Insel alternativer Kultur- und Wirtschaftsformen innerhalb kapitalistischer Verhältnisse zu sein.
Die angesprochenen Missstände gehören aber zum Kapitalismus wie der Hopfen zum Malz. Solange Boden, Miet- und Wohnraum als Waren gehandelt werden, wird die Aufwertung der Innenstadt zur sterilen Shopping- und Ausgangsmeile das Stadtbild prägen. Ebenso sind die Verdrängung und Wegweisung von Menschen, welche nicht in dieses sterile Stadtbild hinein passen, Begleiterscheinungen dieser Phänomene. Mit dem Anspruch, Freiraum zu sein, bietet die Reitschule folglich eine Art Refugium für junge Menschen, Randständige und die Drogenszene, wodurch auch die damit in Verbindung stehenden Probleme auf den Vorplatz verlagert werden.
Natürlich verteidigen wir entschlossen Projekte wie die Reitschule, welche ein nach Profitlogik organisiertes Stadtleben hinterfragen und versuchen, aus dieser Logik auszubrechen. Allerdings kann auf lange Sicht nicht so etwas wie eine Insel im Kapitalismus existieren. Entweder erfolgt eine Wiedereingliederung in kapitalistische Normalität oder die Reitschule wird zu einer Art «Stützpunkt» für eine Bewegung, welche die kapitalistischen Verhältnisse als Ganzes angreift. Dies sind auch die beiden Tendenzen, welche innerhalb der Reitschule miteinander ringen.

Wie die Probleme bekämpfen?
Die Forderungen der Reitschule bilden fürs erste eine Reihe von relativ konkreten Forderungen, hinter die sich eine Bewegung stellen könnte. Unter bewusster politischer Führung müsste das Reitschule-Kollektiv nun mit Demonstrationen und Kampagnen Druck auf die Stadt ausüben, um diese zur Ergreifung entsprechender Massnahmen zu zwingen, ohne dabei Zugeständnisse machen zu müssen. Die temporäre Schliessung der Reitschule könnte bei neuen Verhandlungen mit der Stadt als Zeichen der Schwäche aufgefasst werden und somit zum Anlass für erneute Versuche dienen, die Reitschule zunehmend unter Kontrolle der Stadt zu bringen, etwa indem sie zu einer verstärkten Kooperation zwischen dem Sicherheitspersonal der Reithalle mit der Polizei drängt, was ein ernsthafter Verlust von Autonomie bedeuten würde.
Die Halle hätte aber mehr zu bieten. Der Grund, warum die Mehrheit des Stadtrats und die Stadtregierung die Reitschule nicht schliessen kann, ist ihre Verankerung in der Berner Jugend und die entsprechende Mobilisierungsfähigkeit, was etwa 2013 mit dem «Tanz dich frei» eindrücklich bewiesen wurde. Auf dieses Potential müsste auch in der jetzigen Situation erneut zurückgegriffen werden. Nur durch Ausübung von Druck mittels Mobilisierungen kann die Reitschule fürs erste bestehen bleiben und gleichzeitig auch den Kampf für eine andere Stadt und gegen den Kapitalismus als Ganzes auf neue Schichten der Jugend ausweiten.

Julian Scherler 
Juso Bern