Als Mitglied des Quartetts Eldorado FM konnte Tommy Vercetti jüngst einen weiteren grossen Erfolg verzeichnen. Längst ist der Berner zum populären und anerkannten Teil der Schweizer Rap-Szene geworden. Mit seinem bisher einzigen Soloalbum „Seiltänzer“ gelang ihm ein brillant durchdachtes Konzeptalbum, das, durchzogen von marxistisch orientierter Kapitalismuskritik, in verschiedener Hinsicht einzigartig ist.


TommyHip-Hop und mit ihm Rap lassen sich als Form des kulturellen Widerstandes bezeichnen, als eine aufständische Gegenkultur, die gegen herrschende Normen und Wertvorstellungen rebelliert und in der sich die Ausgeschlossenen geltend machen. Gleichzeitig ist dieses Terrain von Beginn weg umkämpft und Hip-Hop durchdrungen von der Anpassung an die Marktlogik und der herrschenden Ideologie und Lebensweise. Worin siehst du die gesellschaftliche Bedeutung von Hip-Hop und Rap, worum geht’s dabei? Was meinst du, wenn du rappst „es geit nid um real si, sondern um subversiv si, ä Stimm vo dr Strass si für die wo stiu si di ganz Zit, gägä Ideologie z’si, Reflektion vo dr Klass si“?

Du stellst eine heikle Frage und sprichst auf einen provokativen Song an. Rap ist meiner Meinung nach eine höchst massenwirksame Kunstform, die untrennbar mit dem Populistischen und damit auch dem Kommerziellen verbunden ist – wie z.B. der Film oder die Popmusik generell. Wie bei diesen stellt sich auch bei Rap die Frage, inwiefern eine Kunst überhaupt sinnvoll «umkämpft» sein kann, die schon innerhalb der Marktlogik geboren wurde. Ich würde – ein bisschen gewagt – sogar behaupten, dass Rap in den meisten Fällen gerade darin subversiv ist, dass er sich skrupellos ehrlich zur nackten Logik des Kapitalismus bekennt – die übliche bürgerlich-moralische Reaktion darauf würde diese These stützen. Wie bei jeder Kunstform finde ich zudem die Diskussion müssig, zu was sie «eigentlich» da ist, oder wie sie «eigentlich» sein soll. Glücklicherweise können sich viele ihrer bedienen und damit machen oder aussagen, was sie wollen – ich finde das dann vielleicht scheisse, aber ich würde nie behaupten, es wäre kein Rap. Lustigerweise hatte ich die zitierte Zeile geschrieben, weil es mir genau nicht um diesen an sich schon ideologisch verbrämten Authentizitätsdiskurs ging, der mir im Nachhinein vorgeworfen wurde. Natürlich habe ich eine subjektive Vorstellung davon, was Kunst leisten soll, oder was für mich relevante Kunst ausmacht. Das subversive Moment, egal in wie stark reflektierter Form, scheint mir ein entscheidendes Kriterium – unter anderen. Rap hat zudem spezifische Qualitäten: er ist breit zugänglich, sehr textlastig, trotzdem emotional, anti-elitär und nimmt kein Blatt vor den Mund. Ein grosses Potential, das ich mit der erwähnten Zeile anspreche, und das er gewissermassen bis heute nicht realisiert hat.

Siehst du in deiner Form der Kunst an sich das Widerständige oder ist sie vielmehr ein Medium zur Verbreitung einer kritischen Sicht auf die Gesellschaft, um ein politisches Bewusstsein zu schaffen?

Ganz klar das erste: die Kunst ist meiner Meinung nach die höchste Form der menschlichen Interaktion, die die anderen Aspekte quasi in sich aufhebt. Das Ästhetische transzendiert das Politische, eben genau dadurch, dass dieses in jenem schon enthalten ist. Kunst ist immer politisch, aber eben noch viel mehr. Wenn die Kunst «ein Medium zu» ist, dann hat sie quasi schon versagt, bzw. dann wird sie in diesem Moment Werbung, Propaganda, Farce. Und das meine ich nicht romantisch: es gibt tatsächlich nichts Schlechteres als diese Songs «für» eine Spendenaktion oder «gegen» irgendeine Initiative. Auch wenn das gut gemeint ist, hat es immer den fahlen Beigeschmack einer Coop-Reklame. Eines seiner schlechtesten Bilder hat Picasso für die Kommunistische Partei gemalt, während er Guernica ganz im Gegenteil als künstlerische Reflektion der Geschehnisse geschaffen hat. Das Politische ist darin schon enthalten, es muss nicht explizit gemacht werden. So sehe ich das ungefähr mit meiner Musik. Nur nebenbei: den Malerei-Vergleich sollte man nicht strapazieren – natürlich wurde Kunst vor der Moderne fast nur «für» etwas oder jemanden gemacht.

Du bezeichnet dich als Marxist. Was bedeutet für dich als Künstler die Einheit von Theorie und Praxis?

Ich weiss ehrlich gesagt nicht, wo ich stehe zwischen Theorie und Praxis. Das fehlende Engagement, das mir ab und an vorgeworfen wird, gründet vor allem in meiner Ratlosigkeit. Ich weiss tatsächlich nicht, was heute das sinn- und wirkungsvolle politische Engagement wäre. Doch auch wenn der Vorwurf berechtigt sein mag, er schuldet sich teilweise einer primitiven Vorstellung von Theorie und Praxis, die doch bis zur Ununterscheidbarkeit verschränkt sind. Gerade einem Marxisten sollte das auffallen, hat doch Marx sein Leben bis zum Exzess mit dem verbracht, was eben die meisten einfach Theorie nennen würden. Während man den Theoretikern «zu viel reden» vorwirft, habe ich tatsächlich nie mehr leeres Gelaber erlebt als bei Aktivisten. Die politische Praxis ist meiner Meinung nach vor allem Analyse, Überzeugungsarbeit und Organisation – also sicher zur Hälfte theoretische oder zumindest diskursive Arbeit. Meine Musik scheint mir in dieser Perspektive zumindest ein Feld, wo Theorie und Praxis befriedigend zusammenkommen.

Auf deinem Album „Seiltänzer“ lieferst du eine wunderbare Darstellung, weshalb sich die kapitalistische Gesellschaftsordnung gegen das eigentliche Interesse der Meisten aufrechterhalten kann. Der Pessimismus scheint zu dominieren. Auf dem letzten Stück jedoch eröffnest du die Dialektik, sagst, dass wir noch Hoffnung haben und noch alles offen sei. Die Hoffnung ziehst du daraus, dass wir wissen, dass an unserem Leben etwas falsch ist. Die Unterwürfigkeit und die empfundene Ohnmacht, die uns keine Alternativen erkennen lassen, scheinen damit nicht überwunden. Siehst du keinen Weg in die Handlungsfähigkeit?

Ich denke, man darf da gewisse Ebenen nicht verwechseln. Gerade aus der bürgerlichen Ecke – von den Leuten, die löblicherweise überhaupt noch einen Dialog führen – kommt vielfach die Frage nach der Alternative: was schlägst denn du vor? Das finde ich lächerlich. Jedes fünfjährige Kind kann sich eine gerechtere und ökologischere Wirtschaftsordnung ausdenken, als wir sie haben – und Vorschläge gibt es zur Genüge, z.B. «Masst Euch an!» des Schweizers Beat Ringger. Und da finde ich deine Frage präzise: das Problem ist tatsächlich der Weg in die Handlungsfähigkeit. Das Problem liegt meines Erachtens tatsächlich in der Verdrängung unseres Elends, die nur unbewusst in der Sehnsucht nach Ferien oder dem Wochenende aufscheint. Und natürlich, damit zusammenhängend, in der angstbegleiteten Vorstellung, es gäbe dazu keine Alternative, bzw. die müsse in der Katastrophe oder im Chaos enden. Diese zwei Aspekte formen aber einen riesigen ideologischen Komplex, der bis zur Vorstellung geht, der Mensch sei von Natur aus ein Egoist, Mörder, Wolf, was auch immer. Diesen Komplex gilt es radikal zu dekonstruieren, damit die Menschen verstehen: Eigentlich ist es ganz einfach. Eigentlich wollen wir gut, egalitär und friedlich miteinander leben; und da wir genuin soziale Wesen sind, sollte das möglich sein. Alles andere ist Perversion, Zynismus, Besessenheit, Entfremdung. Diese Dekonstruktion ist der erste Schritt in die Handlungsfähigkeit und an dieser versuche ich mit meiner Musik zu arbeiten, denke ich.

Auf dem gleichen Lied sagst du, dass „irgend etwas in dir drin ist, was kämpft“. Ginge es nicht darum, dieses „etwas“ herauszuholen und mit den Anderen zu verbinden? Auf deinem Album „Glanton Gang“ mit Dezmond Dez erwähnst du im Bezug auf die Prostitution „weli Macht si hätte, wenn si organisiert si“. Hier wären wir doch beim Kern der Sache? Wo siehst du die Möglichkeiten einer radikalen gesellschaftlichen Veränderung?

Da gebe ich dir vollkommen recht! Ich gebe zu, dass ich erstens Mühe habe, mich mit anderen zu einer Aktion zu verbinden. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass mich in vielen konkreten Situationen diese anderen auf irgendeine Weise befremdet haben – das mag mit meinem Charakter zu tun haben. Zweitens denke ich – wie schon erwähnt – noch über die Möglichkeiten einer radikalen gesellschaftlichen Veränderung nach. Zwei Aspekte: Ich glaube einerseits, dass die Dinge auch hier eigentlich einfach liegen. Das Rezept ist immer noch Dialog, Überzeugungsarbeit, Solidarisierung, Organisation. Andererseits gibt es eine simple Ressourcenlogik: die, die viel haben, können auch viel einsetzen – Geld, Medien, Propaganda, Überwachung, Polizei, Militär. Die Frage wäre: welche Form kann dieses Dilemma brechen? Die Verweigerung oder zumindest Reflektion gewisser «unbewusster» Machtstrukturen scheint mir da vielversprechend – z.B. der Umgang mit Geld. Aber wie gesagt: das ist die grosse Frage dieses historischen Augenblicks. Man darf aber auch optimistisch sein, wenn man nach Spanien oder Griechenland schaut.

Mittlerweile hast du eine eigene Kolumne auf Journal B, wo du allerdings unter deinem bürgerlichen Namen Simon Küffer schreibst. Siehst du dich dort in einer anderen Rolle als der des Rappers Tommy Vercetti?

Nein, nicht direkt. Ich schreibe in Zukunft auch unregelmässig für die WOZ und habe mir einen Moment sogar überlegt, mit einem Pseudonym zu signieren. Ich möchte diese Dinge tatsächlich trennen, aber nicht so im Sinne: hier bin ich der, dort bin ich mein Alter Ego oder so ein Schwachsinn. Es geht vielmehr darum, weder unbegründete Missgunst noch unverdienten Kredit zu ernten. Ich möchte weder, dass man sagt: das hat Tommy geschrieben, das muss gut sein, noch: das ist doch nur so ein dummer Rapper. Ich möchte so vorurteilslos wie möglich gelesen werden, ich glaube darum geht es.

Auf offensichtlicher Grundlage einer materialistischen Dialektik, lieferst du dort auf allgemeinverständliche Weise Anstösse für ein kritisches Hinterfragen unserer Gesellschaft und bemühst dich um die Rehabilitierung des Marx’schen Begriffs der Ausbeutung. Was bezweckst du damit? Geht es um die Politisierung der Gesellschaft oder auch um die Einflussnahme auf politische Bewegungen?

Ich habe eine Reihe begonnen, die ich «Altes Wörterbuch» nenne, die ich aber aus Zeitgründen ein wenig aussetzen musste. Darin geht es tatsächlich um Politisierung: mein Gedanke war, dass sich über meine Kanäle und das Journal B viele junge Menschen erreichen lassen, die sich Gedanken über die Welt machen und etwas bewegen möchten. Ihnen fehlt dazu ein begriffliches Instrumentarium, das durch die Kalte-Kriegs- und noch stärker die neoliberale Diskreditierung im Keller verschwunden ist – wie ein altes Wörterbuch eben. Mit der Kolumne wollte ich das quasi hervorholen, die Begriffe den jungen Lesern auf verständliche Weise näherbringen. Ich hoffe die Reihe bald fortsetzen zu können.

Zuletzt hast du dem unreflektierten Aktivismus bei der Demonstration gegen den Media Markt eine pointierte Absage erteilt. Stellt sich die Frage, wieso deine an sich sehr treffende Kritik nicht konkreter wird und weshalb du darauf verzichtest, andere Perspektiven des Widerstandes aufzuzeigen.

Das ist eine berechtigte Frage, die ich mir so gar nicht gestellt habe. Wie gesagt, ich habe kein Rezept für die radikale Veränderung. Es gibt aber meiner Meinung nach ganz einfache Dinge und Regeln, mit denen sich anfangen lässt, und die frei jedes Dummheits- oder Neoliberalismusverdachts sind: sich informieren, viel lesen, die Gewerkschaften stärken, konsequent links aussen wählen und abstimmen, Diskussionsgruppen bilden, keine Kompromisse eingehen, sich verweigern, sich nicht kompromittieren, das Spiel nicht mitspielen. Nicht denken: wenn ich’s nicht mache, macht’s ein anderer, sondern im Gegenteil: wenn ich’s nicht mache, macht’s keiner. Wer denkt, dass linksradikale Verweigerung und Abstimmen oder Gewerkschaften ein Widerspruch sind, ist ein elitärer Dummkopf – was an sich schon eine peinliche Kombination ist. Man kann problemlos avantgardistische und radikale Positionen beziehen und gleichzeitig das Leben derer erträglicher gestalten, die unter dem Status Quo leiden. Diese kleinen Veränderungen braucht es, um für den Moment und konkret zu beweisen: Alternativen sind möglich. Denn um radikale Positionen zu vertreten – oder Interviews zu führen – muss man schon in einer recht privilegierten Position sein.

Gibt es etwas, was du unsern Leserinnen und Lesern zum Schluss noch nahelegen möchtest?

Spontan fällt mir nichts ein. Ich danke aber für das sehr anregende Interview!

Wir danken dir ganz herzlich!