[dropcap]M[/dropcap]it den Anschlägen von Suruç und Ankara begann in den kurdischen Gebieten der Türkei wieder ein Konflikt aufzuflammen, der sich seit dem Waffenstillstand 2013 beruhigt hatte. Die Kämpfe treffen nicht nur KämpferInnen, sondern immer stärker auch die (vor allem kurdische) Zivilbevölkerung, wobei sich in den Ereignissen die Widersprüche innerhalb der türkischen Gesellschaft offenbaren.

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Polizeirepression an der Solidaritätskundgebung vor dem Türkischen Konsulat in Zürich, 8.2.2016

Es lässt sich nicht anders sagen: In der Türkei findet im Moment ein brutal geführter Bürgerkrieg statt. Mindestens 157 ZivilistInnen kamen bislang ums Leben, in 7 kurdischen Provinzen wurden seit Juli Ausgangssperren verhängt und es kam zu tausenden Verhaftungen. Gleichzeitig mehren sich die Beweise, dass die türkische Staatsgewalt zu brutalem Staatsterror greift. So wurden Aufnahmen öffentlich, in denen zu sehen ist, wie türkische Polizisten 12 kurdische Jugendliche mit Kopfschüssen aus nächster Nähe hinrichten. Aus den Gebieten, in welchen die Ausgangssperren gelten, werden immer wieder Berichte von wahllos erschossenen ZivilistInnen laut. Die Opfer, darunter auch Kinder, werden von türkischen Staatsstellen in einem unvergleichlichen Zynismus ausnahmslos als «Terroristen» bezeichnet, um die Morde zu rechtfertigen. Gegen den staatlichen Terror in Erdogans Türkei regt sich aber auf den Strassen Widerstand, der vor allem von der mit der PKK assozierten Jugendorganisation YDG-H getragen wird. Hinter sie stellen sich aber grosse Teile der Bevölkerung und der radikalisierten Jugend, die sich angesichts der reaktionären Gewalt in Erdogans Türkei mit der Bildung sogenannter «Autonomer Zonen» vor der Armee und den Polizeikräften verteidigen. In Städten und Stadtteilen, in welchen die Verteidigung dieser Zonen gelang, begann die YDG-H bereits damit, die Selbstorganisierung der Bevölkerung aufzubauen.

Widerstand im ganzen Land
Der Kampf gegen den Autokraten Erdogan findet aber nicht nur in den traditionellen kurdischen Siedlungsgebieten der Osttürkei statt. Auch in westtürkischen Städten liefern sich Jugendliche mit der Polizei Kämpfe.

Dass die Widersprüche des verrotteten Systems in der ganzen Türkei offen zu Tage treten, ist mehreren Umständen geschuldet. Zum einen sind die Kämpfe im ganzen Land die Folge einer Politik der verbrannten Erde, die im türkischen Norden Kurdistans betrieben wurde, um die PKK aus dem Umfeld der Dörfer und Städte zu vertreiben. So wurden in manchen Regionen Dörfer, in denen die Bevölkerung nicht bereit war, sogenannte «Dorfschützereinheiten» aufzustellen, also gegen die PKK gerichtete Milizen, völlig entvölkert, wobei die bisherige Bevölkerung ihre Heimat verlassen musste. Viele KurdInnen zog es in die Diaspora, doch ein grosser Teil siedelte sich auch im wirtschaftlich entwickelteren Westen der Türkei an. Eine Folge dieser Politik der verbrannten Erde, bei der im Namen des Kampfes gegen die PKK ganze Sozialstrukturen zerrissen wurden, ist, dass beispielsweise in Istanbul etwa 3 Millionen KurdInnen leben, die auch in ihrer neuen Heimat den Kampf gegen Erdogans rückwärtsgewandte Politik auf die Strasse tragen.

Ein weiterer Faktor ist die Entfaltung der Klassenkämpfe in der Türkei. Das Land hat in den letzten Jahren ein bemerkenswertes Wirtschaftswachstum erlebt. Dieses hat sich die AKP-Regierung mit dem Leid der Werktätigen erkauft. Allein 2015 starben mehr als 1700 ArbeiterInnen bei Arbeitsunfällen. Es werden wieder Berichte über Fälle von Kinderarbeit laut und die geringen Lohnerhöhungen halten nicht mit der Inflation der türkischen Lira mit, wodurch die reale Kaufkraft sinkt. Gegen diese Politik einzig im Sinne der Besitzenden regt sich Widerstand. Die Streiks in der Autoindustrie in Bursa mit mehr als 20›000 Teilnehmenden sowie die niedergeschlagenen wilden Streiks bei den Metallern in Istanbul sind ebenso Ausdruck dieses Widerstands wie auch die Gezi-Proteste 2013, das gute Wahlresultat der linken kurdischen HDP oder eben der Kampf der kurdischen Bewegung gegen Erdogans  System.

Nieder mit Erdogan – nieder mit dem Kapitalismus!
In Nordkurdistan zeigt sich, wie die Bevölkerung gegen einen Autokraten aufbegehrt, der ihr nichts weiter zu bieten hat als eine Verschlechterung ihrer Lebensumstände zugunsten einer kleinen privilegierten Schicht von Besitzenden. Dass Erdogans Regierung derart brutal und repressiv gegen den Widerstand in Nordkurdistan vorgeht, ist mit seinen Plänen für den Umbau des türkischen Staatswesens zu einem Präsidialsystem zu erklären.

Die politische Linke in der Türkei wurde zum grössten Hindernis für Erdogans Versuche, seine eigene Macht auszubauen. Beinahe unerträglich zynisch nutzte die Erdogan-Administration die furchtbaren Anschläge von Suruç und Ankara auf AktivistInnen der HDP und der HDP-nahen Linken mit insgesamt 136 Toten als Anlass, um mit roher Gewalt gegen die linken kurdischen Formationen vorzugehen. Der Bürgerkrieg, der nun in der Türkei tobt, begann unter dem Deckmantel des Kampfs gegen den IS. Doch die Zahl der Luftangriffe gegen Stellungen der PKK und der YPG, die sich in Syrien als einzige wirksame Kraft gegen den Islamismus erwies, standen in keinem Verhältnis zur viel niedrigeren Zahl der Angriffe auf den IS. Ziel des Kampfs gegen die kurdische Bewegung und des Schürens antikurdischer Ressentiments war die Spaltung der Werktätigen der Türkei und damit des Widerstands gegen Erdogan. Die Festnahme von 20 WissenschaftlerInnen, die eine von 1000 AkademikerInnen unterschriebene Petition mitunterzeichnet hatten, die ein Ende des Massakers in Nordkurdistan forderte, zeigt derweil, wie mit Opposition in Erdogans Türkei umgegangen wird.

In dieser Situation reaktionärer Gewalt und brutaler Repression müssen sich alle Werktätigen der Türkei im Kampf gegen den türkischen Staatsterrorismus vereinen. Der Funke und unsere Internationale, die International Marxist Tendency, unterstützen daher den Widerstand gegen eine Regierung der Mörder und den Kampf für ein freies und sozialistisches Kurdistan in einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens.

Florian Sieber
Juso Thurgau