Die Präsidentschaft Allendes gilt vielen als Musterbeispiel dafür, wie der Sozialismus durch Reformen erreicht werden könnte. Der Putsch, der diesem Experiment ein Ende setzte, wird dabei nur mit der widerwärtigen Rolle der USA in Verbindung gebracht. Man begnügt sich damit die schrecklichen Ereignisse vor 40 Jahren in Chile zu bedauern und Allende nachzutrauern. Es ist jedoch wichtiger zu verstehen, was zum Erfolg des Putsches geführt hatte und daraus zu lernen. Ist doch Chile nicht einfach nur ein Beispiel für den amerikanischen Imperialismus, sondern Konsequenz schwerwiegender Fehler und falscher Annahmen von Seiten der Regierung Allendes.

Unidad Popular
Salvador Allende Am 4. September 1970 wurde in Chile die Unidad Popular (UP) und an ihrer Spitze  Salvador Allende gewählt. Damit wurde einer der wenigen ernsthaften Versuche gestartetden Sozialismus auf reformistischen Wegen zu erreichen. Als erstes setzte die Regierung ein 40-Punkte Sofortprogramm durch, welches die Lebensbedingungen der ArbeiterInnen Chiles und ihrer Kinder verbesserte. Chiles Kinder erhielten eine tägliche Ration Milch und für zahlreiche Kinder aus ärmeren Familien standen täglich zwei Mahlzeiten zur Verfügung. Es wurde ein Gesundheitssystem aufgebaut und der Bau von Wohnungen für 100.000 Menschen wurde initiiert. Die UP-Regierung beschloss Lohn- und Pensionserhöhungen, Steuererhöhungen für Reiche, Mietsenkungen, eine Agrarreform wie auch die Verstaatlichung der Kupferindustrie, welche eine grundlegende Rolle für die Finanzierung des sozialen Fortschritts darstellte.

Druck von Links und Rechts

Die Massen, die durch die Errungenschaften der Linken Regierung Chiles einiges an Selbstvertrauen dazugewannen, gingen dazu über ihr Schicksal selbst in die Hand zunehmen. Hunderte Betriebe wurden von ihrer Belegschaft besetzt. Die ländliche Bevölkerung, welche mit dem langsamen Voranschreiten der Agrarreform unzufrieden war, begann mit illegalen Enteignungen von Grossgrundbesitzern. Anstatt sich an die Spitze dieser Bewegung zu stellen, bremste die UP den Kampf für den Sozialismus von unten. Eingeklemmt zwischen den Forderungen der Massen und den empörten Besitzenden, machten sie mal der einen mal der anderen Klasse gegenüber Zugeständnisse. Mal anerkannten sie vergesellschaftlichte Betriebe und Grundbesitz, mal liessen sie von Militär und Polizei räumen.

Die Besitzenden, welche immer noch die Schalthebel der Wirtschaft ihr Eigen nannten, sabotierten die sozialistische Umgestaltung, wo sie nur konnten. Nahrungsmittel, Konsumgüter aller Art und Treibstoff wurden gehortet und so künstliche Knappheit und Inflation erschaffen. Laut einem offiziellen Polizeireport wurden mehrere tausend Mann in Einheiten rekrutiert, um jederzeit die Leitungen für Wasser, Gas und Elektrizität zu sabotieren. Arbeitgeberstreiks, also Aussperrungen der ArbeiterInnen, und das Lahmlegen des Transports durch Bestechung der Lastwagenfahrer lähmten die Wirtschaft. Die Reaktion ging in die Offensive.

Unter diesem Druck war Allende nicht bereit die sozialistische Umgestaltung Chiles weiter zu führen und lenkte ein. Um die Reaktion zu beruhigen entfernte er sozialistische Innenminister und nahm Generäle mit ins Kabinett auf. Verstaatlichungspläne wurden fallen gelassen und enteignete Grundstücke wurden zurückgegeben.

Arbeiterräte und Milizen

Angesichts der Schwäche der Unidad Popular fingen die ArbeiterInnen selbst an Strukturen jenseits des Staatsapparats aufzubauen, da dieser nur unzulänglich ihre Interessen vertrat. Cordones Industriales (Industriegürtel) wurden gegründet, ähnlich den Arbeiterräten der Russischen Revolution, in welchen sich die ArbeiterInnen demokratisch organisierten, um die revolutionären Aufgaben zu erfüllen, die die Regierung nicht erfüllen wollte. Die Cordones Industriales setzten Betriebsbesetzungen durch, organisierten die Verteilung von Nahrungsmitteln, hinderten Unternehmer ihre Betriebe zu sabotieren und taten dies teilweise bewaffnet.

Zu dieser Zeit fingen die Massen an Milizen zu bilden. Allen voran stand die MIR (Bewegung der Revolutionären Linken), welche aktiv BäuerInnen und ArbeiterInnen an der Waffe ausbildeten. Während die Reaktion mit ihren faschistischen Milizen ebenfalls aufrüstete, machten die bürgerlichen Zeitungen mobil zur Entwaffnung der ArbeiterInnen. Um das Bürgertum nicht zu erzürnen, ging die Regierung Allendes dem gerne nach und erliess ein Waffenkontrollgesetz, was das Militär bemächtigte Razzien in besetzten Betrieben durchzuführen. Das Wachstum der Milizen war beendet.

Allende und das Militär

Aus Angst vor der Reaktion bremste Allende die Massen und versuchte sich mit der Armee gut zu stellen. So sprach er von einer „unpolitischen“ Armee, liess sie auf die Verfassung schwören die Regierung zu verteidigen,  erhöhte ihre Löhne, und veranstaltete zu ihren Ehren Paraden. Allende selbst verschloss vor der offensichtlichen Putsch-Gefahr konsequent die Augen und weigerte sich, die Schaffung von ArbeiterInnenmilizen zu unterstützen. Im September 1972 erklärte er: „Es wird hier keine anderen bewaffneten Streitkräfte geben, als die, die in der Verfassung festgesetzt sind. Das heißt: die Armee, die Marine und die Luftwaffe.“ Kurz darauf erliess, wie oben erwähnt, die UP das Waffenkontrollgesetz. Anstatt auf die Bewaffnung der Bevölkerung stützte sich Allende lieber auf Polizei und Militär.

Erster Putschversuch

Am 29. Juni 1973 versuchte ein Teil des Militärs, das zweite Panzerregiment, die Regierung blutig niederzuschlagen, doch sie scheiterten am Widerstand der Massen und ihrer schlechten Vorbereitung. Innerhalb weniger Stunden streikten tausende ArbeiterInnen, besetzten Betriebe, marschierten zu den Regierungsgebäuden, dem Monedapalast. Luis Sepúlveda, Angehöriger der Leibgarde Allendes, vermerkt: „die rechtsbürgerlichen Parlamentarier standen zitternd in den Korridoren des Parlaments“. Das war die Situation in der sich die Reaktion wiederfand. Und was war die Reaktion der Unidad Popular? Allende forderte die ArbeiterInnen auf wieder arbeiten zu gehen. Die Polizei wurde aufgeboten, um für Ruhe zu sorgen.

Das Militär versucht die Regierung zu stürzen, das Volk verteidigt sie und die Regierung ist nur darauf bedacht sie wieder nach Hause zu schicken. Dieses Verhalten führte zu erneuten Unternehmerstreiks, welche von den ArbeiterInnen am 9. August mit einem 24-Stündigen Generalstreik beantwortet wurde. Die ArbeiterInnen waren bereit zu kämpfen, Allende nicht.

11. September 1973

Es ist an diesem Punkt irrelevant, was für herzzerreissende Ansprachen die Führer dieser Regierung hielten. Viel relevanter war die Situation der ArbeiterInnen Chiles. Alle wussten, dass der Putsch kommen wird, nur niemand wusste wann. Dann am 11. September die Nachricht: „Panzer und Kampflugzeuge überall in der Stadt“! Die ArbeiterInnen gingen in ihre Betriebe warteten auf Instruktionen, auf Lastwagen voller Gewehre. Niemand meldete sich, nicht die sozialistische Partei, nicht die kommunistische Partei. „Die haben doch etwas Vorbereitet?“ Fragten sich die ArbeiterInnen verzweifelt. Sie waren bereit zu kämpfen, doch niemand war da, der etwas organisiert hätte. Banges Warten. Ein paar mutige GenossInnen der MIR schossen mit den wenigen Waffen, die sie hatten gegen die Übermacht der Armee, vergeblich. Den Rest werden die LeserInnen kennen, Zehntausende tote, tausende Verschwundene, Frauen die gezwungen wurden Geschlechtsverkehr mit Hunden zu haben, Väter mit ihren Töchtern, Folter mit Stromschlägen. Dies war das Ende des Traums des Sozialismus auf friedlichen, parlamentarischen Wegen.

Schlussfolgerungen

Das Beispiel Chile zeigt deutlich, weshalb es illusorisch ist, zu glauben, dass man einfach die Mehrheit im bürgerlichen Staat erreichen, alle Strukturen beim Alten belassen und dann den Sozialismus einführen kann. Das chilenische Bürgertum war erzürnt, wehrte sich mit Sabotage und dem Aufbau von faschistischen Milizen. Doch als Antwort liess Allende nicht etwa die ArbeiterInnen bewaffnen. um das, was erreicht wurde vor der Konterrevolution zu verteidigen, er hindert sie sogar aktiv dran. Statt das Militär zu entmachten, nimmt er es in die Regierung auf, in der Hoffnung es wäre damit keine Gefahr mehr. Selbst als das Militär das erste Mal versuchte zu putschen, hatte er mehr Angst vor den bewaffneten ArbeiterInnen als vor dem Militär, welches seinen Tod vorbereitete.

Allendes Fehler war, dass er zu wenig weit ging. Die Fähigkeit des chilenischen Bürgertums die Wirtschaft zu erdrosseln lag allein an ihrem Privatbesitz der Industrie, welche die ArbeiterInnen problemlos hätten ergreifen können. Doch führte bei Allende die Angst vor der Reaktion seitens des Bürgertums nicht zum Schluss man müsse es entwaffnen, ökonomisch wie militärisch, sondern die Wogen zu glätten, indem man die ArbeiterInnen aufhält die Arbeit einer sozialistischen Regierung zu übernehmen.

Diese fatalen Fehler, deren Grundlage die Idee ist, ohne direkte Konfrontation mit der besitzenden Klasse den Sozialismus einführen zu können,  sind verantwortlich für den Tod von Zehntausenden und werden, wenn sie wiederholt werden, wieder verantwortlich sein für weitere Niederlagen der ArbeiterInnenklasse.