Die neue rechte Regierung wird die gravierende Wirtschaftskrise noch brutaler auf die Lohnabhängigen abwälzen. Bei fehlender Legitimität der Regierung ist der offene Zusammenstoss zwischen dem repressiven bürgerlichen Staat und der kämpfenden ArbeiterInnenklasse vorprogrammiert.

Das neue Regierungskabinett Brasiliens mutet an wie ein Relikt vergangener Zeiten. Ausschliesslich mit greisen, weissen Männern besetzt, hat die alte Elite Brasiliens ihre Repräsentanten zurück in der Regierung. Angeführt wird das Kabinett vom bisherigen Vize-Präsidenten Michel Temer, der mit seiner Partei PMDB bis kürzlich in einer Koalitionsregierung mit der brasilianischen Arbeiterpartei PT stand. In den vergangenen Monaten begann sich der rechte Flügel jedoch von der Koalition zu lösen und drängte zusammen mit der übrigen Opposition auf die Absetzung der Präsidentin.

Am 12. Mai hat der brasilianische Senat schliesslich mit 55 zu 22 Stimmen entschieden, die Präsidentin Dilma Rousseff für 180 Tage zu suspendieren. In dieser Zeit sollen die Beweise für Dilmas unrechtmässiges Schönfärben der Staatsfinanzen geliefert werden. Was immer die Untersuchungen ergeben mögen, ist eine Rückkehr der suspendierten Präsidentin äusserst unwahrscheinlich. In sechs Monaten wird der gleiche Senat über die definitive Absetzung abstimmen, für den die Anschuldigungen gegen das suspendierte Staatsoberhaupt ohnehin nur ein juristischer Vorwand waren.

In Wahrheit haben Teile der brasilianischen Bourgeoisie, repräsentiert durch ihre rechtsgerichteten Politiker, in der Situation der tiefsten Wirtschaftskrise Brasiliens seit den 1930ern und bei fallender Unterstützung für die PT, nur den Moment erkannt, sich von ihrer ehemaligen Verbündeten zu lösen und das Ruder wieder alleine zu übernehmen. Unmittelbar ausgelöst wurde das brachiale Vorpreschen der herrschenden Klasse aber durch das Eigeninteresse der Regisseuren dieses Aktes: Rund 60% der Kongressabgeordneten sind in den grossen Korruptionsskandal „Lava Jato“ verwickelt. Sie haben sich nun quasi in die besondere Immunität des Regierungskabinetts geflüchtet.

Bankrott der Klassenkollaboration
Um zu begreifen, warum Dilma aus dem Amt gedrängt werden konnte, müssen wir die Rolle ihrer Politik verstehen. Es handelt sich nicht um einen Zufall, dass nach Mauricio Macris Sieg in den Präsidentschaftswahlen in Argentinien nun auch die zweite starke Mitte-links-Regierung Südamerikas gefallen ist. Es ist das Scheitern des Reformismus, der seit Anfang der Nullerjahren in verschiedenen Ländern Lateinamerikas teilweise beachtliche Verbesserungen der Lebenssituation der Massen erreichen konnte. Nun jedoch muss er für die fehlende Konsequenz seiner Politik bezahlen.

Es ist wichtig, zu erkennen, dass der Fall der Regierung in Brasilien nur das notwendige Resultat einer Politik der Klassenkollaboration der PT war. Reformistische Parteien charakterisieren sich immer dadurch, dass sie die Widersprüchlichkeit des Klassengegensatzes zwischen Bourgeoisie und Proletariat in sich selbst aufnehmen. Die Interessen der Lohnabhängigen, die sie eigentlich zu verteidigen bestrebt sind, stehen im Widerspruch zu den Interessen der Kapitalisten, deren Macht man nicht konsequent anzutasten wagt. So sind reformistische Parteien an der Macht schliesslich dem Druck von beiden Seiten ausgesetzt, was auf Dauer nicht haltbar ist.

Reformismus in der Krise
In Zeiten des relativen wirtschaftlichen Aufschwungs war es der brasilianischen Arbeiterpartei möglich, Zugeständnisse an die eigene soziale Basis zu machen, während sich gleichzeitig auch die Bourgeoisie gut mit der Regierungspartei arrangieren konnte. Die Kapitalisten haben erheblich von der Wirtschaftspolitik der Regierungen Dilma und deren Vorgänger Lula profitiert. Dennoch haben sie die sozialdemokratische PT niemals als ihre eigene Partei angesehen. Das änderte sich auch nicht, nachdem die PT mehr und mehr aufgehört hat, die Interessen der Lohnabhängigen zu vertreten und stattdessen immer stärker mit der Bourgeoisie zusammengespannt hat.

Seit 2013 hat die Wirtschaftskrise auch Brasilien erreicht. Seither ist die Arbeitslosigkeit erheblich angestiegen und zahlreiche Firmen haben die Produktion eingestellt. Die Antwort der Regierung Dilmas hiess bürgerliche Sparpolitik. Doch haben die linken Kräfte in der breiten Regierungskoalition verhindert, dass „Strukturanpassungen“ von der Brutalität hätten durchgeführt werden können, wie sie die Bourgeoisie benötigte.

Dass die Regierung den Forderungen der Bourgeoisie gerecht werden wollte, hat schliesslich dazu geführt, dass genau diese Bourgeoise ihr den Todesstoss versetzen konnte, weil Dilma mit dem Verrat an ihrer sozialen Basis ihre eigene Popularität untergraben hat.

Eine vorrevolutionäre Phase?
Mit dem Regierungswechsel wird sich der Klassenkampf in Brasilien nunmehr auf einer neuen Stufe austragen. Das Wegfallen der PT-Regierung bedeutet das direkte Aufeinanderprallen der Klassen. Die Massen gingen bereits kurz nach der Suspendierung Dilmas auf die Strassen, um zu zeigen, dass sie die neue Regierung des Kapitals nicht anerkennen. Die brutale Spar- und Privatisierungspolitik der Temer-Regierung wird den Widerstand der Lohnabhängigen zwangsläufig verstärken und die Radikalisierung der Jugend weiter vorantreiben. Bereits unter Dilmas arbeiterInnenfeindlicher Wirtschaftspolitik haben sich die Massen zu wehren begonnen.

Nun jedoch wird sich die Klasse der Lohnabhängigen erstmals selbständig positionieren können und ihren Widerstand direkt gegen eine klar als feindlich angesehene Regierung richten, die ihren Angriffsplan auf die ArbeiterInnenklasse nur mit repressiver Zerschlagung des Widerstandes wird durchsetzen können. Die weitsichtigen Teile der Bourgeoisie sind sich durchaus bewusst, welche Gefahr diese explosive Konstellation für sie darstellt. Doch Temer selbst hat bereits wenige Tage im Amt offen erklärt, dass er sich nicht für die Wahlen 2018 aufstellen lassen will, was ihm ermögliche auch „unpopuläre Entscheidungen zu treffen“!

Unter diesen Bedingungen kann sich eine wirkliche linke Kraft schnell herausbilden und zu einer mächtigen Alternative werden. Die PSOL, eine Linksabspaltung der PT, hat das Potential, die neue Lücke links von der PT zu füllen. Unsere GenossInnen der „Esquerda Marxista“ (IMT Brasilien) werden in der PSOL genau dafür kämpfen und geduldig erklären, dass nichts zu erreichen sein wird, wenn man nicht mit dem Kapitalismus zu brechen bereit ist. Eine vorrevolutionäre Phase also? Auf jeden Fall steht eine heisse Zeit bevor.

Martin K.
Juso Stadt Bern