Mit der Wahl Jair Bolsonaros sehen viele BrasilianerInnen das Wiederkommen der Militärdiktatur als sicher. Die ReformistInnen können es nicht fassen, dass ein Rechtsaussenkandidat die Wahlen hat gewinnen können. Dass aber genau sie selber an dem Debakel Schuld sind, wollen sie sich nicht eingestehen.

«Wenn ich sehe, wie sich zwei Männer auf der Strasse küssen, werde ich sie schlagen.» Oder: «Der einzige Fehler der Militärdiktatur war, dass sie die Linken nur ins Gefängnis gesteckt und nicht umgebracht hat.» Jair Bolsonaro zeichnete sich vor und während des brasilianischen Wahlkampfs durch offen rassistische, homophobe und xenophobe Äusserungen aus. Dennoch gewann er die Wahl gegen den Kandidaten der «Partido dos Trabalhadores» (PT), Fernando Haddad, im zweiten Wahlgang mit 55.1% der Stimmen.

Die ReformistInnen, insbesondere die PT, springen auf den opportunistischen Zug auf und schreien nur noch «Faschismus!». Damit lenken sie nur von ihrer eigenen unschönen Rolle ab. Statt in Panik zu verfallen, müssen wir begreifen, wie es zur Wahl Bolsonaros kam.

Reformismus
Die reformistische Arbeiterpartei PT stellte von 2003 bis 2016 die StaatspräsidentInnen. Lula, von 2003-2011, paktierte bereits zum Teil mit bürgerlichen Kräften und gab wiederholt dem wirtschaftlichen Druck der Bourgeoisie nach, bspw. mit einer ersten Konterreform im Rentensystem. Dennoch verblieb Lula der ärmeren Bevölkerung relativ gut in Erinnerung, da er während eines Wirtschaftsaufschwungs Präsident war.

Seine Nachfolgerin Dilma Rousseff verfolgte eine ähnliche Politik. Der grösste Unterschied ihrer Amtszeit zu jener von Lula war, dass sie in einer Periode der Wirtschaftskrise und besonders während der schweren Rezession 2015/2016 Präsidentin war. Als Reformistin war sie unfähig, mit dem Kapitalismus zu brechen. So sie sich durch die einsetzende Wirtschaftskrise gezwungen, eine Austeritätspolitik zu verfolgen und Privatisierungen durchzusetzen. Die bürgerliche Krisenpolitik zeigte der Arbeiterklasse klar auf, was die PT-Führung war: ein Teil des Establishments. Dilmas Zustimmung sank von 51 Prozent im Oktober 2014 innert zehn Monaten auf acht Prozent – ein Rekordtief für das Präsidentenamt Brasiliens.

Obschon die Arbeiterklasse schon unter Dilma fleissig angegriffen wurde, strebte die Bourgeoisie eine noch härtere Austeritäts- und Privatisierungs-politik an. Diese war mit Dilma, trotz deren Unter-werfung unter die Interessen des Kapitals, nicht umsetzbar. Ihr Vizepräsident Michel Temer (Mitglied der Partei «Partido do Movimento Democrático Brasileiro») verfolgte eine ungeschönte Politik der Austerität. Er stellte den geeigneten Mann dar für die herrschende Klasse. So wurde Dilma 2016 durch ein Amtsenthebungsverfahren abgesetzt und durch Temer ersetzt.

Lulas Beliebtheit – vor dem Hintergrund der harten Austeritätsmassnahmen Temers und in Erinnerung an die Vor-Krisenphase – stieg bei der ärmeren Bevölkerung wieder an. Die herrschende Klasse reagierte darauf kurzerhand damit, dass sie Lula im April dieses Jahres mit fragwürdigen Korruptionsvorwürfen inhaftieren liess und ihn so daran hinderte, zu kandidieren.

Wahlkampf im Namen des Establishments
In der ersten Wahlrunde nutzte Haddad die Sympathie der Bevölkerung für Lula; dessen Gesicht war im Wahlkampf prominent vertreten. Nach der ersten Wahlrunde schwenkte Haddad allerdings nach rechts – im naiven Glauben, sich so besser gegen Bolsonaro behaupten zu können. Das Rot auf den Wahlkampfplakaten wurde durch die Nationalflagge Brasiliens ersetzt. Sein Versuch, Bolsonaros extrem rechte Positionen zu untergraben, bestand in einem Pakt mit «demokra-tischen» bürgerlichen Kräften. Während sich Bolsonaro als Anti-Establishment-Kandidat darstellte, präsentierte sich Haddad umgekehrt als Kandidat des Establishments. Ein Schlag ins Gesicht für die ArbeiterInnen Brasiliens, die eine Alternative und einen Ausweg aus diesem System suchten. Die Abstrafung folgte auf dem Fusse und Haddad verlor die Wahlen.

Dies bedeutet keineswegs, dass die Mehrheit der brasilianischen Bevölkerung die offen rechte Politik Bolsonaros unterstützt. Im Gegenteil: Insgesamt gaben rund 42 Millionen BrasilianerInnen keine oder ungültige Stimmen ab (in einem Land mit Wahlpflicht!). 47 Millionen stimmten für Haddad, für Bolsonaro nur rund 57 Millionen. Folglich unterstützen 61 Prozent der BrasilianerInnen Bolsonaro klar nicht.

Regieren für die herrschende Klasse
Die Anti-Establishment-Haltung Bolsonaros ist nur Schein. Die angekündigten Massnahmen von Bolsonaro unterscheiden sich kaum von der Politik Temers: weitere Privatisierungen und Austerität, sowie eine Konterreform im Rentensystem. Auf Temers reaktionäre Politik reagierte die Arbeiter-klasse seinerzeit mit einem Generalstreik und riesigen Demonstrationen unter dem Slogan «Weg mit Temer». Mit frontalen Angriffen seitens der Regierung Bolsonaros konfrontiert, sind von Brasiliens Arbeiterklasse in Zukunft häufigere und stärkere Reaktionen zu erwarten. Die unruhigen Zeiten Temers werden nur der Vorgeschmack gewesen sein.

Die herrschende Klasse Brasiliens wird versuchen müssen, die Konterreformen durchzuboxen und kann dabei nicht mehr auf die «Kollaboration» mit dem Reformismus setzen. Die Konterreformen werden nun mit aller Härte und unvermittelt durchgesetzt werden müssen. Dies wird eine Verschärfung der Repression seitens des brasili-anischen Staates mit sich bringen.

Die kommende Phase der repressiven Politik unter Bolsonaro als faschistisch zu bezeichnen, ist jedoch falsch. Nur weil eine Person oder eine Personengruppe sehr rassistisch ist oder andere menschenverachtende Ideologien vertritt, heisst das noch nicht, dass der Faschismus an der Türschwelle steht. Der Faschismus ist eine Massenbewegung, welche sich auf das Kleinbürgertum stützt und die Zerschlagung der Organisationen der Arbeiterklasse zum Ziel hat. Die Bedingungen für die Machtübernahme eines faschistischen Regimes sind nicht gegeben. Ausserdem hat auch die brasilianische Bourgeoisie momentan kein Interesse an einer faschistischen Diktatur: dies würde nur Chaos in die momentane Situation bringen. Dennoch ist die Arbeiterklasse mit klaren Angriffen auf ihre Rechte konfrontiert und muss sich gegen diese entsprechend kämpferisch verteidigen.

Revolutionär gegen Bolsonaro
Das «Phänomen Bolsonaro» ist weder aus dem Nichts auf die politische Bühne getreten noch ist es eine Einzelerscheinung. Ähnlich wie Donald Trump ist Bolsonaro ein Symptom der kapitalistischen Krise, die wir erleben.

Mit der Krise des Kapitalismus schlitterte auch der Reformismus in die Krise, der unter der Leitung der Bourgeoisie einen Kurs verfolgte, der schnurstracks in diese Bredouille mündete. Um mit diesem Kurs zu brechen und Bolsonaro erfolgreich bekämpfen zu können, ist eine revolutionäre Alternative vonnöten. Eine Alternative, welche konsequent mit dem Kapitalismus und der Austeritätslogik bricht und eine Politik im Interesse der Arbeiterklasse führt, statt sich der Profitlogik der herrschenden Klasse zu fügen.

Joel R.
JUSO Thurgau

Bild: Wikimedia Commons