Der russische Präsident Wladimir Putin hat die Unabhängigkeit der Volksrepubliken Donezk und Lugansk (VRD und VRL) im Südosten der Ukraine anerkannt und russische „Friedenstruppen“ in beide Gebiete entsandt. Dies stellt eine erhebliche Eskalation des Konflikts zwischen Russland und dem westlichen Imperialismus dar.

Welche Interessen stehen hinter dem Konflikt, und welche Position sollte die internationale Arbeiterbewegung einnehmen?

Der Westen hat bereits angekündigt, dass er mit den im Vorfeld angedrohten Wirtschaftssanktionen antworten wird. Der US-Imperialismus, die NATO, die Europäische Union und das Vereinigte Königreich haben sich darüber beschwert, dass Putins Entscheidungen eine „Verletzung der Souveränität der Ukraine“ und eine „eklatante Missachtung des Völkerrechts und der internationalen Normen“ darstellen. Das ist völlige Heuchelei. Die Länder, die das Vorgehen Russlands jetzt anprangern, haben zuvor selbst genau die gleichen Maßnahmen ergriffen.

Vergessen wir nicht, dass es der westliche Imperialismus war, der 1992 die Aufspaltung Jugoslawiens maßgeblich durchsetzte. Von „nationaler Souveränität“ war damals nicht die Rede, und der Grund dafür war klar: Es lag in ihrem Interesse, das ehemalige Jugoslawien aufzulösen, um alte Einflusssphären zurückzugewinnen. Es war ein völlig reaktionärer Schritt, der einen Bürgerkrieg und ethnische Säuberungen im Herzen Europas entfachte.

Imperialistische Heuchelei

Der US-Imperialismus und seine europäischen Juniorpartner sprechen jetzt davon, dass Russland die „nationale Souveränität“ respektieren muss, und mimen sich selbst als Verfechter von Demokratie und Menschenrechten. Verlangen sie von uns zu vergessen, dass sie in der Vergangenheit skrupellos souveräne Länder bombardierten und überfielen? Gerade sie sind Experten darin, Militärputsche zu organisieren und sich generell in die Angelegenheiten anderer Länder einzumischen – wenn es ihren Interessen dient. Die Liste reicht vom Irak bis Afghanistan, von Honduras bis Venezuela, von Libyen bis Somalia und weit darüber hinaus. Und wo es ihren Interessen nicht entspricht, drücken sie ein Auge zu. So etwa im Jemen, wo Saudi-Arabien die Erlaubnis hat, ein ganzes Volk zu vernichten und Millionen verhungern zu lassen. Der Grund dafür: Saudi-Arabien ist ein Freund des westlichen Imperialismus, während Russland das nicht ist!

Ausgehend von den Interessen der Arbeiterklasse aller Länder sollten wir uns nicht täuschen lassen von dem Spiel der Schuldzuweisungen darüber, „wer angefangen hat“ oder welche Seite Schuld an dem gegenwärtigen Konflikt trägt. Auf beiden Seiten gibt es imperialistische Bestrebungen. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 dringen der US-Imperialismus und seine europäischen NATO-Verbündeten in die ehemals russische Einflusssphäre ein und beziehen die osteuropäischen Länder schrittweise in ihr Bündnis ein.

Die Ukraine ist ein Kandidat für eine künftige NATO-Mitgliedschaft. Es liegt vor aller Welt offen, dass die NATO-Erweiterung die imperialistischen Ambitionen Russlands in der Region eindämmen soll. Das heißt, sie dient dazu, die russischen Kapitalistenklasse einzuschränken und forciert die Interessen des westlichen Imperialismus. Hätte die NATO nicht auf die Osterweiterung bestanden, stünden wir nicht vor einem weiteren möglichen Krieg in Europa. Aber dies ist gleichbedeutend mit der Aussage: Wenn die NATO kein Bündnis kapitalistischer Mächte wäre, die ihre eigenen Interessen verfolgen, wären wir nicht in dieser Lage. Der Kapitalismus ist ein System, das ab einem bestimmten Punkt unweigerlich zum Krieg führt. Wenn normale Beziehungen nicht mehr ausreichen, wenn die „friedliche Konkurrenz“ nicht mehr den Interessen der nationalen herrschenden Klassen dient, dann wird der Krieg zur nächsten Option.

Die verschiedenen „Farbrevolutionen“, die in den osteuropäischen Ländern seit 1989-91 stattgefunden haben, drückten nicht den Willen der Bevölkerungen dieser Länder aus. Sie waren das Ergebnis von Manövern des Westens. Dieser legte es darauf an, Regime zu errichten, die es ihm erleichtern, das verbliebenen Staatseigentum weiteren abzubauen, die Kontrolle über die lokalen Märkte zu erlangen und seinen Einflussbereich ausweiten. Gleichzeitig wurde der Einfluss Russlands zurückgedrängt. Das ist also kein Konflikt zwischen einem „demokratischen“ Westen und einem „diktatorischen“ Putin, sondern ein Kampf zwischen zwei gegensätzlichen imperialistischen Mächten um die Kontrolle über eine Region. Wann immer der westliche Imperialismus aggressiv agiert, schiebt er die Schuld auf einen Sündenbock und inszeniert sich als Kraft für „Frieden und Demokratie“.

Die Ironie der gegenwärtigen Situation besteht darin, dass Putin mit seinem Manöver den Eindruck erweckt, detailgenau einem von Washington geschriebenen Drehbuch zu folgen. So bezeichnete er die russischen Truppen, die in den Donbass einmarschieren, als „Friedenstruppen“. Man könnte meinen, Putin imitiert den US-Imperialismus, welcher vormals zynisch die Notlage der Kosovo-Albaner dafür ausnutzte, Serbien zu bombardieren. Serbien ist einen traditioneller Verbündeter Russlands. Jetzt nutzt Putin auf zynische Weise die Notlage der russischsprachigen Bevölkerung im Donbass, für einen Gegenschlag gegen die Ukraine und den Westen im Allgemeinen, aus. Währenddessen vergießen die USA und die europäischen Mächte Krokodilstränen über den Bruch des „Völkerrechts“. Doch dieses Konzept ist gegenüber den bestehenden Verhältnissen machtlos. Die internationalen Beziehungen werden in der Epoche des Imperialismus nicht durch das Recht, sondern durch wirtschaftliche und militärische Macht bestimmt.

In seiner langen Rede, in der er die Anerkennung der VRD und der VRL rechtfertigte, offenbarte Putin die reaktionäre, chauvinistische Ideologie hinter seiner Intervention. Er bezeichnete die Ukraine als künstliche Nation, welche durch Lenin und die Bolschewiki aus dem Körper Russlands herausgeschnitten worden sei. Er sagte, dass „die moderne Ukraine vollständig von Russland geschaffen wurde, genauer gesagt, vom bolschewistischen, kommunistischen Russland (…) Lenin und seine Mitstreiter taten das auf sehr grobe Weise mit Russland selbst – durch Sezession, indem sie Teile seiner eigenen historischen Territorien abtrennten. Natürlich hat niemand die Millionen von Menschen, die dort lebten, nach irgendetwas gefragt.“ Dem fügte er hinzu: „Und nun haben die ‚dankbaren Nachkommen‘ Lenin-Denkmäler in der Ukraine abgerissen. Sie nennen das Entkommunisierung. (Anm. d. Übers.: „Entkommunisierung“ meint die Tilgung von allem, was an die Sowjetunion erinnert) Sie wollen entkommunisieren? Nun, für uns ist das vollkommen in Ordnung. Aber sie sollten nicht, wie man so schön sagt, auf halbem Wege stehen bleiben. Wir sind bereit, Ihnen zu zeigen, was eine echte Entkommunisierung für die Ukraine bedeutet.“ Damit verdeutlicht Putin, seine politische Orientierung am alten Russischen Kaiserreich und stellt gleichzeitig die Existenz der Ukraine, die er als „Lenins Schöpfung“ betrachtet, in Frage.

Es ist offensichtlich, dass Putins Schachzüge nicht durch die Notlage der ethnischen Russen in der Ukraine oder der Bevölkerung im Donbass motiviert sind. Ausschlaggebend sind die Interessen der russischen Kapitalistenklasse, die darauf erpicht ist, die Rolle Russlands als Macht zu behaupten. Putins Eskalation spiegelt die nationalen Sicherheitsinteressen des kapitalistischen Russlands wider. Diese aggressive und reaktionäre Macht mit regionalen imperialistischen Bestrebungen, zeigt ihr hässliches Gesicht in Georgien, im armenisch-aserbaidschanischen Konflikt, in Weißrussland und Kasachstan sowie bei seiner Intervention in Syrien. Auch eine Rolle spielt Putins Bedürfnis, die eigene Popularität in Russland wieder zu stärken, die aufgrund wachsender sozialer Probleme und Armut rückläufig ist.

Warum hat Putin dies getan?

Putins Beweggründe und Begierden sind unmissverständlich offengelegt. In seinem Schreiben an die NATO forderte er Sicherheitsgarantien für Russland in Europa. Darunter fallen Garantien, dass die Ukraine niemals der NATO beitreten würde, dass Militärübungen an der russischen Grenze eingestellt und keine Mittelstreckenraketen stationiert werden. Das ist eine Reaktion auf die Osterweiterung der NATO nach dem Zusammenbruch des Stalinismus vor 30 Jahren. Damals war die russische Wirtschaft zerrüttet, was der US-Imperialismus nutzte, um den eigenen Einfluss in Osteuropa zu festigen. Jetzt spürt Russland, dass die Macht Washingtons relativ schwindet (insbesondere nach dem demütigenden Rückzug aus Afghanistan), und schlägt zurück.

Von Anbeginn dieses Konflikts offenbarte sich die relative Schwäche der USA. Trotz des ganzen Geredes über eine „bevorstehende Invasion“ hat US-Präsident Joe Biden von Anfang an klargestellt, dass er keine US-Truppen in der Ukraine einsetzen würde. Bereits nach der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 war der Westen untätig geblieben. Das war eine nachdrückliche Botschaft an Putin. In Bezug auf die Ukraine wurde ihm Narrenfreiheit gewährt, die nur begrenzte Konsequenzen nach sich ziehen würde: einigen Wirtschaftssanktionen aber keine militärische Vergeltung.

Das ist grundlegend ein reaktionärer Konflikt zwischen zwei Mächten. Auf der einen Seite der US-Imperialismus – immer noch die bei weitem mächtigste und reaktionärste Kraft auf dem Planeten – und seine Verbündeten. Auf der anderen Seite die reaktionären regionalen imperialistischen Bestrebungen Russlands. Die Arbeiterklasse weltweit hat daraus nicht zu gewinnen, wenn sie eine der beiden Seiten unterstützt.

Putin hat von Anfang an versucht, seine Ziele dadurch zu erreichen, dass er Russlands militärische Muskeln spielen ließ, Truppen an der Grenze aufstellte, gemeinsame Militärübungen mit Weißrussland und Raketentests durchführte und vieles mehr. Gleichzeitig versuchte er mit einigem Erfolg, die Spaltung zwischen den USA und ihren europäischen Verbündeten in Berlin und Paris zu verschärfen. Erwähnenswert ist, dass er bei seinem jüngsten Schritt den französischen Präsidenten Emmanuel Macron und den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz vorgewarnt hat, nicht aber Biden.

Die ganze Zeit bestanden er auf Verhandlungen zu seinen Bedingungen und darauf, dass der Westen den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj unter Druck setzen solle, die 2014 und 2015 ausgehandelten Minsker Abkommen umzusetzen. Das wäre bezüglich der Ukraine das von ihm bevorzugte Ergebnis gewesen. Das Minsker Abkommen sieht vor, dass die Volksrepubliken Donezk und Lugansk Teil der Ukraine bleiben, aber einen besonderen autonomen Status erhalten. Damit hätte sich Putin einen dauerhaften Einfluss innerhalb des Landes verschafft. Er könnte auch darauf spekuliert haben, dass Selenskyj mit einer Zustimmung zu diesen Bedingungen (die Poroschenko unterzeichnet hatte, als seine Offensive gegen den Donbass zusammenbrach), den Zorn der rechtsradikalen Nationalisten und ihrer Truppenverbände auf sich gezogen hätte, die vielleicht sogar seine Regierung gestürzt hätten.

Nebenbei zeigt sich damit, dass die Volksrepubliken für Putin nur „Kleingeld” sind, das er bereit ist zu opfern, um seine Ziele zu erreichen. Wir sollten nicht vergessen, dass der Aufstand im Donbass 2014 Teil einer weitaus größeren Bewegung war. Es war eine Reaktion auf die Machtübernahme einer Regierung in der Ukraine, die von paramilitärischen Neonazi-Organisationen unterstützt wurde und einen besonders reaktionären ukrainischen Nationalismus propagierte, der zutiefst antirussisch war und sich auf die Tradition der Nazi-Kollaborateure des Zweiten Weltkriegs berief.

Zu dieser Zeit fanden sich in den beiden östlichen Republiken alle möglichen politischen Strömungen zusammen. Angefangen bei solchen, die sich offen als Kommunisten bezeichneten, über diejenigen, deren Identität durch den sowjetischen Widerstand gegen die Nazis geprägt war, bis hin zu einigen offen reaktionären großrussischen Chauvinisten mit Nostalgie für das Russische Kaiserreich.

Im Laufe der Zeit wurden die Republiken jedoch wirtschaftlich als auch militärisch vollständig von Moskau abhängig. Unabhängigere und proletarische Persönlichkeiten wurden aus den führenden Kreisen gesäubert. Der Aufforderung Putins folgend ordneten die Führungen der beiden Republiken die Evakuierung der Zivilbevölkerung sowie die Mobilisierung aller Männer im kampffähigen Alter an. Dann reisten sie nach Moskau und baten um Anerkennung, die Putin natürlich respektvoll gewährte.

Diese Anerkennung ihrer „Unabhängigkeit“ durch Russland ist völlig bedeutungslos, da sie vollständig von Moskau abhängig sind. Die einzige wirkliche Änderung besteht darin, dass Putin erklärt hat, dass sie nicht mehr Teil der Ukraine sind.

Was hat sich geändert?

Als Reaktion auf Putins Forderungen haben die Vereinigten Staaten auf ganzer Linie eine aggressive Haltung eingenommen. Ständig beklagten sie eine „drohende“ russische Invasion in der Ukraine und weigerten sich, irgendwelche Zugeständnisse an Putins Forderungen zu machen. Ist man der große Tyrann auf dem Schulhof, darf man keine Schwäche zeigen, sonst gibt man jedem das Gefühl, sie könnten die eigene Position anfechten. Während Biden also nicht gewillt und nicht in der Lage war, Russland mit militärischen Maßnahmen zu konfrontieren, konnte er sich gleichzeitig nicht als Kompromissler die Blöße geben. Diese Blockade hat zur aktuellen Eskalation geführt.

Putin hat offensichtlich damit gerechnet, dass die westlichen Imperialisten trotz all ihrer scharfen Worte machtlos sind, ihn aufzuhalten. Die Reaktion des Westens bestand bisher in der Ankündigung von verschiedenen Sanktionen gegen Russland. Die Sanktionen der EU richten sich gegen alle, die mit den beiden abtrünnigen Republiken Handel treiben. Das Problem ist natürlich, dass alle 27 EU-Mitgliedsstaaten zustimmen müssen, und es eindeutig Meinungsverschiedenheiten unter ihnen gibt, wobei Länder wie Italien, Österreich und Deutschland sehr besorgt über die Gaslieferungen sind. Russland liefert 40 Prozent des EU-Gasverbrauchs. In ganz Europa wächst bereits der Unmut über den enormen Anstieg der Energiekosten, der Millionen von Menschen in diesem Jahr in Rechnung gestellt wird. Die jüngsten Entwicklungen treiben den Gaspreis weiter in die Höhe, ebenso den Preis für Rohöl, denn auch davon ist Russland ein wichtiger Produzent.

Der britische Premierminister Boris Johnson braucht dringend eine Ablenkung von seinen eigenen innenpolitischen Problemen, da seine Beliebtheit in den Meinungsumfragen angesichts der wachsenden sozialen Unzufriedenheit sinkt. Er hat viel Lärm um die Verteidigung der Ukraine gemacht und nun angekündigt, dass Großbritannien das Vermögen von drei russischen Oligarchen einfrieren und Sanktionen gegen fünf russische Banken verhängen wird.

In der Zwischenzeit hat Biden Sanktionen angekündigt, die neue Investitionen, Handel und Finanzierungen für Personen aus den USA mit den Gebieten in der Ukraine verbieten würden, die jetzt unter der Kontrolle der von Russland unterstützten Separatisten stehen. Thomas Graham, der unter George W. Bush im Nationalen Sicherheitsrat des Weißen Hauses für Russland zuständig war, erklärte jedoch, dass diese Sanktionen, „wenn überhaupt, nur wenig Einfluss auf das weitere Vorgehen Russlands haben werden“. Sie wären den Sanktionen sehr ähnlich, die gegen Russland nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 verhängt wurden, mit ähnlich geringen Auswirkungen auf Putin!

Putin weiß um die Schwäche des ukrainischen Regimes. Es ist schwer zu sagen, was die nächsten Schritte sein werden, nachdem er nun Truppen in die beiden Republiken geschickt hat. Ein Krieg ist die komplizierteste aller Gleichungen, und hat er erst einmal begonnen, ist sein Ausgang letztendlich nicht vorhersehbar. Putin wird bei jeder Wendung der Ereignisse Bilanz ziehen und seinen nächsten Schritt entsprechend berechnen müssen.

In früheren Artikeln hielten wir einen ausgewachsenen Krieg zwischen Russland und der Ukraine für die unwahrscheinlichste Perspektive. Was hat sich also geändert? Putin rechnete damit, dass die USA und die Europäer eher Zugeständnisse machen würden, als sich der Möglichkeit eines äußerst destabilisierenden Krieges in Europa zu stellten. Er drängte auf die Umsetzung des Minsker Abkommens. Doch das vom US-Imperialismus dominierte NATO-Bündnis war nicht gewillt nachzugeben und Putins Forderungen zu erfüllen. Ihrer Ansicht nach würde jedes Zugeständnis Russland stärken, und genau das wollen sie vermeiden. Vor allem die Vereinigten Staaten weigerten sich, in der Frage der NATO-Erweiterung nachzugeben.

Das stellte Putin vor die Wahl, seine Drohungen entweder wahr zu machen oder sich zurückzuziehen. Da seine früheren Drohungen gescheitert waren, blieb ihm nur die Möglichkeit, den Wetteinsatz zu erhöhen und einen Vorwand zu finden, Truppen in die beiden losgesagten Republiken zu entsenden. Mit der Entsendung von Truppen in die beiden Republiken hat, hat Putin den Vorteil, dass viele der Menschen dort die russischen Truppen willkommen heißen werden. Und einmal angekommen, könnte er seine militärische Anwesenheit im Gebiet für Verhandlungen aus einer stärkeren Position heraus nutzen. Würde Putin jedoch in die gesamte Ukraine einmarschieren, könnte sich dies als sein Verhängnis erweisen, denn er wäre mit einem ganzen Volk konfrontiert, das nicht von Russland beherrscht werden möchte.

Nein zum Krieg! Der Feind steht im eigenen Land!

Offensichtlich hat Putin darauf gedrängt, dass der Westen sich an den Tisch setzt und die von ihm geforderten Zugeständnisse macht. Aber der Westen, insbesondere die USA, unterstützt von ihren Schoßhunden in der britischen Regierung, hat sich geweigert. Das erklärt, warum Putin schließlich beschloss, dass er keine andere Wahl hatte, als die Spannungen zu erhöhen. Wird er sich darauf beschränken, die Territorien der beiden abtrünnigen Republiken zu halten, oder wird er weiter in die Ukraine vordringen?

Leonid Kalaschnikow, Vorsitzender des Duma-Ausschusses für Angelegenheiten der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), wies darauf hin, dass die anerkannten Volksrepubliken Lugansk und Donezk die gleichnamigen Verwaltungseinheiten (Oblaste) umfassen – die Separatisten kontrollieren jedoch nur einen Teil dieser Regionen. Daher könnten sie beanspruchen, dass sich ihre Staatlichkeit auch auf die noch nicht kontrollierten Teile dieser Verwaltungseinheiten erstreckt. Kalaschnikow erklärte, dass das geschlossene Abkommen über die diplomatische Anerkennung der Volksrepubliken nicht vorsehe, „wie diese Grenzen wiederhergestellt werden sollen“, und dass es nicht im Zuständigkeitsbereich der russischen Regierung liegen würde, „was die VRL und die VRD dafür tun werden“.

Dies lässt eindeutig die Option offen, über ein Vordringen über die derzeitigen losgesagten Gebiete hinaus, und eröffnet das mögliche Szenario einer direkten Konfrontation zwischen ukrainischen und russischen Streitkräften. Der Westen hat bereits damit begonnen, Sanktionen zu verhängen. Was könnte die NATO also noch tun, wenn Putin weiter in die Ukraine vordringt, um das derzeitige Regime zu stürzen? Aus rein militärischer Sicht könnte Russland die Ukraine recht leicht besiegen, und keine europäische Macht hat die Absicht geäußert, eigenen Soldaten vor Ort einzusetzen. Doch während die Anwesenheit russischer Streitkräfte in der Bevölkerung der losgesagten Republiken auf Sympathie stößt, wäre es für Putin ein ganz anderes Szenario, in das Herz der Ukraine vorzudringen, wo er auf breiten und massiven Widerstand stoßen würde. Dies würde es äußerst schwierig und kostspielig machen, Gebietsgewinne zu halten.

Die Kiewer Regierung wird nun unter enormen Druck geraten. Aus ihrer Sicht ist das ukrainische Territorium zwar formell überfallen worden, aber sie kann nicht viel tun. Die Krim wurde vor acht Jahren annektiert und bleibt trotz der gegen Russland verhängten Sanktionen Teil der Russischen Föderation. Das letzte Mal, als Kiew im Donbass Krieg führte, wurde es besiegt und niemand kam ihm zu Hilfe. Die Ukraine hat eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats beantragt, aber es ist zweifelhaft, dass dieses Gremium das Vorgehen Russlands überhaupt verurteilen wird, da Russland in diesem Gremium ein Vetorecht hat. In der Zwischenzeit könnte die Ohnmacht Selenskyjs seine schwache Regierung irgendwann zu Fall bringen.

Was die relative Schwäche des US-Imperialismus unterstreichen, ist dessen erste praktische Reaktion. Alle verbliebenen Mitarbeiter des US-Außenministeriums wurden aus der Ukraine abgezogen und bereits vorher wurde die ukrainische US-Botschaft aus Kiew nach Lemberg in Polen verlegt! Es muss sehr beruhigend auf Selenskyj gewirkt haben, zu erfahren, wie weit der Marionettenspieler in Washington bereit ist, die Ukraine vor einer russischen Aggression zu schützen.

Derweil bleibt Putins Ziel unverändert. Russland soll als Regionalmacht anerkannt werden und Garantien erhalten, dass sein „nahes Umland“ keine Bedrohung für seine Interessen darstellen wird. Es ist unwahrscheinlich, dass er das Territorium der Republiken Donezk und Lugansk aufgibt, aber er könnte noch weiter gehen. Die aktuelle Situation wird sich fortwährend entwickeln und muss aufmerksam verfolgt werden.

Aus Sicht der Arbeiterklasse der Ukraine und Russlands ist nichts gelöst und nichts gewonnen. Als Putin sagte, die Ukraine sei eine Schöpfung Lenins, hatte er völlig Unrecht, denn die komplexe nationale Identität der Ukraine bestand schon vor 1917. Aber es war Lenins umsichtige Politik in Bezug auf die nationale Selbstbestimmung (eine Frage, in der er mit Stalin in Konflikt stand), die den Zusammenschluss der Sowjetukraine mit Sowjetrussland auf gleichberechtigter, freiwilliger Basis ermöglichte. Die Gründung der UdSSR 1922 vor genau 100 Jahren bestätigt das. Nur in diesem Sinne kann man sagen, dass die Ukraine mit ihren heutigen Grenzen von Lenin geschaffen wurde und nun von reaktionären ukrainischen Nationalisten, die nach dem Euromaidan an die Macht gekommen sind, zerstört wurde.

Die arbeitenden Menschen in der Ukraine und in Russland sind durch starke historische Bande verbunden, die jedoch insbesondere seit 2014 durch das Gift des reaktionären ukrainischen Nationalismus und des großrussischen Chauvinismus geschwächt wurden. Das Land befindet sich im Bürgerkrieg, und Millionen sind aufgrund der Wirtschaftskrise zur Emigration gezwungen.

Der einzige Ausweg für die Arbeiterklasse ist der Sturz der parasitären kapitalistischen Oligarchie, die das Land in den letzten 30 Jahren im Interesse ihrer privaten Bereicherung regiert hat. Und natürlich muss ihr gesamter Reichtum enteignet werden. Nur wenn die Arbeiter an die Macht kommen, kann die Ukraine wirklich frei sein und die Arbeiterklasse über Sprach- und nationale Identitätsgrenzen hinweg auf freiwilliger Basis vereinigt werden.

Die Hauptaufgabe der Arbeiter im Westen besteht darin, sich den eigenen reaktionären imperialistischen herrschenden Klassen entgegenzustellen, die die Flammen des Konflikts schüren. Die Hauptaufgabe der Arbeiter in Russland besteht darin, sich ihrer eigenen reaktionären herrschenden Klasse zu widersetzen, die Putins regionale Machtambitionen vorantreibt. Die Hauptaufgabe der Arbeiter in der Ukraine besteht darin, sich ihrer eigenen kapitalistischen Oligarchie entgegenzustellen, die das Land in einen Bürgerkrieg gestürzt hat, während sie ihren unrechtmäßig erworbenen Reichtum im Ausland bunkert.

Friede den Hütten! Krieg den Palästen!

Von Jorge Martin und Fred Weston, IMT
22. Februar 2022

Bild: Kremlin.ru, Wikimedia Commons