Bei den Präsidentschaftswahlen folgte der 87jährige Giorgio Napolitano sich selbst als Staatsoberhaupt. Auf die Regierung der „nationalen Einheit“ von Mario Monti folgt eine „Regierung des Präsidenten“, die von denselben Parteien unterstützt wird, die schon bisher die Regierung stützten und bei den letzten Wahlen 10 Millionen Stimmen verloren.

Die Märkte feiern, die Börsenkurse steigen wieder. Die Euphorie der Bürgerlichen ist auchBersani Pianto vollauf gerechtfertigt, weil sie wissen, dass das Programm der neuen Regierung dort fortsetzt, wo Monti aufhörte: Milliardengeschenke an die Unternehmen und massive Kürzungen beim Sozialstaat. Bis 2016 sollen die Staatsausgaben um 15 Mrd. Euro gekürzt werden, durch Immobilienverkäufe will der Staat 30 Mrd. Euro zusätzlich lukrieren. Auf diesem Weg soll die Zielvorgabe des Fiskalpakts erreicht werden.

Die Regierung des Präsidenten

Es hat sich also nichts verändert, aber trotzdem ist alles anders. Die Wiederwahl von Napolitano wurde notwendig, um die unmittelbare Auflösung der Demokratischen Partei (DP) zu verhindern. Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Partei die jüngsten Parlamentswahlen gewonnen hat und eigentlich die Regierung hätte bilden sollen. Schon im Vorfeld der Präsidentschaftswahl zeigte sich, dass das politische System in einer Sackgasse feststeckt. Bersani (DP) scheiterte bei der Bildung einer Koalitionsregierung. So musste erstmals seit 1945 der abtretende Präsident eine zweite Amtsperiode (weitere 7 Jahre) auf sich nehmen – und das im Alter von 87 Jahren! Mit anderen Worten: Italien rutscht immer mehr in Richtung einer Präsidialdemokratie, was im Rahmen der Verfassung auch möglich ist. Wenn es aus Sicht des Kapitals notwendig wird, dann wird aber auch die Verfassung umgangen werden, wie wir erst beim Beschluss des von der Troika erzwungenen Stabilitätspakts gesehen haben.
Dass dieser Schachzug notwendig war, legt aber auch die grundlegenden Schwächen des Bürgertums offen. Es verfügt über keine Partei, die vollständig seine Interessen vertritt. Aber darüber hinaus ist es nicht einmal imstande eine Koalition verschiedener Parteien zu schmieden, die eine halbwegs stabile Regierung bilden könnten. Die Ehrerbietungen der Parlamentarier für „König Giorgio“ Napolitano bringen zum Ausdruck, dass das politische System vor einer handfesten Krise steht. Die zweite Amtsperiode von Napolitano an der Staatsspitze markiert nur den Beginn einer neuen Phase dieser Krise.
Napolitano, der als Repräsentant des rechten Flügels dessen zu sehen ist, was eins die KPI war, hat in seiner Antrittsrede vor allem die „nationale Einheit“ beschworen. Diese sei die einzige Möglichkeit sozialen Unruhen vorzubeugen. Den Gegensatz zwischen der „Piazza“ und dem Parlament, zwischen dem Protest auf der Strasse und den staatlichen Institutionen, bezeichnete er als grosse Gefahr, der man nur durch den Dialog aller politischen Kräfte beikommen könne.

Der Schmäh von der “nationalen Einheit”

Die Erfahrung lehrt uns, wohin uns „Dialog“ und „nationale Einheit“ führen: Zur völligen Aushöhlung des Arbeitsrechts, des Sozialstaates, des öffentlichen Pensions- und Gesundheitssystems, des Bildungswesens. Das ist das Resultat der letzten 18 Monate unter der Regierung Monti.
Diese Austeritätspolitik wurde beim letzten Urnengang von Millionen Menschen zurückgewiesen. Umso befremdlicher ist es, wenn die Gewerkschaftsspitzen in den letzten Monaten nichts dazu gelernt haben und Napolitano weiter die Stange halten. Susanna Camusso (CGIL) wird mit der Industriellenvereinigung und den rechten Gewerkschaften (CISL, UIL) Verhandlungen aufnehmen, wie sich die „Sozialpartner“ eine Lösung der politischen Krise vorstellen können. Dabei akzeptiert die CGIL in ihrem Positionspapier auch die Auflösung der Kollektivverträge, einem Herzstück des Programms an Konterreformen der Bürgerlichen. Für den 1. Mai, den Kampf- und Feiertag der Arbeiterschaft, planen mehrere Arbeiterkammern sogar gemeinsame Feiern mit der Industriellenvereinigung!
Die Gewerkschaftsführung kopiert somit die „nationale Einheit“, die auf politischer Ebene derzeit vorherrscht, auch auf der Ebene der Klassenbeziehungen in der Wirtschaft. Die CGIL war schon unter Monti hauptverantwortlich dafür, dass trotz massiver Angriffe auf den Lebensstandard der Lohnabhängigen der „soziale Friede“ aufrechterhalten blieb. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Widersprüche offen aufbrechen. Die Krise der Demokratischen Partei ist der beste Beweis dafür, dass die Interessen der Unternehmer und der Arbeiterschaft nicht dauerhaft in Einklang zu bringen sind. Eine Spaltung der Demokratischen Partei wird immer wahrscheinlicher. Teilen der DP-Spitze ist ganz einfach bewusst, dass sie nicht mit Berlusconi gemeinsam regieren können, weil das ihr politisches Ende bedeuten würde. Ein anderer Sektor sucht gezielt eine Koalition mit der PdL, weil er sich davon bessere Karrierechancen erhofft. Diese beiden Ansätze sind unvereinbar. Das Ende der Demokratischen Partei, wie wir sie bisher kannten, bedeutet das völlige Scheitern des Weges, den die reformistische Linke in den letzten zwei Jahrzehnten verfolgt hat. Diese Entwicklung ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung und als extrem positiv zu bewerten. Wer weiter an diesem Konzept festhält, der ist zur Bedeutungslosigkeit verdammt.

Für eine klassenorientierte Linke, für eine revolutionäre Alternative

Die Linke kann sich nur in der Opposition regenerieren: Das ist ein notweniger Ausgangspunkt, aber alles andere als ausreichend. Wichtig ist jetzt vor allem eine unmissverständliche Ablehnung des von Napolitano vertretenen Konzepts der „nationalen Einheit“. Wir müssen den Gegensatz zwischen Piazza und Parlament vorantreiben. Nur über den sozialen Konflikt kann die Arbeiterbewegung in diesem Land wieder zu neuer Grösse gelangen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Sturm losbricht. Darauf müssen wir uns jetzt vorbereiten. Die Erfahrung aus dem Rest Europas (v.a. Griechenland und Spanien) zeigt uns, dass es die Massenmobilisierungen sind, die die Linke stärken und in den Augen von Millionen zu einer glaubwürdigen Alternative werden lassen.
Der Klubvorsitzende kleinen Linkspartei „Sinistra ecologia e libertà“ (einer Abspaltung der Rifondazione comunista, Anm.), Gennaro Migliore, unterstrich bei Bekanntgabe seiner Ablehnung einer Regierung „der nationalen Einheit“, dass seine Partei „keine Anti-System-Kraft ist“. Aber genau eine solche Kraft würde es jetzt brauchen. Es braucht angesichts von Dutzenden Werksschliessungen und dem Verlust tausender Arbeitsplätze ein Programm, das das kapitalistische System in Frage stellt. Auf Massenentlassungen kann es nur eine Antwort geben: Enteignung und Weiterführung der Produktion unter Arbeiterkontrolle. Die Banken gehören angesichts von Skandalen wie bei der Montepaschi Siena (MPS) vergesellschaftet. Der Sozialstaat muss verteidigt und ausgebaut werden, weil nur so die ausufernde Armut beseitigt werden kann. Die dafür nötigen Ressourcen müssen wir uns von den Banken und Konzernen holen.
Ein revolutionäres Programm ist jetzt notwendiger denn je. Wir brauchen keine Allerweltslinke, sondern eine Linke mit einer klaren Orientierung auf die Arbeiterklasse, die sich im Klassenkampf neu aufbaut. Die Partei von Beppe Grillo, Movimento cinque stelle (M5S), kann diese Rolle nicht erfüllen, versteht sie sich doch selbst als klassenübergreifende Bewegung. 
Am 25. April wird auf den Plätzen aller grösseren italienischen Städte der Befreiung vom Faschismus gedacht, aber auch um gegen den x-ten Gewaltakt der Unternehmer und ihrer Parteien im Parlament, den wir in den letzten Tagen beobachteten, zu protestieren. 1945 konnten sich die ArbeiterInnen und PartisanInnen nur mit den Mitteln des kompromisslosen Kampfes von der Tyrannei des Nazifaschismus befreien. Wer ihrem Beispiel folgen will, der muss ihr Werk fortsetzen und zu Ende führen: Befreien wir uns von der Tyrannei des Kapitals!

Quelle: Falce Martello