In Griechenland finden am 17. Juni erneut Wahlen statt, dies nachdem die Regierungsbildung nach den Wahlen vom 6. Mai in der dritten Runde gescheitert ist. Alles deutet darauf hin, dass die Koalition der radikalen Linken Syriza unter dem Vorsitzenden Alexis Tsipras die Wahlen mit über 30 Prozent Wähleranteil gewinnen wird und durch die Sonderregelung im griechischen Wahlrecht, das für die Wahlsiegerin 50 Extramandate vorsieht, mit Abstand die grösste Fraktion stellen wird.

Die Umfragen prognostizieren, dass die Nea Dimokratia nach der Syriza bei den Wahlen vom 17. Juni zweitstärkste Kraft wird. Auch in den Medien sind die beiden Parteien am besten vertreten. Die ND verharrt trotz des Wiederanschlusses zweier Kleinstabspaltungen bei rund 25 Prozent. Sie führt einen Wahlkampf der Vernunft, also Spardiktat der Troika oder Chaos. Ihre 180-Grad-Wendung in den letzten Monaten ist bemerkenswert, denn sie verspricht den WählerInnen, die Sparpolitik mit der EU neu aushandeln zu wollen, die sie unter der Vorgängerregierung noch ohne Widerrede unterstützte. Die Pasok als ehemalige staatstragende Partei, die als Hauptverursacherin der griechischen Krise wahrgenommen wird, wird vermutlich unter die 10 Prozentmarke abrutschen und weitere Stimmen an die Syriza verlieren. Ebenfalls hat sie ihre ehemals breite Basis innerhalb der Gewerkschaften derart verärgert, dass sie sich auf dies kaum mehr stützen kann. In der grössten stalinistischen Partei Europas, der KKE, brodelt es massiv und es ist schwierig, den WählerInnen zu erklären, warum sie Ende der 80er Jahre eine Koalition mit der Nea Dimokratia eingegangen sind und sich heute nicht an einer linken Regierung beteiligen wollen. Aller Voraussicht nach wird sie nicht einmal ihre Wählerstimmten vom 6. Mai (8.5%) halten können. Immer stärker zeichnet sich auch für ihre Basis ab, dass ihre nationalistische Politik gegen die „Monopole“ und deshalb für den Austritt aus der EU und dem Euroraum zum jetzigen Zeitpunkt in eine Sackgasse verläuft und zu einer gigantischen sozialen Katastrophe führen wird. Es ist anzunehmen, dass kurz vor den Wahlen weitere Wähler zur Syriza überlaufen werden und dass die KKE während der Regierungsverhandlungen gänzlich an Glaubwürdigkeit verliert und nicht mehr geschlossen, wie noch im Wahlkampf, auftreten kann. Trotzdem verfügt sie gerade in industriellen Zentren mit der ebenfalls extrem sektiererischen kommunistischen Gewerkschaft PAME und der Jugendorganisation KNE über eine relativ breite Basis. Eine Koalition von Syriza und KKE ist praktisch ausgeschlossen, da die KKE Tsipras als ehemaliges KNE-Mitglied als Verräter sieht und im Wahlkampf auf Plakaten die Syriza als Handlanger der Pasok, der ND und der Troika beschimpft. Viel eher kommt eine Koalition mit der rechten Abspaltung von Synaspismos der Dimokratiki Aristera um Fotis Kouvelis in Frage, die sich aber mit der Zusage zu einer Regierung der nationalen Einheit während der Koalitionsverhandlungen in der Woche nach dem 6. Mai viel Wählergunst verspielt hat.

In den bürgerlichen Medien wurde nach dem Einzug der faschistischen Partei Goldene Morgenröte ins Parlament immer wieder vor einer faschistischen Diktatur gewarnt. Natürlich ist es so, dass die Partei viele Protestwählerstimmen gewinnen konnte. Sie liegt bei den aktuellen Umfragen aber wieder weit zurück, bei etwa der Hälfte der Stimmen der Wahlen am 6. Mai (7 %). Sie stellt zum jetzigen Zeitpunkt keine Gefahr dar, da durch die griechische Geschichte, der Nazibesetzung Griechenlands und der späterfolgenden faschistisches Militärjunta, und unter dem jetzigen Kräfteverhältnis ihre Politik kaum auf fruchtbaren Boden fällt. Viel eher muss sie sich damit begnügen, älteren Menschen über die Strasse zu helfen, als dass sie grosse Massen mobilisieren kann. Ihre Basis sind vor allem privilegierte Schichten des Staatsapparats und so hat sie, wie beispielsweise das Mouvement citoyens genevois, starke Verankerung im Polizeiapparat, der sich vor allem im Bereich der Bereitschaftspolizei in ländlichen Regionen, wie auf der Pelopones Halbinsel, aus ehemaligen Anhängern der Junta rekrutiert. Im Gegensatz zum Polizeiapparat ist das Militär nicht mit dem der Militärregierung von 1967 zu vergleichen. Der griechischen Milizarmee können sich nur die Privilegiertesten entziehen und so ist ihre Verankerung in der Bevölkerung zu tief, als dass sich die Generäle offen gegen eine linke Regierung aussprechen könnten. Vielmehr gibt es bei den Soldaten und den mittleren Kadern viele Linke aus Arbeiterfamilien, die offen mit Hugo Chávez sympathisieren. Man kann deshalb auch von einem klugen Schachzug von Alexis Tsipras sprechen, der sich am 29. Mai mit Militärs getroffen hat und über Kürzungen im Militärbudget gesprochen hat, die sich jedoch nicht auf die Schlagkraft des Militärs niederschlagen sollen. Vielmehr sprach er sich für eine Reorganisation und gegen die Korruption und die Vetternwirtschaft in der Armee aus. Dabei verlangte er ebenfalls die Verstaatlichung der Rüstungsindustrie, damit das Militär die Nation und ihre Errungenschaften besser verteidigen könne. Auch wenn der CIA und europäische Geheimdienste vielleicht hinter den Kulissen über einen Militärputsch diskutieren, ist dieses Szenario zum jetzigen Zeitpunkt höchst unwahrscheinlich. Vielmehr versuchen sie, politisch über die EU und ökonomisch über Banken, IWF und Europäische Zentralbank Druck auf Griechenland auszuüben oder gar eine neue Regierung in die Knie zu zwingen.

Pierre Moscovici, der neue französische Finanzminister, sprach wie bereits Wolfgang Schäuble anfangs Woche über einen möglichen Austritt Griechenlands aus der Eurozone nach den Wahlen. Diese Machtdemonstration zeigt vielmehr das wahre Gesicht der Regierung Hollande und ist ein klares Signal, dass sich die EU noch stärker in den griechischen Wahlkampf einmischen will. Sie ergreift dadurch offen Position für den Kandidaten Andonis Samaras der Nea Dimokratia, der wie bereits erwähnt den Wahlkampf zur Schicksalsfrage über Verbleib in der Eurozone hochstilisiert. Es erscheint momentan eher als ein mit der EU abgesprochenes Vorgehen, um einen Sieg einer Linken in letzte Minute zu verhindern. Tatsächlich ist ein Ausscheiden Griechenland aus der Eurozone, wie es auch die KKE fordert, juristisch nicht vorgesehen und kann nur einseitig von Griechenland ausgelöst werden. Die Folgen wären die sofortige Pleite aller griechischen Banken und das totale Verarmen der Bevölkerung. Momentan sieht es danach aus, dass die EU nach einem linken Wahlsieg und einem nicht Kooperieren der neuen Regierung, Griechenland in irgendeiner Form abstrafen wird, um die neue Regierung unter Druck zu setzen. Ein sofortiger Bankrott oder der Ausschluss aus der Eurozone sind jedenfalls Szenarien, die nicht ohne massive Folgen für die EU, im speziellen für die anderen PIIGS-Staaten und die gesamte Weltwirtschaft wären und deshalb für die Troika nur als letztes Mittel infrage kommen. Deshalb ist ein sofortiger Ausschluss aus der Eurozone oder der Bankrott Griechenlands, der von verschiedenen Seiten angedroht wird, direkt nach den Wahlen eher unwahrscheinlich.

Die Syriza, die nach wie vor ein Bündnis aus Kleinstparteien unter der Führung von Synaspismos ist, veranstaltet in diesen Tagen täglich öffentliche Veranstaltungen, die regen Anklang finden. An den Veranstaltungen nehmen neben Parteimitgliedern auch viele ehemalige Pasok-Wähler, frustrierte KKE-Mitglieder und die Bevölkerung aus den Quartieren und Dörfern teil. Vieles deutet darauf hin, dass aus dem Parteienbündnis eine starke Massenpartei mit einer aktiven Jugend entsteht. Im Rahmen einer grösseren Veranstaltung stellte Tsipras und die Führung der Syriza am 1. Juni das Wirtschaftsprogramm für die zukünftige Regierung vor. Dies sieht bemerkenswerte Punkte vor. So fordert das Bündnis die Verstaatlichung aller Banken, die vom Staat gestützt wurden, eine Reichensteuer und ein Vermögensregister aller Bürgerinnen und Bürger. Ebenfalls soll die Privatisierung von staatlichen Betrieben gestoppt werden und Privatisierungen rückgängig gemacht werden. Weiter sollen die durch die Troika verordneten Kürzungen des Mindestlohns und die Erhöhung der Mehrwertsteuer und andere Massensteuern rückgängig gemacht werden. Arbeitslosengelder sollen von ein auf zwei Jahren verlängert werden. Tsipras liess auf dieser Veranstaltung verlauten, dass das erste Geschäft einer neuen linken Regierung die Annullierung der von der EU auferlegten Sparmassnahmen und der Gesetze zu ihrer Umsetzung sei. Es wird sich zeigen, ob sich Tsipras dem Diktat der EU und des IWF entziehen kann, denn das von der Syriza aufgestellte Programm tönt zwar vielversprechend, wird aber aufgrund der schwierigen finanziellen Situation schwierig umzusetzen sein, weil das Land am Tropf von Deutschland und anderen EU-Staaten hängt. Falls er es aber nicht macht, wird der Druck der Parteibasis und von der Strasse ihm den Weg weisen.

Wir unterstützen die Syriza kritisch und werden die Prozesse in Griechenland gespannt verfolgen und unsere Einschätzungen auf der Homepage publizieren. Die Marxistinnen und Marxisten in der Syriza, die unsere Schwesternzeitung „Epanastasi“ herausgeben, werden am 6. Juni in Athen mit einer öffentlichen Veranstaltung ihr sozialistisches Programm für einen allfälligen Wahlsieg der Syriza vorstellen. Dieses Programm werden wir in der nächsten „Funke“-Ausgabe, die anfangs Juli erscheint, mit einem Schwerpunkt zu Griechenland vorstellen.