Die Wahl in Griechenland ist geschlagen. Warum SYRIZA gewann und was das für die  von Verelendung bedrohten Massen in Griechenland bedeutet, analysiert Mario Wassilikos.

TsiprasBei der griechischen Parlamentswahl am Sonntag, dem 20. September, erreichte SYRIZA 35,46 % der Wählerstimmen und ist somit Siegerin. Alexis Tsipras setzt die Koalition mit der nationalistischen ANEL fort und kündigte an, das Austeritätsdiktat der Troika zu erfüllen. Der Applaus von Jeroen Dijsselbloem, dem niederländischen Finanzminister und Vorsitzenden der Euro-Gruppe, und seinem deutschen Kollegen Wolfgang Schäuble, der die mächtigste nationale Kapitalfraktion der EU vertritt, ist ihm sicher. Die Bedürfnisse der Banken- und KonzerneigentümerInnen scheinen gerettet zu sein. Mit einer knappen Mehrheit von 155 von 300 Sitzen will die neue alte Regierung das soziale Massaker in Griechenland fortführen. Unterstützt wird sie im Parlament von der konservativen ND (28,10 %), mit der sie schon am 14. August das neue Memorandum durchpeitschte.

Warum schenkten die GriechInnen SYRIZA ihr Vertrauen, obwohl sie in das Lager der ApologetInnen und UnterstützerInnen des Austeritätsterrors übergelaufen war? Zunächst ist dazu festzustellen, dass die stärkste „Partei“ die der NichtwählerInnen ist. Eine Wahlbeteiligung von nur 56,57 % der Stimmberechtigten drückt die starke Ablehnung gegenüber der bestehenden politischen Szenerie aus. Das sind etwa 7 % weniger als bei der Parlamentswahl vom 25. Januar. So hat SYRIZA mit einem Verlust von ca. 300.000 Stimmen gewonnen. Oder anders gesagt: Nur 19,14 % der Wahlberechtigten haben sie tatsächlich gewählt.

Trotzdem ist das angesichts des Verrats an den vom Elend bedrohten griechischen Massen noch ein beachtlicher Anteil. Viele ArbeiterInnen und Verarmte votierten für SYRIZA. Ihre politische Inszenierung als glaubwürdige Anti-Establishment-Partei, die mit dem „alten politischen System“ mit seinen „korrupten Eliten“ aufräumen will, ist offensichtlich aufgegangen. Hinzu kommt die Hoffnung, dass unter Tsipras die geplanten harten Austeritätsmassnahmen gemildert werden könnten. Doch diese Blase wird platzen. So soll laut dem neuen Memorandum die Mehrwertsteuer für unzählige Güter erhöht werden. Dazu kommen noch weitere Auflagen für die Auszahlung des neuen „Hilfspakets“: Aufhebung der Mehrwertsteuer-Erleichterungen für die griechischen Inseln, schrittweise Anhebung des Pensionsantrittsalters,

Rentenkürzungen, gestufte Abschaffung der Frühpensionen, Aufweichung des Branchen-Tarifvertragssystems durch Forcierung individueller Arbeitsverträge inklusive „Flexibilisierung“ der Löhne und Arbeitszeiten, arbeitsrechtliche Legalisierung von Massenentlassungen, massive Privatisierungen (besonders im Energieversorgungsbereich). Der beschlossene Zwang zur Generierung eines jährlichen Primärüberschusses im griechischen Staatshaushalt trotz Rezession wird zu weiteren harten Einsparungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Soziales führen. Doch von den 86 Milliarden Euro, die fliessen sollen, wird nur ein Bruchteil, etwa 11 Milliarden, direkt in der griechischen Volkswirtschaft landen. Der Rest dient zur Rekapitalisierung der Banken Griechenlands und zur Schuldenrückzahlung. Damit dieses Programm zur Verelendung der Massen zugunsten der Kapitalinteressen auch tatsächlich umgesetzt wird, wurde eine 20-köpfige Task-Force geschaffen. Ihr Auftrag ist die Intervention in die Regierungsarbeit und Gesetzgebungstätigkeit im Sinne der Troika. So wird Griechenland zu einer fremdbestimmten Halbkolonie, diktiert von den Interessen des EU-Grosskapitals.

Ein weiterer wesentlicher Faktor für SYRIZAs Wahlsieg ist die Unfähigkeit der Parteien und Bündnisse der antikapitalistischen Linken, der starken Tendenz zur Radikalisierung der griechischen Arbeiterklasse, die in den letzten Jahren über 30 Generalstreiks durchführte, einer als konsequente Anti-Austeritätskraft auftretenden Partei zur Macht verhalf und mit einem klaren OXI (Nein) gegen weitere Sparmassnahmen beim Referendum vor zweieinhalb Monaten stimmte, einen politischen Ausdruck zu geben. Während die KKE (5,55 %) ihren Mandatsstand (15) halten konnte, ist die grosse Verliererin die LAE (Volkseinheit). Mit 2,86 % der Stimmen verpasste die SYRIZA-Linksabspaltung knapp den Einzug ins Parlament, für den mindestens 3 % nötig gewesen wären. Die Hauptgründe dafür: Einerseits wird die Führung der LAE um Panagiotis Lafazanis noch immer mit der alten SYRIZA-Regierung verbunden. Zu wankelmütig, unklar und widersprüchlich war ihre damalige Politik gegenüber dem Tsipras-Flügel. So begegnen ihr die Massen zu Recht mit einer gewissen Skepsis. Andererseits vertritt die LAE-Führung die Illusion, dass das Verlassen des Euros, der EU und der NATO sowie die Rückkehr zu einer eigenen nationalen Währung, der Drachme, die sozialen Probleme lösen könnten. Das ist natürlich utopisch. So hebt der ehemalige Finanzminister Yanis Varoufakis richtig hervor, dass Griechenland zur Zeit der Drachme auch kein sozialistisches Land gewesen ist.

Was es nun braucht, ist die entschlossene Vorbereitung auf die neuen, grossen Klassenkämpfe, die auf Griechenland angesichts des neuen Abkommens mit der Troika zukommen. Dieses wird die kapitalistische Barbarei noch weiter verstärken. Permanente Arbeitslosigkeit, Auflösung der Gemeinwesen zugunsten privater Investoren, Armut, Hunger, Depression und Krankheit drohen zu normalen Erscheinungen zu werden, die das Leben vieler Menschen zerstören. Eine radikale politische Neuorientierung ist daher nötig. Die gegen die Austerität kämpfende Linke braucht dazu ein klares antikapitalistisches, revolutionär-sozialistisches Programm, frei von reformistischen Illusionen, die alle in der Realität gescheitert sind, frei von den Märchen eines erfolgreichen Kapitalismus mit einem humanen Antlitz. Dann können Enttäuschung und Resignation, unter denen die Arbeiterklasse, die Jugend und die armen Schichten Griechenlands heute leiden, überwunden werden.