In der Ukraine haben die jahrzehntelange Streitereien der Oligarchen zum völligen Zusammenbruch des Gemeinwesens geführt. Ächzend mussten sie der Plünderung durch das westliche Finanzkapital Platz machen. Während sich im Osten der Ukraine unter schwierigsten Bedingungen eine revolutionäre Situation abzeichnete, blasen die Oligarchen, die übergelaufenen Überreste des gerade zerfallenen Staates und ihre faschistische Vorhut zum Angriff auf die Linke. Deutlich, mitten in Europa, jetzt und in der Praxis zeichnet sich ein revolutionärer und bewaffneter Kampf zwischen Sozialismus und kapitalistischer Barbarei ab.

In der Schweiz besitzen 1% der Bevölkerung 50% des Vermögens. Was hier schon genug Stoff für immer neue Skandale gibt, wäre in der Ukraine ein Grund zur Freude. Dort kontrollieren 100 Menschen 80% des Bruttoinlandprodukts. Diese 100 Menschen, die Oligarchie, sind keineswegs eine homogene Gruppe. Sie teilen sich in verschiedenste Interessensgruppen auf. In den letzten zwanzig Jahren lieferten sie sich auf dem Rücken der arbeitenden Klasse massive Kämpfe um die Verteilung des Staatsbesitzes. Vor nichts wurde dafür zurückgeschreckt: Rinat Achmetow, reichster Mann des Landes, begann seine Karriere als Boxer und Chef einer Hütchenspielermafia in Sotchi. Seinen Weg säumen Schiessereien, Bombenanschläge, Vergiftung von Gegnern und Korruption. Ob sie Igor Kolomojski, Dmytro Firtasch, Sergej Taruta, Petr Poroschenko, Viktor Juschtschenko, Viktor Janukowitsch oder Julia Timoschenko heissen, ob sie ihre Geschäfte nach Russland, zur EU oder in beide Richtungen ausgerichtet hatten: Die wirtschaftlichen und politischen Kommandohöhen dieses schwer reichen Landes sind besetzt von moralisch verdorbenen, korrupten, verlogenen, verrotteten und mafiösen Figuren.

Der Zusammenbruch des Staates

Die politischen Parteien des Landes waren die Vehikel, die ihnen die Herrschaft über den Staatsapparat sicherten. Welcher Flügel des Kapitals in Gestalt welcher Partei auch immer an die Macht kam: Die Herrschaft über den Staatsapparat wurde gebraucht, um die Reste des realsozialistischen Reichtums auszuplündern. Gleichzeitig konnte er noch verwendet werden, um gegnerische Kapitalfraktionen zu unterdrücken, die mächtigeren ausländischen Bourgeoisien heraus- und die arbeitende Klasse niederzuhalten. Doch die Plünderung des Gemeinwesens hat Grenzen. Irgendwann ist selbst ein reiches Land wie die Ukraine am Ende. Diese Grenze wurde im November 2013 erreicht, als der Ukrainische Staatshaushalt implodierte. 15 Milliarden Dollar, Zahlungsfrist ein Monat. Weitere 35 Milliarden Dollar bis Ende 2014. Dieser Moment und der nachfolgende Augenblick haben direkt zu den heutigen Ereignissen geführt.

Verkauf an Russland

Janukowitsch musste sich entscheiden: An welchen Imperialismus, an welche der verhassten ausländischen Bourgeoisien sollte er die Ukraine verkaufen? Das Angebot von EU und IWF bedeutete Kürzung von Gehältern, Kürzung der Renten, Zerschlagung von Arbeiterrechten und Erhöhung der Gaspreise. Den Atem der bis zum letzten Blutstropfen ausgedrückten arbeitenden Klasse im Nacken spürend, machten ihm Putins Oligarchen ein Angebot: Sofortkredit über 15 Milliarden Dollar und einen Rabatt auf die im ukrainischen Winter so entscheidenden Gaspreise. Der Preis war der Beitritt zur eurasischen Zollunion, die volle Ausbeutungsfreiheit für Russische Oligarchen auf ukrainischem Boden.

Reaktion des Westens

In Berlin, Brüssel und Washington konnte das nicht hingenommen werden. Die deutsche CDU hatte Millionen in Klitschko und seine Udar gesteckt. Brüssel hatte im Rahmen der „Nachbarschaftspolitik“ eine Milliarde Euro in die ukrainische Verwaltung investiert und schuf sich so eine EU-hörige Gruppe von Bürokraten. Washington hatte seit der Unabhängigkeit der Ukraine mehr als fünf Milliarden Dollar in „demokratische Institutionen“, ukrainische NGO’s und „Initiativen der Zivilgesellschaft“ gesteckt. Sollten diese Investments nicht verloren gehen, galt es nun sie zu aktivieren. Der westliche Imperialismus nutzte seine so aufgebauten Agenturen, um die unzufriedenen Kleinbürger- und Arbeitermassen gegen Janukowitsch zu mobilisieren. Unterstützt durch den mit Europa geschäftenden Teil der ukrainischen Oligarchie und ihren faschistischen Kettenhunden gelang es den Staatsapparat zu zerbrechen und Janukowitsch zu verjagen. Als den protestierenden Massen Julia Timoschenko als Befreierin präsentiert wurde, schallten Buhrufe über den Maidan. Westliche Zeitungen schrieben über Jubelstimmung.

Klitschko und Udar

Die Udar und der „deutsche Kandidat“ Vitali Klitschko sind gescheitert. Die North-Stream Pipeline, unter Gerhard Schröder mit seinem „engen Freund“ Putin im Kreml erdacht, erweist sich als schicksalhafte Verknüpfung. Deutschland ist auf Gedeih und Verderb auf die russischen Gaslieferungen angewiesen und reagiert dementsprechend handzahm und bremsend. Im entscheidenden Augenblick werden die so mühsam aufgebauten Handlanger zurückgepfiffen, die Regierung teilen sie sich ohne Klitschko auf.

Kehrtwende in der Energiepolitik Europas

Während der dramatischen Spiele in Südamerika, wenn nur noch über Fussball geredet wird, wird in Europa das Brot angerichtet. Innert weniger Wochen vollzieht Deutschland einen schweren Kurswechsel in der Energiepolitik, der zu einem anderen Zeitpunkt zu riesigen Diskussionen und Widerständen geführt hätte. Das neue „Erneuerbare-Energien-Gesetz“ der Bundesregierung wird schnell durchgesetzt, wenige Tage danach wird das Fracking grundsätzlich erlaubt. Verpackt wird das in ein orwellsches Verbot von Schiefergasfracking, welches Sandsteinfracking erlaubt. Das „Verbot“ wird noch vor der Sommerpause durch das Parlament gepeitscht, die deutschen Bundesländer teilen fleissig Genehmigungen aus. Andere EU-Länder haben längst vorgelegt. Zu Dutzenden setzt man nun plötzlich auf Fracking. Anders Fogh Rasmussen, der Generalsekretär der NATO, ist plötzlich der Meinung, Anti-Fracking-Initiativen seien von Moskau finanziert. Die europäische und russische Energiepolitik hat sich in einen Handelskrieg zwischen Importeuren und Exporteuren von Erdgas verwandelt. Und die Bohrkonzerne verdienen kräftig mit. Noch während der Kämpfe um Slawjansk sondierten Shell-Ingenieure den Boden auf Frackingtauglichkeit.

Die neue Regierung

Die so forsch vorgehenden Faschisten auf dem Maidan wurden durch die neue Übergangsregierung belohnt. Der Rechte Sektor entschied sich zwar dazu, nicht in die Regierung einzutreten und von aussen Druck zu machen (wie, werden wir noch sehen). Doch die Swoboda bekam neben den beiden wichtigen Ministerposten für Agrarpolitik und natürliche Ressourcen das Verteidigungsministerium, die Generalstaatsanwaltschaft und den Rat für Sicherheit und Verteidigung in ihre Hände. Das neue „Kamikaze-Kabinett“, wie sein Chef Arseni Jazeniuk es schmeichelhaft nannte, bekam nur einen Tag nach seiner Einsetzung seine Machtlosigkeit vor Augen geführt. Zunächst ohne einen Schuss abzugeben, besetzte die russische Schwarzmeerflotte innert weniger Stunden alle wichtigen Verwaltungsposten und Verkehrsknotenpunkte der Krim. Von 18‘000 auf der Krim stationierten ukrainischen Soldaten liefen 16‘000 zu Russland über, die ukrainische Flotte hisste nun die russische Flagge, der ukrainische Flottenchef, Konteradmiral Beresowski, schwor einen Eid auf die Bevölkerung der Krim. Die Bevölkerung empfing die russische Armee mit Blumen.

Die Nationalgarde

Die ukrainischen Sicherheitskräfte befanden sich in Auflösung. Die Ukrainische Armee war in keinster Art und Weise bereit, auf Befehl der Übergangsregierung auch nur den kleinen Finger zu rühren. Die Polizei war während der Maidanbewegung in Kiew und im Westen des Landes von schwer bewaffneten faschistischen Banden geschlagen worden, die nun durch die Strassen patrouillierten. Wenn ein Staat nach Engels eine besondere Gruppe bewaffneter Menschen ist, war nun der alte ukrainische Staat zerfallen. Ein neuer musste gegründet werden, und er wurde gegründet auf der Basis der Schlägertruppen von Swoboda und rechtem Sektor, finanziert durch grosszügige Spenden der Oligarchen. Die für die Zwecke der Regierung untauglich gewordene Armee wurde ihrer Waffen entledigt. Die Waffen wurden unter Führung der faschistischen Truppen neu bemannt – die Nationalgarde war geschaffen.

Das Sprachengesetz

Die Kiewer Übergangsregierung tat alles in ihrer Macht stehende, um sich bei der Bevölkerung im Osten möglichst unbeliebt zu machen. Nur einen Tag nach der Absetzung Janukowitschs peitschten die neuen Machthaber die Abschaffung des Sprachengesetzes durch die Rada, das die Anerkennung von Zweitsprachen auf regionaler Ebene regelte. Man stelle sich vor, was in der Schweiz passieren würde, wenn in Bern Nationalisten an die Macht kämen, die als allererstes Französisch und Italienisch als offizielle Amtssprache aberkennen wollten. Für die 35% russisch sprechenden Einwohner des Landes war das so etwas wie eine fertige Kriegserklärung. Als ob das nicht gereicht hätte, setzte man im Osten die alten Provinzgouverneure ab und ersetzte sie durch die direkte Herrschaft der Oligarchen. Auch der höchste ukrainische Rabbiner war so begeistert von den neuen Herren im Lande, dass er geradewegs allen Juden empfahl, Kiew und wenn möglich gleich das Land zu verlassen.

Faschistisches Vorgehen

Selbst der deutsche Spiegel beschrieb die Übergangsregierung als „Konglomerat aus pragmatischen Dilettanten, dubiosen Oligarchen und hemmungslosen Ultranationalisten.“ Das Sprachgesetz wurde auf Druck des Auslandes und der Proteste im Osten sehr schnell gekippt. Aber die Faschisten begannen nun erst richtig mit ihrer Arbeit. Wer als Kommunist, Gewerkschafter oder Russlandfreund galt, wurde und wird verfolgt und gejagt. Die kommunistische Partei wurde aus dem Parlament geprügelt und dann verboten, ihre Aktivisten sind verfolgt worden und verschwanden spurlos. Abgesehen von den aufständischen Gebieten sieht sich die KP gezwungen, illegale Untergrundarbeit zu verrichten. Gewerkschaftstreffen wurden von Faschisten erstürmt, die Teilnehmer verprügelt. Am 2. Mai, dem 71. Jahrestag der Erstürmung deutscher Gewerkschaftshäuser durch die Nazis, starben 31 Menschen beim faschistischen Brandanschlag auf das Gewerkschaftshaus von Odessa. Am 9. Mai widersetzte sich die Polizei des idyllischen Hafenstädtchens Mariupol dem Befehl ihres Kommandanten, die traditionelle antifaschistische Demonstration am Tag der Befreiung aufzulösen. Der Kommandant schoss einem Polizisten ins Bein, verbarrikadierte sich im Büro und rief die Nationalgarde. Auf dem Weg zur Polizeistation versuchten aufgebrachte Zivilisten, die Polizeistation vor der Erstürmung durch die Nationalgarde zu schützen. Die Nationalgarde war aber nicht da, um zu spassen – sie erschoss 200 Menschen und brannte die Polizeistation ab.

Diktatur des IWF

Die Unterschrift unter den „politischen Teil“ des Assoziationsabkommen mit der EU machte Jazenjuk am 21. März. Um an das dringend benötigte Geld zu kommen, verwies die EU Jazenjuk nun an den IWF, der seine Politik des massiven Angriffs auf die arbeitende Klasse durchsetzen konnte. Am 1.5. flossen die Milliarden des IWF endlich, der Preis waren massive soziale Grausamkeiten: Gaspreiserhöhung um 56% am 1. Mai. Am 1. Juli wurde der Fernwärmepreis um 40% erhöht, 2015 soll dann der Preis für beides um weitere 40% erhöht werden, für die nachfolgenden Jahre bis 2018 sind jährliche Aufschläge um 20% geplant. Das ist aber nicht alles: Einstellungsstopp für den öffentlichen Dienst. Stopp der bereits beschlossenen Erhöhung des Mindestlohns, der jetzt bei 70 Rappen pro Stunde liegt. Deckelung aller Staatsausgaben auf allen Ebenen. Rücknahme der beschlossenen Mehrwertsteuersenkung, sie bleibt bei 20%. Dafür aber eine Einladung an die grossen Agrarkonzerne: Mehrwertsteuerbefreiung für Weizenexporte. Auch der Finanzsektor kommt nicht zu kurz: Die in österreichischem und italienischem Besitz befindlichen Banken sollen gemäss IWF „evaluiert“ werden. Sollten sie Geld benötigen, müsse sich der Ukrainische Staat verpflichten, das Geld nachzuschiessen. Zudem darf die Ukraine nichts gegen Wechselkursschwankungen tun, sie wird in einer absehbaren Inflationsspirale leer gekauft werden und mit europäischen Waren überschwemmt. Die Abschaffung des Sprachengesetzes wurde durch Jazenjuks Veto gekippt. Die Schandtaten des IWF gelten dagegen noch immer.

Der beginnende Aufstand

Angesichts der neuen Zustände in der Hauptstadt, der offenen Provokation durch die Abschaffung des Sprachengesetzes, angesichts der Regierungsbeteiligung der Faschisten und ihrem gewaltsamen Auftreten auf offener Strasse, angesichts der sozialen Grausamkeiten des EU- und IWF-Diktats war man im Osten der Ukraine nicht besonders gut zu sprechen auf die neuen Machthaber in Kiew. Antifaschismus gehört zum guten Ton, es ist identitätsstiftendes Moment wie hierzulande der Rütlischwur. Antifaschistische Proteste, zunächst zum Schutze von Lenin-Denkmälern in den östlichen Regionen, entwickelten sich zum Aufstand gegen die neue Zentralgewalt. Das Zentrum des Aufstandes war das Donbassbecken mit seiner Schwerindustrie, seinen Kohlerevieren und mit hunderttausenden von Industriearbeitern, den schweren Bataillonen des ukrainischen Proletariats. Stand es den Ereignissen auf dem Maidanplatz noch indifferent gegenüber, konnten die ArbeiterInnen nun zum Hauptakteur werden. Aber ob sie sich bewegen würden, war zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Wie in Mariupol wurden Befehle von oben ignoriert, die Demonstrationen wurden beschützt, nicht angegriffen. Als die Regierungsgebäude von kleinen bewaffneten Gruppierungen gestürmt wurden, deckten Polizei, Militär und Geheimdienste die Separatisten, nutzten ihre Netzwerke und fingen an, sie aus ihren Arsenalen und mit russischer Hilfe zu bewaffnen.
 
Das Genfer Abkommen

Während sich im Donbass die arbeitende Klasse zunehmend radikalisierte, versammelten sich die feindlich gesinnten Imperialisten in Genf bei feinstem Essen. Vier Tage vor den Verhandlungen begann die Nationalgarde mit ihrer „Antiterroroperation“. Man wollte rechtzeitig Fakten schaffen und die bewaffneten Truppen am Boden in konkrete Verhandlungserfolge ummünzen. Wollte Russland erst die ganze Ukraine in der Zollunion sehen, setzte man nun auf den Plan B. Putin wollte Föderalisierung und Blockfreiheit, um weiterhin den Finger auf die Ostukraine legen zu können. Und er wollte die Anerkennung des Status quo auf der Krim. Washington, Berlin und Brüssel dagegen wollten ihre Position nicht weiter schwächen. Worauf einigte man sich? Angesichts der überwältigenden Erfolglosigkeit der „ersten Phase der Antiterroroperation“, die Angreifer wurden von friedlichen Demonstranten entwaffnet und zu Fuss nach Hause geschickt, einigte man sich. Weder die Krim noch die territoriale Integrität der Ukraine wurden auch nur erwähnt. Russland hatte also, was es wollte. Weiter verlangte die Genfer Erklärung die Entwaffnung aller illegal bewaffneten Gruppen. Nur meinte Lawrow damit natürlich andere Gruppierungen als Kerry. Entsprechend wertlos war der Rest des Papiers.

Das Proletariat regt sich

Eine Woche nach den Genfer Verhandlungen begann sich der schlafende Riese zu regen. Die Agitationsarbeit der linken Gruppierungen, Parteien und Gewerkschaften fiel auf fruchtbaren Boden – im Proletariat des Donbassbeckens. 2000 Bergarbeiter aus den Gruben Rinat Achmetows streikten für eine Lohnerhöhung um 25% und forderten ein Referendum über den zukünftigen Status der Region. Dieser Moment änderte alles: Zunächst brauchten Putin und seine Oligarchen die Separatisten in der Ostukraine, um ihre imperialistischen Anwandlungen zu decken. Nun hatte man es aber nicht mehr mit „ehrlichen Putschisten“ aus dem alten Staatsapparat zu tun, sondern mit konkreten, mit echten sozialen Protesten, mit Streiks von Arbeitern. Bekanntlich fürchten Oligarchen streikende Arbeiter wie der Teufel das Weihwasser. Entsprechend schwenkte man auf einen neuen Kurs ein, und die Ankunft Didier Burkhalters bot Putin die Gelegenheit, den Kurswechsel ohne allzu grossen Gesichtsverlust bekannt zu geben: „Abzug der russischen Truppen von der Grenze“ und  „Verschiebung des Unabhängigkeitsreferendums“ hiess es nun ganz plötzlich. Auch die Ostukrainischen Oligarchen begannen in diesem Moment offen gegen die neue Volksrepublik zu mobilisieren.

„Putin braucht uns nicht mehr“

So wie sich im Paris des Jahres 1871 Preussen und Frankreich darauf einigten, die Kampfhandlungen zugunsten der gemeinsamen Niederschlagung der Commune einzustellen, einigten sich nun Moskau, Brüssel und Washington zum Waffenstillstand zugunsten der Niederschlagung der „Terroristen“. Eine interviewte Frau aus Mariupol sagte: „Putin braucht uns nicht mehr. Irgendwann brauchte er uns. Aber nicht mehr.“ „Neurussland“ mit seinen sieben Millionen Einwohnern befindet sich im Belagerungszustand, die Zufahrtswege sind blockiert, es gibt keinen Treibstoff, die Kohle wird knapp, der Strom fällt regelmässig aus. Die Bewohner werden ausgehungert.

Charakter der Volksrepubliken

Das Referendum war bereits gegen den Willen Russlands durchgeführt worden. Es war nicht perfekt. Aber es war ein revolutionäres Referendum, durchgeführt unter den allerschwierigsten Umständen. Die Aufgaben der Revolution im Donbass sind nicht einfach: Plünderungen und Vertreibungen passieren auch hier, und die neuen alten Behörden sind auch hier nicht frei von Korruption und Raffgier. Aber unter dem Druck der Arbeitenden geht die Revolution voran. Russische Nationalisten, ins Donbassbecken gereist, um für die Russische Nation zu kämpfen, waren gezwungen sich vor Lenindenkmälern ablichten zu lassen und die Internationale zu singen. Der oberste Rat, oder offiziell der oberste Sovjet der Volksrepublik, unter Vorsitz eines arbeitslosen ehemaligen Kleinkriminellen kündigte die Verstaatlichung der riesigen Besitzungen Rinat Achmetows an. Die Revolution fand statt, aber ohne klares Programm, mit widersprüchlichen Tendenzen, ohne eine starke Führung. Entsprechend chaotisch verlief sie. Und trotzdem: Die Oligarchen hatten in der Ostukraine faktisch ihre Macht verloren, umso mehr mobilisierten sie nun gegen die Volksrepubliken. Ob direkt in Donezk oder anderswo: Streiks und Demonstrationen wachsen nach wie vor. „Frieden“ und „Faschisten raus“ sind die Slogans.

Schwindende Unterstützung für Faschisten

Trotz der entzogenen Unterstützung Russlands kam die Antiterroroperation der Nationalgarde einfach nicht recht voran. Trotz modernste Ausrüstung und schwersten Waffen: Drei Monaten dauerte der Kampf um Kramatorsk und Slawjansk, ohne entscheidenden Erfolg. Es wurde klar, dass die alte Strategie des direkten Infanteriekampfes in den Städten nicht funktionieren konnte. Die Bevölkerung umarmte einfach die Soldaten. In der Folge begann man, die Städte mit Artillerie und Luftwaffe zu bombardieren. So grausam die Strategie ist, sie ist die einzige Möglichkeit, wenn man Verbrüderung und Meuterei verhindern will. Sie tötet Zivilisten und zwingt sie zur Flucht, mehr als hunderttausend sind bereits weg. Die aufständischen Kämpfer sind zunehmend isoliert und zum Rückzug gezwungen. Das Fortschreiten des Krieges führte zum Erstarken der ArbeiterInnenbewegung in den Volksrepubliken Donezk und Luhansk. Gleichzeitig sind die Faschisten wieder isoliert: Bekam die Swoboda bei den Parlamentswahlen 2012 noch mehr als zehn Prozent der Stimmen, reichte es bei Präsidentschaftswahlen 2014 für ganze 1.16%. Der Rechte Sektor schaffte 0.7%. Die Linkswende hat zwar noch nicht überall begonnen, aber die Faschisten stehen mehr und mehr isoliert da, weswegen sie auch auf einen schnellen Sieg drängen.

Militarisierung der Innenpolitik

Das Banner der Nationalgarde ist brüchig. Noch ist man vereint im Kampf gegen die „Untermenschen“ (so Ministerpräsident Arseni Jazeniuk), im Kampf gegen die aufbegehrenden Arbeiter. Aber wie die Wahlen gezeigt haben, sind die Faschisten zunehmend isoliert. Brandbomben auf die eigene Bevölkerung machen die Nationalgarde nicht beliebter. Die von Poroschenko verfügten Waffenstillstände dienten auch der Aufrechterhaltung der Moral und dem Verhindern von Meutereien. Der Waffenstillstand wurde gegen den Widerstand Deutschlands und Russlands und der ukrainischen Regierung wieder aufgehoben, nachdem der Rechte Sektor den Präsidentenpalast bewaffnet umstellt hatte und Kriegsrecht für die Ostukraine forderte.

Aber längst ist die Nationalgarde nicht mehr die einzige bewaffnete Gruppierung. Alle Oligarchen und Parteien im Land haben begonnen, bewaffnete Gruppierungen um sich zu scharen. Julia Timoschenko verfügt mittlerweile über eine Privatarmee von 8000 Kämpfern. Die Kader des Industrieimperiums von Rinat Achmetows dienen als Rekrutierungspool für seine „Achmetowgruppe“, Igor Kolomojski wirbt auf grossen Werbeplakaten in Dnipropetrowsk um Rekruten für sein Dniepr-Bataillon. Wenn die ArbeiterInnen im Donezk verlieren, wäre die unmittelbare Folge ein Massaker an seinen Bewohnern, insbesondere den klassenbewussten Minenarbeitern. Deren Gewerkschaften warnen in ihren Erklärungen vor ihrer physischen Vernichtung. Aber an diesem Punkt endete auch das gemeinsame Interesse der Oligarchen, bewaffnete marodierende Banden und Milizen würden nach ihrem Sieg das einst reichste Land der UdSSR in ein Mad-Max-Szenario verwandeln. Das Fortschreiten der völligen Barbarei, wie wir es im arabischen Raum und in Zentralasien, in Afrika und Mittelamerika bereits beobachten können, wäre an der direkten Grenze der EU angekommen. Das zu verhindern haben die Arbeiterinnen und Arbeiter der Ukraine in der Hand. Sie haben unsere Solidarität mehr als verdient.

Ausländische Militärintervention?

Ausländische Interventionen sind nutzlos. Wenn der Kapitalismus nicht mehr in der Lage ist, jungen Menschen eine minimale Perspektive in der Warenproduktion zu bieten, wenn selbst der informelle Sektor überlaufen ist und nichts mehr hergibt, wird der Job des Kämpfers im Dienste zweifelhafter Kapitalisten äusserst attraktiv. Gelingt es dem Kapital nicht, sie nach ihrem Einsatz in den Staatsapparat zu integrieren, und die Umzingelung des Präsidentenplastes ist nicht eben das Beste Anzeichen dafür, drohen sie so mächtig zu werden, dass sie sich von den Interessen ihrer Herren lossagen und eigene Zwecke verfolgen. Massenhaft junge, arbeitslose und perspektivlose Männer in Pakistan, Afghanistan, Syrien, Somalia und im Irak sind, ausgelöst durch ausländische Militärinterventionen, zu Werkzeugen des spätkapitalistischen, religiös verhüllten Sektierer- und Bandentums  geworden und – wie eindrucksvoll gezeigt wird – durch keine Militärmacht der Welt dauerhaft zu besiegen. In der Ukraine übernimmt der Faschismus dieselbe ideologische Rolle. Keine europäische oder russische Militärintervention kann das Problem lösen. Es gibt keine dauerhafte Lösung auf kapitalistischer Basis. Es ist auch kein Zufall, dass der Aufstand gegen die Barbarei im Donbass Fuss fasste, wo es noch eine funktionierende Arbeiterklasse gibt.
Unsere Aufgaben

Der Kapitalismus ist bis weit in seine Kernländer hinein nicht mehr in der Lage, der Jugend eine Perspektive zu geben. Spätestens die eskalierte Lage in der Ukraine sollte uns bewusst machen, wie ernst die Lage geworden ist, wie wichtig eine organisierte ArbeiterInnenbewegung im Kampf gegen den um sich greifenden Zerfall ist. Die weltweite Bourgeoisie ist bankrott und handlungsunfähig, jeder ihrer Schritte richtet nur noch mehr Chaos an. Je entschlossener, desto schlimmer. Nur die arbeitende Klasse kann sich, vermittels ihrer Rolle im Produktionsprozess, dem aufziehenden Zusammenbruch in den Weg stellen. Deswegen gilt es für uns, sie hierzulande zu organisieren! Dringender denn je gilt für die Ukraine und den Rest der Welt das Credo Rosa Luxemburgs: „Sozialismus oder Barbarei.“

Erschienen im Funke Nr. 35 – Juli 2014