Die Nachricht vom deutschen Piloten Andreas Lubitz, der einen Airbus 320 der Germanwings in den französischen Alpen vorsätzlich zum Absturz gebracht hat, löste weltweit einen Schock aus. Obwohl die offizielle Untersuchung des Unglücks noch im Gange ist und es Monate bis zum Abschluss braucht, haben die französischen Behörden ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und Informationen veröffentlicht, die den Ersten Offizier an Bord belasten.

PapiergeldBisher ist ermittelt worden, dass der Kapitän, nachdem er das Cockpit verlassen hatte, von Lubitz ausgeschlossen wurde, der dann sofort in den Sturzflug ging. Gemäss Aufzeichnung hat der Pilot darum gebeten, in das Cockpit gelassen zu werden, dann versuchte er die Tür einzuschlagen, während Lubitz nicht antwortet. Ermittler behaupten, Lubitz sei im Moment des Aufpralls am Leben gewesen, weil man ihn atmen hört.
Sobald klar wurde, dass es sich nicht um einen tragischen Unfall gehandelt hatte, sondern um einen bewussten und erfolgreichen Versuch eines Piloten, das Flugzeug und alle an Bord befindlichen Passagiere zu zerstören, verdichtete sich der Handlungsablauf. Warum sollte ein junger Mann wie Lubitz eine solche Tat begehen?

Es ist jedoch nicht das erste Mal, dass ein Pilot einen solchen Selbstmord-Mord begangen hat. Vor weniger als zwei Jahren passierte fast das Gleiche auf dem Flug 470 der Mosambik Airlines, als eine Embraer 190 auf einem Flug von Angola nach Mosambik schnell an Höhe verlor. Das Flugzeug stürzte im Bwabwata Nationalpark in Namibia ab. Alle 26 Passagiere und sechs Crew-Mitglieder wurden getötet. Laut dem Ermittlungsbericht hat Kapitän Herminio dos Santos Fernandes in „klarer Absicht“ das Flugzeug zum Absturz gebracht, nachdem er den Autopiloten verstellt hatte. Der Erste Offizier war hier ebenfalls aus dem Cockpit ausgeschlossen worden.

Davor gab es 1997 den Fall des Fluges 185 der SilkAir, wobei der Kapitän sein Flugzeug im Sturzflug in den Fluss Musi im südlichen Sumatra flog. 1999 starben alle 217 Passagiere an Bord des Fluges 990 der EgyptAir nach einem ähnlichen Absturz. Nicht alle Gründe für diese Ereignisse sind eindeutig zu bestimmen, aber die Primärtheorie besagt, dass es sich um Selbstmord-Morde gehandelt hat, die von einem der beiden Piloten begangen worden sind.

Verratenes Vertrauen

Solche Taten sind sehr schwer zu verstehen und zu akzeptieren, ähnlich wie die Tat eines einsamen Amokläufers, der seine MitschülerInnen auf dem Campus tötet.
Vielleicht ist die Luftfahrt mehr als jede andere Branche auf Vertrauen aufgebaut. Die Piloten vertrauen den Mechanikern, dass sie ihre Arbeit korrekt verrichten, sie vertrauen den Flugdienstberatern, welche die Flüge planen, sie vertrauen den Fluglotsen, die den Flug abwickeln, sie vertrauen dem Sicherheitspersonal, das verhindert, dass Waffen an Bord gebracht werden, sie vertrauen der Kabinenbesatzung, dass diese ihre Aufgaben ordentlich verrichtet und sie vertrauen der Person auf dem Platz nebenan, dass sie kompetent und verantwortungsbewusst ist, um das Flugzeug sicher zu bedienen. Genauso besteht das Vertrauen zwischen den Passagieren und den Piloten, denen sie ihr Leben anvertrauen. Die Luftfahrt gehört zu den sichersten Verkehrsmitteln, wobei die Fahrt zum Flughafen statistisch der risikoreichste Teil der Reise ist, aber verständlicherweise erzeugt sie unter den Fluggästen immer noch viel Angst. Es liegt in der Verantwortung des Piloten/der Pilotin, nicht abzuheben, wenn er/sie gesundheitlich dazu nicht in der Lage ist, mit oder ohne ein ärztliches Attest, das seine/ihre Dienstfähigkeit bescheinigt. Wenn dieses System des Vertrauens zwischen Pilot/in und Passagieren zerstört ist, wie in diesem Fall, ist das eine bittere Pille, die geschluckt werden muss.

Der Autor dieses Artikel ist Verkehrspilot und stolz darauf, seine Passagiere sicher an ihr Ziel zu fliegen. Wir sind für alle Notfälle sehr gründlich ausgebildet worden und uns der grossen Verantwortung, die auf unseren Schultern lastet, bewusst. Wenn einer unserer Kollegen ein solches Verbrechen begeht, bringt das den gesamten Berufsstand in Verruf. Die Zeiten, in denen der Pilot/die Pilotin als „Gott“ betrachtet wurde, sind schon lange vorbei, aber es besteht jetzt die Gefahr, dass jede(r) Pilot/in als potenzielle(r) Massenmörder/in gesehen wird.

Das Gesetz der unbeabsichtigten Folgen

Die Luftfahrtindustrie hat sich seit dem 11. September 2001 sehr stark verändert. Sicherheitsprüfungen an den Flughäfen haben mittlerweile oft ein lächerliches und frustrierendes Niveau erreicht und in den Flugzeugen wurden sichere und uneindringbare Cockpittüren installiert, um „Schurken“ auszuschliessen. Eine unbeabsichtigte Folge davon ist, dass auch Piloten, entweder durch mechanische Fehler oder bewusst durch den/der zurückbleibenden Piloten/Pilotin ausgeschlossen werden können. 2012 wurde ein Kapitän von Jetblue in den USA von seinem Ko-Piloten ausgesperrt, weil er während des Fluges ein Fehlverhalten an den Tag legte und vom Flugpersonal und einigen Passagieren gebändigt werden musste. Hier erwiesen sich die Sicherheitstüren als nützlich, obwohl gesagt werden muss, dass dies eher auf die exzellente Zusammenarbeit des gesamten Personals zurückzuführen war, das dafür sorgte, dass das Flugzeug sicher landete.

Die Geschehnisse in der letzten Woche jedoch haben bewiesen, dass es sich bei der Richtlinie über die Cockpittür um ein zweischneidiges Schwert handelt. Kapitän Patrick S. wurde von seinem Ersten Offizier Andreas Lubitz ausgesperrt. Der Schurke befand sich bereits im Inneren der Maschine.
Mit einer PR-Massnahme, die zeigen soll, dass „etwas unternommen“ wird, haben die meisten Fluggesellschaften, die um ihre Profitmargen und ihr Ansehen bei den Fluggästen fürchten, eine Richtlinie eingeführt, die besagt, dass immer zwei Crew-Mitglieder, wie bereits in den USA üblich, gleichzeitig im Cockpit sein müssen. Diese billige und sofortige Massnahme scheint auf dem ersten Blick vernünftig zu sein, aber auch hier greift das Gesetz der unbeabsichtigten Folgen. Was passiert, wenn es sich beim Crew-Mitglied in der Kabine um einen Kriminellen handelt, der die Tür verriegelt, den verbleibenden Piloten mit Gewalt festhält, um die Kontrolle zu übernehmen, und die Maschine im Sturzflug auf den Boden fliegt? Jemand, der nur ein minimales Aufnahmeverfahren durchlaufen hat und einen Zeitvertrag besitzt? (Bei den Billigfliegern, bei denen es wegen der schlechten Arbeitsbedingungen eine starke Fluktuation gibt, ist das an der Tagesordnung.)

Bezüglich der Tür-Richtlinien lässt sich gut begründen, warum der Bogen überspannt wurde. Kurz nachdem Mohamed Atta und seine Komplizen den American Airlines Flug 11 in ihre Gewalt gebracht hatten, um das Flugzeug am 11. September 2001 in das World Trade Center zu fliegen, machte es diese Richtlinie sehr schwer, wenn nicht gar unmöglich, noch einmal einen derartigen Angriff durchzuführen. Die Passagiere sind nun einfach zu aufmerksam und würden es gemeinschaftlich nicht zulassen. Es ist sinnlos, in die einzelnen technischen Details von Richtlinien über geschlossene bzw. offene Türen, Toiletten im Cockpit, biometrische Erkennung, Luftsheriffs oder unbemannte Flugzeugen (Was könnte da alles schief laufen?) zu gehen, denn für jede Situation, die man zu verhindern sucht, kann als Reaktion darauf eine neue Situation entstehen.

Um es sehr deutlich zu sagen, wenn man die Kontrolle über ein Flugzeug hat und beabsichtigt es, aus welchen Gründen auch immer, zu tun, dann ist es sehr leicht, die Maschine zum Absturz zu bringen. Selbst in normalen Situationen mit zwei ausgelasteten PilotInnen kann, durch einen Moment der Unaufmerksamkeit oder die falsche Eingabe in einer kritischen Flugphase (wie z. B. Start oder Landung) ein Flug schnell in einer Katastrophe enden. Ein bewusstes Fehlverhalten kann dies unmittelbar beschleunigen.

Es ist töricht zu glauben, dass man für alle Eventualitäten Vorkehrungen treffen kann. Auch durch den Einsatz zusätzlicher Technologien können diese Probleme nicht gelöst werden. Es handelt sich um ein Symptom unserer gegenwärtigen Gesellschaft und wir müssen diese Probleme in der Gesellschaft ansprechen.

Psychische Gesundheit

Es sind nicht viele Fakten über Lubitz‘ psychische Gesundheit bekannt. Die New York Times berichtet, dass er „eine Krankheit hatte, die er vor seinem Arbeitgeber verbarg“. Ermittler fanden eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in seinem Haus, die ihn für den Tag des Absturzes von der Arbeit frei stellte, genauso wie ein weiteres zerrissenes ärztliches Attest. Deutsche Medien berichten, dass er seine Ausbildung im Jahr 2009 unterbrochen habe, um sich gegen Depressionen behandeln zu lassen. Sein Arbeitgeber Lufthansa bestätigte dies, erklärte aber nicht warum.

Dies ist nicht der Ort, um detailliert über Lubitz‘ psychischen Zustand zu spekulieren. Manche Berichte weisen darauf hin, dass er ein Perfektionist war, der sich wichtige Ziele setzte, die nicht verfehlt oder verändert werden durften. Es ist auch möglich, dass er es mit persönlichen Problemen zu tun hatte, etwa in seiner Partnerschaft oder mit seinem Sehvermögen (Kein ärztliches Attest – kein Job). Vielleicht gab es auch eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen an seinen Beruf (Langstreckenflüge für die renommierte Lufthansa) und der Realität (Kurzstreckenflüge für die Billigtochter Germanwings mit wenig Freizeit ). Wie dem auch sei, es ergibt ein Bild von einem verstörten jungen Mann, der sich, aus welchen Gründen auch immer, an einer Bruchstelle befand.

Wie ArbeiterInnen in allen Branchen, so müssen auch PilotInnen mit persönlichen Tragödien, Arbeits- oder privatem Druck fertig werden. Wenn man sich nicht fit genug fühlt, um zu fliegen, sollte man zu Hause oder am Boden bleiben, wie es die Erwartungen und Regularien vorsehen. Fairerweise muss aber auch gesagt werden, dass in der Luftfahrt ein Männlichkeitswahn vorherrscht und die meisten Piloten lieber nicht wegen einer starken Erkältung fliegen würden, als zuzugeben, sie hätten psychische Gesundheitsprobleme.

Die Kultur innerhalb der Luftfahrtbranche hat sich in den letzten Jahrzehnten zum Besseren geändert. Das Crew Ressource Management (CRM), verlässliche Flugzeuge und Automation haben die Luftfahrt zu einer sicheren Branche gemacht. Der „menschliche Faktor“ ist zu einem etablierten Begriff geworden, der die Herausforderungen , die mit Menschen verknüpft sind, die komplexe Maschinen bedienen, anerkennt. Ohne ins Detail zu gehen, reicht es aus festzustellen, dass die Luftfahrtbranche in den letzten 40 Jahren einen weiten Weg beschritten und das Mittelalter hinter sich gelassen hat.

Trotzdem sind psychische Gesundheitsfragen innerhalb der Branche immer noch ein enormes Tabu. Ein eklatantes Problem ist, dass die meisten PilotInnen, die alle Hürden geschafft haben, um auf diesen Sitz im Cockpit zu kommen (Fähigkeiten, Finanzen, Ortswechsel, einen Job finden), alles tun würden, um diesen Arbeitsplatz zu behalten. Abgesehen von Trauer und Scheidung, ist es kein unbedeutendes Risiko, den Kollegen und dem Arbeitgeber gegenüber zuzugeben, dass man es mit Problemen zu tun hat, die nicht physischer Natur sind. Die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, ist sehr real und kann sich lähmend auswirken.

VerkehrspilotInnen müssen ein erstklassiges ärztliches Attest vorlegen, das jedes Jahr (und mit zunehmendem Alter noch öfter) erneuert werden muss. Zusätzlich erfolgt ein sechsmonatiger Tauglichkeitscheck im Simulator, wo ein Prüfer bestätigt, ob man für den Beruf geeignet ist. Wenn man bei dem einen oder anderen durchfällt, kann das schnell das Ende der Karriere und der Existenz bedeuten. Wenige andere Branchen sind so stark reguliert wie die Luftfahrt. Dadurch sind ein gewisses Mass an Stress und Angst ein wesentlicher Bestandteil des Berufs.

Natürlich suchen die Fluggesellschaften diejenigen KandidatInnen aus, die mit dem Stress und Druck fertig werden. Aus diesem Grund war Lubitz ein Absolvent der Lufthansa Flight Training, einer angesehenen Institution, die den berüchtigten DLR-Test durchführt. Dieser Flugeignungstest ist einer der härtesten Auswahlprozeduren in der Branche mit einer hohen Durchfallerquote. Aber wie bei allen aktuellen Auswahlprozeduren wird auch hier die psychische Gesundheit nicht überprüft. Natürlich werden psychologische Profile untersucht, aber diese bestimmen einfach nur, ob jemand in den Job oder die Fluggesellschaft passt, nicht aber ob er/sie an einer psychischen Erkrankung leidet (als ob das überhaupt möglich wäre).

Gegenwärtig gibt es kein adäquates Unterstützungssystem vor Ort, wenn ein(e) Pilot/in eine der vielen Situationen gerät, die ihn/sie psychisch beeinträchtigt, wie z.B. von Müdigkeit (die sehr oft vorkommt) bis zu einer besonderen psychischen Lage. Es herrscht die Vorstellung, dass dann die Tür hinter uns zu gemacht wird und wir arbeitslos werden, ohne je die Chance zu haben, an den Arbeitsplatz zurückkehren zu können. Das ist nicht vorteilhaft für den bestmöglichen psychischen Zustand derjenigen, die an den Kontrollschaltern sitzen und ihren Job korrekt erledigen.

Geplatzte Träume

Wenn man Leuten gegenüber erwähnt, man sei Pilot/in, glauben diese, man müsse einen wunderbaren Beruf haben und sehr reich sein. Umdenken! Die Realität für die meisten jungen PilotInnen, die ihre Berufsflugerlaubnis mit Instrumentenflugberechtigung haben, sieht anders aus. Wenn sie nicht über die Jahre gespart oder wohlhabende Eltern haben, können sie Schulden von bis zu 100.000 € anhäufen.

Dazu kommt der Stress, bis sie wirklich Arbeit auf einem Arbeitsmarkt gefunden haben, der übersättigt ist. Eine grosse Anzahl von ihnen wird es nie in ein Cockpit schaffen. Es gibt zu viele KandidatInnen und zu wenige Jobs. Seit der Rezession von 2008 stagniert die Zahl der Einstellungen. Die Mehrheit der PilotInnen hat grosse finanzielle Opfer bringen müssen, nur um zu einem Einstellungsgespräch eingeladen zu werden, wo die Chancen, angenommen zu werden, nicht besonders gross sind. Und wenn man zu den Glücklichen gehört, die diese erste Anstellung bekommen, bietet sich die Chance bei den Billigfliegern wie Ryanair, die den europäischen Markt leer gefegt haben. In diesem Fall wäre es besser an weitere 30.000 € zu kommen, um für ein so genanntes Type Rating auf den Boeing 737-800 zu bezahlen, denn es ist schon lange her, dass ein Arbeitgeber diesen Teil der Ausbildung bezahlte. Ausserdem muss man hier bereit sein, seine eigene „Firma“ zu gründen, mit der man seine „Dienste“ als Selbstständiger (kein Krankengeld, keine Rente, keine garantierte Arbeitsstunden oder kein Einkommen) anbietet, um an jeden möglichen Flughafen Europas geschickt und vom Management schikaniert zu werden oder die maximale Arbeitszeit, die legal möglich ist, zu verrichten. Tausende andere sind bereit, deinen Arbeitsplatz zu übernehmen.

Es kann immer noch ein lohnender Beruf sein und das sogar bei den Billigfliegern. Wenn man die ersten Hürden überwunden hat, geht es vielen nicht schlecht, besonders dann nicht, wenn es ihnen gelingt, bei traditionellen Luftfahrtunternehmen wie British Airways und Air Lingus unterzukommen und einen richtigen unbefristeten Arbeitsvertrag zu erhalten. Genauso gibt es viele, die auf der Strecke bleiben, nie einen Flugjob finden, ihre hart erarbeiteten Fähigkeiten verlieren und gezwungen sind, sich ausserhalb der Luftfahrt einen Arbeitsplatz zu suchen.

Wenn man auf der anderen Seite des Ozeans wohnt, wird man in den USA in kleinen Cessnas ausgebildet, bis man wenigstens 1500 Flugstunden vorweisen kann, dann geht man zu einer der regionalen Fluggesellschaften, bei denen man teilweise nur einen Mindestlohn erhält. Aber wer möchte schon von einem/einer Piloten/Pilotin geflogen werden, der/die nur 20.000 $ im Jahr verdient? Gleich neben dem Flughafen von Los Angeles gibt es Parkplätze mit Wohnwagen, in denen PilotInnen und MechanikerInnen leben, deren Heimatorte zu weit entfernt sind. Faszinierend? Nicht wirklich. Ermüdung und moralische Schäden inklusive. Garantiert.

In den etwa letzten zehn Jahren hat das Phänomen „Pay to Fly“ noch mehr Salz in die Wunden gestreut. Hier haben wir es mit der absurden Situation zu tun, in der verzweifelte Menschen mit zu viel Geld und zu wenig Verstand tatsächlich eine Fluggesellschaft dafür bezahlen, an den Kontrollknöpfen im Cockpit zu sitzen. Gesellschaften wie Eagle Jet sind Parasiten in der Branche, sie nutzen Menschen aus, die keinen Flugjob finden können und die Verträge mit verschiedenen Fluggesellschaften haben und „Line Training“ (etwas, was Bestandteil des Jobs ist) und Blockflugstunden (typisch sind 100 bis 500 mit Preisen von bis zu 60.000 $) anbieten. Wenn man seine Stunden absolviert hat, kann man vielleicht eine Anstellung erhalten und nach einem Jahr bei der Gesellschaft fängt man an, ein Gehalt zu bekommen, dafür gibt es aber durchaus keine Garantie. Der bei France 2 ausgestrahlte Bericht über „Pay to Fly“ ist sehr informativ und jeder Passagier sollte sich ihn ansehen, um eine Vorstellung davon zu bekommen, was aus der Flugbranche geworden ist.

Ein wachsendes Krebsgeschwür

Die Wahrheit ist, dass ein Krebsgeschwür seit einiger Zeit in der gesamten Luftfahrtbranche wuchert. Die Billigflieger haben einen Wettlauf nach unten initiiert und mit Hilfe des reinen Marktmechanismus die traditionellen Fluggesellschaften gezwungen, ihrem Beispiel zu folgen. Um das zu verstehen, müssen wir Jahrzehnte zurückgehen.
In den westeuropäischen Staaten gab es die meisten Flugjobs bei staatlichen Fluggesellschaften, bei denen es starke Gewerkschaften gab. Diese Gesellschaften waren Fahnenträger und Flaggschiffe, weltweite Botschafter und Werbeträger für ihr Land. Sowohl die Gesellschaften als auch ihre Angestellten waren stolz auf ihre Arbeit. Es waren begehrte und gut bezahlte Stellen.

Später kamen die Charterfluggesellschaften dazu, von denen einige überlebten, während andere pleite gingen oder übernommen wurden. Insgesamt handelte es sich immer noch um einen respektierten und gut entlohnten Beruf, mit Standards bei den Dienstleistungen und Arbeitsbedingungen, die für jeden transparent waren.

Danach kamen die Privatisierungen und die Regierungen verkauften ihre Beteiligungen an Aktionäre. Nun wurde der Profit zum eigentlichen Parameter. Und siehe da, es wurde entdeckt, dass es sich um eine Berufsbranche handelte, in der man seine Grossmutter verkaufte, um seinen Fuss auf die Leiter zu bekommen, wofür man natürlich bezahlte. Die Buchhalter konnten ihr Glück nicht glauben und das Krebsgeschwür begann zu streuen. Das war zu einem Zeitpunkt, als der Markt dereguliert wurde und jeder eine Fluggesellschaft gründen konnte, die von irgendeinem Ort in der EU zu einem anderen Ort in der EU flog. Niedrigpreise waren die Antwort. „Fressen oder gefressen werden“ wurde zu ihrer Mentalität. PilotInnen wurden zur Ware.

Die Expansion der EU in ärmere Länder half beim Wettrennen nach unten. Die Urlaubsgewohnheiten änderten sich von traditionell langen Urlauben zu kurzen Aufenthalten und spontanen Reisen. Die grossen Fluggesellschaften litten und mussten reagieren. Sie sahen, dass das Flugpersonal bei den neuen Gesellschaften schlechtere Arbeits- und Einkommensbedingungen akzeptierte und so begannen sie bei ihrem eigenen Personal ebenfalls zu kürzen.

Interessanterweise setzt sich dieser Prozess bei der Lufthansa fort. Die Lufthansa ist eine traditionelle nationale Fluggesellschaft, aber um in einem Verdrängungswettbewerb konkurrenzfähig zu bleiben, war sie gezwungen, mit Germanwings eine Low-Cost-Tochtergesellschaft zu gründen. Zwischen der Lufthansa und Germanwings gibt es verschiedene Betriebsvereinbarungen, die bis heute von der PilotInnengewerkschaft Vereinigung Cockpit abgelehnt werden und die, wie auch kürzlich, in den vergangenen Jahren zu Streiks geführt haben.

Ein unerträglicher Druck

Es ist nicht bekannt, ob sich Lubitz dessen bewusst war oder aktiv an Streiks beteiligt war. Klar ist, dass er in diesem sozialen Kontext gelebt hat und sich bis zu einem pathologischen Niveau sozial entfremdete. Hatte er das Gefühl, die Kontrolle über sein eigenes Leben und seine eigene Zukunft zu verlieren? Hatte er die Hoffnung verloren, dass sich jemand um ihn kümmerte, was er nicht länger ertragen konnte? Wir werden das wahrscheinlich nie erfahren.

Viel sinnvoller ist es, die allgemeinen Rahmenbedingungen in der Luftfahrt aufzuzeigen als das, was über diese Tragödie in den Massenmedien berichtet wird. Obwohl es nicht im Blickpunkt der Öffentlichkeit gestanden hat, so hat sich doch seit einiger Zeit Druck aufgebaut. Die Stimmung ist bei vielen Luftfahrtgesellschaften auf dem Tiefpunkt. Es gibt entweder keine Gewerkschaften oder sie sind nicht in der Lage, den Lauf der Dinge aufzuhalten und können ihren Mitgliedern schon gar keine Alternative bieten. Was einst einer der besten anzustrebenden Berufe war, ist schnell zu einer Lachnummer geworden. Warum sollte man sich diesem ganzen Drama unterziehen, wenn der Pilot/die Pilotin in der öffentlichen Wahrnehmung nur auf ein paar Knöpfe drückt, weil „diese Dinger sowieso von alleine fliegen“ (was allerdings überhaupt nicht der Wahrheit entspricht) und in manchen Fällen weniger verdient als ein Lokführer.

Es geht hier nicht darum, sich in Lubitz hineinzuversetzen oder seine Handlung zu rechtfertigen, so verachtenswert diese auch ist, sondern zu versuchen, Erklärungen zu finden, warum ein Mensch vielleicht so handelt, so dass die Menschen dann versuchen können, alles zu tun, damit so etwas nicht so leicht wieder passiert. In der Luftfahrt ist in den letzten Jahrzehnten das Ziel bei der Untersuchung von Luftfahrtunfällen gewesen, nicht irgendeinem Individuum die Schuld zuzuweisen, sondern die Kette der Ereignisse aufzudecken , um daraus Lehren zu ziehen. Anstatt unsere Arme in die Luft zu werfen und zu erklären, Lubitz sei ein „Verrückter“ oder ein „schwarzes Schaf“ gewesen, der in einem sozialen Vakuum lebte, sollte unser Ziel viel höher sein. Wir können dieses Ereignis nicht isoliert, sondern im Kontext der Degeneration der Luftfahrtbranche im Besonderen und der gegenwärtigen Wirtschaftslage im Allgemeinen sehen. Dies wiederum kann nicht separat vom kapitalistischen System betrachtet werden, in dem normale Menschen nur als Ware auf dem Altar des Profits geopfert werden.

Übersetzung: Tony Kofoet