Emmanuel Macron ist ab sofort der oberste gewählte Repräsentant der französischen KapitalistInnenklasse. In der Bevölkerung verfügt er über einen sehr dünnen Rückhalt, ebenso auf Parteiebene. Mélenchon baut bereits die Opposition auf.

Am 7. Mai wurde der Banker Macron erwartungsgemäss zum neuen Präsidenten Frankreichs gewählt. Den Stimmberechtigten wurde er in der Stichwahl gegen die Rechtspopulistin Marine Le Pen so gut wie aufgezwungen. Auffällig war der hohe Anteil an Enthaltungen und leeren Stimmabgaben (zusammen 34%). Die historisch grosse Anzahl an Stimmverweigerern war in dieser Präsidentschaftswahl der deutlichste Ausdruck der französischen Regimekrise, die ihrerseits die Fäulnis des französischen Kapitalismus repräsentiert.

Klarer Klassenfeind
Der Niedergang des französischen Kapitalismus ist ein schon Jahrzehnte dauernder Prozess. Im Verhältnis zu Deutschland ist besonders sichtbar, wie die französische Wirtschaft an Boden verloren hat. Seit der Einführung des Euro sank die Profitabilität des französischen Kapitals um 27%, während ihr deutsches Pendant um 21% anwuchs. Nach der Hollande-Regierung ist auch für den Patron des Arbeitergeberverbandes klar: „Wir können uns nicht erlauben, während weiteren 5 Jahren halbherzige Massnahmen zu treffen“. Das ist ein klarer Befehl an Macron, die ArbeiterInnenklasse im Auftrag des Kapitals frontal anzugreifen.
Dass dies ein Spiel mit dem Feuer ist, wird deutlich, wenn man sich die monatelangen Massenproteste vom Frühjahr 2016 gegen das „El Khomri“-Arbeitsgesetz in Erinnerung ruft. Macron wird deshalb versuchen, den Nebel um sein Programm bis nach den Legislaturwahlen aufrecht zu erhalten. Danach wird er sich vollumfänglich den Bedürfnissen des Kapitalismus hingeben müssen. Mit jeder Ernennung einer/s neuen strammbürgerlichen MinisterIn zeigt sich, dass sein bisheriges weder-links-noch-rechts-Geschwafel weder Hand noch Fuss hat.
Macron will das Arbeitsgesetz erneut “reformieren”, was die Abschaffung der 35-Stunden-Woche zur Folge haben wird. Anschliessend wird er sich des Pensions-, Gesundheits- und Arbeitslosensystems annehmen, wobei er sich pikanterweise zu deren Finanzierungen ausschweigt. Unsere französischen GenossInnen gehen davon aus, dass dann die ersten Schritte zur Privatisierung eingeleitet werden.
Hinzu kommen weitere zutiefst arbeiterInnenfeindliche Massnahmen wie ein massiver Stellenabbau im öffentlichen Sektor und Senkungen der Unternehmenssteuern. Damit hat Macron bereits im Wahlprogramm gedroht: „Besondere Umstände können uns zwingen, unsere Prioritäten anzupassen“. Die französische ArbeiterInnenklasse bekommt seit Jahren zu spüren, dass diese “besonderen Umstände” für sie längst Tatsache sind. Die künftigen Angriffe auf die Lebensbedingungen der Massen werden dazu führen, dass sie sich der Opposition zuwenden. Doch wer führt diese an?

Parlamentswahlen
Vor diesem Hintergrund sind für Macron die Mehrheitsverhältnisse im Parlament entscheidend. Ihm verstellen grosse Hürden den Weg: Er verfügt über keinen Parteiapparat. 61% der WählerInnen sprechen sich in Nachwahlbefragungen gegen eine Parlamentsmehrheit seiner Partei aus. Dies überrascht kaum, denn 43% seiner Stimmen hat er nur erhalten, weil damit gegen Le Pen gewählt wurde. Zieht man die Stimmverweigerer und die Le-Pen-WählerInnen ab, haben nur 18% der Stimmberechtigten für ihn und sein Programm gestimmt.
Eine weitere aussagekräftige Konsequenz der Wahlen war die totale Delegitimierung der traditionellen Parteien. Das erste Mal unter dem aktuellen Verfassungsregime (seit 1958) waren im zweiten Wahlgang weder die PS noch die Republikaner (LR) vertreten. Unter diesen Umständen hatte sich die Bourgeoisie – oder zumindest ein Teil von ihr – entschieden, mit Macron eine neue Partei zu gründen, was den Untergang von PS und LR weiter beschleunigt.
Somit ist er nun zu einen grossen Spagat zwischen Republikanern und Sozialdemokraten gezwungen. Eine solche Retortenmehrheit im Parlament ist die einzige Chance für eine aktionsfähige Regierung in Zeiten der Krise und der Massenbewegungen. Gleichzeitig entfremdet sich die Politik so noch weiter von der Bevölkerung.
Kurz: Macrons Regierung wird so oder so extrem instabil sein. Die PS wird zahlreiche Allianzen mit Macron eingehen und so ihren definitiven Untergang hinauszögern, diesen aber schliesslich besiegeln. Das gleiche gilt für LR. Die Schiebereien der Zentrumsparteien und eine Regierung der „nationalen Einheit“ werden die bereits extreme Polarisierung weiter vorantreiben, die der Legitimität der bürgerlichen Institutionen weiteren Schaden zufügen wird.
Die einzigen Räume bleiben Links und Rechts aussen. Somit kommt der Opposition eine zentrale Rolle zu. Daher gilt weiterhin: Der Kampf gegen Le Pen ist der Kampf gegen Macron – und das ist der Kampf gegen den verrotteten Kapitalismus und seine Institutionen, von dem sich beide Politiker nähren.

Massenmobilisierungen und Opposition!
Die Bewegung von Jean-Luc Mélenchon, die France insoumise, ist zur Zeit die einzige linke Kraft in Frankreich. Trotz ihrer reformistischen Illusionen gilt es nun, aus ihr eine demokratisch geführte Massenpartei zu bilden, welche die kämpferischsten Elemente der Jugend und des Proletariats vereint. Dafür muss sich die France insoumise weiterhin deutlich auf einer politischen Ebene von allen bürgerlichen Parteien (und das bedeutet auch von der PS) abgrenzen. Bei dieser klaren Oppostionspolitik sollten die entgegengesetzten Klasseninteressen im Zentrum stehen.
Spätestens im zweiten Wahlgang der Parlamentswahlen wird sich in der Linken die Spreu endgültig vom Weizen trennen: Eine Weiterführung der kleineres-Übel-Politik wird sich dann erneut als Schuss ins eigene Bein herausstellen, denn diese wird die ArbeiterInnenklasse in die Hände der Opposition treiben – im Extremfall bestehend aus dem FN und der France insoumise. Sollte die France insoumis einknicken, gibt es nur noch den Front National. Aktuell befindet sich der FN allerdings in einem Prozess der Selbstzerfleischung, der seine riesigen internen Widersprüche ans Tageslicht treten lässt.
Das Momentum liegt also bei Jean-Luc Mélenchon. Seine Partei muss eine offensive und radikale Kampagne führen, die der ArbeiterInnenklasse eine klare Perspektive für ihren Kampf gegen die Angriffe von Macron und Le Pen bietet. Nur so kann die Mehrheit gegen den FN in eine Mehrheit für Lohnerhöhungen kanalisiert werden.

Dersu Heri
Juso Genf