Ein neuer Eiserner Vorhang geht über Europa runter. Unter dem Slogan „Ordnung und Sicherheit“ wird eine europäische Grenze nach der anderen militarisiert, zehntausende Menschen drohen in einem schäbigen Gerangel um politische und finanzielle Verantwortung unter die Räder zu kommen.


eu-schlauchbootOb jemand als MigrantIn oder Flüchtling eingestuft wird, hängt in erster Linie von den momentanen Verhältnissen und Kapitalinteressen im Zielland ab. Aus unserer Sicht gibt es keinen grundlegenden Unterschied zwischen Flüchtlingen und MigrantInnen. Beide Gruppen flüchten vor dem real existierenden Kapitalismus, der ihre Heimat lebensunwert macht. Für die einen sind Krieg und Menschenrechtsverletzungen die Hauptfluchtursachen, andere fliehen vor Hunger und Entbehrung, Resultat jahrhundertelanger imperialistischer Ausbeutung. In den meisten Fällen ist es tatsächlich eine Kombination mehrerer Faktoren: Hunger, Entbehrung und Todesrisiko durch Krieg, Verletzung grundlegender Menschenrechte wie Obdach und Nahrung, politische Unterdrückung und Terrorbanden die gegensätzliche imperialistische Interessen verteidigen.

Fluchtursache: realer Kapitalismus

Die europäischen KapitalistInnen rühmen sich damit, dass sie mit dem Ende des Stalinismus eine grosse Zone der Freiheit errichtet hätten, in Wirklichkeit haben sie allein sowohl nach innen als auch nach aussen die Freiheit der Konzerne durchgesetzt. Dass es in der EU kein verbrieftes Recht auf die Umsetzung demokratischer Entscheidungen gibt, wurde uns diesen Sommer nach der „Nein“-Entscheidung der griechischen WählerInnen vorexerziert. In den Aussenbeziehungen Europas herrscht eine kombinierte und ungleiche Verteilung von Ressourcen und Lebenschancen im Weltmassstab. Diese ergibt sich aus den gesetzmässigen Vorteilen der kapitalistischen Zentren im Welthandel. Diese wirtschaftliche Vormachtstellung wird auch politisch, diplomatisch und militärisch durchgesetzt und abgesichert. Dieser Interventionismus fokussierte im vergangenen Jahrzehnt auf den Nahen und Mittleren Osten. Westliche Militärinterventionen in Afghanistan, Irak, Libyen, Jemen, Syrien haben eine ganze Weltregion an den Abgrund geführt. Der islamistische Terror und die reaktionären Scheichtümer am Golf spielen dabei keine vom Imperialismus unabhängige Rolle. Es ist heute allgemein bekannt, dass die Verpflanzung der Taliban von Saudi-Arabien nach Afghanistan das direkte Werk der US-amerikanischen Aussenpolitik der 1980iger Jahre war. Vor dem Auseinanderbrechen des Irak gab es dort keinen terroristischen Islamismus. Was heute gern verschwiegen wird ist, dass auch zu Beginn des Bürgerkrieges die USA ein militärisches Bündnis mit Al-Qaida (Osama bin Ladens Terrornetzwerk!) eingingen, um vor Ort in Syrien militärisch präsent sein zu können. Heute agieren in Syrien mehr als 150 bewaffnete Kräfte.

Der Atom-Deal zwischen der USA und dem Iran zeigt an, dass die USA ihre Kräfte in der Region völlig überspannt haben, und jetzt einen Ausgleich mit dem Iran suchen müssen. Traditionelle arabische Verbündete wie Saudi-Arabien aber auch die Türkei und Israel fürchten nun um ihre Stellung in der Region und heizen den Krieg in Syrien und Jemen zusätzlich an. Ein weiteres wichtiges Motiv für die Türkei ist die Angst vor der Strahlkraft einer Region unter kurdischer Kontrolle. Alle genannten regionalen Regime sind zudem in ihrer eigenen Gesellschaft isoliert und instabil. Auch Russlands Militärpräsenz in Syrien und Frankreichs Ankündigung verstärkt in Syrien militärisch zu intervenieren basieren auf imperialistischen Eigeninteressen in dieser Region. Die Zerstörung Syriens (die die Hälfte der syrischen Bevölkerung in die Flucht trieb) ist das Werk der Interessenskonflikte aller grossen und kleinen Räuber. Nur eine neue Welle der arabischen Revolution, nur die Massenerhebung der Arbeiterklasse und der Ausgebeuteten kann dieser Weltregion wieder Sicherheit und Lebensperspektive bieten. Wie lange dieses Schlachten auch anhalten wird, mit der Sicherheit der geschichtlichen Erfahrung sagen wir, dass diese kommen wird.

Migration und Kapital

„Die Akkumulation von Kapital bedingt eine entsprechende Akkumulation von Elend. Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Ungewissheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol.“ (K. Marx, Das Kapital)

Dass Reichtum unter kapitalistischen Verhältnissen gleichzeitig auch Verelendung hervorbringt, war eine der marxschen Entdeckungen die von bürgerlichen Ideologen am liebsten angegriffen wurde. Wer mag diesen Umstand heute noch bestreiten? Diskutierte Marx, dem Stand der damaligen kapitalistischen Entwicklung entsprechend die Verelendung im nationalen Rahmen, so ist diese kombinierte und ungleiche Entwicklung von Reichtum und Armut auch im globalen Massstab räumlich aufgefächert. Dasselbe gilt für die Migration: war in der Frühzeit des Kapitalismus die Flucht vom Land in die Stadt die Hauptbewegung der Migration, so sind es ab dem 20. Jahrhundert überregionale Menschenbewegungen die dominieren.

Das kapitalistische Zentrum reguliert diese Bewegungen. Das heisst nicht, dass die KapitalistInnen gegen Migration wären. Für das Kapital ist Migration durchaus sinnvoll. Auf der einen Seite profitieren sie von gut ausgebildeten Fachkräften, deren Ausbildung für sie kostenlos war. Auf der anderen Seite des Arbeitsmarktes wird ein prekärer illegaler Arbeitsmarkt geschaffen, den ein Sektor der UnternehmerInnen ausnützt um den Arbeitsmarkt weiter aufzubrechen und die Löhne und Arbeitsbedingungen im Allgemeinen zu verschlechtern.

Die politisch durchgesetzte Dividende ist besonders profitträchtig: keine Kürzungsmassnahme im Sozialbereich wurde umgesetzt ohne vorangegangene Sozialschmarotzerdebatte, am besten in Kombination mit Ausländern (erinnern wir uns an die Debatten um e-card-Schwindel, erschlichene Frühpensionen, aktuell um die Kinderbeihilfe). Kein demokratisches Recht wird eingeschränkt ohne ausländischen Terror, oder zumindest die „Bettlermafia“ medial zu kampagnisieren. Kurz: die Neiddebatten der Medienkonzerne und der reaktionären bürgerlichen Parteien verfolgen manifeste politische Interessen, die in letzter Instanz immer anstreben eine Verlagerung des gesellschaftlichen Reichtums von den Lohnabhängigen zum Kapital zu erleichtern. Der Rassismus ist eine bürgerliche Ideologie, die den Verteilungskonflikt zwischen Kapital und Arbeit vergessen machen möchte, indem er einen Verteilungskonflikt zwischen unterschiedlichen Schichten der Arbeiterklasse inszeniert. Diese Spaltung funktioniert, wenn die gewerkschaftlichen und die politischen Massenorganisationen der Arbeiterklasse seit Menschengedenken keinen offensiven Kampf um die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums führen. Migration leistet damit auch hervorragende Dienste zur Verfestigung einer angeblichen Volksgemeinschaft. In der Softversion wird dies aktuell als Wertedebatte geführt, offensiver als Konstruktion einer angeblichen islamischen Gefahr. Welche Werte diese Politiker und Schreiberlinge tatsächlich haben, wird uns wöchentlich anhand der Figur Karl-Heinz Grasser vorgeführt: schamlose Selbstbereicherung der Reichen auf Kosten der Allgemeinheit.

Die Haltung der Bürgerlichen kann so zusammengefasst werden: Migration ja, aber nur unter unserer Kontrolle und Zustimmung: ob hier jemand herkommt oder nicht und wie wir ihn öffentlich darstellen, das bestimmen wir nach unseren (Profit-)Kriterien. Das Recht auf Asyl, ein grundlegendes Menschenrecht, wird allen Beteuerungen zu Trotz völlig ausgehebelt werden. Die Schnellauslesen in Nickelsdorf und anderen europäischen Grenzen machen es deutlich: wer das Land betritt bestimmen die Herrschenden.

Das Grenzregime

Die EU agiert nach dem erneuerten Sozialmassaker in Griechenland als die Durchsetzungsagentur der Kapitaldiktatur, und agiert direkt gegen die Menschen, gegen Schutzsuchende und die eingesessene Arbeiterklasse gleichermassen. Worin bestehen die „europäischen Lösungen“ in der Flüchtlingsfrage? Die öffentliche Quotendiskussion zur Flüchtlingsverteilung innerhalb der Union ist nur die Ablenkungsdebatte für die öffentliche Diskussion. Die Strategie der EU und aller ihrer Regierungen besteht darin das menschliche Drama wieder systematisch in Transitstaaten und letztendlich ins Mittelmeer zu verlegen. Dieses Ziel wird von allen Regierungen verfolgt, egal ob sie sich wie Merkel und Faymann als menschlich oder wie Orban als militanter Verteidiger der Christenheit präsentierten.

Materiell bestehen die u.a. von den InnenministerInnen der EU-Staaten akkordierten Massnahmen aus:

  • Der Errichtung von EU-Lagern ausserhalb europäischen Territoriums, v.a. in Nordafrika. Hier registrierte Flüchtlinge verlieren das Recht auf europäischem Boden Asylanträge zu stellen.
  • Die Errichtung von grossen Abschiebecamps in Griechenland und Italien.
  • „Eine der wirksamsten Methoden zur Bekämpfung der irregulären Migration ist die – entweder freiwillige oder erzwungene – systematische Rückführung von Personen“ (EU-Kommissionspapier). Zu diesem Zweck sollen die Befugnisse der EU-Agentur Frontex ausgeweitet werden, es sollen auch Spezialeinheiten für Rückführungen gebildet werden.
  • Die Einstufung der Mehrheit der Transitländer als „sicheres Drittland“, was laut Rechtslage bedeutet, dass jeder Asylantrag sofort formal abgelehnt wird. Besonders perfide ist das Drängen Deutschlands die Türkei als „sicheres Drittland“ einzustufen. Damit sind nicht nur alle syrischen Flüchtlinge in Zukunft de facto vom Asylrecht ausgeschlossen, sondern die türkische Arbeiterklasse und die KurdInnen werden dem kriegsführenden Erdogan-Regime völlig ausgeliefert.
  • Die militärische Absicherung des Mittelmeeres ist seit 13.9.2015 Beschlusssache: Ab nun dürfen Flüchtlingsboote aufgebracht und auch versenkt werden.
  • Die die es dann nach Europa geschafft haben und denen ein Asylverfahren gewährt wird, dürfen dafür sofort „ab Tag 1“ Arbeit suchen.

Die Flüchtlingskrise in Mitteleuropa ist entstanden, weil ein ekelhaftes Gerangel zwischen Institutionen (innerhalb Österreichs zwischen Gemeinden, Ländern und Bund) und zwischen den EU-Partnern entstanden ist. Dabei geht es um politische Erwägungen einerseits, aber auch um handfeste finanzielle Interessen. Junker hat recht wenn er die Flüchtlingskrise mit der Griechenlandkrise vergleicht: hier zeigen sich einmal mehr die zentrifugalen Kräfte in der EU. Dies ist auch ein Mitgrund warum die österreichische Innenpolitik, wie auch Merkel kurz auf symbolische (!) Menschlichkeit setzen. Wie Mikl-Leitner im Presseinterview zum Besten gab: es gilt die Stärkung nationalistischer Parteien zu verhindern. Rassismus ist ja nicht das Problem, unter Umständen sogar eine Lösung, aber anti-EU Rhetorik widerspricht jedenfalls den Interessen des Kapitals.

Jetzt besteht geeinter Wille darin Normalität herzustellen. Normalität bedeutet in diesem Fall Kontrolle über die Schutzsuchenden auszuüben indem das Grenzregime aufgerüstet wird, und Zugang nach Europa nur als Gnadenakt der Herrschenden zu gewähren.

Gibt es eine Lösung?

Der Schoss der Menschlichkeit ist die Verneinung der herrschenden Zustände. Praktisch und spontan zeigt sich dies in der selbstermächtigenden Hilfe für die Flüchtlinge und in den Hunderttausenden die in Europa auf die Strasse gingen und gehen. Will diese Hilfe nachhaltig sein, muss sie auch politische Forderungen erheben:

  • Weg mit Frontex und den Grenzbefestigungen: Schluss mit den Abschiebungen in „sichere Drittländer“ und für das Niederlassungsrecht der Flüchtlinge im Land und der Stadt ihrer Wahl.
  • Wohnraum vor Profit: für die Aufbringung von leerstehendem Wohnraum. Für eine massive staatliche und kommunale Wohnbauoffensive.
  • Für eine offensive Kampagne der Gewerkschaften zur Aufklärung der Asylsuchenden über ihre sozialen Rechte und Arbeitsbedingungen: Es liegt in der Hand der Arbeiterbewegung durch eine offensive Integration der neuen ArbeiterInnen in die eigenen Reihen Sozialmissbrauch und die Untergrabung der Kollektivvertragsbedingungen durch die Organisation von vorneherein zu unterbinden.
  • Für eine offensive Lohn- und Arbeitsmarktpoltik: Die vorhandene Arbeit muss aufgeteilt werden. Unbefriedigte gesellschaftliche Bedürfnisse (Bildung, Pflege,…) müssen angegangen werden.
  • Es gibt im Kapitalismus keinen „humanitären Krieg“, sondern nur militärische Durchsetzung von Profitinteressen, daher: Keinen Euro, keine/n SoldatIn und keine Patrone für neue militärische Interventionen im Nahen Osten.
  • Für die vereinigten sozialistischen Staaten Europas in einer sozialistischen Welt.