Für den 14. November hatten der Europäische Gewerkschaftsbund sowie zahlreiche Gewerkschaften Portugals, Spaniens und Griechenlands zu einem länderübergreifenden Generalstreik aufgerufen. Zahlreiche ArbeiterInnen, StudentInnen, RentnerInnen legten in besagten Ländern die Arbeit nieder, wobei sich der Beteiligungsgrad bis auf 90% belief. Weiter beteiligten sich in ganz Europa Menschen an zahlreichen Solidaritätsdemonstrationen. Diese Form des Internationalismus stellt einen wichtigen qualitativen Sprung im Kampf der europäischen ArbeiterInnenklasse dar und lässt bürgerliche Tagträumereien vom „Verschwinden“ der ArbeiterInnenklasse dastehen wie ein Ammenmärchen. In welchem Kontext steht dieser Streik und was ist sein Charakter?

Der Aufruf zum „Europäischen Generalstreik“ nahm seinen Anfang in Portugal, welches noch bis vor kurzem unter denjenigen Ländern, denen das barbarische EU-SpardiktatMadrid am 14. November aufgezwungen wurde, als der glänzende Musterknabe der Troika galt. Sämtliche Sparauflagen wurden durch Coelhos Regierung bislang rigoros durchgesetzt, wobei der Widerstand im Land lange im kleineren Rahmen verblieb. Gerade deshalb dürfte offensichtlichsein, weshalb die jüngsten Wirtschaftszahlen für Portugal von einem sich anbahnenden ökonomischen Desaster zeugen. Die vermeintliche Opferbereitschaft der portugiesischen Lohnabhängigen entpuppte sich kurzerhand als Wunschträume seitens der bürgerlichen Austeritätsfanatiker, als die rechte Koalitionsregierung ihr Haushaltsprogramm für das Jahr 2013 verkündete, das weitere drastische Kürzungen beinhaltete: Lohnsenkungen, Rentenkürzungen, Abbau der Arbeitslosenunterstützung und Wiedereingliederungshilfen. Die dreisteste Massnahme aber war zweifellos die Änderung der Sozialversicherungsbeiträge. Während die Beiträge für Arbeitnehmende von 11 auf 18 % erhöht wurden, müssen die Arbeitgeber neu statt 23.75 auch 18% bezahlen. Für die Arbeitnehmer bedeutet dies den Verlust eines gesamten Monatslohns, der den Besitzenden geschenkt wird. Diese unfaire Umverteilung zugunsten des Kapitals hatte weitreichende Auswirkungen auf das Bewusstsein der Betroffenen. Bereits eine Woche nach Ankündigung dieser Schamlosigkeit, am 15. September, erfasste eine gigantische Welle des Protests das Land. Gegen eine Million Menschen brachten ihren Zorn in landesweit stattfindenden Demonstrationen gegen die Regierung und die Troika zum Ausdruck. „Fick dich, Troika. Wir wollen leben!“, war das Motto der Demonstrierenden. Dies war die grösste Protestwelle seit der Revolution von 1974. Infolge der massiven Erhebungen gegen die unhaltbaren Beschlüsse musste die Regierung zwei Massnahmen (Sozialversicherungsbeiträge und Streichung der Weihnachtsgelder) widerwillig zurücknehmen und ein überarbeitetes Programm erstellen. Die neusten Kürzungen sind in ihrer Härte und Tragweite keinen Deut verschieden von der ersten Version, im Gegenteil: Sie waren für die Gewerkschaften Anlass, den ohnehin schon lautgewordenen Ruf nach einem Generalstreik aufzunehmen und einen solchen auf den 14. November anzusetzen, worauf auch sogleich der Dachverband der spanischen Gewerkschaften seinerseits die Bereitschaft verkündete, einen „iberischen“ Generalstreik zu organisieren. Dies rüttelte offenbar auch Griechenland, Zypern und Malta entscheidend auf, wo man kurz darauf ebenfalls forderte, am 14. November in den Streik zu treten. Schliesslich geriet auch der europäische Gewerkschaftsbund in Zugzwang und forderte seinerseits zum Generalstreik bzw. zum europaweiten Solidaritätstag auf. Sogar in Grossbritannien wird derzeit in Gewerkschaftskreisen von einem Generalstreik in naher Zukunft gesprochen. Die ArbeiterInnenbewegung machtdamit einen zentralen Schritt in Richtung Internationalismus, der im bisherigen Verlauf dieser Krise ein neuartiges Phänomen darstellt.

Der Raubzug durch Europa

Ins bürgerliche Bild der Krise passt dies unerfreulicher Weise nicht so wirklich, wurde doch allenthalben das Zerrbild von verschwenderischen, über die Verhältnisse lebenden Südeuropäern heraufbeschwört, die aus reiner Faulheit streikten und so erst recht nicht aus der Krise kämen. Aus systemimmanenten Widersprüchen und Notwendigkeiten riss die Krise des Kapitalismus aber nicht nur die von Bürgerlichen aufs Übelste verschmähten „PIIGS-Staaten“ in den Abgrund, sondern auch solche, die sich von der vermeintlichen „Euro-Krise“ verschont glaubten. So z.B Grossbritannien oder auch Belgien. Aktuell bezeugen wir eine klassische Überproduktionskrise des globalisierten Kapitalismus und die beschränkten bürgerlichen Lösungsversuche derselben. Die Austeritätspolitik in Grossbritannien unterscheidet sich mithin in ihrer Funktion und ihren Profiteuren überhaupt nicht von derjenigen in Südeuropa oder anderswo auf der Welt, sondern ist eine unmittelbare Antwort der herrschenden Klasse auf die Krise. Die Sparübung hat theoretisch gesehen nur einen Zweck: Sie soll die Arbeiterklasse für die Kosten der kapitalistischen Krise aufkommen lassen. Ganz nach der altbekannten bourgeoisen Maxime: Gewinne Privat, die Kosten dem Staat! Indem der Anteil der Lohnabhängigen am wirtschaftlichen Gesamtprodukt verkleinert wird – Lohnsenkungen, Sozialabbau, längere Arbeitszeiten, Rentenkürzungen usw. – wird zweierlei angestrebt: Ein höherer Ausbeutungsgrad der Arbeiterschaft, was die Profite kurzfristig erhöht, und die Garantie für die Rückbezahlung der öffentlichen Schulden an die internationale Finanzoligarchie. Begleitet werden diese Angriffe mit einer massiven Welle von Privatisierungen und einer förmlichen Zerstörung der Arbeitnehmerrechte. Kurz gesagt: während die Banken und Konzerne sich mit randvoll gefüllten Taschen tunlichst aus dem Staub machen, werden gnadenlos die Lebensgrundlagen der Menschen zerstört, wobei man das Desaster den Werktätigen dann noch als „hausgemacht“ oder selbstverschuldet verkauft – es ist ein menschenverachtender Raubzug!

Der in den letzten Jahrzehnten ins Unermessliche angewachsene Schuldenberg resultiert aus einer Notwendigkeit. Aufgrund des Unvermögens der gesättigten Märkte, die Überproduktion des kapitalistischen Wirtschaftssystems aufzunehmen, musste die Nachfrage mit einer immensen Ausdehnung des Kreditvolumens und einer ungemeinen Staatsverschuldung künstlich in die Höhe geschraubt werden, um einen Krise bis auf Weiteres zu verschieben. Während des Booms ermöglichten die immensen öffentlichen Ausgaben zwar eine Anhebung des Lebensstandards der Massen; soziale Errungenschaften innerhalb des Kapitalismus konnten von der Bourgeoisie geduldet werden, hauptsächlich konnten sich aber vor allem Banken am Schuldendient für Staatsanleihen bereichern. Daraus ist dieser exorbitante Schuldenberg letztlich erwachsen, aus einem systemischen Zwang, nicht aus Fehlverhalten. Seit den zahlreichen Bankenrettungen 2008 wurden der private Teil dieser Schulden beinahe komplett in staatliche Schulden umgewandelt und nun sollen die Massen dafür aufkommen. Es ist nun fraglich, ob dies über permanente Austerität zu erreichen ist. Die neusten Verschuldungszahlen Griechenlands stellen dies ein weiteres Mal ganz klar in Abrede. Die Verschuldung in % des BIP hat sich, bzw. konnte sich in den letzten Jahren nur vergrössern. Die Sparpolitik führte nur in eine tiefere Rezession mit höherer Arbeitslosigkeit und rapide fallender Nachfrage, wodurch die Steuereinnahmen sanken und die alten Schulden nun wieder mit neuen Krediten bedient werden müssen. Es passiert genau das, was MarxistInnen schon von Anfang an prognostiziert hatten: Weder Griechenland noch ein anderer Staat kann seine Schulden bezahlen und wird früher oder später gezwungen werden, die Eurozone zu verlassen. Die Sparpolitik zerstört lediglich den Lebensstandard der Massen und sorgt für ihre zunehmende Radikalisierung bis hin zu revolutionären Schlüssen – der Kapitalismus schafft sich seine eigenen Totengräber, die in ihrer Existenzgrundlage beraubten Lohnabhängigen Europas, die den Druck der Besitzenden nicht mehr länger hinnehmen werden!

Klassenkampf auf internationaler Ebene

Der Generalstreik am 14. November – auch wenn er nicht so massiv wie in den Ankündigungen war – war nichts anderes als die Antwort der ArbeiterInnenbewegung auf den erhöhten Druck der Besitzenden, eine Antwort, die immer gewaltiger wird und die Machtfundamente der Bourgeoisie – die kapitalistischen Produktionsverhältnisse – zu erschüttern, ja aufzuheben vermag. Seit dem Erscheinen des Kommunistischen Manifests 1848 verschreiben sich MarxistInnen und die sozialistische Arbeiterbewegung dem Kampf auf internationaler Ebene – der Kampf der Arbeiterklasse für den Sozialismus ist international oder ist nicht sozialistisch!

Eine lobenswerte und fortschrittliche Form dieses internationalen Kampfes der Arbeiterklasse stellten zweifellos die Generalstreiks und mit ihnen verbundenen Aktionen am 14. November dar. Einen solchen Streiktag, auf internationaler Ebene koordiniert, konnte man zuletzt in den 70er Jahren bezeugen, und wir können klar einen Bewusstseinssprung des Proletariats beobachten. Dieser Bewusstseinssprung ist ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung und Voraussetzung für die Entwicklung einer schlagkräftigen revolutionären Bewegung, die eine sozialistische Transformation Europas verwirklichen kann. Eintägigen Generalstreiks sind aber nichtsdestotrotz, genauso wie der Spontaneität von Massenprotesten, relativ enge Grenzen gesetzt. Generalstreiks und mit ihnen verbundene Aktionen, die sogar in mehreren Ländern stattfinden, erfreuen sich zwar eines höheren Grades an Organisation und internationaler Solidarität, doch darf nicht in Vergessenheit geraten, dass die breiten Massen weder eine revolutionäre Führung durch Arbeiterparteien verkörpert noch ein kompromisslos sozialistisches Programm haben. Trotz der aufbegehrenden Massen in ganz Europa, trotz der Entschlossenheit, sich weiteren Einschnitten in den Lebensstandard zu verweigern, sind die Illusionen des Reformismus noch lange nicht aus den Köpfen verschwunden. Insbesondere nicht aus den Köpfen der Gewerkschaftsbürokratien, die einen Generalstreik letztlich nur deshalb auf die Beine stellen, weil der Druck von unten so unbändig gross ist. Ein Druck, der sich nicht erst seit gestern aufbaut: Seit geraumer Zeit schon verlangen die Massen von den europäischen Gewerkschaftsführungen Handlungsbereitschaft und Entschlossenheit in der Verteidigung ihrer sozialen Errungenschaften. Die spanischen Minenarbeiter, denen in Madrid von Hunderttausenden solidarischen Menschen nach ihrem Marsch ein enthusiastischer Empfang bereitet wurde, und deren berühmt gewordene Militanz stehen sinnbildlich für den gigantischen Druck. Und trotzdem schafften es die Führer der spanischen ArbeiterInnenbewegung zum Zeitpunkt des Marschs der Minenarbeiter nicht, ihr danach kurz aufflammendes Gerede von einem Generalstreik unmittelbar in die Tat umzusetzen. Es wurde lediglich versucht, ein bisschen Dampf abzulassen mit vergleichsweise kleinen Protesten. Den meisten GewerkschaftsaktivistInnen aus der Basis genügte dies nicht. Das Erstarken der „Indignados“ im Zuge der Proteste während der Verhandlungen über den Haushaltsplan 2013 verdeutlichte die Dringlichkeit der Lage für die Massen. Offensichtlich hinterliess die schlafende Führung ein Vakuum, das postwendend von den militanten Massen selbst gefüllt wurde. Dies haben mittlerweile auch viele der feigsten Gewerkschaftsbürokraten begriffen, daher auch ihr Engagement für den Generalstreik. Der Streik ist für die Führung der europäischen Arbeiterbewegung also, genauso wie alle durch sie organisierten Streiks, mehr ein Ventil als ein revolutionärer Akt. Ein Ventil, vermittels dessen die Führungen die Gefährdung ihrer Position vermindern wollen, was aber noch lange nicht bedeutet, dass die Interessen der Werktätigen jetzt bedingungslos im Vordergrund stehen würden – schon gar nicht, dass sie im Kampf gegen das menschenverachtende, verfaulte kapitalistische Wirtschaftssystem eine fähige Führung hätten. Unterstrichen wird dieser Punkt auch durch den Umstand, dass es nach wie vor genügend Gewerkschaften – sogar in Spanien – gibt, die einen solchen Streik als wirtschaftsschädlich bezeichnen und ihn deshalb ablehnen. Zynischer und fatalistischer geht es nicht! Des Weiteren konnte man einen wirklichen Generalstreik konnte lediglich auf der iberischen Halbinsel beobachten, wobei in Griechenland, Italien oder Belgien „nur“ Protestpausen von einigen Stunden – und auch dies nur in einigen Sektoren – eingelegt wurden. Es ist aber nur eine Frage der Zeit bis mehrere Streiks auf dieser internationalen Ebene folgen werden.

Für ein sozialistisches Übergansprogramm in der Linken

Zum jetzigen Zeitpunkt befinden wir uns bereits in einer historisch bedeutsamen Epoche von Revolution und Konterrevolution. Die objektiven Bedingungen für eine sozialistische Revolution sind offenkundig durch die Dauerkrise des überreifen Kapitalismus gegeben. Was es jetzt braucht ist geduldige Arbeit in Massenorganisationen der ArbeiterInnenbewegung Europas, die zum Ziel hat ihr eine revolutionäre Führung und ein revolutionäres Programm zu geben.

Die Illusionen des Reformismus sind noch überall vorhanden und das Bewusstsein bedarf eines weiteren qualitativen Sprungs, um diese Überbleibsel der sozialdemokratischen Klassenversöhnungsromantik hinter sich zu lassen – auf dem Müllhaufen der Geschichte. Um diesen Sprung zu schaffen, bedarf es eines genuin sozialistischen Programms, den Lehren des erbitterten Arbeitskampfes und der unermüdlichen Arbeit der revolutionären Linken, die sich alsAlternative zur Führung der Bewegung in den traditionellen Massenorganisationen der Arbeiterklasse etablieren muss. Dieses Programm muss notwendigerweise die Machtfrage stellen. Es soll im Kern die Forderung nach einer bedingungslosen Annullierung der Staatsschulden sowie die Vergesellschaftung der wichtigsten Industrien und Banken beinhalten. Ein solches und nur ein solches Programm, aus der heutigen Situation hergeleitet und auf sie angewendet, das mit den kapitalistischen Produktionsverhältnissen kurzen Prozess macht, kann die Antwort der Linken auf die Krise sein und die Perspektive für ein sozialistisches Europa bieten. Ohne dieses Programm wird der revolutionäre Kampfgeist ins Leere laufen, und es wird aus „Fick, dich Troika, wir wollen leben!“ nicht so schnell ein „Viva la Revolucion!“. Auch hundert zeitgleiche Generalstreiks auf der Welt lösen die unversöhnlichen Widersprüche des Kapitalismus nicht, dies geschieht nur durch eine fundamentale, revolutionäre Umwälzung der Produktionsverhältnisse, denn das 1% wird sicherlich keine freiwilligen Zugeständnisse machen.