In der Fabrik des Autozulieferbetriebs Angell-Demmel Faurecia in Kennelbach (Vorarlberg AT) herrschen Zustände, die mehr an das 19. als an das 21. Jahrhundert erinnern. Folgende Artikel basieren auf Gesprächen mit Arbeitern dieses Werks. Nun berichtete auch der ORF in „Vorarlberg heute“ und liess die Rolle der SJÖ Vorarlberg nicht unerwähnt.

Die beiden Artikel wurden von unserer östreichischen Schwesterzeitung „Der Funke“ in der Ausgabe Nr. 115 und 116 veröffentlicht.

Der Autozulieferer gehört zum Weltkonzern Faurecia mit über 90.000 ArbeiterInnen, der selbst ein Tochterunternehmen von PSA (Peugeot) ist. Produziert wird in Kennelbach von ca. 450 ArbeiterInnen aber hauptsächlich für BMW und Audi. Die Auftragsbücher sind voll, die Produktion läuft auf Hochtouren. 2/3 der Beschäftigten arbeiten im Schichtbetrieb, wovon rund 2/3 Leasingarbeiter aus mindestens fünf verschiedenen Leasingfirmen sind. Viele ArbeiterInnen stammen aus Tschetschenien, Ostdeutschland oder der Türkei, aber auch aus Ungarn werden ArbeiterInnen im grossen Stil angeworben. Es gibt keinen Betriebsrat.

Bis Ende Dezember waren die meisten LeasingarbeiterInnen bei Aldrian beschäftigt, einer Firma, die ihren Sitz direkt auf dem Firmengelände in einem Baucontainer (!) hatte. Anscheinend war das dem Unternehmen dann auch noch zu viel Distanz. Anfang 2013 wurden die ArbeiterInnen vor die Wahl gestellt: Entweder ihr wechselt zu Adecco, der grössten Leasingfirma Europas, oder ihr fliegt raus. Adecco hat ihr „Bregenzer Büro“ direkt in der Firma. Grund für diesen Wechsel dürften die „zu guten“ Arbeitsbedingungen bei Aldrian gewesen sein: Die Firma zahlte mit 11,80€ pro Stunde in Teilen der Produktion über KV- Niveau, jetzt bekommen diese ArbeiterInnen nur noch 10,68€. Doch auch den Fixangestellten geht es kaum besser, die meisten von ihnen erhalten Verträge, die auf ein halbes Jahr befristet sind. ArbeiterInnen, die zwei oder drei Jahre in der Firma beschäftigt sind, gelten bereits als lange dabei.

Der Druck ist extrem hoch. Der Betrieb läuft rund um die Uhr in drei Schichten. Dabei wird von den ArbeiterInnen oft verlangt, dass sie am Freitag in der Spätschicht 10 Stunden arbeiten und auch samstags „freiwillig“ kommen. Wer am Samstag nicht arbeitet, muss dafür Gründe liefern. Mindestens die Hälfte der Samstage sollte gearbeitet werden, sonst wird es problematisch. Ausserdem besteht ständig die Gefahr bei der Arbeit abgemahnt zu werden, wobei bereits die zweite Abmahnung automatisch zu einer Kündigung führt. Dabei überschreiten die Abmahnungsgründe oft schon die Grenze zur puren Schikane, es gibt sie selbst für die kleinsten Vergehen: So sind etwa an zwei Stellen, an denen es leicht zu Arbeitsunfällen mit Gabelstaplern kommen könnte, am Boden Stoppschilder aufgemalt. Wer dort nicht stehen bleibt, merklich nach links und rechts schaut und die Hand hebt, bekommt eine Abmahnung!

Am eindrücklichsten offenbart sich die kriminelle Betriebsphilosophie beim Thema Krankheit. In einem Fall meinte ein Vorgesetzter: „Einen Tag braucht ihr euch gar nicht krank zu melden, das zahlt die Firma in Zukunft nicht mehr, entweder länger oder gar nicht“. Längere Krankenstände sind jedoch auch nicht gerne gesehen und deswegen auch selten, viele arbeiten krank. Ausserdem nahm sich ein Kollege, der zum Zahnarzt musste, auch dafür einen Tag Urlaub.

Bei der Bezahlung werden die ArbeiterInnen übers Ohr gehauen, wo es nur geht. So haben die Fixangestellten fünf Monate lang die Stunden für die Samstagsarbeit nicht ausgezahlt bekommen, angeblich wegen eines Computerfehlers! Auch sonst sind die Zeitkarten, mit denen die Arbeitszeit aufgezeichnet wird, fast allesamt „fehlerhaft“, immer zugunsten des Unternehmens (Darauf werden manche Leasingarbeiter bereits vor der Einstellung von ihrer Leasingfirma hingewiesen!). Zweimal im Monat wird so eine Zeitkarte ausgegeben. Danach hat man 5 Tage Zeit, sie auf „Fehler“ zu überprüfen und sich zu beschweren. Gerade wenn man Stress hat, fallen viele Fehler unter den Tisch, was für die Firma äusserst lukrativ ist. Vor allem Beschäftigte, die nicht gut deutsch können, werden so um einen beträchtlichen Teil ihres Lohnes gebracht.

Aufgrund solcher Bedingungen hat sich extrem viel Wut gegenüber der Chefetage angestaut. Der Ausdruck „moderne Sklaverei“ hat einen festen Platz im Vokabular der ArbeiterInnen. Jeder weiss, dass sich etwas ändern muss. Auch die Geschäftsführung ist sich wohl bewusst, dass das nicht ewig gut gehen kann und setzt mittlerweile auf direkte Einschüchterung. Schlimmster Ausdruck dessen ist das Einsetzen eines „Werkschutzes“ seit 1. Februar. Dieser soll offiziell das Aussengelände vor „unbefugtem Zutritt“ und Diebstählen schützen. Zur ersten Kategorie gehören nicht zuletzt AktivistInnen der Sozialistischen Jugend Vorarlberg, die schon öfter vor dem Betrieb Flugblätter verteilt und den Funke verkauft haben.

Doch in Wirklichkeit geht die Rolle des Werkschutzes viel weiter und trägt schon faschistische Elemente in sich: die ArbeiterInnen sollen eingeschüchtert, Unmut im Keim erstickt werden. Immer wieder kommen sie mit Hunden an der Leine auch in die Werkshalle, schauen, dass die ArbeiterInnen „richtig arbeiten“ und treiben sie zu härterer Arbeit an („Warum steht der Arbeiter da herum?“). Doch diese letzte Provokation von Seiten der Geschäftsleitung liessen sich die ArbeiterInnen aus zwei Abteilungen nicht mehr gefallen. Ungefähr 15 ArbeiterInnen legten nach einem solchen Vorfall aus Protest die Arbeit nieder und verliessen geschlossen die Schicht.

Dieser Zwischenfall hat einige Diskussionen in der Firma ausgelöst, auch wenn diese durch die Sprachbarrieren im Betrieb und einem gewissen „Abteilungspatriotismus“ erschwert wurden. Doch auch wenn einzelne im Betrieb schon wissen, dass ein Betriebsrat, Betriebsversammlungen, schlichtweg, gemeinsames Handeln und diskutieren ein wichtiger erster Schritt wären, so fehlt doch jeder Anknüpfungspunkt, jede Unterstützung von seiten der Gewerkschaft.
Dieses Beispiel zeigt, dass jedes Arbeitsschutzgesetz, jedes erkämpfte Recht nur Papier ist, wenn nicht eine kämpferische Gewerkschaft für ihre Durchsetzung sorgt. Die ArbeiterInnen können sich nicht auf die Buchstaben des Gesetzes, sondern nur auf die eigene Stärke verlassen.

[Update]

In unserer letzten Ausgabe berichteten wir über die katastrophalen Arbeitsbedingungen beim Autozulieferer Faurecia – Angell-Demmel in Kennelbach (Vorarlberg AT). Leiharbeit, Unregelmässigkeiten bei der Lohnverrechnung und ein privater Sicherheitsdienst prägen den Alltag in diesem Betrieb, wo das Kapital schalten und walten kann, wie es will.

Vor kurzem hat die Geschäftsführung verkündet, dass jetzt auch noch die Prämie für Samstagsarbeit abgeschafft wird. Betroffen sind vor allem die Fixarbeiter, die meisten Beschäftigten im Betrieb sind Leasingarbeiter. Das macht 75 € für jeden gearbeiteten Samstag weniger aus, die die Betroffenen auf dem Lohnzettel haben.

Ausserdem werden immer mehr Arbeiter in die Leasingarbeit gedrängt. So gibt es in der Firma einige befristet Beschäftigte. In der Vergangenheit wurden diese Verträge nach Auslaufen normalerweise wieder verlängert. Ab sofort müssen bei Ablauf die betroffenen Arbeiter in eine Leiharbeitsfirma wechseln – oder sie verlieren ihren Job.

Im Betrieb geht jetzt überhaupt das Gerücht um, dass das Werk Ende des Jahres zusperren wird. Material wird immer nur sehr knapp bestellt. Es ist schon öfters vorgekommen, dass aufgrund dessen gar nicht mehr produziert werden konnte.
Die Autoindustrie ist europaweit in der Krise. Eine Marktbereinigung ist unter kapitalistischen Bedingungen notwendig, was aber zur Schliessung von Fabriken und zur Vernichtung Tausender Arbeitsplätze führt. Im Fall von Faurecia – Angell-Demmel, wo es keinen Betriebsrat gibt, würde es bei einer Schliessung nicht einmal einen Sozialplan geben.

Es ist höchst an der Zeit dieses Werk gewerkschaftlich zu organisieren, um der Willkür des Managements etwas gemeinsam entgegenhalten zu können.

Link: Bericht in „Vorarlberg heute“

Reportage über die Zustände beim Autozulieferer Faurecia Angell-Demmel in Kennelbach/Vorarlberg. Leiharbeiter, die ohne mit der Wimper zu zucken entlassen werden, wenn sie sich organisieren wollen; Entlassungen, Arbeitsbedingungen, die mehr an das 19. als an das 21. Jahrhundert erinnern und Aktivisten der Sozialistische Jugend Vorarlberg, die wegen ihrem andauernden Engagement und für Flyeraktionen vor dem Betrieb von der Werksleitung wegen „Rufmord“ angezeigt werden.