Die Corona-Pandemie war nur der Auslöser und Brandbeschleuniger. Die aktuelle Krise ist bei näherer Betrachtung keine vorübergehende „Corona-Krise“, nach der wir alle wieder zur „Normalität“ zurückkehren können, sobald ein wirksamer Impfstoff gegen Covid-19 auf dem Markt ist. Wie geht es weiter?

Wir haben es mit einer klassischen kapitalistischen Überproduktionskrise zu tun, die schon im Herbst 2019 sichtbar wurde, als 99,9 Prozent sich unter „Corona“ allenfalls eine Biersorte oder den italienischen Begriff für „Krone“ vorstellen konnten. So häuften sich schon damals Meldungen über eine stockende Produktion in der Autobranche. Bundesarbeitsminister Heil (SPD) sagte der IG Metall im Oktober 2019 zu, er werde zur Überbrückung der Krise die Kurzarbeiterregelungen ausdehnen, um Kündigungen zu vermeiden.

Als im Frühjahr der Corona-Lockdown ausgerufen wurde, schnellte die Kurzarbeiterzahl bundesweit auf 10,1 Millionen hoch. Seit der Wiederöffnung von Betrieben in Handel, Gastronomie und anderswo ist die Zahl auf vier Millionen gesunken. Fast die Hälfte davon entfällt jedoch auf die Automobilbranche. Im Vergleich dazu betrug die Zahl aller Kurzarbeiter auf dem Höhepunkt der letzten großen Wirtschaftskrise im Mai 2009 lediglich 1,44 Millionen Menschen.

Mit dem Instrument der Kurzarbeit wird ein Stück weit auch die Arbeitslosenzahl gedrückt. Dennoch liegt die amtliche Zahl der registrierten Arbeitslosen im September 2020 mit 2,85 Millionen Menschen (6,2%) um rund 600.000 über dem Niveau des gleichen Vorjahresmonats. Der Maschinenbauindustrieverband VDMA warnte kürzlich vor Hoffnungen auf eine „V-förmige“ Erholung der Branchenkonjunktur, also ein auf den Absturz folgendes ebenso steiles Wachstum. Nur noch 18 Prozent der 522 Mitgliedsfirmen erwarteten für 2021 eine Rückkehr auf das Umsatzniveau von 2019, so der VDMA. Insider erwarten zudem im Winterhalbjahr eine Welle von Unternehmensinsolvenzen. „Die Insolvengefahr im Osten ist genau so groß, womöglich größer als im Westen“, so das Dresdner Ifo-Institut. Dabei sind in Ostdeutschland auch 30 Jahre nach dem Ende der DDR die Folgen der De-Industrialisierung deutlich spürbar (Siehe Artikel über Treuhandanstalt und Ausverkauf der DDR).

Ein Blick auf die Landkarte zeigt, dass gerade auch in Teilen der südlichen Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg mit ihren großen Autowerken die Kurzarbeiterquote besonders hoch ist. In dieser Krise kehrt sich ein jahrzehntelanger Vorteil des deutschen Kapitalismus nun in sein Gegenteil um: die starke Abhängigkeit seiner Industrie von Exporten vor allem in das europäische Ausland. Dies betrifft zentral die Auto- und Maschinenbaubranche. So erklärt sich auch, dass sich die im Dienste der Kapitalistenklasse stehende Bundesregierung in diesen Monaten besonders „pro-europäisch“ gibt und alles unternimmt, um ein Auseinanderfallen der angeschlagenen Europäischen Union (EU) zu verhindern. Der im Winter anstehende Vollzug des Brexit wird auch die auf Exporte nach Großbritannien angewiesenen Teile der deutschen Wirtschaft treffen. Die tonangebenden Kreise des Kapitals haben in diesem Sinne derzeit wenig Neigung zu einer Zusammenarbeit ihrer Parteien CDU und CSU mit der nationalistischen und in Teilen faschistischen Rechtspartei AfD, auch wenn sich AfD-Chef Meuthen mit seinem kapitalfreundlichen Programm anbiedert und die faschistischen Kräfte in den eigenen Reihen kleinhalten will.

Angesichts trüber wirtschaftlicher Aussichten sind die Regierenden entschlossen, die Regelungen zur Kurzarbeit bis Ende 2021 zu verlängern. Nicht ohne Grund. Schließlich ist im September 2021 wieder Bundestagswahl. Die tragenden Säulen des Systems wollen im Wahlkampf kein Öl ins Feuer gießen. Sie setzen darauf, die Gewerkschaften ins Boot zu ziehen und sie für den einstweiligen Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen zu massiven Zugeständnissen zu drängen.

Doch nicht alle Kapitalisten ziehen da mit. Wenn NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) bei einer Kundgebung von Arbeitern des Continental-Reifenwerks in Aachen im September die Stilllegungspläne der Konzernmanager als „kalten Kapitalismus“ anprangert, dann will er sich damit nicht nur den um ihre Zukunft bangenden Arbeitern in seiner Heimatstadt als „working class hero“ in Szene setzen. Als treuer Interessenvertreter seiner Klasse will Laschet, der gerne CDU-Chef und Kanzler werden möchte, natürlich nicht den Kapitalismus abschaffen, sondern retten und allenfalls vielleicht Elemente des „rheinischen Kapitalismus“ bewahren. Die staatstragenden Spitzen der Arbeiterbewegung, die die kapitalistischen „Sachzwänge“ geschluckt und verinnerlicht haben, sollen nach seiner Auffassung bei den schmerzhaften „Strukturanpassungen“ zumindest einbezogen werden und etwas „mitbestimmen“ dürfen.

Anfang vom Ende der „Sozialpartnerschaft“

Doch zunehmend wollen sich Konzerne wie Continental und Schaeffler nicht mehr auf eine traditionelle „sozialpartnerschaftliche“ Linie festnageln lassen und setzen im Interesse ihrer Profite auf industriellen Kahlschlag und Produktionsverlagerung in Niedriglohnländer. Auch Opel drängt jetzt entgegen bestehenden Vereinbarungen auf betriebsbedingte Kündigungen. Und die Manager der jüngst vom Bund mit neun Milliarden geretteten Lufthansa setzen jetzt mit dem Projekt Ocean auf einen neuen Ferienflieger mit Lohn- und Tarifdumping. Insofern sind die Tage des legendären Modells der „deutschen Sozialpartnerschaft“ gezählt, auch wenn die Gewerkschaftsspitzen immer wieder an „Vernunft“ und „Einsicht“ der Wirtschaftsbosse appellieren und von den „guten alten Zeiten“ träumen, in denen es noch tarifliche Zugeständnisse und spürbare Sozialreformen gab.

Mit dem Beginn der Corona-Beschränkungen wurde im Gewerkschaftsapparat vielfach die Meinung vertreten, dass die Massen „wegen Corona“ nicht streiken wollten oder könnten. Inzwischen wurden wir eines Besseren belehrt. Kapital und Staat wollen nun die Gunst der Stunde nutzen und gehen in die Offensive. Dies zwingt zu Gegenwehr, auch wenn oftmals die Gewerkschaftsapparate zur Jagd getragen werden müssen.

In der Krise hat die Bundesregierung ebenso wie Regierungen weltweit massiv Kredite aufgenommen, um einen Absturz der Wirtschaft abzubremsen. Die 2010 im Grundgesetz verankerte “Schuldenbremse” wurde kurzerhand außer Kraft gesetzt. Die Geldspritzen kommen aber überwiegend den Kapitalisten zugute und nur zu einem geringeren Teil notleidenden Solo-Selbstständigen, Kleinstunternehmern oder Studierenden, die in der Krise ihre Jobs verloren haben und von der Hand in den Mund leben. Die Vermögensumverteilung von unten nach oben schreitet voran.

Die Krise hat die längst bestehenden gesellschaftlichen Missstände, Skandale, Ungleichheit und Unbehagen an die Oberfläche gebracht. Vor allem Teile der Jugend spüren die Heuchelei der herrschenden Klasse. So löste die Ermordung des Afroamerikaners George Floyd sogar bundesweit starke antirassistische Solidaritätsdemonstrationen mit der Black Lives Matter-Bewegung und Diskussionen über Rassismus auch im deutschen Staatsapparat aus. Die Klimabewegung Fridays for Future hat sich Ende September mit vielen hundert Demos wieder zurückgemeldet. Dass die kapitalistische Produktionsweise auch die natürlichen Lebensgrundlagen zerstört, gehört seit den Tagen von Marx und Engels im 19. Jahrhundert zum täglichen Brot von Marxisten.

Wer zahlt?

Bald wird sich die Frage stellen: Wer – konkreter gesagt welche Klasse – wird für die zur Krisenbekämpfung aufgenommenen staatlichen Schulden zahlen? Auch wenn das Niveau der Staatsverschuldung in Deutschland im EU-Vergleich relativ niedrig ist, werden nach der Bundestagswahl 2021 Kürzungen und Angriffe auf der Tagesordnung stehen. Finanzminister und Kanzlerkandidat Olaf Scholz (SPD) hat bereits eine Rückkehr zur Schuldenbremse nach der Wahl angekündigt. Somit stehen mittelfristig stürmische Zeiten und Erschütterungen an.

Natürlich ist nicht jede Demo, die derzeit stattfindet, fortschrittlich. Dies gilt vor allem für die von vermeintlichen „Querdenkern“ und Kritikern der Corona-Maßnahmen organisierten Veranstaltungen. Dass sich solche Leute mit ihrem Traum von einer „Volksbewegung“ überhaupt so stark in Szene setzen und dass Neonazis mit Reichsflaggen sich dabei anbiedern und wie ein „Fisch im Wasser“ mitschwimmen können, ist in erster Linie einem Vakuum geschuldet. Viele Menschen werden von Existenzängsten und großem Unbehagen erfasst und suchen Antworten und Alternativen. Wo Arbeiterbewegung und Linke ihnen die nicht aufzeigen kann, sehen Zufallsfiguren wie die Anführer der „Querdenker“ mit allerlei wirren Ideen und Verschwörungstheorien ihre Chance. Allerdings fehlt dieser Bewegung für einen mittel- und langfristigen Erfolg der Kitt und eine gemeinsame Klassenbasis.

Auch wenn Meinungsumfragen nur kurzfristige Momentaufnahmen sind und Stimmungen heutzutage sich schnell ändern können: An der Schwelle zum Wahljahr 2021 können sich die Unionsparteien CDU und CSU trotz anhaltender Führungskrise ausrechnen, dass sie als Sieger aus der Bundestagswahl hervorgehen und hinterher auswählen können, ob sie die Koalition mit der SPD fortsetzen oder die Grünen ins Boot holen. In der SPD hat das im Herbst 2019 von Hoffnungen auf einen linkeren Kurs begleitete neue Führungsduo Esken/Walter-Borjans rasch vor dem rechten Flügel kapituliert und Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten ausgerufen.

Grün grün grün sind alle Illusionen

Die Grünen sehen sich schon als zweitstärkste Kraft in der Bundestagswahl und preisen sich der herrschenden Klasse als zuverlässiger Interessenvertreter an. Ihr Hype in bundesweiten Meinungsumfragen und regionalen Wahlen hat auch viel damit zu tun, dass sie sich angesichts der Klimakatastrophe – unverdient – als konsequente ökologische Kraft anpreisen. Dabei regieren sie in der Mehrheit der Länder mit und geben, wenn es hart auf hart kommt, zunehmend ihre eigenen ökologischen Ziele auf. So lässt etwa die schwarz-grüne Regierung in Hessen den ökologisch wertvollen und wegen seiner Trinkwasserspeicher extrem wichtigen Dannenröder Forst roden, um eine in den 1970er Jahren geplante Autobahn zu bauen. In NRW saßen die Grünen in der Regierung, als die Weichen für die Rodung des Hambacher Forsts gestellt wurden. In Baden-Württemberg ist Grünen-Ministerpräsident Winfried Kretschmann ein Autolobbyist und der beste Regierungschef, den die CDU jemals hatte. Gezielt setzen die nach Berliner Ministersessel strebenden Grünen auch auf Vergesslichkeit. Die einstige Ökopartei sitzt seit 15 Jahren nicht mehr in der Bundesregierung. Damit ist in der allgemeinen Wahrnehmung verblasst, dass sie in der Regierung des SPD-Manns Gerhard Schröder (1998-2005) die deutsche Beteiligung an Nato-Angriffskriegen ebenso aktiv unterstützten wie den sozialen Kahlschlag, der sich an Namen wie Hartz und Riester festmacht. Vor allem Menschen unter 30 können sich nicht daran erinnern. So nimmt auch die Zustimmung zu den Grünen mit zunehmendem Alter ab.

Dass die LINKE in der gegenwärtigen Krise laut Umfragen bei Werten um acht Prozent stagniert, sollte als Warnung dienen. In der Pandemie wirkte sie in der öffentlichen Wahrnehmung als blasser Teil des Blocks der etablierten Parteien und nicht als antikapitalistischer Gegenpol mit konsequenten Alternativen. Nun erhoffen sich manche von der Orientierung auf „Rot-Rot-Grün“, also eine Koalition mit SPD und Grünen eine neue gesellschaftliche Aufbruchstimmung. Doch eine Wechselstimmung wie etwa 1998 ist derzeit nicht spürbar. Damals mobilisierte nach 16 Jahren CDU/CSU/FDP-Regierung die Parole „Kohl muss weg“ Millionen. Die bisherigen Oppositionsparteien SPD und Grüne fuhren einen historischen Sieg ein. Inzwischen regiert die SPD seit 1998 bis auf vier Jahre von 2009 bis 2013 ununterbrochen mit. Weil sie viele Hoffnungen enttäuscht hat, bleiben ihre Umfragewerte schlapp. Auch wenn SPD, Grüne und LINKE eine rechnerische Mehrheit hätten, wäre ein solches Bündnis extrem unwahrscheinlich. Die herrschende Klasse will es nicht und die Spitzen von SPD und Grünen werden um die Gunst der Union buhlen und sich dabei gegenseitig unterbieten.

Um das Vakuum zu füllen und einen fortschrittlichen Ausweg aufzuzeigen, brauchen wir eine kämpferische Führung in der Arbeiterbewegung und zu allererst ein klares sozialistisches Programm. Wirtschaftskrise und Umweltkatastrophen schreien nach einer radikalen Veränderung der Machtverhältnisse und Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft. Die Produktionsmittel und Reichtümer der Gesellschaft müssen in öffentliche Hände überführt und demokratisch kontrolliert werden. Um dieses Programm durchzusetzen, brauchen wir Deine Unterstützung!

Hans-Gerd Öfinger
Der Funke Deutschland

Veröffentlicht am 19. Oktober 20