An den Europawahlen Ende Mai 2014 konnten insbesondere Parteien des rechten Rands an WählerInnenstimmen zulegen. Vor allem erlitten klassische Konservative und Liberale massive Einbrüche bei ihren Wähleranteilen. Hinsichtlich mit der Berichterstattung zu den Wahlen, stellt sich eine grosse Frage: Welche Gefahr stellen die politischen Kräfte rechts der Konservativen für die Menschen in Europa dar? [Dieser Artikel ist in der Funke #35, im Juli 2014, erschienen.]

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Die Wahlprogramme der rechten SiegerInnen des 25. Mais lesen sich sehr unterschiedlich: Von neoliberalen Rechtspopulisten, an denen Thatcher ihre liebe Freude gehabt hätte, bis hin zu offen faschistischen Parteien, ähnlich wie die SA im damaligen Deutschland, die Strassen ihrer Heimatländer unsicher machen, war alles dabei. Gemeinsamkeiten sind bei der Fülle an unterschiedlichen Ausrichtungen nicht einfach auszumachen. Dass die Gruppe der „Rechtspopulisten“, die von den JournalistInnen der europäischen Printmedien häufig als homogene Gruppe mit den gleichen Zielen wahrgenommen wird, nicht in einer Fraktion oder zumindest einem gesamteuropäischen Wahlbündnis auftritt, erstaunt da wenig. Gemeinsam haben sie jedoch zumindest zwei Dinge: Sie präsentieren sich als rechte Alternative zu den Konservativen der Fraktion der „europäischen Volksparteien“ und sie treten in aller Regel zumindest EU-skeptisch, doch auch häufig EU-feindlich, auf.

 

Wie kam es zu diesem sogenannten „Erfolg“?

Der Erfolg der Rechtsparteien basierte letztlich jedoch nicht auf der Gesamtheit der Regionen des europäischen Rumpfstaats, sondern auf einigen Regionen in denen teils erdrutschartige Siege dieser Parteien beobachtbar waren. Auffällig ist, dass diese Regionen, bis auf das durch Austeritätspolitik zerfressene Griechenland, wo die offen faschistische Chrysi Avgi (goldene Morgenröte) 5% gewann und auf rund 9% kam, zu den wirtschaftlich leistungsfähigsten Staaten Europas gehören: Deutschland, Grossbritannien, die skandinavischen Staaten, Österreich und im stärksten Ausmass Frankreich, dessen Volkswirtschaft – obwohl von der Krise hart getroffen – immer noch die zweitgrösste Europas nach der Deutschlands ist. In vielen Ländern hingegen stagnierten die Wahlergebnisse der Rechtspopulisten oder sanken gar, wie zum Beispiel in den Niederlanden oder in Italien, wo die Sozialdemokraten das Rennen für sich entscheiden konnten und sowohl die von Berlusconi gegründete „Forza Italia“ als auch die Lega nord schwere Verluste hinnehmen mussten – Von gemeinsam 45% stürzten sie auf nicht mehr ganz 23% ab. Die Ergebnisse legen nahe, dass es den RechtspopulistInnen in den Ländern, die ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit durch die Krise retten konnten, gelang diffuse Ängste vor dem Stand der Dinge, wie er im Süden Europas herrscht, zu schüren. In Italien, wo die Rechten mit Berlusconis Forza Italia den Karren noch mehr in den Dreck gefahren haben, gelang dies freilich nicht.

 

Front National – Aushänge- schild der Rechtspopulisten

Damit trotz diesen Ergebnissen die rechten Parteien einen Triumph wie an diesen Europawahlen einfahren konnten, mussten an den Orten, wo Zugewinne gemacht wurden, ausserordentliche Siege her. Den markantesten Sieg konnte hierbei die französische Front National unter Marine Le Pen einfahren. Dieser Sieg der FN war letztlich wohl auch das am meisten medial wahrgenomme Ergebnis der gesamten Wahlen. Von einer Erruption, einem Erdbeben in der französischen Politlandschaft war die Rede. Die Resultate legen diesen Schluss auch nahe. Die beiden traditionellen grossen Parteien, die Parti socialiste und insbesondere die Sarkozy-Partei UMP, verloren an Boden. Grössere prozentuale Verluste als die UMP hatten nur die französischen Grünen mit 7.3%. Über leichte Zugewinne konnten sich neben den 18% WählerInnenzuwachs, die die FN auf mehr als 24% katapultierte, nur die Mittepartei MoDem und die Linksfront von Jean-Luc Melenchon freuen. Insbesondere die Tatsache, dass die Front National sich bis 2011 teilweise unter ihrem langjährigen Vorsitzenden Jean-Marie Le Pen, dem Vater der gegenwärtigen Vorsitzenden Marine Le Pen, offen positiv auf den Faschismus bezog, sorgte für eine Schockstarre unter den grossen Zeitungen Europas. Der Schock sass so tief, dass selbst die prestigeverwöhnte Frankfurter Allgemeine Zeitung neben kleinen Ungereimtheiten grobe Fehler in Bezug auf die Wahlen in Frankreich abdruckte. So erschienen Artikel, in denen stand, dass einzig die FN Zugewinne zu verzeichnen gehabt hätte.

Ein überraschend gutes Abschneiden war jedoch einzig wegen der Grössenordnung bei den Europawahlen ein einzigartiges Ereignis. Bereits 2002 kam die FN im zweiten Wahlgang bei den Präsidentschaftswahlen im stark aufs Präsidialamt fokussierten Frankreich auf beinahe 18%. Jean-Marie Le Pen, seines Zeichens enfant terrible der französischen Politik, gelang ein Coup, der ihm von eigentlich niemandem zugetraut worden war. Der Rechtsextremist, der wegen seiner Leugnung des Holocaust auch immer wieder mal in die deutschsprachigen Medien kam, hatte es geschafft, die Stimmen der ProtestwählerInnen auf sich zu vereinen. An diesen Erfolg anknüpfen konnte die FN nach den Präsidentschaftwahlen Anfang der 2000er Jahre nicht. In den darauffolgenden Legislativwahlen wurde kein einziger Vertreter der Front National gewählt. Als die Wahlen direkt vor der Nachfolgeschaft Le Pens durch seine Tochter in noch grösseren Debakeln endeten, war für Marine Le Pen der zukünftige Weg der Partei klar. Ein Weg, der für mehrere rechtsextreme europäische Parteien richtungsweisend sein würde. Von antisemitischen und rechtsextremistischen Altlasten wollte man sich – zumindest nach aussen hin – befreien. Der Wandel im Innern misslang und es kam zu Austritten von neu aufgebauten Parteikadern, die mit Homophobie und Antisemitismus, sowie faschistoidem Gebahren, gemäss ihren eigenen Aussagen nicht klarkamen. Los wurde die Front National ihre bräunlichen Seilschaften nicht wirklich.

Das Ziel nach aussen hin zum Anziehungspunkt für ProtestwählerInnen aus dem Kleinbürgertum, also zur neuen Kraft fernab etablierten klassischen Parteien, zu werden, gelang dafür umso mehr. Es ist offensichtlich in Frankreich kein Tabu mehr die FN zu wählen, die zwar seit Jahren für sich in Anspruch nimmt „weder links noch rechts zu sein“, jedoch bei grossen Teilen der Gesellschaft als faschistisch verrufen war. Zugegeben machte insbesondere die UMP es jenen einfach, die sich das Image einer Alternativpartei gaben. Nicht erst seit dem Sommer 2014, in dem der ehemalige Präsident Nicolas Sarkozy wegen des Verdachts auf Beeinflussung von Richtern in den Schlagzeilen stand, galt die Partei in grossen Teilen der Bevölkerung als abgehoben und als Interessenspartei einiger Superreicher. Mit der Wahl von François Hollande erhielt sie dann hierfür auch die Quittung. Den SozialdemokratInnen der PS gelang es jedoch nicht, sich von der sozialliberalen Pflästerchenpolitik zu lösen, die die Sozialdemokratie spätestens mit Blair und Schröder zu ihrem europaweit fast überall umgesetzten Mantra machten. Eine gerechtere Wirtschaftspolitik zu Gunsten der Werktätigen blieb ebenso aus, wie ein Ende der Umsetzung der europäischen Austeritätspolitik in Frankreich.

Die von Marine Le Pen angestrebte „Entdiabolisierung“ hatte jedoch nicht nur Folgen für das Auftreten der Partei, sondern auch für ihre personelle Aufstellung. Kader, die dem alten Bild der Partei entsprachen, also dem greiser, antisemitischer, rechter Hardliner, wurden aus der Führungsebene der Partei getilgt und durch junge durchdacht wirkende Parteigänger ersetzt. Man wollte sich keine Skandale und offene verbale Entgleisungen auf die Kappe von Homosexuellen und JüdInnen mehr leisten. Das Hetzen gegen MigrantInnen und insbesondere gegen den Islam ist in der französischen Organisation jedoch immer noch en vogue. Selbst der Ikone der Partei, Jean-Marie Le Pen, welcher immer noch Ehrenvorsitzender der FN ist, kam der Status der Unantastbarkeit abhanden: Als er dem jüdischen Sänger Patrick Bruel in einem Video auf der Parteihomepage mit einer „Ofenladung“ drohte, wenn er nicht aufhöre die Partei zu kritisieren, wurde das Video nach einer Rüge durch die neue Parteichefin an die Adresse ihres Vaters, entfernt. Die Front National gefällt sich in ihrer neuen Rolle als bürgerliche Protestpartei – und vor Allem gefällt sie sich selber an den Schalthebeln der Macht.

Von diesen ist sie jedoch trotz anderslautenden Medienberichten noch weit entfernt. Den Rechtspopulisten, die neu ins europäische Parlament gewählt worden sind, ist es nicht gelungen eine Fraktion zu bilden. Unter Federführung von Marine Le Pen und dem Holländer Geert Wilders wurde das Ziel ins Auge gefasst eine europaskeptische, migrationsfeindliche Fraktion rechts der Konservativen zu bilden. Die nötige Anzahl von 25 Abgeordneten für eine Fraktionsgründung kamen zusammen, jedoch ging der Antrag auf Aufnahme als Fraktion daran zu Grunde, dass die Abgeordneten nicht aus genügend Ländern kamen – 7 wären nötig gewesen. Letztlich war dafür verantwortlich, dass die Europäer vom rechten Rand es wieder einmal geschafft hatten, sich untereinander zu überwerfen. Sowohl die United Kingdom independence Party als auch die Alternative für Deutschland hüteten sich davor, mit den medial als Rechtsextremen wahrgenommen Franzosen und Holländern ins selbe Boot zu steigen. Andererseits lehnten Wilders und Le Pen eine Zusammenarbeit mit den offen faschistischen RechtsextremistInnen der griechischen Chrysi Avgi ab. Dass sich im Europaparlament Leute zerstreiten, die von ihrer eigenen ethnischen und kulturellen Überlegenheit überzeugt sind. hat übrigens Tradition. Schon 2007 war eine – damals noch von Papa Le Pen – gebildete Fraktion rechter Parteien zerbrochen. Grund war der Austritt der Abgeordneten der Grossrumänien-Partei, nachdem das faschistische Fraktionsmitglied Alessandra Mussolini, ihres Zeichens Enkelin des faschistischen Diktators Benito Mussolini, im Parlament gegen rumänische Einwanderer gewettert hatte.

 

EU: Ja oder nein?

Neben ihrer inneren Zerstrittenheit ist es der Aufbau der Europäischen Union, der es den neuen Rechten Europas verunmöglichen wird, auf Basis der Europawahlen die europäische Union zu etwas anderem zu machen, als das, was sie jetzt ist. Wegen der Veto-Rechte in Fragen der Verteidigungs-, Wirtschafts- sowie der Aussenpolitik des europäischen Ministerrates, der durch die Landesregierungen ernannt wird, führt auch ein massiver Überhang an Mandaten im europäischen Parlament nur dazu, dass man bei Fragen des Biegungsgrades von Gurken, des Patentrechts oder der Kultursubvention Mehrheiten bilden kann. Der Aufschrei, der durch die europäische Medienlandschaft ging, als die Wahlresultate eintrudelten, ist nicht dem Umstand geschuldet, dass plötzlich über Nacht  übermächtige rechtsextreme Massenbewegungen aufgetaucht wären. Der Grund ist, dass sich erstmals eine derart grosse Zahl der Wahlberechtigten in den Ländern der europäischen Union dazu entschieden Parteien ihre Stimme zu geben, die die europäische Union ablehnen. Die Wahlen vom Mai waren nicht einfach nur Wahlen für ein Europa der Entsolidarisierung, der brutalen und repressiven Flüchtlings- und Migrationspolitik sowie für einen europäischen Kulturchauvinismus – sprechen wir tacheles: das ist bereits Politik der EU, es waren insbesondere auch Wahlen gegen die pro-europäischen Parteien von Mitte-Links bis Mitte-Rechts.

In dieser politischen Grosswetterlage muss uns MarxistInnen bewusst sein, dass wir den traditionellen rechtsextremistischen Kräften, die mit ihren Mördern und Schlägertrupps vor Allem in Griechenland und Ungarn Hass und Terror schüren, ebenso entschlossen entgegen treten müssen, wie den neuen Rechten Kräften in Europa, die in ihren Heimatländern ihre Springerstiefel und Bomberjacke durch Nadelstreifenanzüge und bürgerlichen Mief ersetzt haben. Der Ausgang der Wahlen ist auch Ausdruck des Wunsches nach einer Renationalisierung Europas. Anders als bei vielen Stimmen innerhalb der gemässigten Linken darf unsere Antwort auf diese tumb einfachen Forderung nach dem Nationalstaat als Retterin vor der Brüsseler Trojka, aber nicht „Wir brauchen mehr EU“ sein. Unsere Antwort muss die internationale Verbundenheit  und Solidarität aller Ausgebeuteten der Erde sein. Eine internationale Solidarität, die nicht vor Lampedusa mitten im Mittelmeer endet. Unsere Antwort muss eine Politik sein, die sich gegen jedes europäische Spardiktat stellt, dass die Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung niederreissen will, um zu sichern, dass kein Konzern finanzielle Einbussen durch die Krise erleidet, während die ArbeiterInnen, wie in den Ländern Südeuropas, ins blanke Elend gestürzt werden. Unsere Antwort muss also eine Absage an den Kapitalismus und seine Institutionen – also auch an die EU – sein.

Es gibt den alten Spruch: „Nur die Schwäche der Linken ebnet den Rechten den Weg.“ In dieser Formel lassen sich trotz seiner Schwächen so manche Wahrheiten finden. Was zum Beispiel wahr ist, ist dass die Linke die objektiven Verhältnisse in Europa vollends ignoriert, solange sie zulässt, dass nur die RechtspopulistInnen es wagen Brüssel zu kritisieren. Während den Menschen, die mit dem Anspruch progressive Politik zu betreiben, die Knie schlottern, wenn davon gesprochen wird das goldene Kalb EU zu schlachten. Die ganzen Wilders, Le Pens und Farages sind aus den falschen, aus egoistischen, nationalistischen und chauvinistischen Gründen gegen die Europäische Union. Das steht ausser Frage. Dadurch wie diese europäische Union agiert, wurde sie jedoch zum Anziehungspunkt für all jene, die nicht mehr einverstanden sind. Sie wurde, weil von links häufig diese Position nicht eingenommen wurde, zur Alternative. Trotzdem, oder gerade deswegen, waren die vergangenen Wahlen kein Fanal für den Rechtsextremismus und den Rechtspopulismus in Europa. Es war der Aufstand gegen die Politik des Establishments und solange wir nicht mit kompromisslosen und konsequenten linken Positionen die rechten Hetzer von diesem politischen Parkett jagen und die Werktätigen organisieren, wird die europäische Rechte wachsen und an Einfluss gewinnen.

 

Florian Sieber
Juso Thurgau