Seit 2001 wurden in Thailand viele Reformen umgesetzt, welche die Lebensbedingungen der Landbevölkerung massiv verbessert haben. Der Militärputsch von Mai 2014 bedroht die Baubernbewegung und ihre Errungenschaften. Wie kein anderes Land in Südostasien zeigt Thailand, dass in der Krise des Kapitalismus kein Spielraum für progressive Reformen mehr besteht. Zur Lösung ihrer grundlegendsten Probleme müssen sich die ArbeiterInnen und die Landbevölkerung auf einen unabhängigen Klassenstandpunkt stellen.

By Tsui at de.wikipedia [CC BY-SA 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0), GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], from Wikimedia CommonsStaatsstreiche und Militärputschs haben in Thailand eine lange Tradition. Seit der Abschaffung der absoluten Monarchie (durch eine Militärintervention) im Jahr 1932 wurden insgesamt 12 erfolgreiche Militärcoups durchgeführt. Seit dem 22. Mai 2014 wird Thailand erneut von einer Militärregierung beherrscht. Dem Putsch ging eine siebenmonatige Kampagne der oppositionellen Gelbhemden voran. Vor allem in Bangkok protestierten städtische (Bildungs)-BürgerInnen, welche auf die „dumme, faule“ Landbevölkerung seit Jahren verächtlich hinabblicken. Nach inszenierten Protesten wurde Premierministerin Yingluck Shinawatra, Schwester des ebenfalls abgesetzten Premiers Thaksin Shinawatra, vom Verfassungsgericht des Amtes enthoben. Anders als im Jahr 2010 verzichtete Yingluck Shinawatra darauf, ihre Basis – die Rothemden – zu mobilisieren. Das Ausbleiben einer entschlossenen Mobilisierung ermutigte die Generäle, das Kriegsrecht zu verhängen und die Reste der Regierung zu stürzen. Seither regiert in Thailand der „Nationale Rat für Frieden und Ordnung“, also die Generäle und Monarchisten. Ihr Programm wurde von Armeechef Prayuth Chan-ochawie folgt zusammengefasst: „Wir werden versuchen, nicht gegen die Menschenrechte zu verstossen – zumindest nicht zu sehr.“

Seither hat Thailand eine Welle von Repression gegen Oppositionelle erlebt. Betroffen sind in der Regel AktivistInnen der Rothemden und UnterstützerInnen der Regierung. Während die führenden und entschlossensten Elemente der Bauernbewegung so ausgeschaltet werden, versucht die Junta, Teile der Landbevölkerung zu kaufen. So wurden ausstehende Beträge der staatlichen Reissubvention an Bäuerinnen ausgezahlt, die Subventionspolitik wird vorläufig fortgesetzt, wenn auch zu drastisch verschlechterten Bedingungen. Auf den ersten Blick erscheint das seltsam, schliesslich waren es genau solche staatlichen Programme, welche die alten Eliten gegen die Regierung von Yingluck Shinawatra aufbrachte. Diese widersprüchliche Politik widerspiegelt die grosse Angst der Junta vor dem gewaltigen Potential einer Massenmobilisation der BäuerInnen. Dass diese Angst begründet ist, zeigt die Erfahrung von 2010 deutlich. Nachdem Sturz von Thaksin Shinawatra wurde die Regierung der Monarchisten durch Massendemonstrationen der Rothemden zu Fall gebracht. Die folgenden Wahlen brachten einen Erdrutschsieg für Yingluck Shinawatra. Die aktuelle Strategie versucht offensichtlich, das Selbstvertrauen der Bäuerinnen in ihre eigene Stärke mit Zuckerbrot und Peitsche zu untergraben.

Aber wenn die AnhängerInnen von YingluckShinawatra den Mai-Putsch hätten verhindern können, wieso wurden sie dann nicht zu Blockaden, Streiks und Demonstrationen aufgerufen? Dies ist einerseits der sozialen Struktur von Thailands Gesellschaft, andererseits auch der veränderten wirtschaftlichen Situation geschuldet.

Wie ein Multimilliardär zum Hoffnungsträger der Kleinbauern wurde

Thaksin Shinawatra und seine Schwester gehören zu einer Schicht von aufstrebenden Geschäftsleuten aus der Provinz. Er wurde als Medienmogul zum Multimilliardär, war zuvor Oberstleutnant der Polizei. Die Korruptionsvorwürfe gegen ihn und seine Schwester, die zu ihrer Entmachtung geführt haben, sind vermutlich nicht einmal erfunden. Persönliche Bereicherung, nicht ein soziales Gewissen, ist ein zentrales Motiv beim Aufstieg des Shinawatra-Clans. Gleichzeitig fallen in ihre Amtszeit progressive Reformen, wie zum Beispiel eine staatliche Gesundheitsversorgung, Infrastrukturprogramme, ein Mindestlohn oder ein staatlich garantierter Mindestpreis für Reis. Diese Politik hat zur Verbesserung des Lebens der verarmten Landbevölkerung beigetragen. Wie kam es, dass Leute wie die Shinawatras zur Verkörperung der Hoffnung der verarmter Bäuerinnen wurden?

Bis zu den Wahlen 2001 war die politische Macht in Thailand fest in den Händen der alten Eliten aus Bangkok. Sie teilten wichtige Posten in der Verwaltung, der Armee und in der Regierung unter sich auf. Ihnen fielen die grössten Gewinne in Thailand vor der Asienkrise zu. Obwohl sich auch in der Provinz eine Schicht von Kapitalisten gebildet hatte, wurden diese komplett von den Kapitalisten aus Bangkok dominiert Diese Vormachtstellung wurde von der asiatischen Wirtschaftskrise Ende der 90er beendet. In der Folge erlebte das Land drastische Privatisierungen: die Kosten der Krise wurde auf die arbeitende Bevölkerung abgewälzt. Thaksin Shinawatra gehörte zu einer Gruppe von aufstrebenden Kapitalisten aus der Provinz, welche nun ihre Zeit gekommen sahen. Sie nutzten das politische Vakuum um und betrieben Populismus gegen die Politik des IWF. Die arme Landbevölkerung, welche von den „Reformprogrammen der internationalen Geldgeber“ besonders hart betroffen war, sah in Thaksin Shinawatra die einzige Möglichkeit auf ein besseres Leben.

Einmal an der Macht war er gezwungen, seine Wahlversprechen umzusetzen. Da er von den Bangkoker Eliten als gefährlicher Emporkömmling bekämpft wurde, war seine einzige Basis die verarmte, bäuerliche Landbevölkerung. Obwohl er als populistischer Milliardär natürlich kein Interesse an wirklicher sozialer Gerechtigkeit, geschweige denn an Sozialismus hatte, sah er sich gezwungen, die weitreichendsten, progressivsten Reformen durchzuführen, die Thailand je gesehen hatte. Diese Erfahrung stärkte das Selbstvertrauen der Landbevölkerung. Seit 2001 hat die Pheu Thai alle demokratischen Wahlen gewonnen. Aber die Reformen trafen die Kapitalisten genau dort, wo es sie am meisten schmerzte: bei ihren Profitbedingungen. Es überraschte deshalb nicht, dass Thaksin Shinawatra 2006 abgesetzt wurde. In den folgenden Jahren erreichte der Kampf zwischen Gelb- und Rothemden seinen vorläufigen Höhepunkt. Die Massenproteste führten 2011 zu Neuwahlen und dem überwältigenden Sieg der Pheu Thai.

Die Grenzen der Reformpolitik

Yingluck Shinawatra, die ihr Amt genau wie ihr Bruder ihrem Rückhalt in den Massen verdankte, sah sich dennoch mit einer völlig anderen Situation konfrontiert. Die Weltwirtschaftskrise 2008 traf auch Thailands Exportindustrie hart. Für die herrschende Klasse, von der auch die Shinawatras ein Teil sind, waren Massnahmen wie die Subvention der ReisbäuerInnen einfach zu teuer. Gleichzeitig konnte und wollte die Führung der Pheu Thai auch keine antimonarchistische Propaganda entwickeln, denn das hiesse, ein Symbol für die Nationale Einheit zu gefährden. Zusätzlich hätte eine solche Massenbewegung einen zunehmend unkontrollierbaren Charakter annehmen können. Genau dies ist aber das Letzte, was Thailands Kapitalisten wollen, egal ob sie rote oder gelbe Hemden tragen. Gefangen zwischen den Erwartungen ihrer Basis und den Interessen ihrer eigenen Klasse stiess die progressive Reformpolitik der Regierung an ihre Grenzen. Yingluck Shinawatra versuchte zwar, die Monarchisten mit Konzessionen zu beruhigen. Doch einmal mehr zeigte sich, dass die Klasseninteressen sich unversöhnlich gegenüber stehen. Statt sich mit einem Kompromiss abzufinden, wurden die Proteste verstärkt. Die Regierung kapitulierte und berief für den Februar 2014 Neuwahlen ein.

Die Gelbhemden forderten nun aber die Einsetzung (nicht Wahl) eines nationalen Rates, dessen Aufgabe es sei, alle Spuren der Pheu Thai-Politik zu tilgen, also eine Armeeintervention. Wenn die Demokratie zum Hindernis für das Kapital wird, muss sie über die Klinge springen. Das ist die Logik des Kapitalismus, ob in Thailand, wo einfach ein Putsch durchgeführt wird oder ob in Griechenland, wo die internationalen Geldgeber der Bevölkerung mit finanziellen Konsequenzen drohen. Dass Demokratie für den Kapitalismus bestenfalls ein Luxusgut ist, wird von einem Sprecher der Rating Agentur Fitch unterstrichen. Der Militärputsch sei nicht notwendigerweise negativ für Thailands Schulden und könnte helfen, die politische Lähmung aufzubrechen. „Der entscheidende Faktor für die Ratings ist, ob es Thailand gelingt, ernsthafte und blutige Unordnung abzuwenden und ob eine voll funktionsfähige Regierung eingesetzt wird, die ein Budget für das nächste Fiskaljahr verabschieden kann.“

Die Lehren aus Thailands Putsch

Nach mehr als einem halben Jahr ist Thailands Putsch grösstenteils aus den westlichen Medien verschwunden. Ähnlich wie im Nachbarland Burma ist die Repression gegen „Oppositionelle“ kein Hindernis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit westlichen Konzernen oder Regierungen. Mittlerweile rangiert Thailand punkto Medienfreiheit auf einer Stufe mit China oder dem Iran. Sogar die WoZ schrieb im Dezember von der Notwendigkeit eines Massenaufstands. Im nächsten Satz jedoch wird diese Möglichkeit als „undenkbar“ abgetan. Obwohl der Militärputsch zweifellos ein schwerer Schlag gegen die Bewegung der Rothemden war, hat er keines der grundlegenden Probleme der thailändischen Gesellschaft gelöst. Im Gegenteil: die Junta wird über kurz oder lang die Reformen der beiden Shinawatra-Regierungen angreifen müssen. Als Konsequenz wird der Klassenkampf in Thailand erneut Aufflammen. Unter diesen Bedingungen sind Massenaufstände genau so „undenkbar“ wie in Tunesien im Jahr 2010 oder in Mexiko im Jahr 2014.

Es gibt jedoch noch weitere Lehren, welche wir aus den Ereignissen in Thailand ziehen können. Wie bereits erwähnt haben Populisten wie die Shinawatras nicht das geringste Interesse an einer sozialistischen Transformation der Gesellschaft. Dies hat sich in den Monaten vor dem Putsch deutlich gezeigt, als Yingluck Shinawatra nicht einmal gewillt war, die durchgeführten Reformen zu verteidigen. Dies zeigt deutlich die Notwendigkeit eines klaren und unabhängigen Klassenstandpunkts. Thailand bestätigt ein weiteres Mal, dass die Bauern und Bäuerinnen entweder der Bourgeoisie oder der ArbeiterInnenklassefolgt. Die Lösung ihrer grundlegendsten Probleme kann Thailands Landbevölkerung jedoch nicht von populistischen Milliardären erwarten. Stattdessen sind ihre Interessen untrennbar mit dem Proletariat verbunden. Die Arbeiterinnen und Arbeiterstand bis jetzt eher unbeteiligt an der Seitenlinie. Die bevorstehenden Angriffe werden sich jedoch nicht auf die Bauernschaft beschränken und das Proletariat zwingen, die politische Bühne zu betreten. Wenn dies geschieht, wird es die Landbevölkerung auf der Grundlage eines revolutionären Programms für seine Sache, die sozialistische Revolution, gewinnen können: die Abschaffung der Schulden und des Wuchers, die Verteilung des Landes und existenzsichernde Einkommen.

Das Beispiel Thailands zeigt, welche Kraft und welches revolutionäre Potential die Massen besitzen. Die progressiven Reformen Thailands sind nicht der Grosszügigkeit oder dem sozialen Gewissen der Shinawatras zu verdanken, sondern einzig und allein eine Errungenschaft der Massenbewegung. Thailands zeigt aber auch exemplarisch auf, welcher Spielraum für solche Reformen in der globalen Krise des Kapitalismus unter der Herrschaft der Bourgeoisie besteht: keiner.

Weltweit nimmt die herrschende Klasse alle Reformen, Zugeständnisse und Verbesserungen zurück, weil sie sich diese schlicht nicht mehr leisten können. Thailands Rothemden lernen diese Lektion nun auf die harte Tour. Aber auch in Europa machen die Menschen nach und nach die Erfahrung, welche Karl Marx und Friedrich Engels schon 1879 verallgemeinert haben: „Die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der Arbeiterklasse selbst sein.“