Noch nie waren so viele Frauen auf dem Arbeitsmarkt tätig wie heute. Trotzdem wird das Rollenbild der Hausfrau am Herd weiter zementiert. Der Kampf für die Lohngleichheit muss auch diese geschlechtliche Rollenverteilung angreifen.

Die Frau kümmert sich ums Haus, der Mann geht arbeiten. Das klassische Familienbild ist allbekannt, doch es entspricht weniger denn je der Realität. Heute gehen 70% der Frauen in der Schweiz einer Lohnarbeit nach – mehr als je zuvor. Dennoch sind Frauen weiterhin mehrheitlich für den Haushalt zuständig. Gemäss dem Bundesamt für Statistik erledigt nur in 5% aller Schweizer Familien der Mann hauptsächlich die Hausarbeit. Bei Haushalten mit mehr als zwei Kindern fällt die Hausarbeit in 80% der Fälle mehrheitlich den Frauen zu. Wir stellen also eine Doppelbelastung für die Frau fest: Sie geht einer Lohnarbeit nach und muss gleichzeitig den Grossteil der Hausarbeit (Kochen, Putzen, Erziehung, etc) leisten.

Traditionelle Rollenbilder weiterhin intakt

Doch dies ist insbesondere in der Schweiz keine «freie Entscheidung der Familien». Die Schweiz ist das letztplatzierte Land in Europa bezüglich der Anzahl Wochen Elternurlaub; wobei die Männer bekanntlich keinerlei Recht auf Vaterschaftsurlaub haben. Zudem belegt die Schweiz den letzten Platz in West- und Nordeuropa betreffend den öffentlichen Ausgaben für die Betreuung von Kleinkindern. Und schliesslich die bekannten horrenden Kosten für Kinderkrippen: sie sind für die allermeisten Familien nicht bezahlbar. Kurz: Die Frauen werden von der bürgerlichen Ordnung zur Hausarbeit gezwungen!

Die traditionelle Rollenverteilung (Haupternährer/Hausfrau) wird also gefördert – obwohl die meisten Frauen einer Lohnarbeit nachgehen. Diese Rollenverteilung beginnt bereits mit der Erziehung in der Schule und in der Familie. Zahlreiche Studien belegen, dass von früh auf bei Knaben andere Eigenschaften gefördert werden als bei Mädchen. Noch heute wird bei Knaben insgesamt vor allem Wert auf die Durchsetzungsfähigkeit gelegt, während bei den Mädchen die Fürsorglichkeit im Zentrum steht. Von Kindesbeinen an werden Frauen so erzogen, als wären Mutter und Hausfrau ihre einzigen Aufgaben. Obwohl Frauen heute keinesfalls reine Hausfrauen sind, wird ihnen weiterhin diese Rolle zugeschrieben.

Doppelbelastung und Löhne

Diese Doppelrolle spiegelt genau den doppelten Anspruch wider, den das kapitalistische System an die Frauen stellt: Einerseits sollen sie – wie fast alle anderen Menschen – ihre Arbeitskraft an die KapitalistInnen verkaufen und so deren Profite garantieren. Andererseits sollen sie Zuhause die Hausarbeit erledigen. Diese Arbeit ist für die Kapitalisten genauso wichtig: Denn damit stellen sie sicher, dass die ArbeiterInnen tagtäglich von Neuem ausgeruht und satt wieder am Arbeitsplatz erscheinen. Natürlich soll diese riesige Arbeitslast im privaten Haushalt gebuckelt werden: Gänzlich ohne Kosten für die KapitalistInnen.

Diese Rollenzuweisung ist der zentrale Faktor, um die Diskriminierung der Frau auf dem Arbeitsmarkt zu verstehen; so zum Beispiel auch die tieferen Frauenlöhne. Frauen verdienen in der Schweiz 18% weniger als Männer. Allein dadurch entgehen den Frauen in der Schweiz jährlich sieben Milliarden Franken – welche direkt in die Kassen der KapitalistInnen fliessen. Ein beachtlicher Teil dieser Lohndifferenz ist eine direkte Konsequenz der sexistischen Rollenbilder im Kapitalismus.

Dass trotz Lohnarbeit dennoch den Frauen mehrheitlich die Hausarbeit, die Erziehung von Kleinkindern und die Pflege der Alten zufällt, ist nicht «natürlich» und schon lange keine objektive Notwendigkeit mehr. Die Ungleichheit und Unterdrückung wird künstlich durch den Kapitalismus und seine Art, die sozialen Beziehungen zu organisieren, aufrechterhalten. Ändern wir die gesellschaftlichen Verhältnisse, so können auch die Geschlechterbeziehungen und -rollen neugestaltet werden. Die tieferen Löhne, der fehlende Vaterschaftsurlaub oder die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit in «Frauenberufen» zementieren aber die «traditionelle» Rollenverteilung in den Arbeiterfamilien.

«Frauen sollen nicht aufmucken!»

Selbst bei gleicher Qualifikation und gleicher Stelle verdienen Frauen häufig weniger. Der höhere Lohn erklärt, weshalb Männer nach wie vor in den meisten Familien «Haupternährer» sind. Das Rollenbild führt dazu, dass UnternehmerInnen es nicht als notwendig ansehen, den Frauen einen Lohn zu zahlen, der ihnen eine selbständige Existenz ermöglichen würde. Zu dieser offenen Diskriminierung durch die KapitalistInnen kommt noch das Argument der fehlenden Durchschlagskraft der Frauen bei Lohnverhandlungen und Besetzungen von Kaderpositionen. Mit diesem Argument wollen die Bürgerlichen die Schuld für die Lohnungleichheit den Frauen selbst in die Schuhe schieben!

Auch hierbei handelt es sich um ein strukturelles Problem. Denn das tendenziell zurückhaltende Verhalten von Frauen fällt weder vom Himmel noch liegt es in «ihrer Natur». Die Zurückhaltung von Frauen erklärt sich zu einem grossen Teil durch die Rolle, welche der Kapitalismus für die Frau vorsieht. Dazu kommt, dass die Doppelbelastung, Teilzeitarbeit und prekärere Arbeitsbedingungen, denen Frauen häufig ausgesetzt sind, eine  verwundbarere Position auf dem Arbeitsmarkt bedeuten. Hier zeigt sich die ausbeuterische und sexistische Funktionsweise des Kapitalismus in ihrer ganzen Pracht: Frauen sollen einer Lohnarbeit nachgehen – aber diese gefälligst für wenig Lohn, ohne aufzumucken und vor allem ohne dabei die Hausarbeit zu vernachlässigen.

Der Kapitalismus stellt also doppelte und zugleich widersprüchliche Anforderungen an die arbeitenden Frauen, welche diese gar nicht alle gleichzeitig erfüllen können. Bezahlen sollen die Frauen dafür gleich selbst: Sie verdienen einen Fünftel weniger als die Männer! Doch der Widerstand dagegen wächst rasant. Es ist genau diese Widersprüchlichkeit, welche aktuell Millionen von Frauen (und Männern) überall auf der Welt gegen die Frauenunterdrückung radikalisiert und auf die Strassen treibt.

Kampf gegen Ideologie und System

Auch in der Schweiz werden am 22. September tausende SchülerInnen, Studierende und ArbeiterInnen gegen Lohnungleichheit demonstrieren. Sie stellen den Status Quo in Frage und suchen nach Alternativen. Der Kampf gegen Ausbeutung und Lohnungleichheit ist ein radikaler Kampf, denn er führt direkt in den Konflikt mit den KapitalistInnen und ihren Profitinteressen.

Dieser Kampf stellt sich zwingendermassen gegen das kapitalistische System als Ganzes. Denn die arbeitende Frau von ihrer Doppelbelastung zu befreien wird erst möglich, wenn die Hausarbeit gesellschaftlich organisiert wird. Es müsste ein flächendeckendes Netz von Kitas und Kantinen eingerichtet werden. Die nötigen Gelder dafür sind durchaus vorhanden, sie müssten aber den KapitalistInnen entrissen werden. So wird ebenfalls deutlich, dass auch die diskriminierenden Rollenbilder schliesslich im Interesse der Herrschenden aufrechterhalten werden. Dies bedeutet, dass wir uns unbedingt jetzt und hier gegen jegliche sexistischen Ideologien und gegen die geschlechtliche Arbeitsteilung stellen! Und zwar indem und während wir gemeinsam den allgemeinen Kampf gegen den Kapitalismus und seine Unterdrückungsmechanismen eröffnen:
Für gute Löhne! Für kostenlose Krippen und Tagesstrukturen! Gegen Lohnungleichheit! Gegen sexistische Rollenbilder! Gegen den Kapitalismus!

Dersu Heri
JUSO Genf

Bild: Streikende Frauen mit Transparenten am 14. Juni 1991 (Schweizerisches Sozialarchiv)