[dropcap]D[/dropcap]ie Revolution von 1917 stellt einen historischen Wendepunkt dar. Das rückständige Russland wurde innert eines Jahres in vielen Bereichen fortschrittlicher als die ‚liberalen‘ Demokratien des Westens. Zu den grössten Errungenschaften gehörten gewaltige Fortschritte der Emanzipation der Frau in der Gesellschaft, erkämpft von den revolutionären Arbeiterinnen und Bäuerinnen.

Das Jahr 1917 begann in der russischen Hauptstadt Petrograd mit einer Streikwelle, die sich kontinuierlich zur Februarrevolution entwickelte. Nach zweieinhalb Jahren Krieg, Not und Hunger war die Geduld der ArbeiterInnen aufgebraucht. Innerhalb von zwei Monaten war Petrograd in den Händen der ArbeiterInnen und Soldaten, die Minister der zaristischen Regierung sassen im Gefängnis.

An der Spitze der Revolution
Eine entscheidende Rolle kam in diesen zwei Monaten dem Internationalen Frauentag zu, der in Russland am 23. Februar begangen wird. Arbeiterinnen und Hausfrauen organisierten Protestkundgebungen gegen den Krieg, die hohen Lebenshaltungskosten und die schlechten Arbeitsbedingungen. Sie gingen in die Fabriken und riefen die ArbeiterInnen zum Streik auf. Dies hatte eine weitere Ausbreitung der Streiks zur Folge, so dass dieser Tag als der Beginn der Februarrevolution in die Geschichte einging. Doch die Arbeiterinnen erwiesen sich auch in den folgenden Monaten als die entschlossensten Kämpferinnen der Revolution.

Die russischen Arbeiterinnen
Das hohe Bewusstsein der russischen Arbeiterinnen erstaunt nicht. Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert hat den feudalen Familienstrukturen in Russland die wirtschaftliche Grundlage entzogen, hunderttausende Bauernfamilien vom Land in die Städte getrieben und proletarisiert. Obwohl Frauenarbeit schon davor weit verbreitet war, stieg die Zahl der Arbeiterinnen mit dem Ersten Weltkrieg noch einmal enorm an. Zwischen 1914 und 1917 waren über eine Million Arbeiterinnen in den industriellen Zentren des Landes beschäftigt. In Petrograd war mindestens ein Drittel des Proletariats weiblich. Ihre dabei erlebte allgemeine Unterdrückung als Arbeiterinnen und die sich daraus ergebende spezielle Unterdrückung als Frauen trug massgeblich zur Entwicklung ihres revolutionären Bewusstseins bei.

Von der Revolution…
Nach der Oktoberrevolution lag die Macht in den Händen der in Sowjets organisierten ArbeiterInnen, BäuerInnen und Soldaten. Diese neue, demokratischere Staatsform bildete das Fundament für die weitreichendsten emanzipatorischen Gesetzgebungen. Bereits im Dezember wurde eine Gesundheits- und Mutterschaftsversicherung eingerichtet und die zivile Ehe ermöglicht. Im Jahr 1918 erliess die Sowjetregierung ein neues Zivilgesetz, das unter anderem die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau verfügte und die Scheidung für beide Partner legalisierte. Durch eine Rente für Alleinerziehende wurde die ökonomische Abhängigkeit der Frau vom Ehemann aufgehoben. Das neue Zivilgesetz legalisierte auch die gleichgeschlechtliche Ehe. Schlussendlich wurden ab 1920 das Recht auf Abtreibungen in staatlichen Kliniken ermöglicht. All diese bedeutenden Reformen stellten jedoch lediglich ein Nebenprodukt der Revolution dar.

Die kommunistische Frauenbewegung
Denn auch die besten Gesetze sind bloss Papier, wenn sie nicht umgesetzt werden. Zu diesem Zweck gründeten die Bolschewiki auf Initiative von Alexandra Kollontai und Inès Armand im Jahr 1919 die Ženotdel (russ. Женотдел). Diese ‚Frauenabteilung der Kommunistischen Partei‘ setzte sich zum Ziel, die aktive politische Teilnahme der Frauen im Kampf für bessere Lebensbedingungen zu fördern. Zu diesem Zweck organisierte die Ženotdel Kampagnen zur Beseitigung von Analphabetismus oder gegen die Prostitution. Die Grundlage dieser „zweiten Oktoberrevolution“ bildeten Frauenkomitees mit gewählten Delegierten, die von FunktionärInnen des Staates Rechenschaft einforderten und Missstände mit Massenunterstützung öffentlich bekämpften. So gelang es einerseits, viele Frauen in die Partei- und die Staatsarbeit einzubeziehen. Andererseits wurden die Sowjets auf die Mechanismen der Frauendiskriminierung sensibilisiert. Für zahlreiche Frauen, insbesondere in den rückständigen Regionen Russlands, stellte die Ženotdel die erste Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ausserhalb der Familie dar.

… zur Konterrevolution
Doch die rückständigen Ausgangsbedingungen in Russland, die harten Bedingungen des Bürgerkriegs, verbunden mit dem Scheitern der Revolutionen in Mittel- und Westeuropa hatten die Bürokratisierung von Sowjetrussland zur Folge. Dieser konservative Rückschritt stellte viele Errungenschaften der Oktoberrevolution in Frage. Deshalb ist es keine Überraschung, dass die Ženotdel sich in dieser Auseinandersetzung aktiv auf der Seite der Linken Opposition um Trotzki beteiligte. Das Scheitern dieses Kampfes und der Triumph der Bürokratie stellt auch eine schwere Niederlage für die kommunistische Frauenbewegung dar, auch wenn nicht alle Errungenschaften rückgängig gemacht werden konnten. Dennoch wurde die Ženotdel im Jahr 1930 aufgelöst, 1936 die Kleinfamilie institutionalisiert, die Abtreibung bis ins Jahr 1955 erneut illegalisiert. Auch Homosexualität wurde 1944 in der Sowjetunion wieder kriminalisiert.

Die Geschichte des Aufstiegs und Niedergangs der kommunistischen Frauenbewegung in der Russischen Revolution zeigt deutlich das revolutionäre Potential der Arbeiterinnen. Es ist nicht untertrieben zu sagen, dass ohne die aktive Teilnahme der Arbeiterinnen und Bäuerinnen die Russische Revolution unmöglich gewesen wäre. Die in kürzester Zeit erkämpften Errungenschaften zeigen, dass die sozialistische Revolution mehr als jeder bürgerliche Parlamentarismus oder reformistische Gradualismus in der Lage ist, die Stellung der Frau in der Gesellschaft zu verbessern.

Diese Errungenschaften waren auch möglich, weil die Bolschewiki sich der Geschlechterfrage früh offensiv annahmen. Nicht zufällig nahmen Kommunistinnen wie Kollontai oder Armand in der Revolution eine wichtige Rolle ein. Diese revolutionäre Tradition wieder zu entdecken ist die Aufgabe aller, die das Erbe der Russischen Revolution verteidigen.

Flo D.
JUSO Baselland