[dropcap]D[/dropcap]as Stimmrecht, der Mutterschaftsurlaub, die Fristenlösung – dies waren einige der zentralen Forderungen der Frauenbewegungen im letzten Jahrhundert. In einer mehrteiligen Artikelserie behandeln wir die Geschichte der Frauenbewegung in der Schweiz und stellen uns die Frage, weshalb die Realisierungen der Forderungen erst so spät erkämpft werden konnten.

Bürgerliche und proletarische Frauenbewegung

Betrachten wir die Geschichte der Frauenbewegung in der Schweiz, so müssen wir zwischen der proletarischen und der bürgerlichen Frauenbewegung unterscheiden. Dies da sie unterschiedliche Interessen sind vertreten haben und immer noch vertreten, nämlich die ihrer gesellschaftlichen Klasse. Diese Klassen spiegeln sich im Charakter der jeweiligen Frauenbewegungen, in ihren Forderungen und der Art und Weise, wie sie diese stellen. Und sie spiegeln sich in den unterschiedlichen Rollen, welche die Frauen unterschiedlicher Klasse in den gesellschaftlichen Prozessen schlussendlich gespielt haben und immer noch spielen.

Die Arbeiterinnenvereine

Unter Einfluss der sozialistischen Bewegung entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die ersten Arbeiterinnenvereine der Schweiz, welche von Beginn an in die Arbeiterbewegung integriert waren. Es waren Vereinigungen der Arbeiterinnen, welche in den männlich geprägten Gewerkschaften, die gewisse frauenspezifische Berufe nicht erfassten, keinen Platz fanden.

Geprägt von der 2. Internationalen, allen voran von der Sozialistin und Kämpferin für Frauenrechte, Clara Zetkin, stellten diese Arbeiterinnen zum einen die wirtschaftlichen und politischen Forderungen, welche, im Gegensatz zu den Almosen der bürgerlichen Frauen, das Leben einer Arbeiterin wirklich erleichtern sollten. Zum anderen stellten sie diese in den revolutionären Kontext, in dem eine Befreiung der Frau nur im Zusammenhang der Befreiung der Arbeitenden als solche möglich ist. So wurden die Forderungen um die konkrete Verbesserung der Lage der Frau mit den sozialistischen Forderungen verbunden.

1890 kam es zur Vereinigung im Schweizerischen Arbeiterinnenverband (SAV), welcher sich 1904 für kurze Zeit dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) anschloss und sich 1917 in der Sozialdemokratischen Partei (SPS) auflöste. Dies war wegweisend, denn von nun an würden die frauenspezifischen Forderungen in den Hintergrund treten und in der männlich geprägten, die Rollenbilder teilweise reproduzierenden SP, eine stiefmütterliche Behandlung erfahren. Die proletarische Frauenbewegung wird von nun an hauptsächlich an den Werdegang der SP gekoppelt sein.

Geschichte der Schweizer Frauenbewegung
Dieser Artikel ist Teil einer vierteiligen Serie zur Geschichte der Schweizer Frauenbewegung. Die weiteren Artikel findest du unter:

Bund Schweizerischer Frauenorganisationen

Die zur gleichen Zeit entstandenen bürgerlichen Frauenvereine lassen sich in zwei Hauptströmungen unterscheiden. Zum einen die Sittlichkeitsvereine rund um die 1871 gegründete Fédération abolitionniste internationale (FAI), welche sich, unter dem Banner der bürgerlichen Moral, hauptsächlich gegen die Prostitution einsetzten.

Zum anderen wurden diverse gemeinnützige Vereine gegründet, welche sich 1888 zum Schweizerischen gemeinnützigen Frauenverein zusammenschlossen und sich als Vermittlerinnen des bürgerlichen (Haus-)Frauenbildes verstanden.
So spielte denn die bürgerliche Frauenbewegung – mit einigen Ausnahmen vor allem in der Romandie – mehrheitlich eine moralisierende und dem Frauenbild entsprechend fürsorgliche und «den Mann ergänzende» Rolle, welche eben dieses Bild zementieren sollte. Sie kümmerten sich vor allem um die «Ärmsten der Gesellschaft» und die «gefallenen Mädchen», gründeten Haushaltungs-, und Dienstbotenschulen, Mädchenheime etc.

Im Anschluss an den ersten, auf Bitte des Bundesrats durchgeführten Schweizerischen Frauenkongress 1896 schlossen sich die bürgerlichen Frauenvereine 1900 zum Bund Schweizerischer Frauenorganisationen (BSF), welche die grösste Frauenorganisation werden sollte, zusammen. Die damit verbundene Heterogenität des BSF verunmöglichte es lange Zeit, gemeinsame Forderungen auszuarbeiten. So organisierten sich denn auch Teile der bürgerlichen Frauen parallel dazu in den Stimmrechtsverbänden, welche zu späterem Zeitpunkt eine wichtige Rolle einnehmen sollten.

Die Frauen und der Erste Weltkrieg

Der unterschiedliche Charakter der bürgerlichen und der proletarischen Frauenbewegung zeigte sich während der Zeit des Ersten Weltkriegs besonders deutlich. Dieser bedeutete für die Arbeitenden eine massive Verschlechterung der Lebensbedingungen (v.a. durch den starken Anstieg der Lebensmittelpreise und den Einbruch der Reallöhne).

Die bürgerlichen Frauenorganisationen spielten in dieser Situation eine tragende Rolle, übernahmen sie doch viele soziale, gemeinnützige Aufgaben, zu denen der Bund nicht bereit war. Sie gründeten Frauenzentralen, welche später dem BSF beitraten, stellten sich dem Roten Kreuz als Hilfsorganisationen zur Verfügung und propagierten patriotische, öffentliche Pflichterfüllung. Dies geschah teilweise auch in der Hoffnung, dass ihnen danach, sozusagen als Dank für ihren unermüdlichen Einsatz fürs Vaterland, Zugeständnisse in Sachen Frauenrechte gemacht werden würden.

Die Arbeiterinnen spielten ihrerseits eine andere Rolle. Die Verschlechterung der Lebensqualität der arbeitenden Bevölkerung angesichts einer massiven Bereicherung der Bauern und der Grossindustriellen, fand ihren Ausdruck in einer zunehmenden Radikalisierung der ArbeiterInnenbewegung. Dies trotz der Burgfriedenspolitik der SP-Führung, welche für die Mobilisierungskredite gestimmt hatte.

Die Frauen spielten eine wichtige Rolle in dieser Radikalisierung, allen voran Rosa Bloch-Bollag, die später Mitglied des Oltener Aktionskomitees, Redakteurin der Zeitschrift «Die Vorkämpferin» und späteres Gründungsmitglied der Kommunistischen Partei Schweiz (KPS) war.

Die Arbeiterinnen, die keine Almosen zu verteilen und keine freie Zeit für «öffentliche Pflichten» zur Verfügung hatten, begannen, sich selbst zu helfen. Sie organisierten Hungerdemonstrationen gegen die Teuerung und andere Aktionen. So gingen die Arbeiterinnen bspw. auf den Märkten in direkte Konfrontation mit den preistreibenden Bauern. Die Radikalisierung der Arbeiterinnen blieb nicht ohne Wirkung auf das erhöhte Klassenkampfniveau, welches schlussendlich 1918 im Generalstreik mündete, bei welchem dann das Frauenstimmrecht auch eine der 9 Forderungen war.

Frauenstimmrecht – die zentrale Forderung

Bis dieses jedoch erreicht werden sollte, mussten noch einige Jahrzehnte vergehen. 1919 reichten die beiden Nationalräte Herman Greulich (SP/ZH) und Emil Göttisheim (FDP/BS) eine Motion zur Einführung des Frauenstimmrechts ein, welche erst 30 Jahre später behandelt werden sollte. Aufgrund von sozialdemokratischen Eingaben kam es zwischen 1919 und 1921 in 6 Kantonen zu Abstimmungen über das Frauenstimmrecht, welche allesamt abgelehnt wurden.

Die Motion Greulich/Göttisheim wurde neben der SP auch vom Frauenstimmrechtsverband unterstützt. Auch der BSF, welcher stets auf eine Abgrenzung nach links bedacht war, konnte sich 1919, fast 20 Jahre nach seiner Gründung, zu einer einheitlichen Position zum Frauenstimmrecht durchringen.

So wurde die Forderung des Frauenstimmrechts zentral für die gesamte Frauenbewegung. Sie würde es nicht nur bleiben, sondern auch zum verbindenden Element zwischen der bürgerlichen Frauenbewegung und den SP-Frauen werden. Doch dies erst später, zu gross waren zu diesem Zeitpunkt die Gräben des Klassenkampfs.

Erste Zusammenarbeit

Die Zwischenkriegszeit führte zu einem Erstarken der bürgerlichen Frauenbewegung. Neue Verbände, wie etwa der Frauengewerbeverband, der Akademikerinnenverband oder auch der Bäuerinnenverband wurden gegründet. 1928 wurde vom BSF, dem Frauengewerbeverband und dem Katholischen Frauenbund die erste Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit (SAFFA) organisiert. Diese «Landi der Frauen» war mit rund 800 000 Besuchern (ein Viertel der damaligen schweizerischen Bevölkerung) ein grosser Erfolg und stärke das Selbstbewusstsein aller Frauenorganisationen.

Es war auch auf Grundlage dieses Erfolgs, dass sich 1929 die SP-Frauen mit den Stimmrechtsverbänden zusammenschlossen und im Rahmen einer Frauenstimmrechtspetition innert kürzester Zeit eine viertel Million Unterschriften sammelten, welche sie im Rahmen einer Demonstration dem Bund überreichten. Diese erstmalige, grossangelegte Zusammenarbeit der Bewegungen blieb zwar ohne Gehör, brach jedoch die Lanze zwischen den bürgerlichen Frauen einerseits und den SP-lerinnen andererseits.

Krise und 2. Weltkrieg

Die Wirtschaftskrise der 30er-Jahre trieb die Frauenbewegung weiter zusammen. Die Forderung nach dem Ausschluss der Frauen aus qualifizierten Berufen wurde breit diskutiert und in gewissen Branchen (hauptsächlich Uhrenindustrie) durchgesetzt. Verschiedene Gruppierungen innerhalb der traditionellen bürgerlichen Parteien, wie auch die faschistischen Fröntler, forderten eine «Einordnung der Frau in die Volksgemeinschaft» im Sinne einer Unterordnung unter den Mann.

Als Antwort auf diese zunehmend reaktionäre Grundstimmung schlossen sich 1934 alle grossen bürgerlichen Verbände, sowie die sozialdemokratische Frauenagitationskommission zur «Arbeitsgemeinschaft Frau und Demokratie» zusammen, der ersten breiten Allianz der bürgerlichen und der SP-Frauen.

Sozialpartnerschaft und ihre Folgen

Die Bereitschaft der SP-Frauen zur Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Frauenorganisationen muss im Kontext der allgemeinen Politik der Arbeiterbewegung in Bezug auf den bürgerlichen Staat und den Klassenkampf gesehen werden. Nach der Abspaltung der Kommunistischen Partei 1921, hatte sich die SP nach rechts bewegt und mit ihr auch die in der SP bleibenden Frauen.

1935 verabschiedete die Partei ein neues Programm, in welchem sie sich der Landesverteidigung verpflichtete und der Revolution abschwor. Kurz danach wurde 1937 das erste Friedensabkommen zwischen des Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiterverbands SMUV und dem Arbeitgeberverband abgeschlossen. Der Kurs für die bis heute andauernde Politik der Klassenkollaboration wurde gesetzt.

Dies spiegelte sich denn auch bei den Frauen. Die revolutionären Ideen in Bezug auf die Frauenfrage gingen verloren und machten einem häuslichen Frauenideal Platz. So traten sie dann auch während des Kriegs den bürgerlichen Frauenzentralen bei.
Die Rolle der proletarischen Frauenbewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte sich grundsätzlich verändert. Forderungen welche die Verbesserung der Lage der Arbeiterinnen mit dem Erkämpfen des Sozialismus verbanden, wurden verdrängt und machten der Forderung des Stimmrechts Platz, welche zwar wichtig war, aber in Isolation und im Kontext der Klassenkollaboration eine hemmende Wirkung haben sollte.

Anna Meister
VPOD Lehrberufe