Globale Pandemien werden immer häufiger und unsere Fähigkeit damit umzugehen wird untergraben. Dies liegt an der Profitgier im privaten Sektor, rücksichtslosen Produktionsmethoden, Umweltzerstörung und Investitionsmangel in medizinischer Forschung.

Coronaviren sind keine unbekannte Bedrohung. SARS ist Teil der Coronavirus-Familie. Die US-Regierung hat in den vergangenen 20 Jahren umgerechnet über 555 Millionen Euro für Coronavirus-Forschung ausgegeben. Die Wissenschaftler hinken jedoch hinterher. Jason Schwartz, Professor an der Yale School of Public Health, sagte:

„Hätten wir das Forschungsprogramm zur Suche einer SARS-Impfung nicht stillgelegt [im Jahr 2004], hätten wir schon viele grundlegende Erkenntnisse, die wir auf dieses eng verwandte Virus anwenden könnten.“

Das Modell der profitorientierten, medizinischen Forschung und Entwicklung, das auf hohen Kosten und hohen Gewinnen basiert, passt nicht gut zu aktiven Pandemien. Denn der Markt kühlt sofort ab, wenn die Krise ausläuft, was bedeutet, dass die Mittel abgezogen und die Forschung zu den Akten gelegt wird. Für die grossen Pharmakonzerne ist deshalb die Entwicklung solcher Impfstoffe, die vielleicht nie eingesetzt werden, wirtschaftlich uninteressant.

Geforscht wird nur, wenn es profitabel ist

Deshalb haben die privaten Pharmakonzerne wenig Interesse daran, aus Eigeninitiative neue Impfstoffe zu produzieren – insbesondere für aktive Epidemien. Der Wirkungsmechanismus, nach dem Viren leben und sich vermehren, wird von der Wissenschaft nur unzureichend verstanden. Krankheiten wie das Coronavirus mutieren zudem sehr schnell zu neuen Stämmen. Die Impfstoffentwicklung ist ein schwieriger, teurer und zeitaufwändiger Prozess, bei dem eine Rendite nie garantiert ist. Der letzte „Blockbuster-Impfstoff“, der in der Privatwirtschaft produziert wurde, war Gardasil von Merck zur Verwendung gegen humane Papillomaviren (HPV), der nach 20 Jahren Entwicklungszeit im Jahr 2006 marktfähig wurde. Das Wirtschaftsmagazin Forbes hat vor kurzem über die „Innovationskrise“ in der Pharmaindustrie berichtet, wobei der Hauptwiderspruch im Herzen dieses Sektors skizziert wurde: die Profite steigen, aber die Anzahl neuer Medikamente und Impfstoffe sinkt.

Die Entwicklung neuer Medikamente stellt wegen nicht ausreichend abgesicherter Gewinnaussichten ein zu hohes Risiko dar. Dies bedeutet, dass die Pharmakonzerne ihre Ressourcen in lukrativere Bereiche investieren (z.B. Krebsforschung).

Die Frage nach Profiten von Investoren und Unternehmen ist hier auch deshalb besonders relevant, weil viele Regierungen Impfstoffentwickler grosszügig mit Steuergeld unterstützen. Deutschland beispielsweise hat ein Sonderforschungsprogramm in Höhe von 750 Millionen Euro aufgelegt. Daraus erhält das Unternehmen Biontech bis zu 375 Millionen und die Firma Curevac bis zu 252 Millionen Euro. Damit sollen die laufenden klinischen Studien unterstützt und die Produktionskapazitäten ausgebaut werden. Bereits zuvor war bei Curevac der Bund sogar mit 300 Millionen Euro als Investor eingestiegen. Über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) hält der Bund damit einen Anteil von derzeit etwa 17 Prozent an dem Impfstoff-Entwickler aus Baden-Württemberg.

Pharma-Konzerne nutzen die hohen Forschungs- und Entwicklungskosten als Rechtfertigung für die Preiserhöhung von älteren und generischen Medikamenten. Das geht bis zu einem Punkt, an dem lebenswichtige Medikamente wie Insulin in den USA 25 bis 100 Dollar pro Packung kosten. Trotz der Rechtfertigung, dass solche Einnahmen wieder in die Entwicklung von Medikamenten investiert werden, wird die überwiegende Mehrheit der neuen Medikamente durch staatlich finanzierte oder subventionierte Forschung hergestellt: einschliesslich des neuen Impfstoff-Kandidaten für COVID-19. Anstatt medizinische Forschung und Innovation zu fördern, verwenden private Pharmakonzerne ihre finanzielle Stärke, um Patente auf Medikamente anzuhäufen, welche mit staatlichen Geldern hergestellt wurden, und um verarbeitete Medizinprodukte von existierenden Medikamenten zu überhöhten Preisen zu verkaufen. Durch diese Praktiken (und durch die Liberalisierung von Antimonopolgesetzen in den 1990er Jahren), wurde die Pharmaindustrie um die Jahrtausendwende zur weltweit am schnellsten wachsenden und profitabelsten Industrie.

Staatliche Grundlagenforschung und private Aneignung

Die Propaganda der Lobbyisten der Pharmaindustrie stellt die Rolle der privaten Forschung und Entwicklung bei der Arzneimittelentwicklung heraus, um ihre kolossalen Gewinnspannen zu rechtfertigen. Die Realität sieht jedoch so aus, dass den meisten öffentlich finanzierten Studien zufolge mindestens 60 Prozent der Grundlagenforschung und Entwicklung neuer Medikamente tatsächlich in Universitäten und öffentlichen Forschungseinrichtungen durchgeführt werden. Die private Aneignung öffentlich finanzierter Forschungsleistungen erfolgt zum einen über Kooperationsabkommen zwischen universitären Instituten und privaten Unternehmen oder über die Ausgründung von Unternehmen aus universitären Instituten. Dank öffentlicher Forschungsbeihilfen wird an Medikamenten geforscht und bei erfolgversprechenden Ergebnissen werden diese dann auslizensiert. Das ist gängige Praxis und eine zentrale Einnahmequelle von Biotechunternehmen und Universitäten. Biotechnologiefirmen verarbeiten das in öffentlich finanzierten Instituten produzierte Grundlagenwissen. Erfolg versprechende Projekte können sie dann zusammen mit Pharmaunternehmen weiterentwickeln oder an diese auslizenzieren.

Die Aneignung von Kenntnissen, die in öffentlichen Forschungsinstituten geschaffen wurden, kann sich aber auch über die Gründung von Start-up-Unternehmen von Forschern aus dem öffentlichen Sektor vollziehen, die sich die Erfindungen patentieren lassen und somit privat aneignen, die sie zuvor mit ihren Gruppen und dank der öffentlichen Finanzierung gemacht haben. Erfindungsgeist und Innovationen nicht nur in den Biotech- und Pharmaunternehmen wären unmöglich ohne die Aneignung der Resultate und Grundlagenkenntnisse öffentlich finanzierter Forschungsinstitute.

Lebenswichtige Erkenntnisse werden privatisiert

Die beiden grössten Fesseln für die Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft im Allgemeinen sind der Nationalstaat und das Privateigentum. Das sind gleichzeitig zwei der grössten Hindernisse für den Fortschritt auf dem Gebiet der medizinischen Forschung. Die Kontrolle der Arzneimittelproduktion durch eine Handvoll Pharmakonzerne, die damit einen gewaltigen Profit erzielen und wichtige Erkenntnisse durch Patente schützen, führt dazu, dass lebensnotwendige Medikamente verspätet oder gar nicht entwickelt werden und für grosse Teile der Menschheit unerschwinglich sind. Während der COVID-19-Krise haben sich diese Tendenzen beschleunigt.

Kürzlich haben Studierende an der Universität Sheffield ganze Genome des Coronavirus von britischen Patienten sequenziert und sind bereit, ihre Forschungsarbeit zu veröffentlichen. Dies ist eine bemerkenswerte Errungenschaft, die aus der staatlich subventionierten akademischen Forschung hervorgegangen ist. Allerdings könnte es jetzt zu einem Wettlauf verschiedener Regierungen kommen, um die Entwicklung eines Impfstoffs auf der Grundlage dieser Forschung, mit dem Ziel, sich Exklusivrechte zu sichern. Der Erste, der das versuchte, war der US-Präsident Donald Trump, der seiner «America First»-Maxime folgte und dem deutschen biopharmazeutischen Unternehmen CureVac «grosse Summen» für Exklusivrechte an einem COVID-19-Impfstoff und antiviralen Mitteln anbot. Multi-Millionär, Investor und Mäzen Dietmar Hopp, dem CureVac zu 80 Prozent gehört, wurde von den deutschen Medien wie ein Held gefeiert, nachdem er versichert hatte, er werde CureVac nicht in die USA verkaufen. „Die Welt“ jubelte unter der Überschrift „Der unverschämte Angriff auf CureVac ist ein Weckruf für Deutschland“: „Der allzu plumpe Versuch, wertvolle Technologie und kluge Wissenschaftler aus Tübingen mit viel Geld nach Amerika zu locken, hat Deutschland aufgerüttelt.“

Inzwischen ist bekannt geworden, dass CureVac nach dem angeblichen Angebot aus den USA von der EU-Kommission eine Zusage für Fördermittel im Umfang von 80 Millionen Euro erhalten hat. Auch die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI), die von der Bundesregierung mitfinanziert wird, unterstützt das Impfstoffprojekt von CureVac mit 8,3 Millionen US-Dollar.

Darüber hinaus betrachten private medizinische Unternehmen ihre Produkte (unabhängig davon, ob sie diese tatsächlich entwickelt oder nur die Patente gekauft haben) als ihren Privatbesitz: wertvoll nur wegen ihres Marktpotenzials, nicht wegen ihrer Fähigkeit, Menschen zu heilen. Kürzlich drohte ein italienisches Privatunternehmen zwei Freiwilligen, die 3D-Druckventile für den Einsatz in Beatmungsgeräten herstellen und für 1 Dollar (statt gegen einen typischen Marktpreis von 11.000 Dollar) verkauften, mit einer Anklage. Diese Art von Reaktion wird auf dem internationalen Pharmamarkt oft wiederholt.

Im Rahmen einer geplanten Weltwirtschaft könnten alle Ressourcen und wissenschaftliche Erkenntnisse des Planeten gebündelt werden, um eine wirksame Behandlung und einen Impfstoff gegen COVID-19 zu entwickeln und allen Menschen der Welt zur Verfügung zu stellen. Aber die gegensätzlichen Interessen der kapitalistischen Nationen verhindern dies.

Der Kapitalismus züchtet sich neue Krankheiten heran

Die aktuelle COVID-19 Krise ist Teil einer neuen Ära in der Pandemien immer häufiger werden. Der Kapitalismus züchtet sich Krankheiten durch Umweltzerstörung und intensive Landwirtschaft heran. Die Welt ist hierauf nicht vorbereitet und die ärmsten Länder werden am meisten leiden. Abgesehen vom Auftauchen neuer Krankheitserreger gibt es noch andere Bedrohungen am Horizont, darunter antibiotikaresistente Mikrobenstämme wie Streptokokken und Staphylokokken, die in Krankenhäusern der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder aufgrund einer übermässigen Verwendung von den in der Nachkriegszeit entwickelten Antibiotika kultiviert werden. Krankheiten des 19. und 20. Jahrhunderts wie Tuberkulose kehren zurück und treffen arme Wohngebiete in den USA besonders hart – und sie entwickeln Antibiotikaresistenz. In den 1990er Jahren sagte eine Prognose der University of California voraus, dass die Welt bis 2070 alle antimikrobiellen Arzneimitteloptionen ausgeschöpft haben würde, da Viren, Bakterien, Parasiten und Pilze eine vollständige Resistenz gegen das menschliche Arzneimittelarsenal entwickelt hätten. Dieses apokalyptische Szenario könnte verhindert werden, indem mehr in Forschung und Entwicklung für Impfungen und alternative Behandlungsmethoden investiert werden würde. Aber wie bereits erklärt wurde, ist das kein profitabler Weg für Big Pharma.

Auf einer kapitalistischen Grundlage ist es unwahrscheinlich, dass sich die Situation verbessern wird. Diese Krankheiten sind vom System selbst heraufbeschworen worden, und die Lebensmuster moderner kapitalistischer Gesellschaften schaffen ideale Bedingungen für ihre Ausbreitung. Die Urbanisierung hat die überwiegende Mehrheit der 8 Milliarden Menschen auf der Erde in eine hohe Wohndichte konzentriert, so dass Krankheiten leichter grassieren können. Und die dramatische Zunahme des weltweiten Personen- und Warenverkehrs (erleichtert durch den modernen Transport und verschärft durch Krieg und Klimawandel) schafft Kanäle für die Ausbreitung von Mikroben auf dem ganzen Planeten. Es dauerte lediglich ein paar Tage, bis sich COVID-19 vom einem Ende der Welt bis zum anderen erstreckte. Solch ein globales Problem verlangt nach einer internationalen Lösung. Aber, wie beschrieben, verhindert der Antagonismus zwischen verschiedenen kapitalistischen Nationen, das Recht auf Privateigentum der grossen Pharmaunternehmen, und die profitorientierte Produktionsweise eine koordinierte Reaktion, die zur Bekämpfung von Pandemien notwendig ist.

Wissenschaftliche Erkenntnisse für alle zugänglich machen

Wie der Epidemiologe Larry Brilliant, der den Kampf gegen die Pocken leitete, einmal sagte:

„Ausbrüche sind unvermeidlich, aber Pandemien sind optional“.

Nichts von all dem muss geschehen. In einer Planwirtschaft wäre der ganze Einfallsreichtum der Menschheit auf die Entwicklung von Impfstoffen für die grössten tödlichen Krankheiten gerichtet. Massenimpfprogramme würden in jedem Land der Erde frei durchgeführt werden – und Krankheiten wie Ebola ausrotten, genau wie wir es mit den Pocken getan haben. Die Umweltkrisen und intensiven Landwirtschaftstechniken, die Brutstätten für Krankheitserreger schaffen, könnten durch eine im Einklang mit der Natur geplante Produktion ersetzt werden, bei der das Wohlergehen von Mensch und Tier Vorrang vor dem Profit hat. Jeder neue Virenausbruch könnte mit einer konzentrierten, globalen Reaktion beantwortet werden, um zu verhindern, dass er das Niveau einer Pandemie erreicht. Alle Forschungsarbeiten und Ressourcen für die Behandlung von infizierten Fällen könnten gemeinsam genutzt und je nach Bedarf eingesetzt werden. Anstatt privaten Pharmaunternehmen massiv Geld hinterher zu werfen, würden ihre Betriebe enteignet und auf demokratischer Basis verwaltet, um Impfstoffe und Antigene nach Bedarf herzustellen.

Von Joe Attard und Christoph Mürdter
der Funke Deutschland, veröffentlicht zu erst am 05.10.2020 in ihrer Zeitung „der Funke Nr. 124“

Bild: pixabay.com, TBIT