Der Tod von George Floyd löste weltweit Empörung aus, hat aber auch das Bewusstsein verändert. Wir setzen den Fokus auf die Formen des Rassismus, von denen auch das kapitalistische Inselchen der Schweiz geprägt wird.

Beleidigungen im öffentlichen Verkehr, willkürliche Identitätskontrollen, Schwierigkeiten beim Finden einer Arbeitsstelle oder einer Wohnung. Die Formen von Rassismus in der Schweiz sind zahlreich, seien sie offensichtlich, wie bei einem Spruch oder unterschwellig, als Blick oder Vermeidung.  In beiden Fällen besteht der erste Reflex oft darin, das Erlebte zu verinnerlichen, sich im Augenblick zu verteidigen, wenn man den Mut dazu findet, und seinen Weg fortzusetzen, in der Hoffnung, dass sich die Situation nicht wiederholt. Auch wenn wir tief im Inneren wissen, dass es sicher nicht das letzte Mal sein wird.

Rassismus betrifft eine beträchtliche Zahl von Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe, des Klangs ihres Namens oder ihres Herkunftslandes täglicher Gewalt ausgesetzt sind. Die jüngste Coronavirus-Pandemie hat darüber hinaus die Schwierigkeiten verschärft, denen migrantische Lohnabhängige bereits ausgesetzt sind. Dies zeigt sich besonders deutlich in den endlosen Schlangen für Nahrungsmittelhilfe in Genf. Fast alle Anstehenden sind migrantischer Herkunft. Die Ursache dieser Prekarität liegt jedoch nicht in der Pandemie und beschränkt sich nicht auf MigrantInnen. Sie ist Teil eines globalen Kontextes, in dem alle Lohnabhängigen mit Sparmaßnahmen, steigender Arbeitslosigkeit, Schwierigkeiten bei der Mietzahlung und verschiedenen Schulden zu kämpfen haben. 

All diese Hindernisse sind also keineswegs auf angeblich „natürliche“ oder intrinsische Eigenschaften bestimmter Individuen zurückzuführen, sondern sind die unvermeidlichen Folgen der Krisen, die der Kapitalismus durchmacht. Das Stadium, das der Kapitalismus heute erreicht hat, ist nämlich nicht fähig, die Bedürfnisse des grössten Teils der Bevölkerung zu befriedigen. Auf diese Art schafft er eine Knappheit, die es angesichts der Fortschritte der Produktionstechniken in den letzten Jahrzehnten nicht geben sollte.

Der Deckmantel der Bourgeoisie
Doch beschuldigen Medien und unterschiedliche politische Parteien oft  die EinwanderInnen, für die Arbeitslosigkeit oder den Zerfall der Lebensbedingungen verantwortlich zu sein. Zum Beispiel hat die SVP im Nationalrat eine neue Motion eingereicht, damit OsteuropäerInnen höhere Prämien für die Arbeitslosenversicherung bezahlen, weil sie öfter von Arbeitslosigkeit betroffen seien. Sie verheimlicht jedoch eine Tatsache, welche die Bourgeoisie am liebsten verheimlichen möchte.

Warum Rassismus?
Die Ausbeutung der Lohnarbeit hat weder Rasse noch ethnische Zugehörigkeit. Sie vereint einen riesigen Teil der Weltbevölkerung. Dennoch untergräbt rassistisches Verhalten diese Einheit. Deshalb produziert die Bourgeoisie Rassismus, ob bewusst oder unbewusst, um Unsicherheit unter den Arbeitern zu schaffen. Auf diese Weise sehen die ArbeiterInnen ihren Feind nicht im System, sondern in Fremden, die ihre Arbeitsplätze bedrohen und ihre Lebensbedingungen untergraben.

Das falsche Gefühl der Überlegenheit, das durch Rassismus hervorgerufen wird, ist ein weiteres Beispiel für diese Spaltung. Wenn die SVP Menschen aus Osteuropa beschuldigt, für den Anstieg der Arbeitslosigkeit verantwortlich zu sein, scheint sie den Stolz von ArbeiterInnen schweizerischer Nationalität zu fördern. Diese vorgegaukelte Anerkennung stellt sich bald als Trugschluss heraus, wenn die Gehälter aller Lohnabhängigen mit den Füssen derselben KapitalistInnen getreten werden. Der Status der AusländerInnen wird nämlich benutzen, um Lohndumping für alle zu betreiben. In ähnlicher Weise übersehen diejenigen, welche die EinwandererInnen beschuldigen, ihnen ihre Arbeitsplätze zu stehlen, dass das Recht auf Arbeit ein Recht ist, das der Kapitalismus niemals garantiert. Schließlich hängt die Bourgeoisie auch von Rassismus ab, um die Ausbeutung von bestimmten Bevölkerungsgruppe zu rechtfertigen, die sie unter menschenunwürdigen Bedingungen ausbeutet. Tatsächlich nutzt die bürgerliche Klasse weiterhin den Status von «AusländerInnen» um ihre Ausbildungen in der Schweiz nicht anzuerkennen und sie billig zu beschäftigen.

Die Revolution beginnt schon innerhalb der Kämpfe!
Es ist fundamental, sich gegen jede Art von Rassismus zu wehren, sei es in Form von Beleidigung oder Diskriminierung. Noch wichtiger ist es, nicht zu vergessen, dass jeder Kampf gegen Rassismus ein Kampf gegen das System ist. Dieser Kampf bringt alle Unterdrückten dieser Welt, die schlussendlich die gleichen Interessen haben, zusammen. Häufig werden die Lohnabhängigen in kollektiven Kämpfen dazu gebracht, ihre Vorurteile zu überwinden. Die sozialistische Revolution beginnt bereits dort, wo die gemeinsamen und kollektiven Kämpfe beginnen. Diese schaffen erst die Einheit, die für den Sturz der herrschenden Klasse und des Systems, das ihr nützt und von dem Rassismus nur ein Gesicht ist, unerlässlich ist.

Bild: Frankie Fouganthin, CC BY-SA 4.0