Die Sozialwerke gelten als letzte Bastion der Linken – stehen aber konstant unter Beschuss. Wie kämpft man für eine Verbesserung und wie sieht diese aus?

Die aggressive Offensive der Bürgerlichen gegen die Sozialwerke entspringt einer materiellen Basis: In Zeiten der Krise hat die Erhaltung der Profite für die KapitalistInnen oberste Priorität. Unter Leitung der SVP wird daher da gespart, wo der Widerstand am schwächsten ist. Die entsprechende Rhetorik bereitet das Feld für ihre Angriffe. Wenn die Linke keine kämpferische Klassenpolitik macht, ist dies eine Leichtigkeit.

Der Zweck der Sozialversicherungen
Sozialversicherungen sind Klassenkompromisse; sie konnten nur dann erkämpft werden, wenn ihre Nichteinführung die herrschende Klasse mehr gekostet hätte. Es ist kein Zufall, dass es in der Schweiz oft erz-konservative Kreise, wie die katholische Bourgeoisie waren, die solche Versicherungen forderten. Ziel war beispielsweise, die Gewerkschaften zu umgehen. Zwar hat die Einführung von Sozialversicherungen einen fortschrittlichen Charakter, da sie der ArbeiterInnenklasse erlauben, aus dem nackten Überlebenskampf auszubrechen, ihr Lebensniveau zu heben und sich zu organisieren. Doch deren Ausgestaltung und Funktionsweise müssen wir zwingend kritisieren.
Die Zahlungen der Sozialversicherungen sind meist zynisch tief und haben keinesfalls einen befreienden Charakter. Trotz AHV und Ergänzungsleistungen lebt heute jedeR vierte BezügerIn in Altersarmut. Wie auch bei tiefsten Löhnen, sind die Zahlungen darauf ausgerichtet, gerade das Überleben der BezügerInnen zu garantieren. Sie garantieren die Reproduktion der Ware Arbeitskraft, wo der Markt das nicht macht. Das heisst, sie sind notwendig für das Kapital, um genügend ArbeiterInnen zu seiner Verfügung zu haben. Denn auch wenn diese Arbeitskraft für den Moment vielleicht nicht gebraucht wird, dient sie den KapitalistInnen in mehrerlei Hinsicht. Das Heer der Arbeitslosen beispielsweise dient als Lohndrücker.
Der Kampf um höhere Renten und höhere UnternehmerInnenbeiträge ist ein Kampf für die Verbesserung der Situation der Arbeitenden. Dieses Ziel erreichen wir aber nicht indem wir das aktuelle System lobpreisen und kritiklos verteidigen. Faule Hinterzimmerdeals wie die AV2020 oder die Neuauflage der USR III sind der falsche Weg. Wirklich befreiende Sozialwerke sind im kapitalistischen System nicht möglich, denn sie stehen den Profitinteressen der KapitalistInnen diametral entgegen. Deshalb muss sich der Kampf der Gewerkschaften, der SP und der JUSO immer auch gegen das System richten. Im Kampf für Verbesserungen kann die Notwendigkeit der Überwindung des Kapitalismus aufgezeigt und ein grosser Teil der Lohnabhängigen aktiviert werden.

Soziale Gerechtigkeit oder Klassenkampf?
Die reformistische Linke hat Mühe, Verbesserungen und Verschlechterungen zu unterscheiden. Um diese besser auseinander zu halten, müssen wir uns mit dem sogenannten Soziallohn beschäftigen. Unter Soziallohn versteht man allgemein den Teil der Lohnauszahlungen, die als Zahlungen der Sozialversicherungen in die Taschen der Versicherten fliessen. Wie der Rest des Lohnes, dient auch der Soziallohn dazu, wie wir zuvor aufgezeigt haben, die Ware Arbeitskraft zu reproduzieren; also dazu, ausreichend Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen.
Wenn die Sozialwerke durch eine Erhöhung der Beiträge der Arbeitenden finanziert werden, bedeutet dies also eine Senkung der Reallöhne. Wenn diese allerdings durch eine Erhöhung der UnternehmerInnenbeiträge finanziert werden, heisst das, dass den Lohnabhängigen ein grösserer Teil des von ihnen erzeugten Mehrwerts zugute kommt. Die Frage, wer die Finanzierung der Sozialversicherungen bezahlt, ist demnach die Frage nach dem Anteil der ArbeiterInnen am Mehrwert. Das bedeutet, der Kampf darum, wer die Sozialversicherungen finanziert, ist Klassenkampf – wie jede andere Lohnerhöhung (oder Senkung) auch.
Reale, materielle Verbesserungen durch Reformen werden uns nicht geschenkt. Wenn wir einen grösseren Teil des Mehrwerts wollen, müssen wir dafür kämpfen. Einzig im Klassenkampf können wir uns einen grösseren Teil dessen holen, was uns eigentlich zusteht. Im heutigen System ist dies der einzige Weg. Um aber eine wirklich soziale Versicherung zu schaffen, benötigen wir eine Enteignung derjenigen, die sich auf unserem Rücken bereichern – um dann eine Gesellschaft zu errichten, in der niemand mehr auf eine solche Versicherung angewiesen ist.

Kevin Wolf
Vorstand JUSO Stadt Bern

 

Bild: Illustration „Warum Familienzulagen?“ Quellennachweis: Schweizerische Zeitschrift für Gemeinnützigkeit 471941, S. 76f.