Obwohl sich die Schweizer Bevölkerung, vor allem die Jugend, seit Ausbruch der Krise auf verschiedenen Ebenen radikalisiert und polarisiert, drückt sich diese Bewusstseinsveränderung kaum in den traditionellen Parteien aus. Dies liegt entscheidend daran, dass die SP sich weigert, konsequent die Interessen der ArbeiterInnen zu verteidigen. Genauso ist es bisher nicht gelungen, auch nur einen linken Flügel und damit eine Opposition in der SP aufzubauen. Die Juso, als grösste linke Jungpartei schweizweit, schafft es ebenfalls nicht, mit der möglichen Stärke in bestehenden Jugendbewegungen  zu intervenieren. Dies sieht man aktuell sowohl beim Klimastreik als auch beim Frauenstreik.

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Unter der Oberfläche verändert sich das Bewusstsein

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«[2008] haben wir vorhergesagt, dass alle Versuche der Bourgeoisie das ökonomische Gleichgewicht wiederherzustellen, das politische und soziale Gleichgewicht zerstören würden.»[1] Um profitable Verwertungsbedingungen zu retten, führte die herrschende Klasse weltweit breite Angriffe auf den Lebensstandard der Lohnabhängigen durch. Eine Konsequenz daraus ist die Polarisierung der politischen Landschaft. Während langjährige Systemparteien an Popularität verlieren, gewinnen Parteien am rechten und linken Rand an Unterstützung, wenn sie auch nur den Hauch einer Alternative zur aktuellen Politik der Regierungen versprechen. Diese Tendenz ist in allen Ländern zu beobachten.

Die Polarisierung hat in letzter Zeit dazu geführt, dass auch Regimes wie das deutsche oder schwedische, die jahrelang als stabil gegolten haben, innerhalb kurzer Zeit an Stabilität verloren. Schweden hatte zehn Wochen nach den Wahlen 2018 noch immer keine Regierung, denn eine stabile Koalition ist eine Unmöglichkeit. In Deutschland, dem Land, das jahrelang als Bollwerk der Stabilität in der EU gegolten hat, dauerte es knapp sechs Monate, bis eine stabile Regierung gefunden worden war. Mit dem angekündigten Rücktritt Merkels ist diese Stabilität bereits neun Monate später stark angeschlagen. Beide Länder haben gemein, dass sie oberflächlich gut dastehen. Doch die Parteien, die für die Bourgeoisie die Krisenpolitik durchgepeitscht haben, sind heute angeschlagen. Die Massen werfen ihnen – zu Recht – vor, ihre Situation nicht zu verbessern, sondern für die soziale Stagnation verantwortlich zu sein. Sie suchen nach Alternativen und setzen ihre Hoffnung in jene, die sich am vehementesten gegen die alten Parteien stellen – wenn links nichts ist, dann rechts.

In diese Richtung entwickelt sich auch die Lage in der Schweiz. Im Gegensatz zur Bourgeoisie spüren die Lohnabhängigen wenig vom “Erfolgsmodell Schweiz”. Ihr Lohn stagniert seit langem, die Ausbeutung wird stärker und die Arbeitsmarktsituation schwieriger. Die Lebensrealität unterscheidet sich markant von dem, was uns täglich weisgemacht wird.

Der Prozess der Polarisierung und der Radikalisierung steht noch am Anfang. Die obszöne Konzentration des Reichtums in den Händen weniger wird stillschweigend hingenommen, solange ein gewisser Lebensstandard garantiert werden kann. Diese Basis ist am Bröckeln. Die ArbeiterInnen vergleichen ihre Situation mit ihrem direkten Umfeld und der früheren Generation sowie mit der erwarteten Zukunft. Sie sehen auch in der «reichen» Schweiz, wie ihr Lebensstandard stagniert.

Die Verdrossenheit findet nicht im gleichen Masse einen politischen Ausdruck wie in Deutschland. Die Angriffe in der Schweiz sind verhältnismässig weniger einschneidend. Prekäre Arbeitsverhältnisse sind zwar auf dem Vormarsch, in der Verbreitung sind wir von deutschen Verhältnissen aber noch weit entfernt. Aber auch in der Schweiz staut sich eine gewisse Unzufriedenheit auf. Diese findet jedoch nur sehr selten den Weg an die Oberfläche. Da es keine linke Partei gibt, die den Unmut der ArbeiterInnenklasse politisch artikuliert, drückt er sich diffus aus. Bedeutende Teile der ArbeiterInnenklasse stimmen klassenbewusster ab, als sie wählen. Gewisse Abstimmungsresultate von Referenden geben einen Einblick in diesen Prozess. Das Abschmettern der grossen Konterreformen im 2017, speziell der Unternehmenssteuerreform 3, auf eine widersprüchliche Art auch die Rentenreform AV2020, zeigten, dass eine Mehrheit der Bevölkerung in der Schweiz die Schnauze von der bürgerlichen Krisenpolitik voll hat.

In einer Situation, in der die Linke es völlig verpasst, eine Alternative aufzuzeigen, sind diese sogenannten direktdemokratischen Instrumente wie Referenden und Initiativen ein präziserer Ausdruck dieses Unmutes als Wahlen. Entsprechend ist kurzfristig nicht von bedeutenden Veränderungen in der politischen Repräsentation auszugehen und die politische Krise in der Schweiz wird sich als Blockade des Regimes via Referenden ausdrücken. Mittelfristig wird sich die voranschreitende Radikalisierung der Massen jedoch nicht auf diese Mittel beschränken, sondern einen breiteren politischen Ausdruck in Bewegungen und Parteien suchen.

Allmählich wird erkannt, dass die Angriffe auf den Lebensstandard eine Konsequenz vergangener Konterreformen (speziell der Steuersenkungen) sind. Das nehmen auch gewisse Bürgerliche so wahr. Zur Ablehnung der Unternehmenssteuersenkung im Kanton Bern im November 2018 behauptet die Finanz und Wirtschaft: «Die Bevölkerung ist im ganzen Land bockbeinig geworden, die Stimmung gegenüber der Wirtschaft ist spätestens seit der internationalen Krise von 2008 und allzu vielen Exzessen (nicht der Kapitalismus ist das Problem, aber manche Kapitalisten) zunehmend von Misstrauen geprägt.» Der Unmut über die Resultate der bürgerlichen Krisenpolitik sucht bereits einen politischen Ausdruck.

In der Jugend kommt diese Stimmung noch klarer zum Ausdruck. Laut einer Studie der ZHAW[2] sind 47% aller Jugendlichen «kapitalismusfeindlich eingestellt». 65% glauben: «Heutzutage bestimmen nur noch die weltweiten Grossunternehmen, wo es langgeht.» 23% sagen: «Polizei und Staat schützen nur die Rechte der Reichen.» 11% finden: «Das Eigentum sollte abgeschafft werden; alles sollte allen gehören.» Ein beträchtlicher Anteil der Jugendlichen erkennt die Probleme des Kapitalismus als solche und erahnt die Rolle des bürgerlichen Staates. Diese Zahlen bezeugen ein weiteres Mal, welches Potential eine konsequente linke Politik hätte.

Dass sich unter der Oberfläche soziale Spannungen aufbauen, ist unbestritten. Neue Schichten an Lohnabhängigen werden die Bühne betreten und selber nach Lösungen für ihre Probleme suchen. Heute kann man nicht voraussagen, wann, wie und wo dies geschehen wird oder wo sich diese Massen politisch orientieren werden. Das kann sich im zunehmenden Aufkommen von wirtschaftlichen und politischen Kämpfen – wie Arbeitskonflikten, Streiks und Kämpfe gegen Sparmassnahmen – äussern. Ein erneuter Krisenausbruch kann unter diesen Vorbedingungen die politische Landschaft der Schweiz sehr schnell verändern. Wie sich die etablierten linken Parteien heute positionieren, entscheidet darüber, welche Rolle sie in diesem Prozess spielen werden.

Vom grossen Potenzial und seinem Versäumnis

Dass die Polarisierung noch nicht zu einer Stärkung der Linken geführt hat, liegt zuallererst an der Politik der SP. Sie ist die grösste linke Partei der Schweiz und die einzige, die in allen Landesteilen präsent ist. Die reformistische Politik ihrer Führung macht sie jedoch zu einer der wichtigsten Stützen der bürgerlichen Ordnung.

Da sie nicht bereit ist, mit dem Kapitalismus zu brechen und konsequent die Interessen der Lohnabhängigen zu verteidigen, ist sie gezwungen, die Spielregeln des Kapitalismus und alle seine Kehrseiten zu akzeptieren: die Krisen, die zunehmende Konzentration des Kapitals in den Händen weniger, die Konkurrenz und damit die Sparmassnahmen wie auch Verschlechterungen der Arbeits- und Lebensbedingungen. Verteidigt man in einer zunehmend polarisierten bürgerlichen Gesellschaft nicht konsequent die ArbeiterInnenklasse, wird man schlussendlich zur Verteidigerin des bürgerlichen Regimes und damit des Kapitalismus. Die SVP ist seit fünfzehn Jahren in allen staatlichen Institutionen und ist zur wichtigsten und aggressivsten bürgerlichen Partei aufgestiegen. Das Versagen der SP ist einer der Hauptgründe, weshalb sie unter breiten Schichten der ArbeiterInnenklasse dennoch immer noch nicht entblösst wurde.

Durch die Verteidigung der «Kompromisse» mit den Kapitalisten steht die SP vermehrt selber an der Spitze von Konterreformen und Angriffen auf die Lohnabhängigen. Denn wenn die Bürgerlichen weniger zu geben bereit sind, dann wird nach reformistischer Logik jede Abschwächung eines Angriffs zum Erfolg. Die Verteidigung der STAF ist nur das jüngste Beispiel dafür. Während die Bürgerlichen bewusst ein Defizit bei der AHV in Kauf nehmen, glaubt die SP-Führung an die Möglichkeit, mit gewissen Teilen der Bürgerlichen einen Kompromiss schliessen zu können, um ein solches Defizit abzuwenden. Dafür ist sie bereit, die grösste Senkung der Gewinnsteuer der jüngeren Geschichte offensiv zu verteidigen. Weil sie die objektiven Klassenwidersprüche nicht anerkennt, wird sie zur Agentin der Kapitalisten innerhalb der ArbeiterInnenklasse.

Noch keine Geburt eines linken Flügels?

Obwohl die SP-Führung 2016 den «Oppositionskurs» erklärt hat, hat sie nichts dergleichen getan. Innerhalb der SP nehmen einige Individuen jedoch linkere Positionen als die Führung ein. Diese linken Exponenten, die wie Wermuth gerne mit Marxzitaten auftrumpfen, bauen aber keinen konsequenten linken Flügel auf. Sie sehen die «Nachfrage» nach einer linkeren Politik und bringen sich in Position – für ihre Karriere. Sie begnügen sich mit losen Netzwerken an Individuellen, haben keine gemeinsame Linie und haben vor allem sie keine organische Verbindung zu wirklichen Prozessen in den Massen, zu Linksentwicklungen in den Gewerkschaften oder der Jugend. Solange es keinen Druck von Unten gibt, werden sie bei Zwang zur Disziplin – welcher von der Bourgeoisie über die Parteispitze ausgeübt wird – immer wieder in Linie fallen.

Der Aufbau einer linken Plattform in der SP ist deshalb dringend, weil über kurz oder lang eine Radikalisierung neuer Schichten der Lohnabhängigen auf der Tagesordnung steht. Bei Abwesenheit einer anderen linken Alternative auf Massenebene kann die SP in einer solchen Phase zur politischen Referenz dieser Schichten werden. Das Beispiel von Corbyn in Grossbritannien zeigt, dass auch eine bereits sehr angeschlagene linke Partei kurzfristig erneut grosse Unterstützung gewinnen kann, wenn sie beginnt, gegen die Angriffe auf die Lebensbedingungen zu kämpfen und ein radikaleres, linksreformistisches Programm vertritt. Dies wäre im Prozess der gesellschaftlichen Polarisierung bereits ein wichtiger Schritt zum Wiederaufbau einer klassenkämpferischen Linken. Doch wird auch der Linksreformismus letztlich kein einziges der Probleme der Arbeitenden lösen können. Dazu braucht es eine revolutionäre Partei, die bereit ist, mit dem Kapitalismus zu brechen und den Klassenkampf bis zu seiner letzten Konsequenz zu führen.

Die kommende Zuspitzung der Krise wird zum Lackmustest für die Linke. Die Krise wird den Prozess der politischen Differenzierung in der Arbeiterbewegung und in der Gesellschaft als Ganzes weiter beschleunigen. Das Erwachen neuer Schichten zum politischen Leben wird die Basis für die Veränderung der Schweizer Arbeiterbewegung bilden. Darauf müssen sich die revolutionären Kräfte vorbereiten. Die einzige Möglichkeit, das verlorene politische Vertrauen der Massen langfristig zurückzugewinnen, ist die eine Politik, die konsequent die Interessen der Arbeitenden verteidigt. Doch diese wird nur ermöglicht, wenn die ArbeiterInnenbewegung mit dem Reformismus bricht. Dazu gehört das sofortige Ende der Verwaltung der Geschäfte der Bürgerlichen im Staat, das heisst jeglicher Regierungsbeteiligung. Die Teilnahme an Parlamenten muss dem Zweck untergeordnet werden, die unlösbaren Widersprüche im Kapitalismus aufzuzeigen und anzuprangern. Es muss offen erklärt werden, dass die Lebensbedingungen aller Lohnabhängigen nur längerfristig verbessert werden können, wenn das System überwunden wird. Dazu muss offensiv gegen jede Konterreform und Sparmassnahmen mobilisiert und jeder Arbeitskampf unterstützt werden.

Wieso die JUSO nicht stärker wird.

In der Jugend gibt es wenig grosse Mobilisierungen. Dies ist ebenfalls ein Ausdruck davon, dass sich die angestaute Empörung der ArbeiterInnenklasse und der Jugend heute generell noch nirgends entlädt. Sie wird weiter aufstaut. Das Ausbleiben grösserer Kämpfe zeichnet die aktuelle Periode gleichsam wie die fortschreitende Radikalisierung der Jugend. Über kurz oder lang werden grössere Bewegungen auf der Tagesordnung stehen.

Aufgrund der politischen Position der JUSO werden solche Prozesse einen Einfluss auf die und in der Partei haben. Die JUSO nimmt im Schweizer Klassenkampf eine objektive Position ein, die relativ unabhängig von der politischen Orientierung ihrer Führung gegeben ist. Sie ist die grösste Partei links der SP, die nationale verankert ist. Die Partei bleibt die wichtigste Referenz für die Mehrheit der sich links politisierende Jugendlichen. Von ihnen wird sie als klar linker und unabhängig von der SP wahrgenommen.

Doch aktuell gelingt es der JUSO nicht, diese objektive Position zu nutzen und als Partei zu wachsen. In einer Situation, wo es trotz zunehmender Radikalisierung bis heute nur zu sehr wenigen Mobilisierungen gekommen ist, werden die realen Prozesse in der Jugend nicht von der JUSO-Basis gespiegelt. Von ihr geht kein kontrollierender Druck von Unten auf die JUSO-Führungsfiguren aus. Heute repräsentieren weder die JUSO-Basis noch ihre Führung die wirklichen Prozesse in der Jugend. Deshalb kann ihr politischer Kurs sehr zufällig sein und sich weit von den wirklichen Problemen der Jugend entfernen.

Die Politik der aktuellen JUSO-Führung schrammt meilenweit an den Problemen der Jugend vorbei. Das bezeichnet aber keinen Bruch mit den Geschäftsleitungen davor. Nach Cedric Wermuth, der bei Ausbruch der Krise mit der 1:12-Initiative korrekterweise in die Offensive ging, hat die JUSO-Führung schrittweise an politischem Gehalt verloren. Dementsprechend führt die JUSO-Führung immer weniger jene Politik, für die sich die radikalisierte Jugend interessiert. Sie setzt nicht da an, wo die heute bestehende Radikalisierung mit einem politischen Programm abgeholt werden könnte. Damit ist die JUSO-Führung teilweise dafür verantwortlich, dass die vorhandene unterschwellige Radikalisierung der Jugend keinen politisch organisierten Ausdruck findet.

Am Beispiel des Feminismus lässt sich am einfachsten aufzeigen, welche Fehler die Führung macht. Die Geschäftsleitung unter Funiciello setzt thematisch fast ausschliesslich auf das Thema Feminismus. Funiciellos Feminismus tritt radikal auf und zieht den Hass der reaktionären Schichten der Gesellschaft auf sich. Die Art, wie Funiciello ihren Kampf führt und wie sie ihn ideologisch untermauert, verklärt aber die grundlegende Basis des Phänomens. Sie sucht die Basis der Jahrtausende alten Unterdrückung der Frau nicht im Funktionieren der Gesellschaft, in der Produktion und Reproduktion des menschlichen Lebens und der dazu notwendigen Mittel. Für sie sind es nicht die menschenverachtenden Zustände im Kapitalismus und die daraus entspringenden Ideologien, die diese Zustände produzieren und reproduzieren, die für die Unterdrückung der Frauen verantwortlich sind. Für Funiciello ist es schlussendlich alleine eine Frage der Ideologie als etwas Selbständiges. Damit reduziert sich der Kampf gegen Sexismus auf das Verhalten von Individuen. Diese Analyse ist nicht nur gefährlich einseitig, sie erschwert sogar den Kampf gegen die Unterdrückung. Denn anstatt den Sexismus und die Unterdrückung der Frau von einem Klassenstandpunkt aus anzuprangern, werden die Gegensätze zwischen den Geschlechtern verabsolutiert und der Weg zur wirklichen Emanzipation der Frau - die Überwindung des Kapitalismus und damit der Klassengesellschaft - verschleiert.

Die Lohngleichheitsdemo im September 2018 war die erste schweizweite Jugendmobilisierung seit langem und eine massgeschneiderte Gelegenheit für die JUSO. 20'000 Personen demonstrierten in Bern, ein Grossteil davon junge Frauen. An der Demo – sowie auch in der Bewegung um den Frauenstreik – zeigte sich, dass viele Jugendliche bei diesem Thema bereit sind, sehr radikale Forderungen zu unterstützen. Die Stimmung an der Demo war um Meilen radikaler und fortgeschrittener als alle mobilisierenden Gewerkschaften und Parteien.

Obwohl die JUSO-Führung den Feminismus seit einigen Jahren für sich gepachtet hat, verhinderte die politische Herangehensweise der JUSO-Führung, dass die Partei in dem Moment, in dem sich um genau das Thema eine Mobilisierung bildet, davon profitieren kann und wächst. Sie sorgt nicht für klare und demokratisch erarbeitete politische Positionen. Damit verhinderte sie die gemeinsame organisierte Intervention der Basis in der Bewegung. Es ist die Aufgabe der Führung, den BasisaktivistInnen das Programm zu geben, mit dem sie zu den tausenden Jugendlichen an der Demo in Kontakt treten können. Die Führungspersonen der JUSO spielten zwar zentrale Rollen in diesen Kampagnen, beteiligen sich aber immer nur als Einzelpersonen und nicht als Parteimitglieder. Sie setzen sich nicht dafür ein, dass die Bewegungen ein klar sozialistisches Programm verteidigen oder dass die JUSO die Führung dieser Bewegungen übernimmt. Deshalb gelingt es der JUSO-Führung auch nicht, in einer sehr verheissungsvollen Situation die sich politisierenden jungen Menschen für die Partei zu gewinnen.

Der Klimastreik der SchülerInnen und StudentInnen ist ein noch frappanteres Beispiel für eine verpasste Gelegenheit der JUSO, in eine Bewegung einzugreifen. Die Ökologie ist eindeutig ein Thema, durch das die unterschwellige Radikalisierung der Schweizer Jugend besonders zum Ausdruck kommt. Immer mehr junge Menschen erkennen, dass ein Systemwechsel notwendig ist, um menschenwürdige Lebensbedingungen in einer gesunden Umwelt zu ermöglichen. Im Januar und Februar waren 22.000 Studenten auf der Strasse, es wurden radikale Forderungen gestellt und es fanden viele Debatten statt. Die Mitglieder der JUSO, die die Bewegung mit ins Leben gerufen haben (vor allem in der Romandie), zogen sich jedoch sofort freiwillig zurück und beschlossen, nur als Individuen einzugreifen, als ob sie sich schämen würden, einer politischen Partei anzugehören. Wir müssen uns im Klaren sein: Diese Bewegungen sind zum Scheitern verurteilt, wenn sie keine Verbindung zur Arbeiterklasse herstellen, keine demokratische Strukturen schaffen und kein sozialistisches Programm verteidigen. Es ist die Aufgabe der JUSO, diese Einsichten in die Bewegung zu tragen.

Die JUSO schöpft das vorhandene Potential für den Aufbau der Partei bei weitem nicht aus. Trotz dem Ausbleiben grosser Kämpfe gäbe es genügend Möglichkeiten, junge Menschen für den Aufbau der JUSO zu gewinnen. Neben den Interventionen in die bestehenden Bewegungen liegt zum Beispiel das Arbeitsfeld der arbeitenden Jugend grösstenteils unbeackert. In der Schweiz machen drei Viertel der Jugendlichen eine Lehre. Die oben zitierte ZHAW-Umfrage bezeichnet über 7% davon als Kommunisten. Das sind immerhin 14’000 potentielle Parteimitglieder! Aber auch an Unis und Mittelschulen hat die JUSO keine Präsenz – und ihr fehlen nicht nur die geeigneten Plattformen, um Diskussionsrunden und Veranstaltungen zu organisieren, sondern auch Mittel der Propaganda und Agitation wie Flugblätter und eine Zeitung.

Es muss aber ebenfalls festgehalten werden, dass die Führung der JUSO die Partei trotz ihren Fehlern nicht entscheidend delegitimiert hat. Dafür spricht, dass heute links von der JUSO keine grossen Bewegungen oder Organisation entstehen. Schweizweit gibt es heute keine Organisation, die sie von links konkurriert. Solange dies der Fall ist, wird sie deshalb eine wichtige Rolle in einer zukünftigen Ausdifferenzierung in der Schweizer Linken spielen. Welche Rolle genau kann man noch nicht voraussagen. Entscheidend wird sein, wie unabhängig von der SP die JUSO-Führung in den entscheidenden Fragen auftreten wird. Der Druck von der SP nimmt bereits heute zu. Die SP gibt damit den Druck, den die Bourgeoisie auf sie ausübt, weiter. Ob die JUSO-Führung bei zentralen Fragen standhaft bleiben kann, hängt davon ab, ob sie sich auf eine eigene, radikalere Basis stützen kann. Diese Basis muss heute aufgebaut werden. Dies ist nur möglich, indem die JUSO in der Jugend ein konsequent sozialistisches Programm verteidigt. Dies wäre ein Grundstein für eine Umkehr der Kräfteverhältnisse mit der Mutterpartei. Anstatt den Drücken der Bürokratie ausgesetzt zu sein, könnte sich die JUSO im Gegenteil daran machen, als organisierter linker Flügel die SP-Basis für sozialistische Positionen zu gewinnen.

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Fussnoten:

[1] Weltperspektive der IMT, 2018

[2] «Politischer Extremismus unter Jugendlichen in der Schweiz: Verbreitung und Einflussfaktoren», ZHAW, 2018.