Die Grünen haben am Wahlsonntag 17 Parlamentssitze dazugewonnen. Sie versprechen, sich für das Klima einzusetzen. Kann ein Programm, das die Schuld einfach «uns allen» zuschreibt und nicht Konkurrenz, Profit und Wirtschaft verantwortlich macht, überhaupt etwas verändern?

Das Herzstück des Forderungskataloges der Grünen ist das CO2-Gesetz. Balthasar Glättli fordert nach den Wahlen, den Benzinpreis um 40 bis 50 Rappen zu erhöhen. Bleiben wir erstmal bei dieser Tatsache stehen. Während eines ganzen Jahres gingen zehntausende, ja hunderttausende Klimastreikende auf die Strasse. Eines ihrer erklärten Ziele war, die Bevölkerung darauf aufmerksam zu machen, dass es radikale Veränderung braucht, dass sogar ein «System Change» notwendig sei, um die Klimaerwärmung und damit den Kollaps des Ökosystems zu verhindern. Welche Schlussfolgerung zogen die Grünen? Der Markt wird’s richten, einfach mit 50 Rappen mehr pro Liter. Es scheint so, als wäre die Botschaft der Klimastreikenden nicht bis zu Glättli durchgedrungen. Eine solche Steuer ist einerseits noch keine direkte Massnahme gegen den Klimawandel und andererseits vor allem asozial.

Zur CO2-Steuer

Wo die Klimastreikenden recht haben, sollten wir sie beim Wort nehmen: Das Problem des Klimawandels muss «auf gesamtgesellschaftlicher Ebene bekämpft werden». Die Ursache ist die kapitalistische Produktionsweise, die Konkurrenz unter den Unternehmen, die jeden Marktteilnehmer zwingt, möglichst billig und viel zu produzieren – auf Kosten der Umwelt. Sogar die Bürgerlichen müssen zugeben, dass zwei Drittel des schweizer CO2-Ausstosses durch die Wirtschaft und nicht die Privathaushalte verursacht wird.

Parteipräsidentin Rytz stellt zwar fest, dass der Finanzplatz «eine zwanzig Mal stärkere Auswirkung auf den Klimawandel als die Schweizer Bevölkerung» hat. Die Partei nimmt aber nicht diese Unternehmens- und Immobilienbesitzer in die Pflicht. Mit der CO2-Abgabe zielt sie nicht auf die wahren Verursacher, sondern mehrheitlich auf die Lohnabhängigen. Erstens ist es eine indirekte Steuer: Tiefere Einkommen bezahlen proportional mehr. Zweitens geben Unternehmer relativ unverfroren zu, dass zusätzliche Steuern einfach an die Endkonsumenten – also wiederum die Lohnabhängigen – weitergegeben werden. Und drittens können viele Lohnabhängige aufgrund von mangelhaftem oder überteuertem öffentlichem Verkehr nicht frei entscheiden, ob sie mit dem Auto oder der S-Bahn zur Arbeit pendeln. Oder ob ihr Hausbesitzer die feuchte Wohnung mit Öl heizt. Trotzdem bezahlen sie.

Glättli entgegnet, dass mit den Abgaben notwendige Investitionen wie die Isolation von Gebäuden subventioniert werden sollte. Ähnlich argumentiert der CEO der Swiss. Er fordert, dass mit solchen Abgaben ein CO2-freier Kerosinersatz erforscht werden soll. Wie man es dreht oder wendet, fest steht, dass wir Lohnabhängigen bezahlen, um die längst überfälligen Investitionen der Kapitalbesitzer zu subventionieren.

Wie man nichts verändert

Der Sieg der Grünen an der Urne ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass sie auf Bundesebene noch nie volle Verantwortung tragen mussten, also eben nie beweisen mussten, dass sie wirklich eine Alternative zu den Bürgerlichen darstellen. Rytz beruhigt die NZZ: «Die parlamentarische Arbeit wird nicht anders, wir werden weiterhin um Mehrheiten ringen und andere Parteien überzeugen müssen. (…) Ich hoffe, dass die FDP und die CVP weiterhin auf ihrem Klimakurs bleiben und dass auch die Wirtschaft mit uns gemeinsam am gleichen Strang zieht.» Doch es ist unmöglich, zusammen mit jenen Parteien, welche die Kapitalisten vertreten, Massnahmen zu verabschieden, die radikal in die Wirtschaftsweise eingreifen und eine Reduktion des CO2-Ausstoss erzwingen. Jede konsequente Massnahme zur Reduktion der CO2-Emissionen hat ihren Preis (teure Filter, Isolation, gratis ÖV, Aufforstungsprojekte etc.). Das schmälert entweder die Profite der Unternehmen oder die ArbeiterInnenklasse kommt dafür auf.

Die Klimafrage ist also eine Klassenfrage. Die Lohnabhängigen als grosse Mehrheit der Bevölkerung haben ein gemeinsames Interesse an der kollektiven Lösung dieser Frage. Ihnen gegenüber steht jedoch die kleine Minderheit der Kapitalbesitzer, die seit Jahrzehnten hartnäckig und auf unzähligen Wegen jede effektive Massnahme verhindert hat. Stellt man auf ehrliche Art die Frage, wie wir die Kontrolle über die Umweltverträglichkeit der Produktion gewinnen, kommt man notwendigerweise zur Frage, wie man direkt die Kontrolle über diese Unternehmen bekommt. Denn was wir nicht besitzen, können wir nicht kontrollieren.

Wie man etwas verändert

Die Grünen erkennen nicht, dass nur die Arbeiterklasse – durch ihre Position im Produktionsprozess – die Kraft hat, die Macht der Kapitalisten zu brechen. Teile der Klimastreikbewegung hingegen ziehen Schlüsse, die genau in diese Richtung gehen. Sie erkennen, dass Schülerstreiks alleine nicht ausreichen und sie auf die Kraft der Lohnabhängigen setzen müssen. Sie rufen zum Klimageneralstreik im Mai 2020 auf. Damit sind ihre Schlussfolgerungen jenen der Grünen meilenweit voraus.

Die Klimastreikenden setzen auf die Selbstaktivität der Lohnabhängigen. Unter dem passenden Titel «Workers for Future» wenden sie sich an die Mehrheit in der Gesellschaft, die in den Betrieben direkt alle Waren herstellt. Ihr Streik blockiert den Profit der Kapitalisten, setzt also am einzigen Punkt an, der sie wirklich schmerzt. Das ist der richtige Weg, denn ein Streik beweist den Lohnabhängigen ihre Macht über die gesamte Wirtschaft.

Der Klimastreik braucht keine faulen Kompromisse

Rytz’ und Glättlis Kurzsichtigkeit lässt sie das Kräfteverhältnis im Parlament mit dem in der Gesellschaft verwechseln. Eine Mehrheit der Arbeiterklasse ist nämlich gar nicht wählen gegangen und hat noch keine Position bezogen. Massendemonstrationen zum Klima und der grosse Anteil an Neuwählern bei den Grünen haben gezeigt, dass dieses Thema neue Schichten mobilisiert. Anstatt zu weiteren Mobilisierungen aufzurufen und der Bewegung ein konsequentes Programm zu geben, versuchen sie die Massenbewegung, die zu ihrem eigenen Wahlerfolg geführt hat, auf den Holzweg der reformistischen Suche nach Mehrheiten im bürgerlichen Parlament umzuleiten. Nur eine Politik, die konsequent die Interessen dieser Mehrheit verteidigt und sie aktiviert, ermöglicht es uns, aus der politischen Falle der blinden Kompromisse mit den Bürgerlichen herauszukommen.

Vorlagen wie die CO2-Abgabe sind kontraproduktiv. Erstens lenken sie von den eigentlichen Verantwortlichen – allen voran einiger wenigen Konzerne – ab. Zweitens bitten sie die falschen zur Kasse. Drittens spalten sie die ArbeiterInnenklasse, indem sie die «Bewussten» gegen die Anderen ausspielen, obwohl letztere keine Schuld tragen. Und viertens zeigen sie keinen Weg auf, wie wir alle gemeinsam aktiv werden und den wirklichen Schuldigen den notwendigen Wandel der gesamten Produktionsbedingungen aufzwingen, ob sie es wollen oder nicht!

Die weltweite Krise des kapitalistischen Systems und tickende Zeitbombe der Erderwärmung lassen keinen Mittelweg offen. Nach der Wahl stehen die Grünen vor der richtigen Wahl: Entweder sie bekämpfen das System als Ganzes oder sie verschwinden in der Bedeutungslosigkeit – als eine weitere Partei, die dem eigenen Parteinamen nicht gerecht wurde.

Caspar Oertli
JUSO Stadt Zürich

Bild: www.grüne.ch