[dropcap]R[/dropcap]und 62% der Stimmbeteiligten strömten am letzten Abstimmungssonntag an die Urnen, die vierthöchste Stimmbeteiligung seit Einführung des Frauenstimmrechts. Motor dieser hohen Beteiligung war zweifellos die hitzige Debatte rund um die Durchsetzungsinitiative. Der drohende Sieg dieser schon fast lächerlich menschenverachtenden Initiative hat zu einer breiten Gegenkampagne geführt, in der viele, vor allem junge, urbane Menschen aktiv wurden. So gelang es, breite Teile der Bevölkerung aufzurütteln und die Initiative letztendlich deutlich zu besiegen. Dies ist natürlich zu begrüssen. Doch bei der ganzen Sache bleibt ein bitterer Beigeschmack und es stellt sich die Frage: Wer hat hier wirklich gewonnen hat?

Der SVP gelang es wieder einmal, die politische Themensetzung komplett zu dominieren und die politischen Schützengräben entlang nationalistischer Linien zu ziehen. Wenn man die Strategie der SVP betrachtet, wird klar, dass sie mit ihren Initiativen genau das beabsichtigt. Der Inhalt einer Initiative spielt dabei eine untergeordnete Rolle und nimmt manchmal absurde Formen an. Das haben wir bei dieser Initiative gesehen, aber auch schon bei der Minarettinitiative. Solche Forderungen dienen einzig und allein dazu, Propaganda und Wahlkampf zu betreiben, was bisher sehr erfolgreich funktioniert hat. Im Falle der Durchsetzungsinitiative schaffte die SVP sogar, ihre Gegner bis weit in die Linke dazu zu bringen, sich der Verteidigung der Umsetzung der ursprünglichen Ausschaffungsinitiative zu verschreiben. Können wir also wirklich davon sprechen, dass die SVP besiegt wurde?

Die SVP ist ein Paradebeispiel dafür, wie die herrschende Klasse Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit zur Verschleierung der wahren Widersprüche in der Gesellschaft nutzen kann. Die arbeitende Klasse, welche gegen diese ankämpft, wird so gespalten und in Schach gehalten. Wir veröffentlichen aus diesem Grund einen vertiefenden Artikel zum Charakter der SVP und ihrer Rolle im bürgerlichen Staat.

Im Schatten der Durchsetzungsinitiative sind noch andere Fragen an die Urne gekommen. So wurde die CVP-Initiative zur Heiratsstrafe knapp abgelehnt. Das hat weniger mit der Heiratsstrafe zu tun als mit der rückständigen Ehedefinition, welche so in die Verfassung hätte geschmuggelt werden sollen. Diese Entscheidung müssen wir als Votum für fortschrittlichere Vorstellung von Familie und Partnerschaft interpretieren. Auch hier zeigt sich wieder einmal, dass die konservativen Ideen, hier von der SVP und CVP, keinesfalls einfach eine Mehrheit in der Schweizer Bevölkerung haben. Gerade in den urbanen Gebieten stossen sie auf wenig Akzeptanz. Angesichts des Frauenkamptages am 8. März werfen wir daher auch einen genaueren Blick auf die heutige Situation der Frauen in der Schweiz.

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Last but not least wurde über die „Speku-Stopp-Initiative“ der JUSO abgestimmt. Mit knapp 40% Ja-Stimmen war das mehr als nur ein Achtungserfolg und sicherlich auch all denjenigen GenossInnen zu verdanken, die viel Herzblut und Arbeit in die Kampagne gesteckt haben. Ein zweiter Faktor für das ansehnliche Resultat war auch der Charakter der Forderung und das Initiativthema an sich. So handelte es sich bei der Initiative de facto um ein NGO-Projekt, bei dem von Bildern verhungernder Kinder bis zum ehrlichen Kleinbauern, der nur gerne seine Kartoffeln anpflanzen will, alle Propagandamittel zur Anwendung kamen. Die Juso hat bewusst zu opportunistischen Argumenten gegriffen, um den linken Ursprung der Initiative zu verstecken. Anstatt den antikapitalistischen Charakter der Forderung, welcher durchaus vorhanden ist, in den Vordergrund zu stellen, war die Kampagne stark auf eine Verschleierung desselben ausgerichtet. Man setzte auf eine breite Allianz mit christlichen Hilfswerken und Bauern und erhoffte sich so eine Mehrheit zu erreichen. Dies ist aber klar gescheitert.

Ein Grund dafür ist sicherlich die Gegenkampagne, welche die Initiative direkt mit der Juso verknüpfte, um die Forderung als sozialistisch und utopisch zu diffamieren. Die Angstmacherei der Bürgerlichen bis in den Bundesrat stützte sich einmal mehr auf die Drohung mit der Abwanderung der Unternehmen. Trotzdem müssen wir einen Teil der Niederlage auch in der Initiative selber suchen. Das Thema ging komplett an der Lebensrealität der Menschen in der Schweiz vorbei und vermochte entsprechend kaum Leute zu mobilisieren. Auch schaffte es das Thema aus demselben Grund nicht, eine breite Debatte zu entfachen. Wir haben bei der Entscheidung für diese Initiative bereits auf ebendieses Problem hingewiesen. Wir argumentierten, das wichtigste Element einer Kampagne rund um eine Initiative sei das Dominieren der politischen Debatte sowie das Mobilisieren rund um die Kampagne mit dem klaren Ziel, die Partei aufzubauen. Gelingt dies, geht man auch aus einer Wahlniederlage gestärkt hervor.

Letztendlich müssen wir auch sagen, dass eine Verstaatlichung von Nestlé und den Agrochemiekonzernen unter demokratischer Kontrolle weit grösseren Einfluss auf den Welthunger hätte. Eine diesbezügliche Forderung würde zudem direkt die Frage der Machtverhältnisse hier in der Schweiz aufwerfen. Der sozialistische Internationalismus besteht nicht darin, hier mit dem Hunger der dritten Welt politisch Kapital zu schlagen, sondern darin direkt die Eigentumsverhältnisse der räuberischsten Konzerne anzugreifen. Eine solche Herangehensweise wäre bei den aktuellen Kräfteverhältnissen zwar genauso wenig fähig gewesen, eine Mehrheit hinter sich zu bringen. Allerdings hätte sie weitaus mehr Kontroverse erzeugt und dies – was noch wichtiger ist – entlang klarer Klassenlinien. Wenn wir eine starke gesellschaftliche Kraft der Linken aufbauen wollen, die der SVP-Propaganda etwas entgegenhalten kann, müssen wir einen klaren Klassenstandpunkt einnehmen. Das heisst, wir müssen aufzeigen, dass die Probleme, mit welchen die Menschen konfrontiert sind, Folgen des kapitalistischen Systems und somit der privaten Aneignung des gesellschaftlichen Mehrwerts sind. Wir müssen die Linie zwischen Oben und Unten ziehen und jegliche Versuche, sie zwischen Rassen, Nationen, Religionen und Geschlechtern zu ziehen aufs schärfste bekämpfen. Wenn wir all diese Kämpfe zu einem gemeinsamen Kampf gegen das kapitalistische System vereinen, können wir eine glaubwürdige, konsequente sozialistische Alternative präsentieren und eine Partei aufbauen, die ihre Wurzeln in den Betrieben, Schulen und Quartieren hat. Der Kampf gegen die Sparmassnahmen, insbesondere in der Bildung, und die damit verbundene Radikalisierung unter den SchülerInnen, bietet hier eine gute Angriffsfläche. Ob Kanti, Uni oder Berufsschule: Die JUSO muss präsent sein und den Widerstand von unten aufbauen.