Auch dieses Jahr befinden wir uns, politisch gesehen, in einem heissen Herbst. Zahlreiche Länder über den ganzen Globus verteilt werden von Massenprotesten erschüttert. In Burkina Faso wurden jüngst gleich zwei Regierungen innerhalb kürzester Zeit durch riesige Demonstrationen und Massenstreiks gestürzt.

der Funke Ausgabe 38In den USA finden seit Monaten Protestwelle um Protestwelle gegen die (rassistische) Polizeigewalt, vor allem gegenüber Minderheiten, statt. Gleichzeitig führt in Mexico die Regierung, zusammen der Drogenmafia einen Krieg gegen die Studenten, was diese mit immer noch breiteren Demonstrationen und Streiks beantworten. Spanien wird gerade durch Protestwellen für die Unabhängigkeit Kataloniens, aber auch durch den rasanten Aufstieg der neuen linken und vergleichsweise radikalen Partei Podemos erschüttert. In Italien scheint der Klassenkampf nach einiger Zeit der vermeintlichen Ruhe und der Resignation der ArbeiterInnenbewegung wieder entfacht zu sein. Am 25. Oktober demonstrierten bis zu einer Million Arbeiter in Rom gegen die „Arbeitsmarktreformen“ der Regierung Renzi. Kurze Zeit später traten die Angestellten des öffentlichen Verkehrs in den Streik und haben bereits einen weiteren Generalstreik angekündigt. In Belgien gingen über 100’000 Menschen gegen die Sparpakete der Regierung auf die Strasse, gleichzeitig fanden mehrere Streikwellen statt. Für den 15. Dezember ist ein landesweiter Generalstreik geplant. In Hongkong versucht die Regierung seit Monaten eine Bewegung für mehr demokratische Rechte zu unterdrücken, jedoch nur mit mässigem Erfolg. Gleichzeitig finden in England Proteste gegen die Erhöhung der Studiengebühren statt, während in Schottland rund um die nationale Frage eine beispiellose Radikalisierung und Politisierung der Bevölkerung stattfindet, welche die politische Normalität des Landes von Grund auf erschüttert.

Das sind nur ein paar Beispiele für die weltweite politische Instabilität. Dies zeigt, dass die Krise, welche 2008 ihren Anfang nahm, ihren Ausdruck auch in einer anhaltenden politischen Instabilität gefunden hat. Mit den extremsten Formen davon, unter anderem den Konflikten in der Ukraine und im Nahen Osten, haben wir uns in den letzten Ausgaben bereits detailliert auseinandergesetzt. In dieser Ausgabe liegt der Fokus wieder verstärkt auf den sozialen Protesten und dem wiederaufleben der kampfbereiten, organisierten ArbeiterInnenklasse. Die oben kurz aufgelisteten Ereignisse sind für sich selbst zu diesem Zeitpunkt selten Teil einer wirklichen revolutionären Bewegung, jedoch stellen sie alle eine zunehmende Radikalisierung breiter Bevölkerungsschichten, vor allem der ArbeiterInnen und der Jugend, dar. Zumeist sind es Abwehrkämpfe gegen die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen oder allgemeiner gegen die Politik der Regierungen. Besonders wichtiges Merkmal davon ist die Wiederauferstehung der Gewerkschaftsbewegung in Europa, welche für Jahrzehnte in einem langsamen, aber doch beständigen Niedergang zu sein schien. Des Weiteren liegt die Bedeutung der aktuellen Kämpfe vor allem auch darin, dass sie die Schule für künftige Auseinandersetzungen darstellen. Es sind diese Erfahrungen, welche immer mehr Menschen dazu bringen wird, das kapitalistische Wirtschaftssystem grundsätzlich in Frage zu stellen, welches bereits heute, und das wird immer offensichtlicher, lediglich für eine kleine superreiche Elite funktioniert.

Diese verallgemeinerte politische Instabilität hat natürlich auch auf die Schweiz ihre Auswirkungen. Auch wenn es in den Augen so mancher Aktivisten scheint, als ob die Schweiz nach wie vor ein statischer, konservativer Block wäre, in dem das Grosskapital schaltet und waltet wie es möchte. Auch hier zeigen sich immer wieder Risse im einst relativ stabilen politischen Gefüge. Die letzten Abstimmungen haben zwar wieder gezeigt, dass sich die Bürgerlichen nach wie vor klar durchsetzen können. Die 40.8% Zustimmung für die Abschaffung der Pauschalbesteuerung muss aber auch in ihrem Kontext gesehen werden. Obwohl alle Wirtschaftsverbände und alle bürgerlichen Parteien gegen die Initiative waren und eine riesige Medienkampagne über den angeblichen wirtschaftlichen Nutzen der Pauschalbesteuerung für die Allgemeinheit gefahren wurde, stimmten trotzdem 40% gegen die Privilegien für eine kleine superreiche Minderheit. Dasselbe galt auch schon für andere Initiativen der Linken in den letzten Jahren. Das ist alles andere als unbedeutend.

Die zunehmende Destabilisierung der Schweizer Politik drückt sich aber auch direkt in der Politik der Bürgerlichen aus. Eine Allianz aus FDP, SVP, GLP und meistens auch der CVP versucht auf allen Ebenen rigorose Sparpakete durchzudrücken und zu privatisieren, wo sie nur können. Das geht oftmals so weit, dass ihnen selbst ihre eigenen Exekutiv-Vertreter erklären müssen, dass ihr Sparwahn gar nicht oder nur zu sehr hohem Preis umsetzbar ist. Die Schweizer Bürgerlichen setzen also genau auf dieselbe Politik wie ihre KollegInnen im restlichen Europa.

Der bürgerliche Spar- und Privatisierungswahn führte in den letzten Jahren immer wieder zu Widerstand, auch in Kantonen, welche historisch gesehen nicht gerade bekannt für ihre kämpferischen Traditionen und ihren hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad waren. Jüngst gingen in Luzern bereits zum 3. Mal in den letzten 3 Jahren mehr als 1000 SchülerInnen, Lehrlinge und StudentInnen auf die Strasse, um sich gegen die Sparpolitik der Luzerner Regierung zu wehren. Im September wurde eigens dazu der Verein „Lernende gegen Sparwut“ gegründet. Die Genfer ArbeiterInnen des öffentlichen Verkehrs hingegen haben eben eindrücklich demonstriert, was die entschlossene Bereitschaft sich aktiv zu wehren und in den Streik zu treten, bewirken kann. Der Streik vom 19. November legte den öffentlichen Verkehr in der ganzen Stadt lahm. Die Drohung, am 4. Dezember nochmals zu streiken, zwang die Genfer Regierung schliesslich in die Knie und diese strich die geplanten Entlassungen. Im Kanton Zürich ist nun solche Entschlossenheit dringend notwendig. Die kantonale bürgerliche Mehrheit ist momentan im Begriff, mehrere Spitäler und Psychiatrien zu privatisieren. Besonders bedeutend sind dabei die integrierte Psychiatrie Winterthur – Zürcher Unterland (IPW) und der Kantonsspital Winterthur. Diese Privatisierungen werden ohne Zweifel unmittelbare Konsequenzen für die Qualität der Behandlung und die Arbeitsbedingungen haben. Es gilt nun nicht nur Referenden, wie das die Gewerkschaften bereits angekündigt haben, zu sammeln. Das Personal im ganzen Bereich muss aktiv werden, Arbeitskampfmassnahmen erwägen und die absehbaren Konsequenzen nach Aussen kommunizieren. Die ständigen Angriffe auf die Arbeitsbedingungen im Gesundheitssektor haben in den letzten Jahren die Unzufriedenheit ständig wachsen lassen, ein entschlossener Kampf ist deshalb ein wahrscheinliches Szenario. Es ist die Aufgabe der Juso, der SP und der Gewerkschaften nun offensiv diese Fragen aufzugreifen, möglichst direkt an der Basis zu informieren und zu mobilisieren.

Die Schweiz ist längst nicht mehr das verschlafene ruhige Alpenparadies, das so mancher immer noch gerne sehen würde. Belgien war, ähnlich der Schweiz, über einige Zeit durch relative Stabilität, Reformen und Klassenkollaboration geprägt, in den letzten Jahren ist diese Stabilität jedoch förmlich implodiert. Massenstreiks, Massenproteste, gesellschaftliche Polarisierung und bedeutende Veränderungen der politischen Kräfteverhältnisse waren die Konsequenzen. Die Schweiz scheint auf eine ähnliche Situation zuzusteuern. Wir müssen darauf vorbereitet sein.