(Aus: „Perspektiven des Klassenkampfes in der Schweiz 2012“)
Wir leben in einer Periode von Krisen, vom Aufbrechen der Widersprüche des Kapitalismus, in einer Periode, in der sich die ganze Situation innerhalb weniger Monate, Wochen oder gar Tagen komplett verändern kann. Dieses enorme Mass an Turbulenzen erschwert zwar das Erstellen von Perspektiven, eine korrekte theoretische Analyse ist aber deshalb umso wichtiger, denn sie schafft die Grundlage für ein zielgerichtetes politisches Handeln. Ohne ein Verständnis für Ursachen und Wirkungen der Krise auf den Schweizer Kapitalismus und die Beziehungen zwischen den Klassen, lassen sich auch keine politischen Schlussfolgerungen für die ArbeiterInnenbewegung ziehen.

Als MarxistInnen versuchen wir die der Krise zugrunde liegenden Prozesse zu verstehen und die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen. Der folgende Text ist ein Auszug aus der diesjährigen Perspektive des Funke Schweiz, in welchem wir die stärkste linke Jungpartei der Schweiz – die JUSO – analysieren und ihre kommenden Aufgaben festhalten.

Die Jugend stellt den sensibelsten Teil der Gesellschaft dar, sie ist ein Spiegel für die unter der Oberfläche stattfindenden Prozesse und auch für kommende Ereignisse. Die Polarisierung weiter Teile der Jugend ist Ausdruck eines tiefer liegenden Gärungsprozesses in der Gesellschaft. Dass selbst in einem der wohlhabendsten und politisch stabilsten Länder der Welt die Widersprüche des Kapitalismus früher oder später aufbrechen müssen, liegt dabei auf der Hand.

Die gesellschaftlichen Prozesse in Europa gehen also nicht spurlos am Bewusstsein der Jugend in der Schweiz vorbei. Ist eine Partei lebendig, sprich von Aktivitäten und Diskussionen erfüllt, dann wird sie auch zu einem lebendigen Ausdruck der Prozesse, die sich in der Gesellschaft abspielen. Dies gilt für eine Jungpartei noch in viel stärkerem Ausmass. Der grosse Durchlauf an jungen Menschen, welche nicht nur ihre Energie und ihren Enthusiasmus, sondern auch ihre politischen Ideen und Fragen in die Partei hineintragen, sorgt dafür, dass sie zu einem Spiegel dessen wird, was in den fortschrittlichsten Teilen der Jugend passiert. Beeindruckendes Beispiel hierfür ist die jungsozialistische Partei.

Seit nun bald 4 Jahren stellt die JUSO den Anziehungspunkt für die sich politisierende Jugend dar. Wo früher linksradikale Gruppen und Grüppchen einen Teil dieser Jugend anzogen und schnell wieder verscheuchten, wo früher andere Teile der Jugend keine Organisation fanden, mit der sie sich identifizieren, in der sie sich engagieren konnten (noch vor wenigen Jahren war die JUSO vielerorts ebenso leer und inaktiv wie grosse Teile ihrer Mutterpartei), steht nun eine starke, aktive, antikapitalistische Jungpartei, welche grosse Teile der Jugend erreicht.

Zu verdanken hat die JUSO dieses Wachstum verschiedenen Faktoren. Die aufgebrochenen Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft wie Massenjugendarbeitslosigkeit, Rassismus, usw. sind für die Jugend nur allzu deutlich spürbar. Die Perspektivenlosigkeit für die Jugend unter dem Kapitalismus hat sich heute zu einem verallgemeinerten Phänomen gewandelt, ob SchulabgängerIn, LehrabgängerIn, oder HochschulabgängerIn – sie stehen alle vor einer ungewissen Zukunft. Zudem herrscht ein zunehmender Druck auf die Jugend ökonomische oder schulische Leistungen zu erbringen. Dies führt zu einer tiefen Unzufriedenheit mit der Gesellschaft und ihrer Organisierung, sprich mit den aktuellen Herrschaftsverhältnissen. Die Jugend radikalisiert sich zunehmend.

Die 2008 eingesetzte linksreformistische Geschäftsleitung rund um den damaligen Präsidenten Cédric Wermuth hat mit ihren provokativen Aktionen und der daraus resultierenden starken Medienpräsenz und mit ihren dezidiert antikapitalistischen Positionen diese Unzufriedenheit der Jugendlichen aufgreifen können. Alle Sektionen erlebten in kürzester Zeit ein grosses Wachstum, die JUSO konnte sich innerhalb von vier Jahren mehr als verdoppeln, sie wurde zum Magnet für die sich politisierenden SchülerInnen, StudentenInnen und neu auch für junge ArbeiterInnen.

Mit ihrem ausgeprägten Aktivismus, vor allem um die 1:12 Initiative, schafft es die JUSO über längeren Zeitraum ihre Medienpräsenz aufrecht zu erhalten und immer neue Schichten der Jugend für die Partei zu gewinnen. Durch ihr Auftreten, links von ihrer Mutterpartei, gelang es der JUSO zur stärksten Jungpartei des Landes zu werden.

Doch das enorme Wachstum der JUSO nimmt langsam ab. Die Mitgliederzahlen im 2012 haben sich insgesamt kaum verändert, Neueintritte in der JUSO gab es weniger als noch zuvor. Der Bewegungscharakter der JUSO scheint abgenommen zu haben, sie bleibt aber trotzdem der zentrale Anziehungspunkt der sich links politisierenden Jugend, wie die plötzlich zunehmende Anzahl von Beitritten nach gesellschaftlichen Ereignissen beweist, in denen die JUSO eine Führungsrolle übernimmt (z. B. Schülerstreik LU). War die JUSO bis vor einigen Jahren fast eine reine Studenten-Partei, traten in der vergangener Zeit vermehrt junge ArbeiterInnen und Lehrlinge in die Partei ein.

Viele, vor allem ehemalige Jusos sind vermehrt in den Gewerkschaften aktiv und suchen eine Anstellung bei ihnen. Die organische Verbindung wird den Linksrutsch in den Gewerkschaften mittelfristig verstärken, aber auch die Verbindung der JUSO zur ArbeiterInnenbewegung stärken. Die Aktivitäten beziehen sich aber vornehmlich auf den Apparat und nicht auf konkrete Arbeit in den gewerkschaftlichen Jugendorganisationen. Dies liegt einerseits an der nach wie vor begrenzten Anzahl an ArbeiterInnen in der JUSO, anderseits aber auch an einem fehlenden politischen Bewusstsein für diese Form der Arbeit.

Die JUSO interveniert im Gegensatz zur SP überhaupt in verschiedenen Arbeitskämpfen wie dutzende Beispiele in der ganzen Schweiz (Novartis, Druckereien usw.) zeigen. Und auch auf politischer Ebene, zum Beispiel bei den Demonstrationen gegen die Sparmassnahmen und bei Schülerstreiks waren die JUSO mit den Gewerkschaften immer an vorderster Front. Das Bewusstsein für die Verbindung zu den Kämpfen der ArbeiterInnenbewegung existiert, muss aber noch intensiver und systematischer werden. In der JUSO muss ein breiteres Bewusstsein für Gewerkschaftsarbeit geschaffen werden. Dies drückt sich weniger in der Nähe zum Gewerkschaftsapparat aus, sondern vielmehr in konkreten gemeinsamen Interventionen in Arbeitskämpfen. Zentral für die JUSO ist es dabei auch, öffentlich Stellung zu beziehen, um ihre bedingungslose Solidarität mit diesen Kämpfen zu demonstrieren und zugleich auch um Druck auf die opportunistische Führung ihrer Mutterpartei auszuüben.