[dropcap]V[/dropcap]olksinitiativen sind im Moment hoch im Trend. Die JUSO entscheidet im Juni, ob sie eine solche lancieren wird. Initiativen können für die Linke hilfreich sein – sind es aber nicht immer. Denn ob eine Initiative unsere Partei weiterbringt, wird in erster Linie dadurch bedingt, ob sie am Bewusstsein der Jugend anknüpft. Da bei der Diskussion über eine neue Initiative in der JUSO bereits erste Stolpersteine aufgetreten sind, versuchen wir etwas Klarheit zu schaffen.

In der Juso gibt es eine lange Tradition von heftigen, aber auch produktiven, Debatten über Inhalte und Methoden politischer Kampagnen. Die abtretende Geschäftsleitung (GL) stösst diesen Prozess gegen Ende ihrer Amtszeit wieder an. An der ausserordentlichen Jahresversammlung vom 18. Juni soll eine neue Kampagne gestartet werden. Dabei wird aber nicht über ein konkretes Projekt abgestimmt, sondern nur über die Frage, ob die Juso eine neue Initiative lancieren wird oder nicht. Dies im Unterschied zum Entscheidungsprozess vom letzten Jahr, als verschiedene Kampagnenkonzepte einander gegenübergestellt wurden und die Geschäftsleitung mit ihrem Initiativvorschlag der Kampagne an den Berufsschulen unterlag.

Aus unserer Sicht stellt die GL die Frage genau verkehrt herum. Wir sollten uns zuallererst Gedanken zum Inhalt bzw. der grösseren Thematik unserer nächsten Kampagnen machen. Wir sollten uns überlegen, in welche Richtung sich die Juso entwickeln soll und wie sie weiter aufgebaut werden kann. Erst nach der Beantwortung dieser Fragen sollte der Entscheid über die benötigen Mittel erfolgen. Die Neuwahl der Führung, zu der es im Juni kommt, wäre der geeignete Moment, eine solche Diskussion zu lancieren. Diese Chance wird aber vorrausichtlich verpasst. Die Initiativfrage steht nun, trotz ihrer politischen Leere, im Raum und wird voraussichtlich auch so diskutiert werden.  Wir sollten uns deshalb etwas genauer mit der Volksinitiative als bewusstes politisches Mittel auseinandersetzen.

Kein Wundermittel
Eine Volksinitiative muss nicht einfach per se das geeignetste politische Kampfmittel sein. Selbstverständlich ist eine solche ein verlockendes Mittel, umgeht sie doch gewissermassen die rechtsbürgerliche Dominanz im Nationalrat und scheint eine Möglichkeit zu sein, reale politische Verbesserungen direkt zu erreichen. Obwohl das theoretisch stimmt, zeigt doch eine lange Reihe von an der Urne gescheiterten Initiativen, dass dem kaum so ist. Es gibt keinen einfachen Weg an der bürgerlichen Dominanz vorbei. Wer die Menschen bei den Wahlen nicht überzeugen kann, wird dies wohl auch bei den Abstimmungen meistens nicht tun können. Gerade sehr fortschrittliche Initiativen, wie die zum Mindestlohn, haben das schmerzlich gezeigt.

Wir dürfen uns also nicht der Illusion hingeben, dass wir mit einer Initiative unmittelbar politisch relevante Veränderungen erreichen können. Das erste Hindernis findet man bereits in ihrer thematischen Eingrenzung. Dies ist schon durch ihre juristische Form («Einheit der Materie») bedingt. Z.B. könnte keine Initiative lanciert werden, welche die Erhöhung der Kapitalgewinnsteuer verlangt und den Ertrag davon an einen bestimmten Zweck bindet. Falls eine linke Initiative nicht für ungültig erklärt wird, verfügen die Bürgerlichen durch die Kontrolle über den Staat über unendlich viele Möglichkeiten, die Diskussion zu sabotieren: Abstimmungstermine werden verzögert, bis das Thema aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein verschwunden ist, oder er wird vorverschoben, um die Kampagnenführung zu erschweren.

In den Abstimmungsunterlagen werden einseitige Propagandapositionen eingenommen oder sogar offensichtliche Lügen verbreitet (wie z.B. bei der Unternehmenssteuerreform 2). Es wird offen mit der bürgerlichen wirtschaftlichen Macht gedroht, indem Entlassungs- und Auslagerungswellen im Falle einer Annahme versprochen werden. Das Totschlägerargument des Arbeitsplatzverlustes wird bei praktisch jeder linken Initiative hervorgeholt und dies von jenen Menschen, welche auch die Macht haben, dies wahr werden zu lassen. Schliesslich kann eine Initiative einfach nicht umgesetzt werden, wie dies etwa mit der Mutterschaftsversicherung oder der Alpeninitiative geschah, oder lediglich in sehr abgeschwächter Form.

Deshalb muss mit der Initiative eine Bewegung aufgebaut werden, welche breit verankert ist und weit über den Abstimmungskampf hinaus Druck aufbaut, um eine griffige Umsetzung zu ermöglichen. Es führt kein Weg daran vorbei, sozialistische Ideen durch systematische Aufbauarbeit zu verankern. Volksinitiativen können dabei eine wichtige Rolle spielen. Unter Umständen können aktuelle Themen aufgegriffen, Menschen um eine Idee organisiert und schliesslich auch die Partei mittels einer Initiative aufgebaut werden. 1:12 hat genau diese Rolle gespielt, auch wenn die Abstimmung schliesslich verloren ging. Ihre Bedeutung lag darin, dass sie eine brennende Frage aufnahm, diese weiterführte und eine Lösung dafür präsentierte, welche gut fassbar war. Inmitten des Zorns auf die Gier der Banker und Bonzen, welche während der Wirtschaftskrise und der Bankenrettung exorbitante Boni einstrichen, konnte die Initiative einschlagen wie eine Bombe.

Die Klassenlinien innerhalb der Gesellschaft konnten so gut aufgezeigt werden und die Juso schaffte es, insbesondere in der Jugend, viele anzusprechen, zu mobilisieren und auch über mehrere Jahre die Debatten zu Löhnen, Banken und Ungleichheit zu prägen. Die letzte Initiative der JUSO, die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation, hatte vergleichsweise wenig öffentliche Resonanz. Die Initiative schaffte es nie im Umfang von 1:12, junge Leute zu mobilisieren und für die Partei zu gewinnen. Sie nahm kein drängendes soziales Problem der arbeitenden Bevölkerung und der Jugend auf, sondern argumentierte auf einer abstrakten, moralischen Ebene.

Die Widersprüche des Kapitalismus kristallisieren sich an vielen Stellen, die unseren Alltag berühren und wir nehmen dadurch diese Widersprüche bewusst oder unbewusst wahr. Stagnierende Löhne, steigende Mieten und Krankenkassenprämien, steigende Studiengebühren, Bildungsabbau oder steigender Druck am Arbeitsplatz sind einige Beispiele. Wenn wir es schaffen, anhand dieser Fragen die grundsätzlichen Widersprüche des Kapitalismus aufzuzeigen, haben wir schon viel gewonnen. Es ist nicht einfach diejenige Forderung die beste, die unserer Meinung nach im Moment das grösste Problem aufgreift. Es geht darum, welche Wirkung eine Forderung konkret auf das Klassenbewusstsein und den Zustand der organisierten Linken, insbesondere der JUSO, haben kann. Wen spricht die Forderung an, welche Diskussionen können wir provozieren? Mobilisieren die Forderungen junge Menschen und Lohnabhängige hinter sich?

Andererseits muss eine Initiativforderung stets in ein sozialistisches Gesamtprogramm eingebettet sein. Eine Umsetzung, welche wirklich in unserem Sinn ist, braucht mit der unmittelbaren Forderung verbundene Folge- und Begleitforderungen. Wir können keine 25-Stunden-Woche fordern, ohne auf die Drohungen der Industriellen mit Verstaatlichung und ähnlichen Massnahmen zu reagieren, wie wir auch keine allgemeine Sozialversicherung oder Gratis-ÖV fordern können, ohne gleichzeitig ihre Finanzierung durch massive Besteuerung von Kapital und hohen Vermögen zu verlangen.

Ein neues Projekt
Daraus wird klar, dass wir Initiativen, zumindest zu diesem Zeitpunkt, als Mittel zur Mobilisierung und Organisierung der Jugend betrachten sollten und nicht als wirksames Mittel zur Umgestaltung der Gesellschaft. Diese Sichtweise ist zwar innerhalb der Juso durchaus auch verbreitet, trotzdem müssen wir uns das immer wieder vor Augen führen. Mit einfach verständlichen und radikalen Forderungen können wir die Jugend aktivieren, politisieren und organisieren. Dazu kann die Initiative durchaus dienlich sein, aber nicht für mehr. Sie muss als ein Mittel der Agitation betrachtet werden.

Es ist klar, dass unser langfristiges Ziel die Überwindung des Kapitalismus sein muss. Reformen, welche die Verbesserung des Lebensstandards bezwecken, können nur nachhaltig gesichert werden, wenn wir auf dieses Ziel hinarbeiten. Es ist aber offensichtlich, dass wir noch nicht ein gesellschaftliches Kräfteverhältnis vorfinden, welches diesen Schritt möglich machen würde. Die Bürgerlichen schaffen es nach wie vor ihre Interessen als Klasse als gesamtgesellschaftliche Interessen zu etablieren und so bis tief in die Klasse der Lohnabhängigen zu verwurzeln. Sozialistische Politik muss deshalb in erster Linie der Entblössung dieser Klassenverhältnisse dienen und gleichzeitig eine Position aus der Klassenperspektive der Lohnabhängigen einnehmen. Deshalb sind die mittelfristigen Aufgaben die Herstellung dieses Kräfteverhältnisses und der Aufbau einer starken und kämpferischen Linken. Diesen Aufgaben müssen politische Projekte wie Initiativen untergeordnet sein.

Wie weiter in der Diskussion?
Der erste Schritt, der Antwort auf diese Frage etwas näherzukommen, wäre eine saubere und ernsthafte Analyse der objektiven Bedingungen, unter denen die JUSO Politik macht. Was bedeutet die kapitalistische Krise, die wir seit 2008 durchleben, für den Lebensstandard der Lohnabhängigen und der Jugend? Wo finden Reaktionen der ArbeiterInnenklasse und soziale Kämpfe statt und wie kann die JUSO in diese Kämpfe  intervenieren? Ohne diese Diskussion lässt sich die Frage einfach nicht sinnvoll beantworten. Dazu wurde bereits viel Vorarbeit geleistet, z.B. mit dem Aktionsprogramm gegen die Krise. Wir sollten uns aber heute konkret Fragen, was für die Jugend die zentralen Punkte sind, wo Bewegungen auszumachen sind und wie wir dort ansetzen können.

Die Frage der Bildung bzw. des Bildungsabbaus hatte sich in letzter Zeit in der dieser Hinsicht als wichtiges Thema herauskristallisiert. An mehreren Orten entstanden kleinere und grössere Bewegungen wie z.B. in Genf oder Luzern, aber auch im Kanton Zürich. Es zeigt sich, dass auch in der “beschaulichen“ Schweiz soziale Kämpfe eine immer wichtigere Rolle einnehmen. Dort können wir im Moment aufzeigen, wie die Bürgerlichen die Krise auf die Lohnabhängigen und die Jugend abwälzen. In diese Kämpfe muss die JUSO unbedingt intervenieren und versuchen, die verschiedenen Teilkämpfe unter einer übergreifenden Kampagne zu verbinden. Ein solches Projekt müsste aber deutlich mehr als nur ein wenig Web- und Medienauftritt à la “Spar-Alarm”-Kampagne beinhalten! In erster Linie müssen wir versuchen, aktive MittelschülerInnen- und Lernendengruppen gegen Bildungsabbau in den verschiedenen Kantonen mitaufzubauen.

Der Versuch, die Diskussion in eine abstrakte «Initiative: Ja/Nein?»-Richtung zu lenken verhindert einen demokratischen Findungsprozess. Wir fordern daher, dass eine richtige Diskussion über die Ausrichtung der Juso in der kommenden Zeit geführt wird, im Rahmen derer wir uns für eine nationale Kampagne entscheiden. Auf Basis einer solchen Diskussion können wir dann auch entscheiden, welche Methoden uns dazu am nützlichsten sind.

Lukas Nyffeler,
Julian Scherler,
Juso Stadt Bern