Zweiter Teil zur herrschenden Klasse der Schweiz (Teil 1)

KapitalistInnen, herrschende Klasse; oft spricht man von diesen Begriffen ohne ein klares Bild zu haben, wer das eigentlich ist. Den Kapitalisten selbst geht das aber ähnlich. Um geeint zu kämpfen brauchen sie Verbände. Wie kommt das Klassenbewusstsein der Kapitalisten zustande?

«In Zürich sind die Grossindustrie und die Banken vorherrschend. Das Grosskapital hat das Sagen. Die Patrons kennen und schätzen sich gegenseitig und sind die wahren Meister, nicht nur über die Wirtschaft, sondern auch über die Kultur und die Information. Als Gegenleistung für den sehr hohen Lebensstandard, den sie der grossen Mehrheit garantieren, erhalten die Patrons einen sozialen Konsens, der es ihnen ermöglicht, reibungslos zu schalten und walten.»

(ein Westschweizer Unternehmer)

Der Autor dieser Zeilen wirft verschiedene Punkte auf, die über Einigkeit oder Konflikt in der herrschenden Klasse entscheiden. Er weist neidisch auf das klassenbewusste Handeln der Zürcher Bourgeoisie hin, die zur Absicherung ihrer Stellung ein gutes Verhältnis unter sich pflegt und sogar hohe Kosten dazu in Kauf nimmt. Insgesamt zahlt sich das in fetten Profiten aus. Mit der Benennung der Zürcher als Vorbilder offenbart der Westschweizer: Eine solche Einheit der Kapitalisten kommt nicht automatisch zustande.

Mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten?

Gemeinsam ist den Kapitalisten ihre Stellung im Produktionsprozess: Sie arbeiten nicht, sondern leben von den Profiten. Doch in anderen Belangen unterscheiden sie sich, was ihre Einheit als Klasse erschwert: die Herkunft (Staatsangehörigkeit oder Landesteile), die Sprache, die Religion, die politische Strömung (liberal oder konservativ) sowie Wirtschaftssektoren oder Grösse der Unternehmen (KMU und Grosskonzerne). Die Kapitalisten haben sich gewichtige Organisationen geschaffen, um mit all diesen Verschiedenheiten fertig zu werden. Mit diesen führen sie den Klassenkampf nicht nur in Zürich, sondern auch national und international.

Die Rolle der Verbände

Bürgerliche Interessensorganisationen wie der Gewerbeverband oder Economiesuisse haben die Aufgabe, die Interessen des Kapitals möglichst effizient durchzusetzen. Dazu gehört einerseits, sich zu organisieren, um sich als Klasse gegen die Lohnabhängigen durchzusetzen. Ausserdem können sie so den Anliegen einer Branche oder einer Region mehr Gewicht geben. Andererseits soll die Vermittlung zwischen Konkurrenten verhindern, dass die Kapitalisten sich gegenseitig kaputt machen. Gängige Beispiele dafür sind gemeinsame Streikkassen der Unternehmen oder natürlich Kartelle, die Preisunterbietung unter den Beteiligten verhindern.

Für die Kapitalisten scheint es leichter zu sein, sich zu organisieren, als für die Lohnabhängigen. Sie haben mehr finanzielle Möglichkeiten, sind zahlenmässig weniger und haben ein klareres Ziel im Klassenkampf. Doch sie sind sich eben auch Konkurrenten. Während die Arbeiterklasse mit ihrer Befreiung die Konkurrenz aufhebt, ist das den Kapitalisten unmöglich. Sie kommen niemals von der Konkurrenz los. Bürgerliche Klassen tendieren folglich zum Individualismus; alles Kollektive muss aufwändig etabliert werden und geht leicht in die Brüche. Die bürgerlichen Organisationen sind unerlässlich, um sich als Klasse zu organisieren.

Gewerbler fürs Kapital

Dank den gemeinsamen Organisationen identifizieren sich KleinunternehmerInnen übertrieben mit den grossen Kapitalisten. Sie stehen ja auf derselben Seite. Handkehrum halten viele kleine Gewerbler oder Kleinunternehmerinnen die organisierte Arbeiterklasse für ihren schlimmsten Feind und legen eine entsprechend kämpferische Haltung an den Tag. Die besten Beispiele dafür sind Gewerbe- und Bauernverband. Diese beiden Organisationen organisieren Betriebe, deren Patrons kaum die gleiche Lebensrealität haben wie die Grossbourgeoisie von Zürich, Basel oder Genf. Trotzdem stehen sie an vorderster Front, wenn es darum geht, eine gewerkschaftliche Initiative zu bodigen oder eine Vermögenssteuer zu verhindern. In dieser Rolle sind die kleinen Kapitalisten den «Grossen» am liebsten. 

Klassengesellschaft

Die Schwergewichte unter den Kapitalisten haben ihren ganz eigenen Klassengeist. Um zu lernen wie man ausbeutet, herrscht und diesen Zustand erhält, gehen ihre Sprösslinge an Eliteschulen. Sie treffen sich zu exklusivem Sport wie Polo oder anderen teuren Aktivitäten. Um die Ideologie und den Klassengeist über die Jugend hinaus zu fördern und immer wieder zu erneuern, dienen allerhand Einrichtungen und nicht zuletzt Think-tanks, Clubs etc.

Die unterschiedlichen Individualinteressen der Kapitalisten müssen zusammen- und die kleineren Kapitalisten bei Stange gehalten werden. Gelingt das nicht, kann es teuer werden. Das Nein zum EWR (EU-Vorläufer) von 1992 basierte genau auf einer solchen Zerstrittenheit zwischen Gewerbe und Industrie.

Dominanz auf dem Arbeitsmarkt

Die herrschende Klasse der Schweiz musste sehr selten grosse Zugeständnisse machen. Die Arbeiterbewegung war hierzulande nach 1945 nie in der Lage, den Kapitalisten grosse Errungenschaften aufzuzwingen. In einzelnen Kämpfen konnten wohl gewisse Erfolge gefeiert und dann in GAVs festgeschrieben werden. Doch ein guter Sozialstaat oder eine fortschrittliche Gesetzgebung für den Arbeitsmarkt blieben immer in weiter Ferne. Der Staat tanzt bis heute gänzlich nach der Pfeife der Kapitalisten. Die bürgerlichen Verbände haben quasi Mitbestimmung bei der Gesetzgebung; die Chefbeamten sind Freunde der Geschäftsleitungen.

Ein gut eingespieltes System: Trotz durchsichtigen Machtverhältnissen konnte sich die herrschende Klasse im Hintergrund halten. Die Kapitalisten, wie die genannten Zürcher, sicherten allen einen gewissen Lebensstandard und erhielten dafür sozialen Frieden. Die Linke spielte mit.

Stabilität vorbei?

Heute läuft nicht mehr alles so glatt wie früher. Die führenden Leute der SVP haben während ihrem Aufstieg viele Konventionen der helvetischen Bourgeoisie über den Haufen geworfen. Zu nachhaltigen Zerwürfnissen kam es so lange nicht, wie die Profite stimmten.

Doch mit zunehmenden Spannungen in der Wirtschaft, wie aktuell beim Rahmenabkommen, nehmen auch die politischen Spannungen innerhalb der Bourgeoisie zu. Die Krise in der SVP ist nur ein Aspekt. Für den Erhalt der Profitbedingungen muss die Bourgeoisie wichtige Klassenkompromisse angreifen. Damit brechen aber jahrzehntealte Stützen der Gesellschaftsordnung weg. So gilt es im Rahmenabkommen mit der EU den Lohnschutz zu metzgen. Wäre es nur der Angriff auf die Lohnabhängigen, wäre es wohl bereits erledigt. Allerdings kommen Differenzen zwischen Finanzplatz, Gewerbe und Industrie mit unterschiedlichen Bedürfnissen hinzu. Letztlich geht es um den Zugang des Schweizer Kapitals zum EU-Markt: ein hoher Einsatz.

Nur ein Ausweg

Bereits seit den 1990er Jahren wälzen die sich zankenden Kapitalisten ihre Krise auf die Arbeiterklasse ab. Die Arbeiterbewegung macht einen kapitalen Fehler, wenn sie bei den Angriffen auf ihren Lebensstandard passiv bleibt oder gar Hand bietet. Beim anstehenden Rahmenabkommen sehen wir, wie die herrschende Klasse nicht fähig ist, ihre Interessen selbständig auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Das muss für uns ein Signal zum Angriff sein. Unser Gegner ist geschwächt und steht mit dem Rücken zur Wand. Nehmen wir also den Kampf auf und nutzen seine Zerfahrenheit. Die Krise der Kapitalisten ist eine Aufforderung zum Klassenkampf! Nehmen wir den Kampf auf und stürzen die herrschende Klasse noch tiefer in die Krise!

Bild: Thomas8047, Flickr