Gut ein Drittel der Abstimmenden befürwortete die 99%-Initiative der JUSO. Knapp zwei Drittel lehnten sie ab. Die Wahlniederlage ist alles andere als ein Grund für Trübsal. Mit dem Marxismus blicken wir unter die Oberfläche der Wahlresultate: Die Bedingungen für den Aufbau einer revolutionären, marxistischen Kraft sind reif! 

Als Marxisten halten wir uns an den Philosophen Spinoza: «nicht verlachen, nicht beklagen und auch nicht verdammen, sondern begreifen». Abstimmungen im bürgerlichen Politikbetrieb sind kein präzises Barometer der Stimmung in der Arbeiterklasse. Doch sie können uns helfen, den unterliegenden Prozess einzuschätzen. Begreifen wir diesen, zeigt sich: Kämpferischer Optimismus ist angesagt, nicht Trübsal über die Niederlage. 

Die Bürgerlichen feiern die Niederlage. Ihre Freude ist proportional zur Angst, die sie vor der Initiative hatten. Mit «Geld arbeitet nicht, du schon» prangerte die JUSO die Klassengesellschaft und ihre Übel an, wie der obszöne Reichtum der Bonzen. Die Bürgerlichen hatten bereits verschiedene Abstimmungsschlappen erlebt, bei denen breite Schichten der Lohnabhängigen wichtige Angriffe auf ihre Lebensbedingungen bachab geschickt haben. Dies drückt die steigende Missgunst der Lohnabhängigen gegen die Verschärfung ihrer sozialen Situation aus. Der Ausbruch der riesigen Wirtschaftskrise und ihr Einfluss auf das Leben vieler Lohnabhängigen kurbelt diesen Prozess weiter an und gab der Initiative zusätzliche Brisanz. Die Herrschenden erkennen die Zeichen der Zeit, daher ihre Angst: Es gibt eine klare Tendenz hin zur Radikalisierung der Arbeiterklasse.

Die Kapitalisten wendeten Millionen auf, um die Kampagne zu bodigen. Mit Erfolg. Trotz stagnierender Lebensbedingungen glaubt ein Grossteil der Arbeiterklasse noch, dass der Status Quo aufrechterhalten werden kann. Der Radikalisierungsprozess zeigt erste Ausdrücke an der Abstimmungsfront: Die Arbeiterklasse verweigert zunehmend allzu obszöne Steuergeschenke (wie die USR3). Doch um einen direkten Gegenschlag gegen die Kapitalisten zu unterstützen, dafür ist ihr Vertrauen in den Kapitalismus noch zu gross. Dabei spielt auch der Umstand, dass kein linke Partei dieses Illusion bewusst bekämpft, eine Rolle. Doch der kontinuierliche Prozess hin zur Hinterfragung des Status Quo kann nicht aufgehalten werden. Denn seine Basis ist die organische Krise des globalen Kapitalismus. Und die Schweiz ist keine Insel. 

So erklärt sich auch, dass knapp eine Million sich nicht von der bürgerlichen Angstkampagne einschüchtern liess. Sie befürworte den Kampf gegen die «1%», gegen die Kapitalisten. Das ist Ausdruck desselben Prozesses – verzerrt durch die Linse der Abstimmungsurne. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Hälfte der StimmbürgerInnen zu Hause geblieben ist, ein Viertel der BewohnerInnen kein Stimmrecht hat und hunderttausende Jugendliche – der radikalste Teil der Gesellschaft – noch nicht volljährig sind. Unter ihnen unterstützen noch viele mehr diese Forderung! 

Die Führung der Juso verkauft das Abstimmungsresultat als Achtungserfolg, weil sie es geschafft hätten, den «Diskurs» nach links zu «verschieben» und Klassenbewusstsein zu schaffen. Dieses «Diskursverschieben» behauptet, bei einem vermeintlichen Durchschnittsbewusstsein der Massen anzusetzen. Aber die Arbeiterklasse hat kein homogenes Bewusstsein. Gerade in einer Periode der Radikalisierung ziehen verschiedene Schichten unterschiedlich schnell und verschieden klare politische Schlussfolgerungen. Die fortgeschrittensten Schichten – v.a. in der Jugend – suchen heute revolutionäre Lösungen. Die rückwärtsgewandten Schichten wollen heute noch nichts vom Sozialismus hören. Sich auf das Niveau eines vorgestellten Durchschnittsbewusstsein beschränken bedeutet, sich den rückständigsten Schichten der Klasse anzubiedern und sich von er sozialistischen, revolutionären Spitze zu isolieren.  

Der Kampf für revolutionäre Positionen wird auf morgen vertagt, weil die Massen noch nicht bereit für den revolutionären Kampf seien, weil «der Diskurs» heute noch zu rechts und «neoliberal» sei. Deshalb warb die Kampagne mit Gerechtigkeit und nicht mit Enteignung. Damit zeigt sich, dass das Diskursverschieben ein neuer Anstrich für den alten Reformismus ist. 

Die Bedingungen raus aus der Minderheitenposition existieren! Es gibt keinen Grund, sich durch die Abstimmung entmutigen zu lassen. Nochmals: 986’901 Menschen haben sich, trotz fetter Angstkampagne der Bourgeoisie, für den Kampf gegen diese Klasse ausgesprochen! Unter diesen müssen wir diejenigen finden, welche sich vom revolutionären Programm überzeugen lassen. 

Jede Kampagne von SozialistInnen muss zum Ziel haben, darüber zu diskutieren, wie man die Verhältnisse erfolgreich umkrempelt! Unsere allerwichtigste Aufgabe ist es, die Brücke zwischen dem Ist-Zustand und dem Sozialismus aufzuzeigen. Einer ganzen Schicht an Lohnabhängigen und Jugendlichen muss man nicht beibringen, dass es Klassen, Ausbeutung und Ungleichheit gibt. Sie haben erkannt, dass der Kapitalismus keine Zukunft hat. Verwässern wir unsere Position, haben wir ihnen nur anzubieten, was sie bereits wissen. Die fortgeschrittensten Teile der einen Million, die gegen die Kapitalisten kämpfen will, ziehen bereits selbständig revolutionäre Schlussfolgerungen. Sie können davon überzeugt werden, dass die einzige nachhaltige Art, die Ungleichheit zu bekämpfen, die Enteignung der Banken, Bonzen und Konzerne ist. Und dass dies durch eine Arbeiterklasse geschehen muss, welche diese Notwendigkeit erkannt hat.

Unsere Verantwortung ist es, jetzt mit den radikalsten KämpferInnen eine schlagkräftige marxistische Strömung aufzubauen. Nur so kann später breiteren Schichten aufgezeigt werden, dass nur der Sozialismus die kapitalistische Ungleichheit nachhaltig aus der Welt schaffen kann.

die Redaktion