Eine laufende Serie über die Mitgliedschaft in der IMT (USA), in der GenossInnen erklären, was sie dazu bewegt hat, das kapitalistische System abzulehnen und den revolutionären Sozialismus anzunehmen.

Ich erinnere mich, dass ich schon in der vierten Klasse als Feministin bezeichnet wurde, weil ich fest gegen das Tragen von Kleidern und die Farbe Pink war. Ich hatte keine Einwände gegen die Bezeichnungen «feministisch» oder «tomboy», weil ich verstand, dass sie, selbst wenn sie als Beleidigungen ausgesprochen wurden, gegen die Vorstellung waren, dass ich dem aktuellen Status quo entsprach. Als junges Mädchen, das ihre Mathe-Hausaufgaben mochte, Rülps-Wettbewerbe gewann und viele weite T-Shirts hatte, gefiel mir der Status quo nicht. Schon in jungen Jahren verband ich Feminismus mit der Freiheit, mich selbst zu sein.

Später, als Vor-Teenagerin, erfuhr ich von jungen Mädchen in anderen Ländern, wie Indien oder Nigeria, wo der Schulbesuch ein Privileg war, für das sie kämpfen mussten – und dass sie diesen Kampf oft verloren. Ich begann Feminismus mit dem Kampf gegen die Ungerechtigkeiten zu verbinden, mit denen Mädchen in anderen Teilen der Welt konfrontiert sind, indem ich ihnen half, sich weibliche Hygieneprodukte zu leisten, damit sie zum Beispiel in der Schule bleiben konnten.

In der High School lernte ich das Patriarchat, das Konzept der «rape culture» und die «gläserne Decke» kennen. Ich lernte das wahre Ausmass der Unterdrückung von Frauen kennen, ebenso wie Rassenungleichheit, Homophobie und viele andere Möglichkeiten, wie unsere Gesellschaft die Mehrheit spaltet und unterdrückt. Feminismus bedeutete für mich den Kampf gegen jede Art von Ungerechtigkeit. «Feministisch» wurde ein Teil meiner Identität, obwohl ich mich auch noch an die Worte «tomboy» und «eigensinnig» klammerte. Mein Verständnis von Klasse war bestenfalls oberflächlich. Offensichtlich hatten «arme» Menschen es schlechter als «reiche» Menschen, genauso wie schwarze Menschen es schlechter hatten als weisse. Aber «wirtschaftliche Ungleichheit» war für mich nur eine weitere Ungerechtigkeit, die wir bekämpfen mussten.

Im College fing ich mich an zu fragen, wie genau ich gegen diese Ungerechtigkeiten kämpfen sollte. Offensichtlich waren diese Probleme nicht auf die Oberfläche der sozialen Interaktionen beschränkt und konnten nicht mit ein paar Gesetzesreformen und einem Schuss Kumbaya «Warum-können-wir-uns-nicht-alle-gut-verstehen» gelöst werden. Also vertiefte ich mich in die feministische Theorie. Weil der Feminismus mir die Augen für das, was mit der Welt nicht stimmt, geöffnet hatte, konnte er mir sicherlich helfen, es zu beheben.

«A Room of One’s Own» (Virginia Woolf) war die Lektüre für einen meiner Kurse. Ich studierte die Geschichte des Frauenwahlrechts in den USA, Mary Wollstonecrafts «Vindication of the Rights of Women», die zweite Welle Feministinnen der 60er Jahre, «Roe v Wade». Ich las Auszüge aus «Das andere Geschlecht» (Beauvoir), Artikel von Gloria Steinem, Reden von Angela Davis und Essays von Andrea Dworkin.

Gloria Steinem
Je tiefer ich in die feministischen Theorien eintauchte, desto weniger Sinn machte alles.

Ich tauchte tiefer und suchte nach noch radikaleren Ideen. Aber je tiefer ich ging, desto weniger Sinn machte alles. Die Puzzleteile passten nicht zusammen, und ich fand mehr und mehr Widersprüche in der Theorie. Tatsächlich wurde mir klar, dass es keine feministische Theorie gab, sondern eine Vielzahl. In einem Kurs, als Übung, musste ich eine religiöse Schrift durch eine «feministische Linse» analysieren. Die richtige Schlussfolgerung, so der Professor, war, dass dieses spezielle Werk sowohl feministisch als auch antifeministisch war, je nachdem, welchen Standpunkt man einnahm. Die Lektion war, dass die Befreiung einer Frau die Unterdrückung einer anderen war, was keiner von beiden bei der Abschaffung des Patriarchats half. Rückblickend ist mir klar, wie bequem diese individualistische, postmoderne Denkweise für diejenigen ist, die den Status quo beibehalten wollen!

So tiefgründig meine Erforschung auch war, bis 2014 war ich der Frauenbefreiung nicht nähergekommen. Das war vor #MeToo, vor dem Schwarzen Montag der polnischen Frauen, dem riesigen Frauenstreik in Spanien, bevor die globalen Bewegungen gegen die Gewalt an Frauen ausbrachen. Man konnte nicht von einer «feministischen Bewegung» sprechen. Es war nur schon ein harter Kampf einzelne davon zu überzeugen, dass die rechtliche Gleichstellung in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern nicht bedeutete, dass der Kampf für Frauen vorbei war. Emma Watson «outete» sich in einer Rede als Feministin und wurde dafür angegriffen. Die Unterstützung für die Frauen, die während #GamerGate belästigt wurden, war minimal und weitgehend auf Online-Aktivitäten beschränkt.

Damals boten die selbst identifizierten Feministinnen, mit denen ich in Foren und Diskussionsgruppen sprach, eine düstere, kurzsichtige Perspektive. Dies entsprach den damaligen Bedingungen. Die meisten Blogs und Newsletter dokumentieren einfach die Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen sowie die Tatsache, dass nichts dagegen unternommen wurde. Die langfristigen Perspektiven waren pessimistisch und auf die Veränderung des individuellen Lebensstils beschränkt: «Zieh deine Söhne besser auf!», «Öffnet ein Frauenhaus!», «Zieh in eine Kommune, weg von allen Männern!».

Die rationale Antwort auf diese Scheinlösungen ist Abscheu. Ich wurde verbittert, wütend und so pessimistisch wie der Rest von ihnen. Ich war nun ein genügendes Bewusstsein, dass ich überall Beweise für meine eigene Unterdrückung sah. Die ansprechendste und handhabbarste «Lösung» für die Unterdrückung der Frauen war es, die Unterdrückung zu erkennen und das Bewusstsein aller dafür zu erhöhen. Es war im Wesentlichen eine Gedankenpolizei. Zu lernen, dass dies eine unhaltbare, nicht-zielführende Lösung verkörperte, war eine harte Lektion. Es ist schwer auszudrücken, wie niedergeschlagen ich mich fühlte, wenn ich Menschen hörte, denen ich so nahe war, wie sie eine frauenfeindliche Rhetorik verwendeten. Das war weit weg davon, wie ich ihren Charakter beurteilte. Manchmal geschah dies nur wenige Augenblicke, nachdem wir ein Einverständnis mit meiner feministischen Ideologie erreicht hatten. Meine feministische Theorie konnte diese ungleiche Entwicklung ihres politischen Bewusstseins nicht erklären.

Der Bruch mit meiner feministischen Ideologie und Identität war nicht leicht. Aber es war notwendig. Wir haben gesehen, wie Politiker wie Hillary Clinton den Feminismus für ihre eigenen Zwecke nutzen. Selbst Theresa May nennt sich Feministin. Die Liberalen und Rechten können das Etikett leicht übernehmen, weil der Feminismus eine Bewegung ist, die die Klassenunterschiede auslöscht. Der Feminismus fördert die Illusion, dass alle Frauen die gleichen Interessen haben – obwohl die Frauen der herrschenden Klasse ein berechtigtes Interesse daran haben, arbeitende Frauen zusammen mit dem Rest ihrer Klasse auszubeuten und unterdrückt zu halten. Die Vertretung von Frauen in der Regierung ist bedeutungslos, wenn diese «Vertreter» ihre Position nutzen, um andere Frauen in Syrien zu bombardieren!

Clintons Feminismus: Die Liberalen und die Rechten können sich leicht unter das Banner des Feminismus stellen.

So entmutigend es auch war, nach all der Arbeit, die ich in meine feministische Reise gesteckt habe und mich in die Irre geführt haben: Ich bereue es nicht. Als Teil dieser Suche nach einem Ausweg lernte ich die Bedeutung des Internationalismus kennen. Ich habe mich immer geweigert, nur für die Befreiung der Frauen in einem Land zu kämpfen. Ich lernte, wie wichtig es ist, Geschichte und Theorie zu studieren, um einen Plan für die Zukunft zu haben. Ich lernte die Wurzeln der Frauenunterdrückung in der materiellen Welt kennen, und dass wir für die Befreiung der Frauen ein neues System brauchen. Während des Studiums der feministischen Geschichte kam ich zu dem Schluss, dass Bewegungen auf- und abstürzen werden, aber als Revolutionäre müssen wir etwas Langlebigeres und Dauerhaftes aufbauen. Kurz gesagt: Der Feminismus hat mich ein Stück mitgenommen – aber nicht weit genug.

Mit diesen harten Lektionen und einem Gefühl des Optimismus, das vom Neuanfang an einer neuen Schule kam, stolperte und fiel ich in die IMT. Mir wurde klar, dass die Geschichte, die ich studiert hatte, ein einziges Wort in einem 10.000 Seiten dicken Buch in Band 1 von 500 war. Das Studium des historischen Materialismus und der Geschichte des Klassenkampfes eröffnete mir neue Horizonte. Es inspirierte mich, bestätigte die Schlussfolgerungen, zu denen ich bereits allein gekommen war und bot eine tiefere Erklärung für revolutionäre Bewegungen. Revolutionen und Fortschritt entstanden nicht spontan, waren keine einfachen «historischen Unfälle». Sie entstanden aus materiellen Umständen. 2014 war die Ruhe vor dem Sturm. Die Bewegungen der Arbeiterinnen, die wir heute sehen, sind ein Höhepunkt von Prozessen, die sich unter der Oberfläche der Gesellschaft aufgebaut haben: Sie liessen den arbeitenden Frauen keine andere Wahl, als sich zu erheben und zurückzuschlagen.

Durch das Studium der Philosophie des Marxismus – des dialektischen Materialismus – konnte ich erkennen, dass der erbärmliche «Lösungs»-Feminismus, der mir angeboten wurde, im philosophischen Idealismus verwurzelt war. Rückblickend erscheint es mir jetzt offensichtlich, dass wir uns nicht aus der Unterdrückung herausdenken können. Ich verstand, dass die Unterdrückung der Frauen in materiellen Verhältnissen verwurzelt war, aber mir wurde immer nur ein idealistischer Ansatz für die Befreiung der Frauen angeboten: Die Idee, dass wir die materielle Welt einfach dadurch gestalten könnten, dass wir bewusst ändern, wie wir denken. Aber wir können die Frauenfeindlichkeit niemals «verlernen». Die Gesellschaft verstärkt unsere eigene Unterdrückung ständig durch die Bedingungen, unter denen wir in jeder Sekunde des Tages leben und arbeiten, solange wir in einem System leben, das von Diskriminierung und Unterdrückung profitiert.

Als Ergebnis des Studiums der marxistischen Ökonomie erfuhr ich, warum die feministische Theorie so widersprüchlich war. Feministinnen versuchen ohne Klassenanalyse zwei Gruppen mit gegensätzlichen Interessen in Einklang zu bringen: die Frauen der kapitalistischen Klasse – die CEOs, die die «gläserne Decke» zerbrechen – und die Frauen, die sie in den Sweatshops beschäftigen. Es kann nie genügend Frauenhäusern geben, um alle misshandelten Frauen zu versorgen. Wohltätigkeitsorganisationen, die den am meisten unterdrückten Frauen helfen, dieses grausame System zu überleben, ertrinken oft an zu viel Nachfrage und Finanzierungskürzungen, die durch unvermeidliche Sparmassnahmen in Zeiten der Wirtschaftskrise verursacht werden. Der Kampf um den Zugang zur fortpflanzungsbezogenen Gesundheitsversorgung ist fast aussichtlos. Er wurde auf das Ziel reduziert, die Einführung neuer Gesetze zu stoppen, die Abtreibungen einschränken. Denn diese Gesetze zwingen jedes Jahr mehr und mehr Kliniken dazu den Betrieb einzustellen.

FeministInnen gelangen letztlich zum Versuch zwei Gruppen mit entgegengesetzten Interessen zu versöhnen. Auf der einen Seite die kapitalistische Klasse und auf der anderen die Frauen, welche sie in Fabriken ausbeuten.

Daher kommt der Pessimismus der feministischen Bewegung. Sie sehen keinen Ausweg aus diesem System, weil sie sich keinen Bruch mit dem Kapitalismus vorstellen können oder wollen. Rufe nach einem reinen Frauenstreik von feministischen Führerinnen (wie in Spanien am 8. März) verhindern eine Massenbewegung gegen den Kapitalismus, weil sie die Vereinigung der ArbeiterInnenklasse verhindern. Das Beste, was sie anbieten können, sind Reformen, die die Bedingungen für Frauen vorübergehend mildern – Zugeständnisse, die in den nächsten Wahlzyklen oder der nächsten Wirtschaftskrise zurückgenommen werden.

Der Marxismus bietet ein umfassendes Verständnis von Geschichte, Wirtschaft und Philosophie. Vor allem aber bietet er einen echten Weg nach vorne. Solange wir den Kapitalismus haben, wird die Rolle der Arbeiterinnen immer auf die Produktion von Profiten und die Reproduktion der Arbeitskräfte beschränkt bleiben. Die Angriffe auf die Rechte bezüglich Fortpflanzung, die Bildungsfinanzierung und die Gesundheitsversorgung werden nie aufhören, solange das System fortbesteht.

MarxistInnen behaupten nicht, dass die sozialistische Revolution den Kampf gegen die Unterdrückung über Nacht beenden wird. Wir sagen auch nicht, dass der Kampf gegen die Unterdrückung bis nach der Revolution warten muss. Aber bis wir die wirtschaftliche Basis der Gesellschaft verändern, kann keine Bewegung gegen Unterdrückung auf der ganzen Linie siegreich sein. Die dauerhafte Sicherung nicht nur der Rechte, sondern auch der Qualität der Bildung, der Gesundheitsversorgung, des gleichen Lohnes für gleichwertige Arbeit und der Freiheit von häuslicher Knechtschaft erfordert die Abschaffung des Kapitalismus und den Aufbau des Sozialismus. Die Entwicklung des Klassenbewusstseins ist entscheidend im Kampf gegen Unterdrückung, aber nicht ausreichend. Deshalb brauchen wir eine sozialistische Revolution, um die materiellen Grundlagen zu zerstören, auf denen das Patriarchat ruht und die Grundsteine für ein Ende aller Formen der Unterdrückung zu legen!

Die kolossale Macht der Lohnabhängigen, wenn sie in den Kampf eintreten, ist offensichtlich: Die Millionen in Spanien, die am 8. März in den Streik traten und nach dem Urteil für La Manada  gegen das «Justizsystem» auf die Strasse gingen; die Millionen, die beim irischen Referendum stimmten; das grüne Meer in Argentinien, das für eine legale Abtreibung kämpfte; Frauen in Chile, die mehr als 20 Colleges, Universitäten und sogar Gymnasien besetzten und eine Erziehung ohne Sexismus und sexuelle Belästigung forderten; die über 20.000, die die Strassen Südkoreas überfluteten und Massnahmen gegen versteckte Kameras forderten, die ihr tägliches Leben in Pornos verwandelten; sowie Frauen, die an #MeToo teilnahmen und einen Schlag gegen das Stigma lieferten, Überlebende der sexuellen Gewalt zu sein.

Wir alle lernen aus Erfahrung – aber wir müssen auch nach diesem hart erarbeiteten Wissen handeln. Die entscheidende Lektion für jede Bewegung ist, dass eine mutige Führung erforderlich ist, die bereit ist, bis zum Ende zu kämpfen, in der Gewissheit, dass ein Sieg möglich ist. Feministische Führerinnen können den Kampf gegen den Sexismus zu den Campusverwaltungen, zum Kongress, zu Hollywood und zu den Gerichten führen. Aber ihre Ideologie kann und wird keine Masse in einem Kampf auf Leben und Tod gegen die kapitalistischen Wurzeln jeglicher Ausbeutung führen. Ich bitte daher alle selbst-identifizierten Feministinnen respektvoll, sich kritisch mit Ihren Führerinnen und Ideen auseinanderzusetzen. Sie haben dich so weit gebracht, aber ist es weit genug? Wenn du bereit bist, den nächsten Schritt zu tun, schliess‘ dich mir und den Tausenden anderer Frauen auf der ganzen Welt an, die sich der IMT und dem Kampf für den Sozialismus in unserer Lebzeiten angeschlossen haben!

Erika Roedl
IMT USA