«Die Frau frei vom Mann, beide frei vom Kapital.» 

Camilla Ravera in L’Ordine Nuovo, 1921.

Fourier erklärte 1808 in seinem Werk Theorie der vier Bewegungen, dass «die Veränderung einer geschichtlichen Epoche sich immer aus dem Verhältnis des Fortschritts der Frauen zur Freiheit bestimmen lässt.» (zitiert nach MEW, die Heilige Familie). Später untersuchten Marx und Engels im Detail die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, nicht nur was die Wirtschaft, sondern auch was die Kultur und die Beziehungen zwischen den Geschlechtern anbelangt.

Der Marxismus analysierte die Ursprünge der Frauenunterdrückung und schuf die theoretische Basis für ihre Überwindung. Insbesondere Engels zeigte 1884 in Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, aufbauend auf dem wissenschaftlichen und anthropologischen Wissensstand seiner Zeit, den dynamischen Charakter von Gesellschaftssystemen und wie diese mit dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte zusammenhängen.

«Die Steigerung der Produktion in allen Zweigen – Viehzucht, Ackerbau, häusliches Handwerk – gab der menschlichen Arbeitskraft die Fähigkeit, ein grösseres Produkt zu erzeugen, als zu ihrem Unterhalt erforderlich war. […] Wie und wann die Herden aus dem Gemeinbesitz des Stammes oder der Gens in das Eigentum der einzelnen Familienhäupter übergegangen, darüber wissen wir bis jetzt nichts. Es muss aber im Wesentlichen auf dieser Stufe geschehn sein. Mit den Herden nun und den übrigen neuen Reichtümern kam eine Revolution über die Familie. Der Erwerb war immer Sache des Mannes gewesen, die Mittel zum Erwerb von ihm produziert und sein Eigentum. Die Herden waren die neuen Erwerbsmittel, ihre anfängliche Zähmung und spätere Wartung sein Werk. Ihm gehörte daher das Vieh, ihm die gegen Vieh eingetauschten Waren und Sklaven. All der Überschuss, den der Erwerb jetzt lieferte, fiel dem Manne zu; die Frau genoss mit davon, aber sie hatte kein Teil am Eigentum. Der „wilde“ Krieger und Jäger war im Hause zufrieden gewesen mit der zweiten Stelle, nach der Frau; der „sanftere“ Hirt, auf seinen Reichtum pochend, drängte sich vor an die erste Stelle und die Frau zurück an die zweite. Und sie konnte sich nicht beklagen. […]

Mit der faktischen Herrschaft des Mannes im Hause, war die letzte Schranke seiner Alleinherrschaft gefallen. Diese Alleinherrschaft wurde bestätigt und verewigt durch Sturz des Mutterrechts, Einführung des Vaterrechts, allmählichen Übergang der Paarungsehe in die Monogamie. Damit aber kam ein Riss in die alte Gentilordnung: Die Einzelfamilie wurde eine Macht und erhob sich drohend gegenüber der Gens.» 

Marx-Engels Werke, Band 21, S. 157 – 158.

Seit diesen altertümlichen Ursprüngen galten Frauen als minderwertig. Ein italienischer Zeitgenosse von Marx, der Abt Rosmini, galt als Referenz bei der Erziehung «junger Damen» aus gutem Hause. Er berief sich auf die Natur, um die uralte Unterwerfung der Frau unter den Mann zu rechtfertigen:

«Dem Ehemann fällt es zu, gemäss den Schicklichkeiten der Natur, Herr und Gebieter zu sein; der Frau fällt es zu, und so soll es sein, fast ein Anhängsel zu sein, eine Ergänzung dem Gatten, ganz ihm gewidmet und beherrscht von seinem Namen.» 

Zitiert nach Gabriella Parca, L’avventurosa storia del femminismo, 1981. (Übersetzung der Redaktion)

Solche Theorien mögen heutzutage lächerlich und veraltet erscheinen, aber sie bildeten die Grundlage für das italienische Familienrecht bis zum Jahr 1975, als es nach harten Kämpfen endlich reformiert wurde.

Während die Geschichte viele Kämpfe und Debatten um diese Frage kennt, stellt der Aufstieg des Kapitalismus einen entscheidenden Einschnitt dar, der die menschlichen Beziehungen radikal veränderte.

Befreiung ausserhalb der eigenen vier Wände

Wie Engels erklärt, war die Unterdrückung der Frau in der Familie das Resultat von ausserhäuslichen Veränderungen. In dem Masse, wie die Arbeit der Männer in der Viehzucht und dem Ackerbau über die familiären Bedürfnisse hinaus ein Mehrprodukt erzeugte, das verkauft werden konnte, und damit zur die Grundlage für den Wohlstand in der Gesellschaft wurde  – in dem Masse verlor die Hausarbeit ihre Rolle als Fundament des Wohlstands. Sie hatte privaten Charakter, konnte nicht gegen andere Güter getauscht werden und verlor so ihren Wert. Die Arbeit des Mannes, dessen Erzeugnisse gewinnbringend getauscht werden konnten, wurde produktiv. Diejenige der Frau, deren Produkte nicht verkauft werden konnte, wurde unproduktiv. Dieser Wandel ausserhalb der Familie stürzte das Kräfteverhältnis innerhalb der Familie um. Um nochmals Engels zu zitieren: 

«Hier zeigt sich schon, dass die Befreiung der Frau, ihre Gleichstellung mit dem Manne, eine Unmöglichkeit ist und bleibt, solange die Frau von der gesellschaftlichen produktiven Arbeit ausgeschlossen und auf die häusliche Privatarbeit beschränkt bleibt. Die Befreiung der Frau wird erst möglich, sobald diese auf grossem, gesellschaftlichem Massstab an der Produktion sich beteiligen kann und die häusliche Arbeit sie nur noch in unbedeutendem Mass in Anspruch nimmt. Und dies ist erst möglich geworden durch die moderne grosse Industrie, die nicht nur Frauenarbeit auf grosser Stufenleiter zulässt, sondern förmlich nach ihr verlangt, und die auch die private Hausarbeit mehr und mehr in eine öffentliche Industrie aufzulösen strebt.» 

Marx-Engels Werke, Band 21, S. 158.

Der Aufstieg der kapitalistischen Produktionsweise hatte tatsächlich wichtige Auswirkungen auf alle Frauen, seien sie aus der Oberschicht oder der Arbeiterklasse. Genau diese von Engels beschriebenen Prozesse führten dazu, dass bürgerliche und sogar einige adlige Frauen mehr Rechte forderten. Und sie rüttelten das Bewusstsein und die Gesellschaftsverhältnisse auf – wie wir später anhand einiger dieser Kämpfe um die Wende zum 20. Jahrhundert zeigen werden.

Klassenkampf und der Kampf gegen die patriarchale Gesellschaft

Die kapitalistische Produktionsweise kennzeichnet sich jedoch durch einen unversöhnlichen Gegensatz zwischen den Interessen der Ausbeuter und der Ausgebeuteten. Das kapitalistische System zwingt die Individuen dazu, eine Rolle im gesellschaftlichen Produktionsprozess einzunehmen. So brachen nicht nur bürgerliche Frauen aus ihren «goldenen Käfigen» aus und forderten einen Platz im Parlament oder in männlich dominierten Berufen, sondern es wurden auch Millionen von Bauern- und Hausfrauen notgedrungen in die grosse Produktion getrieben: Die Fabriken, Spinnereien, Bergwerke, Büros und Call Center der Welt wurden Schauplatz einer weiteren Unterdrückungsform, der Klassenunterdrückung. Doch diese zweite Bürde zieht die Frau aus der Vereinzelung der vier Wände des Haushalts heraus und gibt ihr die Möglichkeit, Genossinnen und Genossen im Kampf gegen ihre Unterdrückung zu finden, Protagonistin ihres eigenen Lebens zu werden, ihre Unterwerfung unter den Ehemann zu durchbrechen und der patriarchalen Gesellschaft einen Schlag zu versetzen. Alle Erfahrung aus Arbeitskämpfen von Frauen zeigt genau das auf: Mit dem Kampf am Arbeitsplatz geht eine Krise in der Familie einher; die Männer betrachten mit Misstrauen, wie die Frauen die Rolle von Protagonistinnen einnehmen; gleichzeitig gewinnen Frauen an Selbstvertrauen und lassen sich Hohn und missbräuchliches Verhalten von ihren Vätern, Brüdern und Gatten nicht mehr gefallen.

Der Eintritt in die Arbeitswelt, der eigene Lohn und Klassenkämpfe führen nicht automatisch zur Befreiung der Frau. Doch KommunistInnen, die dieses Ziel verfolgen, müssen die Verbindung zwischen beidem verstehen. Der Klassenkampf zeigt den Frauen am deutlichsten den reaktionären Charakter der Familie auf; als Ort, wo das Individuum – insbesondere Frauen und Kinder – unterdrückt wird. KommunistInnen müssen an diesen objektiven Bedingungen anknüpfen, um eine andere Vorstellung des gesellschaftlichen Zusammenlebens, beruhend auf der Vergesellschaftung der wirtschaftlichen Ressourcen, der Hausarbeit, der Pflegearbeit und Erziehung, aufzuzeigen. Vor allem aber müssen sie klarmachen, dass die Wurzel von Zwist und Gewalt im alltäglichen Familienleben darin liegt, dass der Kapitalismus zahlreiche gesellschaftliche Aufgaben ins Private verdrängt und auf den Schultern der Familie und insbesondere der Frauen ablädt. Die Frauenunterdrückung zu überwinden, den privaten Charakter dieser Frage aufzubrechen, bedeutet, den Kampf für die Befreiung der Frau einzubetten in den Kampf gegen den Kapitalismus. Die Frauenfrage ist dabei nicht einfach eine zusätzliche, sondern eine entscheidende Aufgabe, die den Kampf gegen den Kapitalismus auf eine höhere Stufe hebt. Die KommunistInnen bekämpfen dieses System nicht nur, weil es drei Viertel der Weltbevölkerung in unmenschliche Armut treibt, sondern auch, weil es ein Hindernis für den kulturellen, wissenschaftlichen und menschlichen Fortschritt ist. Mehr noch: Zunehmend führt dieses System sogar in fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern direkt zu barbarischen Verhältnissen zwischen den Menschen. Der Kampf findet folglich auch auf ideologischer Ebene statt. 

Das Wesen des Feminismus

Bisher haben wir den Begriff «Feminismus» in Bezug auf die Frauenbewegung vermieden. Wir denken, dass er einiger Klärung bedarf.

Fourier sprach als erster von Feminismus und bewertete den Begriff positiv, da er den Kampf von Frauen gegen ihre Unterdrückung bezeichnete. Historisch wurde die Bezeichnung aber im Allgemeinen von Bewegungen mit einer bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Führung verwendet, die oft in Konflikt mit der Arbeiterbewegung und deren Organisationen gerieten.

Insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg brachte die feministische Bewegung Ideen und Analysen hervor, die unbestreitbar wertvoll, gelegentlich sogar revolutionär und marxistisch, waren. Allerdings blieb sie im Grossen und Ganzen einer reduktionistischen Sichtweise auf die Frauenfrage verhaftet. Sie stellte diesen Kampf ins Zentrum und warf dabei alle Frauen in einen Topf – ungeachtet ihres sozialen Hintergrunds und getrennt von allen anderen Kämpfen (um Löhne, soziale Bedingungen, etc.). 

Es stimmt zwar, dass die Frauenunterdrückung Frauen aus verschiedenen gesellschaftlichen Klassen betrifft, aber es gibt trotzdem je nach Klasse enorme Unterschiede zwischen den Bedingungen, unter denen die Frauen leben, und dementsprechend verfolgen sie unterschiedliche gesellschaftliche Ziele.

Zunächst wäre da die Eigentumsfrage. Bürgerliche Frauen müssen sowohl ihr eigenes als auch das Eigentum ihrer Familien und ihrer Klasse verteidigen. Proletarische Frauen, ihre Forderungen als Klasse und als Frauen, sind für das bürgerliche Eigentum eine ständige Bedrohung. Dieses wird nicht nur durch das Programm der Arbeiterbewegung (das mehr oder weniger fortschrittlich sein kann) bedroht, sondern vor allem auch durch deren Kampfmethoden (Streiks, Betriebsbesetzungen usw.) und deren Massencharakter.

Zweitens stellt sich die Frage der Ziele in diesen Kämpfen. Historisch hatte die feministische Bewegung zahlreiche verschiedene Ausdrucksformen, die wir weiter unten analysieren werden. Trotzdem fassen wir aber ihre Ziele schon zusammen: Ein Fixpunkt für bürgerliche Frauen in der feministischen Bewegung ist der kulturelle Kampf. Während sich dieser zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Ausweitung der demokratischen Rechte wie dem Wahlrecht, dem Recht auf höhere Bildung, dem Zutritt zu «männlichen» Berufen (Arzt, Anwalt etc.) ausdrückte, so mobilisierten sie später für eine Neubewertung der Frau und gegen die katholische Kultur, welche die Frauen als «Engel von Herd und Heim» betrachtete (Scheidungs- und Abtreibungsrecht). Begleitet wurde dieser Kulturkampf oftmals von starkem Verbalradikalismus und von demonstrativen Aktionen, die den revolutionären und universellen Charakter solcher Forderungen aufzeigen sollten. Während demokratische Rechte für Frauen sicherlich universell sind, da sie alle betreffen, wird der kulturelle Kampf durch eine Trennung vom Wirtschaftssystem zu einem einseitigen, unvollständigen; er mag Aufsehen erregen, kann aber das System nicht untergraben. Daher kommt die endlose Debatte darüber, ob wir die «Emanzipation» oder die «Befreiung» der Frau fordern sollen. Die gemässigten Schichten der Bewegung beschränkten sich naturgemäss darauf, gewisse Verbesserungen der Lebensbedingungen von Frauen zu fordern, und setzten auf einen mehr oder weniger langsamen, allmählichen Emanzipationsprozess. Andere, radikalere, aber oft auch verwirrtere Schichten, verlangten nach einer echten Befreiung, verstanden aber nicht, dass sie dazu die engen Grenzen des Feminismus überwinden und einen umfassenden Kampf gegen den Kapitalismus führen mussten, indem sie ein radikaleres, revolutionäres Programm innerhalb der Arbeiterbewegung verteidigen.

Arbeiterinnen und patriarchale Ideologie

Die häusliche Unterdrückung von Arbeiterinnen ist eng mit den sozialen Bedingungen verwoben. Für Arbeiterinnen bedeutet dies erstickende Hausarbeit und Kinderbetreuung. Im Gegensatz zu bürgerlichen Frauen können sie diese nicht auf bezahlte Arbeitskräfte (Nannys, Pflege- und Putzpersonal usw.) abschieben. In den letzten Jahrzehnten gab es zwar in den fortgeschrittenen Ländern einen gewissen Trend zur Beteiligung von Männern an Kinderbetreuung und Hausarbeit, aber die Hauptverantwortung lastet noch immer auf den Schultern der Frau. In ärmeren Schichten und der Arbeiterklasse wiegt diese Verantwortung noch schwerer, weil die kapitalistische Gesellschaft kein Interesse an der Vergesellschaftung dieser Aufgaben hat. Diese Situation bestimmt die Rolle der Frau und vor allem der Arbeiterin in der Gesellschaft: Es muss Zeit für Haushalt, Kinder und Pflege im Allgemeinen aufgewendet werden – zu Lasten von Bildung, gewerkschaftlicher Aktivität, Politik, der Verbesserung von Arbeitsbedingungen usw. Im Gegensatz zu bourgeoisen Frauen sind Arbeiterinnen – auch wenn diese ebenso von ihren Männern unterdrückt werden – gezwungen, einen mühsameren, beschwerlicheren Weg zu ihrer Befreiung zu gehen. Sie müssen die Männer ihrer Klasse nicht um einen schönen und gut bezahlten Beruf beneiden, um den sie konkurrieren können. Werden die Männer im Schnitt auch besser bezahlt als Frauen, so handelt es sich immer noch um Lohnarbeit. Was übrig bleibt, ist eine Paarbeziehung und ein Familienleben, das von einem menschlichen und wirtschaftlichen Standpunkt aus unhaltbar ist und früher oder später in die Krise gerät. Und auch hier treffen Arbeiterinnen auf die grösseren Schwierigkeiten: Eine Scheidung bedeutet für sie in der Regel das Leben als alleinerziehende Mutter (die Kinder gehen in 98% der Fälle an die Mutter), mit einem Hungerlohn und zusätzlichen Mietkosten, die bezahlt werden müssen. Der Kapitalismus bürdet den Frauen die Doppelbelastung der Arbeit innerhalb und ausserhalb des Hauses auf und angesichts der Untragbarkeit dieser Belastung bietet er als einzige Lösung die weitere Isolation und sozialen Ausschluss. Etwa die Hälfte der italienischen Kernfamilien sind keine traditionellen Familien (Vater, Mutter, Kind) mehr: In den meisten Fällen sind es die Frauen, die verzweifelt nach einem Weg suchen, sich von der familiären Unterdrückung zu lösen. Doch selbst wenn sie unter Umständen ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Ehemännern entfliehen können, können sie nicht der Frauenrolle entkommen, die der Kapitalismus ihnen auferlegt. Es bleibt die Betreuung der Kinder, es bleibt die Diskriminierung am Arbeitsplatz, es bleibt und vergrössert sich die wirtschaftliche Not und es bleibt das Bedürfnis nach solidarischem Zusammenleben, durch welche die geschlechterspezifische Rollenteilung allerdings noch immer reproduziert wird. 

Im Gegensatz zu bürgerlichen Frauen können Arbeiterinnen auf diese vereinzelnde Unterdrückung im Privaten antworten, in dem sie in Kämpfen an ihrem Arbeitsplatz eine Rolle einnehmen. Der Klassenkampf ist ein kollektiver Kampf und beweist den Arbeiterinnen ihre Macht, stärkt ihr Selbstbewusstsein und das Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Er hilft breiten Schichten von Arbeiterinnen, ihre Unterdrückung bewusst zu machen und zeigt auf, wie die kollektive Tätigkeit die Unterdrückung der Frau bekämpfen kann.

Damit dieser Lernprozess in einen bewussten Kampf für die eigene Befreiung mündet, ist eine revolutionäre Analyse und ein revolutionäres Programm notwendig. Die reformistischen Organisationen der Arbeiterbewegung sind von einer teils offen feindseligen Haltung (man nehme das Beispiel vieler sozialdemokratischen Führungspersonen, die gegen das Frauenwahlrecht waren) zu einer rein ökonomischen Herangehensweise übergegangen (Lohngleichheit, gleiche Arbeitsbedingungen usw.), ohne die revolutionären Implikationen des Kampfes gegen Frauenunterdrückung zu berücksichtigen. Sie behaupteten sogar, dass das Problem nur für bürgerliche Frauen existiere.

Da sie keine unabhängige Klassenanalyse hatten, kapitulierten die reformistischen Führungen vollständig vor den Vorstellungen des Feminismus und übernahmen die Ideen und Forderungen des moderaten Flügels. Dem hinzuzufügen ist, dass die feministische Bewegung Arbeiterinnen immer als «Schwestern zweiter Klasse» verstand. Einerseits, weil sie für ihre Argumente weniger offen waren und andererseits, weil man sie als beinahe hoffnungslos verlorene Opfer der männlichen Vorherrschaft in den Arbeiterorganisationen angesehen wurden. Diese Attitüde von Selbstgenügsamkeit zeigt sich darin, dass fast keine Schriften über die Kämpfe von Frauen aus der Arbeiterklasse existieren, verglichen mit einer viel grösseren Anzahl Veröffentlichungen über die strikt feministische Bewegung – ganz zu schweigen von der Totenstille rund um die Errungenschaften der Frauen in der Sowjetunion dank der Oktoberrevolution.

Der Feminismus und die Arbeiterbewegung

Nach dem Gesagten müssen wir das richtige Verhältnis zwischen Feminismus und Arbeiterbewegung und zwischen dem Konflikt der Geschlechter und dem Klassenkampf finden. Wie oben erklärt, müssen sich KommunistInnen der Frauenfrage annehmen, zugleich aber die einseitige Herangehensweise bekämpfen, die über die Klassenunterschiede hinweg den Kulturkampf ins Zentrum rückt. Eine solche einseitige Herangehensweise senkt das Bewusstsein der Frauen für ihre eigenen Bedingungen. Denn sie liefert nur eine Beschreibung ihrer Unterdrückung, jedoch keine Werkzeuge für deren Überwindung.

Wir haben erklärt, dass die Unterdrückung der Frau nicht mit dem Kapitalismus entstanden ist, dass der Kapitalismus aber bei ihrer Beseitigung das entscheidende Hindernis darstellt. Dieses System muss sich auf die Unterdrückung der Arbeiterklasse stützen und schürt deshalb alle möglichen Spaltungen innerhalb der Klasse. Die patriarchale Ideologie ist zentral, um eine breite Schicht an Arbeiterinnen zur Verfügung zu haben, die zu schlechteren Bedingungen und Löhnen schuften und nach Bedarf des Kapitals als Manövriermasse auf dem Arbeitsmarkt eingesetzt werden können und so einen konstanten Druck auf die Löhne und Arbeitsbedingungen der gesamten Klasse ausüben. So wird auch der Rassismus genutzt, um die Arbeiterklasse entlang ethnischer Linien zu spalten. Während der Kapitalismus Frauen also in die gesellschaftliche Produktion miteinbezieht, wie er das auch mit MigrantInnen aus weniger entwickelten Gegenden der Welt tut, muss er gleichzeitig die Vorstellung verteidigen, dass es die Pflicht einer Frau sei, zu Hause für Familie und Kinder zu sorgen.

Der Kapitalismus wurde also, im Verbund mit den ideologischen Institutionen der Kirchen, zum tragenden Stützpfeiler der Frauenunterdrückung. Es ist eine zwingende Aufgabe für alle, die sich mit der Frauenfrage befassen, diesen Zusammenhang aufzudecken und aufzuzeigen, wie patriarchale Kultur zur Aufrechterhaltung des Kapitalismus genutzt und reproduziert wird. Jeder Kampf, der dies nicht berücksichtigt, ist nicht nur zum Scheitern verurteilt, sondern gleichsam unfähig eine wahre Perspektive zu bieten, sowohl für Arbeiterinnen als auch für diejenigen bürgerlichen Frauen, die nicht nur an ihren eigenen Bedingungen etwas verbessern möchten, sondern echte Befreiung anstreben.

Schliesslich müssen wir die zentrale Bedeutung des Klassenkampfes im Vergleich zum Kampf zwischen den Geschlechtern verstehen. Zunächst ist aus dem bisher gesagten ersichtlich, dass die Befreiung der Frau oder zumindest die Grundlage dieser Befreiung darin liegt, die wirtschaftlichen Ressourcen für die Vergesellschaftung der Hausarbeit und Kindererziehung freizusetzen – Aufgaben, die die gesellschaftliche Verpflichtung und Rolle der Frau zementieren. Die Freisetzung dieser Ressourcen wiederum bedeutet, in Konflikt mit dem Privateigentum an den Produktionsmitteln und der herrschenden Klasse zu geraten. Letztendlich bedeutet es, die Notwendigkeit der sozialistischen Revolution anzuerkennen – also die Machtergreifung der Arbeiterklasse, die Verstaatlichung der multinationalen Konzerne und der wichtigsten wirtschaftlichen Ressourcen sowie die Planung dieser Ressourcen unter der Kontrolle der gegenwärtig ausgebeuteten Massen. Nur in einer sozialistischen Gesellschaft können die Ressourcen zum Wohle der Massen eingesetzt werden.

Die zentrale Bedeutung der Arbeiterklasse in diesem Prozess ergibt sich aus ihrer Stellung in der gesellschaftlichen Produktion. Sie ergibt sich daraus, dass die ArbeiterInnen als Klasse der Lohnabhängigen den Kapitalismus am Leben erhalten – auch wenn sich die Arbeiterklasse in «normalen Zeiten» dieser Macht nicht bewusst ist. Ihre Rolle ist entscheidend, weil ihre potenzielle Macht eine bewusste Kraft werden und die herrschende Ordnung herausfordern kann.

Diese zentrale Stellung wird heutzutage in Teilen der Linken angezweifelt, insbesondere von jenen, die argumentieren, es gäbe andere, genauso wichtige Konflikte, wie eben den Geschlechterkonflikt oder denjenigen rund um die Klimakrise. Die Wichtigkeit dieser Themen soll nicht in Frage gestellt werden, vielmehr geht es darum, den zentralen Widerspruch im Kapitalismus aufzeigen, um welchen herum sich alle anderen Widersprüche artikulieren. 

Die Frauen- wie die Umweltfrage können nicht unabhängig vom Sturz des Kapitalismus gelöst werden. Das System ist unfähig, Frauen wie auch der Menschheit als Ganzes eine harmonische Entwicklung zu ermöglichen. Zudem ist es unmöglich, einen kulturellen Kampf zu führen, ohne die zentrale Frage nach der Zerstörung der treibenden Kräfte hinter dieser Kultur zu stellen und die herrschende Klasse zu stürzen, die diese Kultur braucht, um ihre Interessen durchzusetzen.

Es liegt daher in der Verantwortung der Arbeiterklasse, die, wie oben aufgezeigt, auch das Potenzial hat, diese Aufgaben, die das kapitalistische System nicht erfüllen kann, auszuführen. Dazu muss die Arbeiterklasse heute den Kampf auch auf dem ideologischen Terrain beginnen, angefangen bei den ArbeiterInnen selbst, und nach der Machtergreifung das Programm zur Befreiung der Frau in die Tat umsetzen.

Die nachfolgenden kurzen historischen Beispiele sollen die oben dargelegten Thesen veranschaulichen. Wir möchten sowohl den relativen Wert, aber auch die Grenzen der bürgerlichen feministischen Bewegungen international aufzeigen. Die wichtigste davon war die britische Suffragetten-Bewegung.

Die «revolutionären» bürgerlichen Frauen

Schon im 18. Jahrhundert entstanden in Amerika und Europa Zirkel, in denen die Gleichstellung der Geschlechter diskutiert wurde. Diese hatten einen zutiefst gemässigten Charakter. Das Recht auf Bildung war das zentrale Motiv. Sogar in Italien diskutierten adlige Frauen die Nützlichkeit von Bildung und deren höheren Nutzen gegenüber edler Kleidung.

In der Französischen Revolution strömten erstmals die Massen in die ehemals exklusiven Zirkel. Sie sahen den revolutionären Prozess als Chance, ihrer Armut ein Ende zu setzen und die Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen. Olympe de Gouges, eine bürgerliche Girondistin, nahm diese Bestrebungen auf und veröffentlichte 1791 ihre Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin. Hier sehen wir deutlich, was der Marxismus später analysierte: Dass die Klasseninteressen stärker wiegen als die Interessen der Geschlechter. Als der revolutionäre Prozess ein kritisches Stadium erreichte und die Reaktion die Revolution zu ersticken drohte, begriff de Gouges nicht, dass zur Verteidigung der Rechte, für die sie zu kämpfen behauptete, die Bezwingung der Monarchisten eine Notwendigkeit darstellte, da sonst die revoltierenden Massen betrogen und besiegt würden. 1793 sprach sie sich gegen die Hinrichtung des Königs und die Politik des Terrors von Robespierre aus und wurde aus diesen Gründen selbst guillotiniert.

Die Kämpfe, die tatsächlich Massencharakter annahmen, folgten hingegen später und hatten einen klaren politischen Inhalt: das Wahlrecht.

In den USA, ausgehend vom Krieg zwischen den Nord- und dem Südstaaten um die Abschaffung der Sklaverei, entwickelte sich eine Frauenbewegung. Frauen engagierten sich für Petitionen gegen die Sklaverei in den Nordstaaten. Da aber ihre Unterschriften nicht anerkannt wurden, bildeten sie um 1830 eigene Antisklaverei-Vereine für Frauen. Diese lancierten eine Kampagne, die Parallelen zwischen den Lebensbedingungen schwarzer Menschen und Frauen zog. Darüber hinaus gaben sie den Anstoss für eine Reihe von öffentlichen Debatten (was zu dieser Zeit für Frauen praktisch verboten war) und veröffentlichten Forderungen wie das Wahlrecht, das Recht auf die eigene Verfügungsgewalt über Einkommen und Eigentum, das Sorgerecht im Scheidungsfalle und ein diverses Bildungsangebot für Frauen. Als 1850 die erste nationale Konferenz für Frauenrechte abgehalten wurde, waren von einer Million Lohnarbeitenden etwa ein Viertel Frauen. Trotz der Tatsache, dass ein bedeutender Teil des Proletariats weiblich war, konzentrierten sich die Frauenverbände – abgesehen von der Frage des Wahlrechts – ausschliesslich auf die Verteidigung der Frauenrechte innerhalb der Bourgeoisie.

Die britischen Suffragetten

Durch ihre radikalen Kampfmethoden hinterliess die Bewegung der britischen Suffragetten, die für das allgemeine Wahlrecht kämpften, den grössten Eindruck. Die Labour Party hatte seit ihrer Gründung im Jahre 1900 das Frauenwahlrecht gefordert. Aktivistinnen in den Gewerkschaften und der Independent Labour Party hatten sich ebenfalls dafür eingesetzt. 1903 gründete Emmeline Pankhurst die Women’s Social and Political Union (WSPU). Die Organisation erklärte Kampfmethoden wie Konferenzen und Petitionen für überholt und begann eine Kampagne für symbolische Aktionen und den Boykott von liberalen Kandidaten. Die Suffragetten störten liberale Kundgebungen, ketteten sich an Strassenlaternen und intervenierten bei allen möglichen politischen Aktionen mit ihren Schildern, auf denen sie das Wahlrecht forderten. Die Regierung antwortete mit harter Repression. Es kam zu Massenverhaftungen und viele Frauen wurden zu harter Strafarbeit verurteilt. Im Gefängnis organisierten sie Hunger-, Durst- und Schlafstreiks. Die Regierung ordnete Zwangsernährung an, damit sie nicht starben. Die Labour Party unterstützte die Bewegung und verurteilte die Folter im Gefängnis, doch die Regierung rückte nicht von ihrer Strategie ab. Im November 1909 wurden zwei Suffragetten an einer Demonstration von Polizisten getötet. Dies führte zu einer Eskalation der Gewalt: Feministinnen reagierten mit Brandstiftungen an Gebäuden und Eisenbahnwaggons, Schaufenster und Briefkästen wurden zerstört. Die Gefängnisse waren voller Frauen, die umgehend in den Hungerstreik traten. Um die Folter zu vermeiden, setzte die Polizei die Frauen auf freien Fuss, nur um sie kurz darauf aufs Neue zu verhaften, was als «Katz-und-Maus»-Strategie bekanntwerden sollte. 1913 stürmte die Polizei die Räumlichkeiten der Feministinnen, verbot ihre Zeitschrift und löste die Organisation auf.

Im selben Jahr warf sich die Suffragette Emily Davidson aus Verzweiflung über die Ausweglosigkeit der Bewegung während eines Pferderennens auf die Rennbahn. Sie wurde in Anwesenheit des Königs und der Königin sowie Tausender von Zuschauern zu Tode getrampelt.

Kurz darauf brach der Erste Weltkrieg aus und viele Führerinnen der feministischen Bewegung schlossen sich der patriotischen Propaganda an. Emmeline Pankhurst wurde aus dem Gefängnis entlassen und von der Regierung damit beauftragt, Frauen zu organisieren, welche die einberufenen Männer bei der Arbeit ersetzen sollten.

Die Suffragettenbewegung bestand vorwiegend aus jungen Frauen des Kleinbürgertums, die gegen die Heuchelei der Gesellschaft rebellierten, die von ihnen erwartete, «gute Ehefrauen» zu Diensten ihrer «guten Ehegatten» zu sein. Zweifelsohne hatten sie sich aber durch ihre Zähigkeit und ihre Opferbereitschaft die Sympathie und Unterstützung der Arbeiterklasse erkämpft, vor allem in den frühen Jahren. Als später die Strategie skandalträchtiger Symbolaktionen ihre Wirksamkeit verloren hatte, zeichnete sich in der Bewegung ein Bruch ab. Ein Teil der Bewegung, angeführt von Emmeline Pankhursts Tochter Sylvia, suchte den Kontakt zu den Frauen der Arbeiterbewegung im Londoner East End. Sie verstanden, dass das Wahlrecht nur ein Mittel sein konnte, um den allgemeinen Kampf gegen die Unterdrückung der Frau und gegen den Kapitalismus voranzutreiben. Sylvia war eine der Mitbegründerinnen der Britischen Kommunistischen Partei.

Der Kampf der italienischen Arbeiterinnen

Nicht in allen Ländern wies die Frauenbewegung denselben Elan auf wie im Vereinigten Königreich. So war die italienische Bourgeoisie zu schwach und rückständig, als dass die Strahlkraft der feministischen Propaganda auf sie hätte wirken können. Erst 1908 fand die erste nationale Konferenz zur Frauenfrage statt, an der alle politischen Parteien, in Anwesenheit der Königin, teilnahmen. Die Konferenz war inspiriert vom sogenannten «Interklassismus». Die Einführung lautete: «Unser Feminismus ruft nicht zum Kampf auf, sondern arbeitet im Gegenteil für die Einheit der Klassen, was eines seiner wichtigsten Anliegen ist». So schwach war die Begeisterung der Teilnehmenden, dass sie sogar «vergassen», die Frage des Frauenwahlrechts auf die Tagesordnung zu setzen.

Tatsächlich wurde die Frauenfrage in Italien nicht zuerst von bürgerlichen Kreisen, sondern von der Arbeiterbewegung aufgegriffen, was die Vitalität dieser jungen Klasse zeigte, die einen Ausweg aus ihrer eigenen Misere und derjenigen der gesamten Gesellschaft suchte.

Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Italien über 1.5 Millionen Textilarbeiterinnen und 300.000 Bäuerinnen, welche in der Heimindustrie Leinen und Hanf spannen. In der Textilindustrie stellten Männer nur einen Zehntel der Arbeitskräfte. Weitere Industrien mit hohem Frauenanteil waren die Tabak- und Streichholzbetriebe. Die ersten Organisationsformen von Arbeiterinnen entstanden in der Textilindustrie. 1889 wurde die «Società delle sorelle del lavoro» («Gesellschaft der Schwestern der Arbeit») gegründet, die viele Streiks zur Verteidigung der Löhne und für den Zehnstundentag anführte. In den Gewerkschaften wurden die ersten Frauensektionen gebildet. Die erste Sektion wurde 1890–91 in Mailand von drei Sozialistinnen aufgebaut: Linda Malnati, Giuditta Brambilla und Carlotta Clerici. Sie arbeiteten unter sehr schwierigen Bedingungen, überall herrschten Armut und Analphabetismus und die Gefahr der Erpressung und Bedrohung durch die Bosse war stets akut. Auch waren sie dem Spott ihres männlichen Umfelds ausgesetzt. Briefe, die in der sozialistischen Tageszeitung Avanti veröffentlicht wurden, bezeugen das. Wir zitieren hier aus einem dieser Berichte über die Mitgliedschaft von Frauen in der Gewerkschaft:

«Angefangen bei unseren Brüdern, von denen die meisten zu euch [der Gewerkschaft] gehören: Sie würden es nicht dulden, dass wir einen solchen Wunsch äusserten, geschweige denn unsere Eltern, ebenso wenig unsere Söhne. Es ist sinnlos, wir Frauen haben über gewisse Angelegenheiten nicht nachzudenken, wenn wir nicht auf das Familienglück zu verzichten gedenken. Lieber sind wir Sklavinnen – wie man uns nennt – des Anstandes als Sklavinnen des Gespötts. Es gibt wenig zu gewinnen und viel zu verlieren.» 

Zitiert aus Gabriella Parca, ebd. (Übersetzung d. R.)

Allerdings sahen sich viele dieser «Anstandssklavinnen» durch die dramatischen Arbeitsbedingungen dazu gezwungen, militante Kämpfe aufzunehmen und den Arbeiterorganisationen beizutreten. Eine Welle von Kämpfen von 1880 bis 1890 führte zu den ersten Arbeitervereinigungen und -organisationen: Ligen, Hilfsvereine, Gewerkschaften, Berufsverbände; die Gründung der Sozialistischen Partei folgte 1892. Die Bewegung war insbesondere auf dem Land sehr aktiv, mit hoher Beteiligung von Frauen. Der erste Streik der Reisarbeiterinnen fand 1883 in Molinella statt; sie forderten geringe Lohnerhöhungen. Drei Jahre später folgten die Reisarbeiterinnen von Medicina mit ähnlichen Forderungen. In Monselice wurde der Streik blutig niedergeschlagen: Drei Frauen wurden getötet und weitere elf ernsthaft verwundet. In der unteren Po-Ebene sahen sich die Reisfeldbesitzer durch die Mobilisierungen dazu gezwungen, Streikbrecherinnen zu organisieren. Frauen wurden aus Ferrara und der Romagna hergeschafft, um die Streikenden zu ersetzen. Der Streik war aber so kämpferisch, dass auch die Streikbrecherinnen sich daran beteiligten und die Bosse einlenken mussten. Nach diesem harten Kampf wurden 42 Frauen vor Gericht gestellt und «des Angriffs auf die Freiheit der Arbeit, des Widerstands und der Beleidigung von Amtsträgern» beschuldigt.

Der aussergewöhnliche Mut dieser Frauen, die im gemeinsamen Kampf Vertrauen in ihre Fähigkeiten und ihre wirkliche Macht gewonnen hatten, konnte vor den eigenen vier Wänden nicht Halt machen. Der Spott über ihr Interesse an gewerkschaftlichen Fragen und «Männerangelegenheiten» wich dem Respekt und der Emanzipation der Denkweise ihrer ebenso ausgebeuteten Väter, Ehemänner und Brüder. Das wichtigste Zeichen dieses Wandels war das Aufkommen von Organisationen arbeitender Frauen – entgegen der Skepsis unter den männlichen Arbeitern und dem Umstand, dass viele ihrer Organisationen nicht für Frauen offenstanden.

Hier sehen wir, dass die Unterdrückung von proletarischen Frauen durch Männer ihrer eigenen Klasse einen anderen Charakter hat als die durch die Bourgeoisie. Die Vorurteile des Abtes Rosmini und der herrschenden Klasse gegenüber den Frauen sind vom Bestreben bestimmt, die bürgerliche Herrschaft über die Frauen und die Arbeiterklasse aufrechtzuerhalten; die Vorurteile der Arbeiter und Bauern, die häufig einen brutalen Ausdruck annehmen, sind hingegen Folge der Ignoranz, in der die herrschende Klasse alle Unterdrückten vorsätzlich hält. Die Vorurteile der Bourgeoisie können nicht überwunden werden, weil sie die kulturelle Grundlage ihrer Herrschaft darstellen. Die Vorurteile der Ausgebeuteten hingegen sind zwar tief verwurzelt, aber sie geraten in Widerspruch mit ihrem Bedürfnis nach gesellschaftlicher Emanzipation und sie können durch Massenaktionen überwunden werden. Die Arbeiterklasse hat ein gemeinsames Interesse daran, sich vom Joch des Kapitalismus zu befreien: Im Klassenkampf lernt sie ihre eigene Stärke kennen und die kulturelle Armut zu überwinden, in der die Bourgeoisie sie halten will.

Die Rolle der Sozialistischen Partei

Der Klassenkampf spielt also eine zentrale Rolle. Die frisch gegründete Sozialistische Partei Italiens (Partito Socialista Italiano, PSI), deren wichtigste Führerin Anna Kuliscioff war, setzte alle Aufmerksamkeit auf genau diese Frage. Kuliscioff erklärte in ihrer Ansprache zu den Wahlen von 1887:

«Zum ersten Mal spüren auch wir Frauen, dass wir uns regen müssen. Vorbei sind die Tage, in denen Frauen nur der Familie verpflichtet waren und an den Kämpfen der modernen Gesellschaft vorbeilebten. Die Maschine, die Grossindustrie, das Kaufhaus, die allgemeine Transformation des Wirtschaftslebens haben uns von der Familie und dem Herd weggerissen und in den Strudel der kapitalistischen Produktion geworfen. So hat sich unser Interessenschwerpunkt notwendigerweise weg vom Familienleben hin zum gesellschaftlichen Leben verlagert. […]

Aber schlimmer noch, die Frau wird weit stärker gemartert und ausgebeutet als das sogenannte stärkere Geschlecht. Der Arbeitgeber verfolgt nur seine eigenen Interessen, er versucht uns so viel wie möglich für so wenig wie möglich arbeiten zu lassen, und da der Widerstand ausbleibt, erfindet er jeden Tag einen neuen Trick. […]

Die jüngsten Streiks der Spinner und Weber von Bergamo und Cremona haben für alle die Schanden unserer bürgerlichen Zivilisation offengelegt. In Bergamo sind 11’000 von 17’000 Spinnern und Webern Frauen oder Kinder, und der Arbeitstag erstreckt sich von vier Uhr morgens bis um acht Uhr abends. Die unverheirateten Frauen erhalten im Schnitt 43 Cent am Tag, die verheirateten aber nur 40 Cent, weil sich der Arbeitgeber gegen Einbussen wegen Schwangerschaft, Wochenbett und manchmal darauf folgender Krankheit versichern will. Und ich habe von unseren Genossinnen auf dem Feld gar nicht gesprochen, von den Reisfrauen, deren Blut nicht nur durch Überarbeitung, sondern auch von den Blutegeln, die sich an ihr Fleisch heften, ausgesaugt wird, und das von der Malaria infiziert ist, die sie gelb und geschwollen auf die Garben, die ihnen als Bett dienen, niederwirft. Nein, für Arbeiterinnen ist das kein Leben mehr, sondern ein langsames Martyrium!» 

C. Ravera, L’Ordine Nuovo, 24. März 1921. (Übersetzung d.R.)

Diese leidenschaftliche Rede war Teil eines zentralen Kampfes der Partei für ein Gesetz zum Schutz von Frauen- und Kinderarbeit. Ein solches Gesetz wurde 1902 nach erbitterten Klassenkämpfen erlassen, wenn auch in einer Form, die im Vergleich mit dem sozialistischen Vorschlag stark ausgedünnt war. Innerhalb der sozialistischen Partei gab es aber eine hitzige Debatte über die Frauenfrage. Solange sie sich darauf beschränkte, gegen offensichtlich unmenschliche Arbeitsbedingungen anzukämpfen, herrschte volle Einigkeit. Darüber hinaus traten tiefe Brüche zu Tage. Der erste Kampf richtete sich gegen den Ökonomismus, d.h. gegen den Grossteil der sozialistischen Führung, einschliesslich Kuliscioff, die in der Tendenz behaupteten, das Problem der Frauenunterdrückung sei gelöst, sobald die wirtschaftliche Emanzipation der Frauen gewährt und damit ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von den Männern beseitigt sei.

Anna Maria Mozzoni aus Mailand – eine Frau aus dem Bürgertum, die sich gegen die bürgerliche Heuchelei wandte, die Frauen jegliche Selbstbestimmung verwehrte – strebte eine umfassendere Position an. Sie propagierte, dass man den Kampf auf die kulturellen Ebene ausweiten müsse. Obwohl Mozzoni von Anfang an der PSI angehörte, weil sie sich die Befreiung der Arbeiterklasse als Ziel setzte, gelang es ihr nie, die Frauenfrage in einen revolutionären Zusammenhang zu stellen. Sie beschränkte sich darauf, den Ökonomismus – zurecht – anzugreifen. Aber sie verstand ihre richtige Intuition nicht in einen politischen Vorschlag umzumünzen. Insgesamt gelang es der Sozialistischen Partei also nicht, von einer korrekten Propaganda zu einem revolutionären politischen Programm überzugehen und häufig delegierte sie ihre konkreten Interventionen an die Arbeiterverbände und Gewerkschaften, welche ein noch gemässigteres Programm vertraten.

In der Frage des Frauenwahlrechts wird das mangelhafte Verständnis noch deutlicher. Es gab zwar nie eine formelle Opposition gegen das Frauenwahlrecht, aber das Interesse daran war bestenfalls lauwarm. Das ging so weit, dass 1910, als eine Kampagne für das Frauenwahlrecht ihren Höhepunkt erreichte und der bürgerliche Politiker Giolitti behauptete, Millionen von Frauen politische Rechte zu erteilen sei ein Sprung ins Ungewisse, der Führer der PSI, Filippo Turati, darauf erwiderte: Das «nach wie vor träge politische Bewusstsein» der Frauenmassen würde keine grossen Vorteile bringen und die konservativen Parteien sogar stärken. Mögen diese Beobachtungen zu diesem Zeitpunkt vielleicht teilweise richtig gewesen sein, so waren sie sicher kein Anstoss, um dieses «träge Bewusstsein» aufzuwecken. Dementsprechend war die Stimme der PSI im Parlament für das Frauenwahlrecht eher eine korrekte, aber abstrakte Grundsatzposition, statt eine echte Bereitschaft, sich in diesem Kampf voll zu engagieren.

Die Oktoberrevolution und die Kommunistische Partei

Ein entscheidender, klärender Beitrag, der zugleich fortschrittlichere Positionen mit sich brachte, stammte aus der internationalen Debatte der Arbeiterbewegung. Clara Zetkins Artikel zur Frauenfrage zirkulierten nun auch in Italien und der Ausbruch des Ersten Weltkriegs verschärfte die Widersprüche innerhalb der sozialistischen Parteien. Die Propaganda für die Verteidigung der ArbeiterInnen wich einer totalen Kapitulation vor den Interessen der nationalen Bourgeoisie. Fast alle sozialistischen Parteien der Zweiten Internationale stimmten für die Kriegskredite und billigten damit das Massaker an Millionen von ArbeiterInnen, denen sie sich ursprünglich verpflichtet hatten. Lenin stellte sich 1914 entschieden gegen diesen wild um sich greifenden Patriotismus. Er verurteilte die Feigheit der sozialistischen Parteien und rief zur Gründung einer neuen Internationalen auf, die sich die sozialistische Revolution zum Ziel setze und mit den alten sozialistischen Führern, die das Proletariats verraten hatten, brechen sollte. Die Oktoberrevolution 1917 brachte Bewegung in den Aufbau der neuen Internationale und in die sozialistischen Parteien, die nun dazu gezwungen waren, zu diesem weltbewegenden Ereignis Position zu beziehen. In verschiedenen Ländern kam es zwischen 1920 und 1921 zu Spaltungen in den sozialistischen Parteien. So kam es zur Gründung von kommunistischen Parteien und der Dritten Internationale (auch: Kommunistische Internationale). Diese kämpfte für die globale Machtergreifung der Arbeiterklasse und damit für die weltweite Durchsetzung der sowjetischen Erfahrung (das Rätesystem) – insbesondere im revolutionär gärenden Europa.

Wir können hier nicht auf diese grossen Ereignisse und ihre Auswirkungen auf die Situation in Italien eingehen. Es muss aber betont werden, dass sie einen enormen Einfluss auf die Frauenfrage in Italien hatten. Zum ersten Mal erhielt eine kommunistische Perspektive auf die Frauenbefreiung ausreichend Gewicht, um eine Führungsschicht zu bilden, die fähig war, diesen Kampf zu weiterzuführen.

In der PSI formierte sich eine Opposition, aus welcher die Kommunistische Partei hervorgehen würde. Vor allem die Genossinnen und Genossen rund um die Turiner Zeitung L’Ordine Nuovo hatten sich bewusst zum Ziel gesetzt, die sowjetischen Erfahrungen auf Italien anzuwenden. Sie führten die Fabrikbesetzungen in Turin und 1919-1920 eine revolutionäre Bewegung von nationalem Ausmass an, die als «Biennio Rosso» («die zwei roten Jahre») bekannt werden sollte. 

In diesem Klima bildeten sich jene kommunistischen Anführerinnen heraus, die zum Thema Frauenbefreiung die schönsten und tiefgründigsten Zeilen der Arbeiterbewegung verfassten. Die wichtigste Anführerin des Ordine Nuovo war Camilla Ravera. Das Programm der Gruppe konnte in einem Slogan zusammengefasst werden: «Die Frau frei vom Mann, beide frei vom Kapital». Sie intervenierten in Arbeitskämpfen, doch nicht mehr mit der paternalistischen Einstellung, den Armen und Ausgebeuteten zu helfen. Ihr Ziel war es, ArbeiterInnen in ihrer Vorreiterrolle zu stärken, proletarische Kader auszubilden und sie für das Programm des Kommunismus zu gewinnen. In diesem Kontext wuchs das Interesse der Arbeiterinnen. Antonio Gramsci, der Redakteur des Ordine Nuovo, beauftragte Camilla Ravera, eine wöchentliche Kolumne zur Frauenfrage auszuarbeiten; die Tribuna delle donne («Frauentribüne»).

In dieser wurden Artikel von Zetkin, Kollontai, Luxemburg und den wichtigsten sowjetischen AnführerInnen veröffentlicht, mit Berichten von der Situation in der Sowjetunion und der Entwicklung des Kampfes für die Befreiung der Frauen im Verlauf der Revolution. Hinzu kam das Material für die politische Agitation unter den Arbeiterinnen mit einem soliden theoretischen Rahmen – so wurde in jedem Artikel die Frauenunterdrückung angeprangert und aus einer korrekten Perspektive betrachtet.

Ravera bestand auf der Analyse aller Aspekte, auch der privatesten des Alltagslebens, in denen sich die bürgerliche Ideologie in der Arbeiterklasse und «selbst unter den GenossInnen» manifestierte. Sie verurteilte das Elend der Hausfrau und die unmenschliche Arbeitsbelastung, welcher die Frauen zwischen Haus und Fabrik ausgesetzt waren. Ebenso prangerte sie das brutale physische und moralische Elend in den meisten Familien an, neben dem «alle bürgerliche Phrasendrescherei von Freiheit, Liebe, Familie und Eintracht zwischen Eltern und Sprösslingen umso widerwärtiger anmutet».

Ihre theoretische Klarheit ermöglichte den Genossinnen des Ordine Nuovo, auch zur Frage der Mutterschaft eine fortschrittliche Position einzunehmen. Sie verurteilten die Heuchelei über die «Mutterfreuden», um zu bekräftigen, dass eine Geburt für Arbeiterinnen ein Unglück darstelle: Solange die Gesellschaft den sozialen Wert des Kinderkriegens nicht anerkenne und keine Verantwortung für die damit verbundenen Aufgaben übernehme, sollten Frauen das Recht haben, eine Schwangerschaft abzulehnen. So wurde zum ersten Mal das Recht auf Abtreibung gefordert. Nach der stalinistischen Degeneration wurde diese mutige Position von der Kommunistischen Partei der Nachkriegszeit fallen gelassen. Erst mit der Entwicklung der feministischen Bewegungen Ende der 1960er wurde sie wieder aufgenommen.

Die Tribuna delle donne betonte die Emanzipation der Frau als Hebel auch für die Emanzipation der Männer. Als demobilisierte Soldaten gegen die Beschäftigung von Frauen mobilisiert wurden, verpasste Ravera keine Gelegenheit, sich zu Wort zu melden. Sie prangerte die patriarchale Kultur an, nach der der Mann unangefochtenes Familienoberhaupt sei. Gleichzeitig kritisierte sie die Kommodifizierung der Ehe und der Paarbeziehung, die die Individuen in eine brutale wirtschaftliche Beziehung und in die gegenseitige Abhängigkeit zwinge.

Auch prangert Ravera die Manifestation der Kapital-Sklaverei im Elend des Privatlebens an:

«Als Sklave des Kapitals will sich der Mann – durch seine eigene Sklaverei korrumpiert – rächen, indem er die Frau unterjocht, ausbeutet und tyrannisiert. Ausgezehrt von freud- und zweckloser Arbeit flüchtet sich der Mann in Alkohol und Völlerei; die Frau, Hüterin des Herdes, ist immer das Opfer davon. Es ist die Frau, die das Kanonenfutter, das Fleisch für die Ausbeutung, für das Vergnügen herrichtet. Die Frau wird erst dann frei sein, wenn der Mann frei ist.» 

C. Ravera, L’Ordine Nuovo, 6. Oktober 1921.

Die Kommunistische Partei von Gramsci und Bordiga, die aus einer Spaltung während der Livorno-Konferenz der PSI im Jahre 1921 hervorgegangen war, begann auf dieser theoretischen Grundlage politische Arbeit unter den Frauen, ohne die Schwierigkeiten dieser Arbeit ausser Acht zu lassen. Die junge Kommunistische Partei bestand aus 1200 Sektionen und 96 Frauenkommissionen, die für die Arbeit unter den Arbeiterinnen zuständig waren. Sie hatte insgesamt 400 weibliche Mitglieder. Ab 1922 gaben sie eine Zeitung, La Compagna, mit einer Auflage von 15’000 heraus (P. Spriano, Storia del Partito Comunista italiano).

Niederlage und Faschismus

Der Faschismus hat all diese Erfahrungen im Keim erstickt. 1921 war die faschistische Partei von knapp über 300 auf mehr als 1’000 Sektionen angewachsen. In den ersten vier Monaten des Jahres 1921 töteten Angriffe faschistischer Banden 102 Menschen. Innerhalb von sechs Monaten wurden 59 Volkshäuser, 119 Gewerkschaftsgebäude und 141 sozialistische und kommunistische Vereine niedergebrannt oder verwüstet. Die Organisationen der Arbeiterbewegung wurden zum Schatten ihrer selbst und dann in den Untergrund gedrängt. Die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse verschlechterten sich täglich.

Im Jahr 1927 wurden die Frauenlöhne auf die Hälfte der Löhne der Männer gesenkt, welche ebenfalls bereits reduziert waren. In einer Maschinenfabrik zur Herstellung von Präzisionsmaschinen bewegten sich die Löhne der Männer zwischen 2.50 und 4 Lire pro Stunde, während Frauen 1.50 Lire verdienten. Auf dem Land konnte ein Landarbeiter 9 Lire am Tag verdienen, eine Frau aber nicht mehr als 5 Lire.

Das Regime lancierte eine Kampagne zur Steigerung der Fruchtbarkeit unter Frauen, deren Rolle es nun war, zuhause zu bleiben und Kinder zu gebären. 1927 wurde Frauen das Unterrichten an einigen Universitäten und Schulen verboten, was später auf bestimmte Fächer an technischen Universitäten und Mittelschulen ausgeweitet wurde. Zuletzt wurden die Studiengebühren für Studentinnen verdoppelt. Der Faschismus übernahm die frühere Gesetzgebung von 1865, in welcher der Mann als unangefochtenes Oberhaupt der Familie galt, der das Recht hatte, alle Entscheidungen über seine Frau und Kinder zu treffen – dies sogar im Falle einer Trennung oder des Todes durch sein Testament. Die Frau hatte als ewige Unmündige absolute Treue zu leisten. Ehebruch ihrerseits konnte mit zweijähriger Gefängnisstrafe geahndet werden, wobei es dem Mann natürlich freistand, zu betrügen, wie es ihm beliebte. Dieser reaktionären Gesetzgebung führte der Faschismus den Artikel 587 hinzu, der Ehrverbrechen behandelte. Demnach hatte ein Mann, der seine Frau, seine Tochter oder Schwester «zur Verteidigung der Familienehre» ermordete, Anspruch auf einen Drittel Strafminderung. Erst in den 1980ern wurde dieses Gesetz abgeschafft. Ein Gesetz, welches Vergewaltigung nur als Verbrechen gegen die Moral, aber nicht gegen die Person behandelte, wurde sogar erst 1996 abgeschafft.

Zwischen 1921 und 1936 fiel der Anteil der Frauen, die ausserhalb des Haushalts arbeiteten, von 32.5 % auf 24 %. Dies, obwohl sie in gewissen Branchen trotz aller faschistischen Ideologie attraktive Arbeitskräfte blieben, da sie für niedrige Löhne unqualifizierte Arbeit verrichteten. Ab 1936 stieg die Anzahl beschäftigter Frauen tatsächlich wieder an, laut Volkszählung auf 5’247’000 Frauen. Im Zweiten Weltkrieg wuchs diese Zahl weiter an, als Frauen Männer ersetzten, die an die Front geschickt wurden. Zeitgleich wuchs auch die Rolle, welche die Frauen in der Gesellschaft und später auch im Kampf gegen den Faschismus einnahmen.

Die Kriegsjahre waren sehr hart. Hunger und Armut stellten die italienische Arbeiterklasse auf die Probe und untergruben die soziale Stabilität. In Turin arbeitete man zehn bis elf Stunden am Tag. Von den 150’000 Arbeitern waren 40’000 Frauen. Bombenangriffe hatten 25’000 Wohngebäude zerstört und zehntausende ArbeiterInnen wurden ins Landesinnere vertrieben. Eine ähnlich prekäre Lage herrschte in allen grossen Städten vor. Nahrungsmittel und Feuerholz waren rationiert. Die Preise auf dem Schwarzmarkt stiegen ins Unermessliche: 1943 verteuerte sich die Butter von 27 auf 160 Lire/Kg, Reis von 2.50 auf 25 Lire und Mehl von 1.80 auf 12 Lire. Mit Lebensmittelmarken konnte ein Arbeiter in Biella im Januar 1943 1’000 Kalorien Nahrung auftreiben, und da das meiste für Kinder zurückbehalten wurde, ist es klar, dass die Massen hungerten. Sogar die Bosse forderten eine grosszügigere Nahrungsausgabe, da die Produktivität durch die ständigen Erkrankungen der ArbeiterInnen sank. Eine Turiner Arbeiterin berichtet:

«Ich war immer hungrig, auch weil wir das wenige, das wir hatten, den Kindern überliessen. Ich ging aber immer zur Arbeit, auch wenn ich mich krank fühlte. Wegen meiner Schwäche hatte ich meine Periode unregelmässig; im einen Monat hatte ich gar keine und darauf alle zwei Wochen. Ich hatte Glück, weil ich keine Schmerzen hatte, aber eine Frau bei der Arbeit konnte nicht stehen, wenn sie ihre Periode hatte. Komm schon, bleib an den Tagen zuhause, haben wir ihr gesagt. Sie hatte aber grosse Angst davor, ihre Stelle zu verlieren. Sie war allein mit einem Kind, ohne Ehemann.» 

Zitiert aus Miriam Mafai, Pane nero, donne e vita quotidiana nella Seconda guerra mondiale, 1987. (Übersetzung d.R.)

Währenddessen sickerten Neuigkeiten von den Niederlagen an der Front durch und die Schwäche des Regimes wurde immer offensichtlicher. Arbeiterinnen mit Ehemännern an der sowjetischen Front wurden als Witwen betrachtet. Niemand zweifelte die Berichte an, laut denen die italienischen Soldaten keinen ausreichenden Schutz vor dem russischen Winter hatten und die Deutschen alle Lastwagen für sich beanspruchten, so dass die Italiener sich zu Fuss zurückziehen mussten. Wer das nicht schaffte, wurde zurückgelassen und erfror.

Im Januar 1943 wurde der Brief einer Arbeiterin in einer faschistischen Gewerkschaftszeitung veröffentlicht: «Ich mache dieselbe schwere Arbeit wie der männliche Arbeiter, den ich ersetzt habe. Er verdiente 40 Lire am Tag, ich aber 23 Lire. Könnt ihr das erklären?» In der Zeitung findet sich nicht die Spur einer Antwort.

Die Streiks von 1943

In dieser Situation brach ein Aufstand aus. Die im Untergrund organisierten Streiks im März 1943 waren die ersten nach einer langen, über 20-jährigen Ruheperiode.

In Turin forderten ArbeiterInnen eine Erhöhung der Teuerungszulage und eine allgemeine Auszahlung von 192 Überstunden, die bisher nur an vertriebene Familienväter ausbezahlt wurden.

In den Fiat Werken in Mirafiori hätte der Streik um 10 Uhr morgens beim Erklingen des alltäglichen Geheuls der Luftschutzsiren beginnen sollen. Aber an genau diesem Morgen läutete der Alarm nicht. Es waren die Frauen, die den Streik mit einigen klaren Signalen und einer energischen Kampagne in den Werkstätten zugange brachten. Ähnliche Streiks verbreiteten sich im ganzen Norden, bei Lancia, Michelin und Manifattura Tabacchi. In der Picco-Fabrik in Vegliomosso waren es die Frauen, die den Streik begannen. Die Polizei kam und nahm zwei Frauen fest; die 500 ArbeiterInnen der nahegelegenen Wollweberei solidarisierten sich umgehend, der Streik breitete sich aus und die Industriebosse und ihre faschistischen Verbündeten erkannten, dass ein Zugeständnis vorzuziehen wäre. Die Löhne wurden erhöht und die beiden Frauen freigelassen.

Am 25. März waren es die Frauen der Spulerei Borletti in Mailand, die den Streik ins Rollen brachten. Beim Falck-Streik drangen faschistische Banden mit Schlagstöcken in den Betrieb, wurden dann aber von ArbeiterInnen zurückgeschlagen. In der Baumwollspinnerei Abbiategrasso vertrieben 700 erzürnte ArbeiterInnen den faschistischen Stosstrupp, der gekommen war, um den Streik zu unterdrücken. Auch in Mailand hatten die Streiks Erfolg: Pirelli, Face Bovisa, Caproni und Brown Boveri hatten alle daran teilgenommen.

Die folgende Auswertung stammt vom Faschisten Farinacci, einem engen Vertrauten von Mussolini. Seine Antwort auf den Duce:

«Wenn man Ihnen erzählt, dass diese Bewegung einen rein wirtschaftlichen Charakter hat, dann ist das eine Lüge […] die Partei ist abwesend und machtlos. Jetzt geschehen unglaubliche Dinge. Überall, in den Strassenbahnen, in den Cafés, Theater und Kinos, in den Luftschutzanlagen und Zügen, kritisieren und beschimpfen die Leute das Regime und ziehen dabei nicht nur über diesen oder jenen Vorgesetzten her, sondern über den Duce selbst. Und das Schlimme ist, dass niemand widerspricht. Sogar die Polizei ist abwesend, als wäre ihre Arbeit jetzt hinfällig. Die nächsten Tage könnten durch militärische Ereignisse noch angespannter werden.» 

Zitiert aus Miriam Mafai, ebd. (Übersetzung d. R.)

Das Regime war nun angeschlagen. Die Mobilisierungen im März waren im Grossen und Ganzen erfolgreich gewesen und vor allem hatten sie den unterdrückten Massen grosses Selbstvertrauen verliehen.

Wie wir aus den Geschichtsbüchern wissen, wurde Mussolini am 25. Juli 1943 festgenommen. Sofort, schon in der Nacht danach und dann wieder am nächsten Tag, brachen zur Feier des Tages Demonstrationen und Streiks aus. Als sie die ArbeiterInnen des Jute-Werks Montecatini in Ravenna vom Sturz Mussolinis erfuhren, riefen sie zu einem Streik für die Freilassung eines ihrer Genossen auf, der gegen die Intensivierung der Arbeit protestiert hatte und deswegen verhaftet worden war. Alle sahen den Fall Mussolinis als Ende des Regimes und des Krieges und damit den Moment der Befreiung gekommen.

So sollte es aber nicht kommen. Badoglio, der Kopf der neuen, vom König eingesetzten Regierung, warnte, dass «Besammlungen verboten sind. Die öffentliche Gewalt hat den Befehl, sie schonungslos aufzulösen». Die Stabschef befahl, direkt in die Massen zu schiessen. Am 27. Juli schoss die Armee in Bari auf eine Demonstration, dabei kamen 23 Menschen ums Leben und 70 wurden verletzt. In der Region Emilia wurde am nächsten Tag eine Frau nach einer ähnlichen Kundgebung getötet.

Zugleich ging der Krieg weiter. Aber der Widerstand der Massen nahm zu. Ein Beweis dafür waren die Ereignisse unter den Reisarbeiterinnen in den Jahren 1943 und 1944. Aus der Region Emilia wanderten Jahr für Jahr Tausende von Frauen für das Reisjäten ins Piemont. 40 Tage verbrachten sie im knietiefen Wasser, unter der Sonne gebeugt, während sie die Reispflanzen von Unkraut befreiten. Zu dieser Zeit gab es eine allgemeine Wehrpflicht. Im Sommer 1943 waren immer weniger Frauen verfügbar. Im Sommer 1944 forderten die Arbeitgeber 10’000 Frauen und ungefähr 1’000 Männer an, es wanderten aber nur 300 zu den Reisfeldern. Und auch diese verursachten dann Probleme, wie die Bosse in einer Zeitung beklagten: «Die Reisfrauen sind unter Einfluss extremer anti-nationalistischer Propaganda gekommen und in mehreren Gebieten in den Streik getreten. Sie fordern höhere Löhne und besseres Essen.» Das Kämpfen zahlte sich aus: Die Reisekosten mussten von den Arbeitgebern berappt werden, der tägliche Lohn stieg auf 35 Lire, was mehr war als bei Fiat, und schliesslich wurde für die Heimreise Brot, Käse und Konfitüre zur Verfügung gestellt.

Der Partisanenkrieg und die Frauenfrage

Am 8. September 1943 wurde die italienische Armee vollständig demobilisiert und der Partisanenkrieg begann. Es bildeten sich die Gruppi di difesa della donna («Frauenverteidigungsgruppen»), eine klandestine Organisation, deren Aufgabe es war, zur Unterstützung der Freiheitskämpfer Demonstrationen und Streiks in Fabriken und Sabotageakte gegen die Kriegsproduktion zu organisieren. Wir können hier nicht auf die Einzelheiten eingehen. Es muss aber gesagt werden, dass die Atmosphäre der Massenbeteiligung von Frauen, die in den vorangegangenen Monaten gewachsen war, einen deutlichen Ausdruck im Partisanenkrieg fand. Es gab eine grosse Verbreitung illegaler Bücher unter den Männern und Frauen der Arbeiterklasse – ein Beweis dafür, wie der kollektive Kampf auch den geistigen Horizont erweitert. Tausende ArbeiterInnen lernten in den Untergrundsektionen der Kommunistischen Partei (PCI) das Lesen oder taten dies sogar im Alleingang, da sie sich ihrer Rolle in der Gesellschaft bewusst wurden und unbedingt ihr kulturelles Niveau heben wollten. Wo Frauen neben Männern kämpften, wurden sie mehr und mehr als ebenbürtig betrachtet und in diese Lesekreise integriert, welche eine grosse Rolle bei der Ausbildung des revolutionären Bewusstseins spielten. Dabei beschränkten sie sich nicht nur auf politische Lektüre. Die Erzählungen bezeugen, wie Arbeiterinnen, die eben erst das Lesen gelernt hatten, sich mit Werken wie Die Mutter von Gorki oder Die eiserne Ferse von Jack London abmühten. Die Frauen beschränkten sich nicht länger auf die vom Regime erlaubten Liebesgeschichten, sondern lasen jetzt Geschichten von arbeitenden und unterdrückten Menschen, mit denen sie sich identifizieren konnten und die in ihnen den Wunsch weckten, gegen die Verhältnisse zu revoltieren . 

Frauen spielten im Partisanenkampf eine sehr nützliche und wichtige Rolle: Sie hatten mehr Bewegungsfreiheit, durften Rad fahren und erregten bei den Faschisten weniger Aufsehen. Also wurden sie oft eingesetzt für Botengänge und um Waffen und Ausrüstung zwischen den Partisanenbrigaden hin und her zu schmuggeln; sie waren die berühmten Staffette – Kurierinnen. Diese Aufgabe war sehr schwierig und extrem gefährlich, dennoch beteiligten sich Tausende von Frauen daran. Eine Partisanin aus jener Zeit erzählte:

«Zwei Jahre zuvor konnte ein Mädchen abends das Haus nicht allein verlassen. Tat sie es doch, war es ein Skandal. Aber dann kam die Resistenza, und wer interessierte sich dann noch für solche Dinge? Wenn du raus musstest, bist du halt gegangen und niemand hat etwas gesagt. Das hatte nichts Ungewöhnliches. Wir dachten nicht an die Gleichberechtigung mit den Männer, aber wir wollten bestimmte Freiheiten, die wir vorher nicht hatten. Es gab auch Streitigkeiten zwischen uns. Ich erinnere mich, wie einmal eine Gruppe von Gappisti [GAP, «patriotische Aktionsgruppen», von Kommunisten u.a. organisierte städtische Widerstandsgruppen] mich beauftragte, zum Kommando zu gehen. Als ich dort ankam, begannen die Genossen mich zu tadeln, weil ich mich selbstständig dazu entschieden hatte, mit dieser Gruppe in Kontakt zu treten. Also sagte ich ihnen laut und deutlich: ‘Du bist der Kommandant und du kannst mich rügen. Aber ihr solltet wissen, dass ihr mich braucht. Damit das klar ist, ohne uns Staffette könnt ihr nichts tun, rein gar nichts.’» 

Zitiert aus Miriam Mafai, ebd. (Übersetzung d. R.) 

Wieder einmal sehen wir, wie die materiellen Bedingungen und der gemeinsame Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter das Bewusstsein und die kulturellen Verhältnisse verändern – und so auch das Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Ein schneller Wandel fand statt, vom dunkelsten Obskurantismus zu den oben beschriebenen Umständen.

Auch war dies ganz klar ein Massenphänomen. 75’000 Frauen gehörten den Widerstandsgruppen an, 35’000 waren Partisaninnen; 4’563 Frauen wurden verhaftet, gefoltert und verurteilt, 623 getötet und 2’750 nach Deutschland deportiert (Gabriella Parca, ebd.).

Die Resistenza repräsentierte den Kampf der unterdrückten Arbeiter- und Bauernmassen – nicht nur gegen den Faschismus, sondern auch gegen das kapitalistische System, das für ihn verantwortlich war. Die Massen strebten danach, eine neue Ordnung zu errichten; ihre Vorreiterrolle und ihre Opferbereitschaft waren Ausdruck von ihrem Streben, die Fabrikherren zu stürzen, «dasselbe zu tun wie in Russland, wo die Arbeiter regieren und es keine Bosse mehr gibt».

Dem war nicht so. In Russland regierten zwar nicht mehr die Kapitalisten, aber ebensowenig die Arbeiterklasse. Die Bürokratisierung des dortigen Staatsapparats wog schwer auf allen Kommunistischen Parteien, insbesondere in Italien, wo die parteiinterne Demokratie unter den schwierigen Untergrund-Bedingungen des Faschismus praktisch ganz zum Erliegen kam.

Das Ende der Resistenza und das allgemeine Wahlrecht

Die Kommunistische Partei (PCI) hatte sich vom ursprünglichen Ziel der Machtergreifung und Weltrevolution abgewandt, hin zum «italienischen Weg zum Sozialismus», wie von Togliatti (langjähriger Generalsekretär der PCI) bei der «Wende von Salerno» im Jahr 1944 verkündet. Nach seiner Rückkehr aus der UdSSR gab Togliatti Badoglio seine volle Unterstützung, womit sich die PCI einen Platz in der «ersten Mehrparteienregierung» sichern und sich am Aufbau der bürgerlichen Demokratie in Italien beteiligen konnte.

Nach 1945 erlebten die PartisanInnen ein böses Erwachen, das nicht ohne blutige Auseinandersetzungen ablief: Alle Waffen abgeben, alle nach Hause gehen, alle Macht der verfassungsgebenden Versammlung übergeben – so hatten sie sich das nicht vorgestellt!

Der Aufstieg der Arbeiterklasse hatte die Bourgeoisie zutiefst erschreckt. Sie musste echten Reformwillen vorgaukeln und war dabei auf die Unterstützung der PCI angewiesen. So wurde Zeit geschunden, damit die Kräfte der Reaktion sich neu formieren konnten. Das Staatspersonal blieb bestehen, viele Faschisten tauschten lediglich ihr Parteibuch gegen das der Christdemokraten ein. Die neue Verfassung war ein zeitweiliger Kompromiss; er war keinesfalls Ausdruck eines demokratischen Geistes der Bourgeoisie und ihrer Parteien, sondern enthielt vielmehr eine Reihe an Zugeständnissen, die notwendig waren, um die bewaffnete Arbeiterklasse wieder unter Kontrolle zu bringen.

Diese Bedingungen führten 1945 zur Errungenschaft des Frauenwahlrechts. Die Massen hofften auf die sozialistische Revolution, fanden in der PCI aber keine politische Führung, die ihnen den Weg zur Macht aufgezeigt hätte. Stattdessen wurden sie mit der Verfassung und dem allgemeinen Wahlrecht abgespeist.

Die wichtige Rolle der Frauen im Widerstand wurde teilweise in die UDI (l’Unione donne italiane, italienische Frauenvereinigung) kanalisiert. Sie stand der PCI nahe und vertrat in der Frauenfrage reformistische Positionen, die den Rahmen des Kapitalismus und der traditionellen Familie nicht in Frage stellten.

Und wenn auch viele von Togliattis Ansprachen zu dieser Zeit die Frauenfrage aufgegriffen und er von Frauenrechten und dem Kampf für die Gleichstellung sprach, blieben dies hohle Phrasen. Alle Gesetzgebung in Richtung dieser Forderungen hätte zu einem Konflikt mit den Christdemokraten und der «katholischen Welt» geführt, was die PCI tunlichst vermeiden wollte.

Die Arbeit der Partei und ihrer Mitglieder orientierte sich also hauptsächlich auf den gewerkschaftlichen Kampf zum Schutz von Arbeiterinnen, die tatsächlich unter Ausbeutung und enormer Unterdrückung litten. Allerdings sollte dieser Kampf niemals über den Rahmen des Kapitalismus hinausgehen. Denn der «italienische Weg zum Sozialismus» beinhaltete nach Ansicht der PCI-Führung notwendigerweise eine Phase, in der die bürgerliche Demokratie gestärkt werden musste. 

Die erbittert geführte antikommunistische Kampagne der Christdemokraten, die den Marxismus als Träger des schlimmsten moralischen Zerfalls darstellte, drängte die PCI in die Defensive. Anstatt dagegen anzutreten und die Heuchelei der Christdemokraten und der katholischen Kirche offenzulegen und so einen Keil zwischen die unterdrückten Massen und diese Institutionen zu treiben, denen die Massen noch immer vertrauten, sang die PCI ein Loblied auf die «hohen» Werte der Familie und andere Dinge, die der katholischen Kultur lieb und teuer sind. Dieser Versuch, sich bei den katholischen Behörden einzuschmeicheln, war offensichtlich erfolglos.

Nach der Unterstützung der PCI für den berühmten 7. Verfassungsartikel – die Bestätigung des Abkommens von 1929 zwischen dem Vatikan und dem faschistischen Staat und die Garantie der Privilegien der katholischen Kirche – prahlte Togliatti, dass «damit die Regierungsbeteiligung für die nächsten zwanzig Jahre gesichert sei». In Tat und Wahrheit ging die Bourgeoisie bald schon in die Gegenoffensive, warf die PCI 1947 aus der Regierung und startete einen Frontalangriff gegen die Arbeiterklasse.

Die Nachkriegsjahre waren von Wiederaufbau und Wirtschaftsboom gezeichnet, zugleich waren es aber auch Jahre der gewaltsamen Unterdrückung von Arbeitskämpfen, die sich gegen die veränderten Bedingungen richteten. Es sollte etwa zwanzig Jahre dauern, bis die Gewerkschaftsbewegung mit neuem Elan auf der politischen Bühne auftauchte und ihren rechtmässigen Platz einforderte. 

Die 1960er: Kurze Bemerkungen zum angloamerikanischen Feminismus

In den 1960ern hatte sich die italienische Gesellschaft im Vergleich zur Periode unmittelbar nach dem Krieg deutlich verändert. Der Wiederaufbau des Landes, die enorme Industrialisierung, insbesondere im Norden des Landes, und eine stetige Proletarisierung der Bauernschaft, die zur Migration aus dem Süden in die Städte führte – all dies führte zu einem Anstieg des gesellschaftlichen Wohlstands, aber auch zu einer Verschärfung der sozialen Widersprüche. Das bemerkenswerte Wirtschaftswachstum brachte keine Verbesserungen der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse mit sich. Im Gegenteil; die migrierten ArbeiterInnen waren sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Fabrik unmenschlicher Ausbeutung ausgesetzt. Kurz zusammengefasst waren das die grundlegenden Faktoren, die die Wut der Arbeiterklasse befeuerten. Das führte zunächst zu einer ganzen Reihe erbitterter Arbeitskämpfe (z. B. in verschiedenen Sektoren bei den Tarifverhandlungen 1962), um wieder Boden zu gewinnen, und gipfelte im verallgemeinerten Kampf vom «Heissen Herbst» 1969, in dem die Arbeiterklasse erneut die Machtfrage stellte. In dieser Atmosphäre trat auch der Kampf für die Frauenbefreiung an die Oberfläche.

Bücher und Analysen von amerikanischen Feministinnen zirkulierten unter Intellektuellen und in der Studentenbewegung. Insbesondere Betty Friedan erregte mit ihrem 1963 erschienenen Buch Der Weiblichkeitswahn Aufsehen, in dem sie den Mythos der glücklichen Erfüllung der Frau in der amerikanischen Familie zerstörte. Sie bezeichnete das mittelständische amerikanische Familienleben als «bequemes Konzentrationslager für die Frau». Friedan war eine bürgerliche Intellektuelle, die, ausgehend von ihren eigenen Erfahrungen, den Unmut der Frauen ihrer eigenen Klasse widerspiegelte. 1920 betrug der Anteil der Frauen an Hochschulen noch 47 %, bis zum Ende der 50er sank er auf 35 %; die Geburtenrate stieg stetig an, während Frauenerwerbsquote sank. In ihrem Buch legte Friedan dar, wie überzeugt Frauen mit ihrem Hintergrund davon waren, dass es ihre höchste Berufung sei, zu heiraten, in einem schönen Haus zu leben und vier Kinder zu haben, während eventuelle Unzufriedenheit oder Frustration mit Scham einherging. Auf dieser Grundlage erlitten immer mehr Frauen existenzielle und psychische Krisen und begaben sich in psychotherapeutische Behandlung. Friedan gründete die Organisation National Organization of Women (NOW), die sich darauf beschränkte, das Recht für Frauen auf Beruf und Karriere und eine stärkere Vertretung in Institutionen und Verwaltungsräten und dergleichen zu fordern. Dem Problem der Hausarbeit sollte durch seine Rationalisierung beigekommen werden, mittels zeitsparender Geräte und Tiefkühlkost. Andere Intellektuelle gingen mit ihrer systemischen Kritik weiter: Juliet Mitchell argumentierte: «Solange keine Revolution in der Produktion stattfindet, bestimmt die Arbeitssituation die Stellung der Frau in einer Männerwelt». Trotzdem konzentrierte sie sich auf die Kritik an der patriarchalen Ideologie. Ausgehend von Engels’ Ausführungen über die Abschaffung der Familie entwickelte Kate Millet eine historische Analyse der Notwendigkeit einer «sexuellen Revolution».

Diese und viele weitere Schriften verschiedenster Art – von denen sich einige an einer marxistischen, revolutionären Interpretation der Frauenfrage versuchten, wenn auch erfolglos – hatten ohne Zweifel einen Einfluss auf das Bewusstsein der linken Intellektuellen und der Studentenbewegung. Was aber diesen Theorien ermöglichte, aus den engen intellektuellen Kreisen auszubrechen, waren die allgemeine Gärung in der Gesellschaft, der Aufstieg der Arbeiterbewegung und die verbreitete Annahme, dass in diesem Klima der Mobilmachung die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft tatsächlich erreicht werden kann.

Die Studierendenbewegung in Italien

1967 begann eine Studierendenbewegung zur Besetzung der Universitäten. Sie begann in Trento und weitete sich landesweit an den Universitäten und Schulen aus. Überall antwortete die Polizei mit harter Repression und führte eine Reihe von Räumungen durch, führende Mitglieder der Bewegung wurden verhaftet, und teilweise kam es zu regelrechten Strassenschlachten. Die berühmteste davon war die Schlacht von Valle Giulia am 1. März 1968 in Rom, die damit endete, dass 230 Personen festgenommen wurden.

Die Studierendenbewegung goss Öl in das Feuer, das in der Arbeiterbewegung schon loderte. Am 10. April 1968 traten die Arbeiterinnen der Marzotto Werke in Valdagno in einen militanten Streik gegen die Intensivierung ihrer Arbeit. Am 19. April rissen sie die Statue des Grafen Marzotto ab. Es folgten 47 Verhaftungen. Am 1. Mai desselben Jahres sprachen die Studenten an der Gewerkschaftskundgebung auf der Piazza San Giovanni in Rom. Im Juni wurde in Trento eine gemeinsame Kundgebung von Studierenden und ArbeiterInnen aus dem Maschinenbau abgehalten. Zur selben Zeit breiteten sich Streiks durch die gesamte Maschinenbauindustrie im ganzen Land aus, während im Süden Mobilisierungen wegen Wasserknappheit stattfanden. Laufend wurden neue Forderungen aufgestellt, entsprechend der Interessen von ArbeiterInnen inner- und ausserhalb der Fabrik; gegen regionale Lohnunterschiede, für bessere Bedingungen in der Pension, für Wohnraum und gerechte Mieten. Der wichtigste Punkt ist der Charakter dieser Streiks: Es waren Massenstreiks, die den Willen der Arbeiterklasse ausdrückten, sich gegen den Kapitalismus zu erheben und Verhandlungen der Arbeiterkontrolle zu unterstellen. Letzteres war die Hauptsorge der Gewerkschaftsbürokratie und der Bosse, weil es eine Art der Arbeitermacht am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft darstellte, die die Macht der Bourgeoisie in Frage stellte.

Der Führung der PCI bereitete der Aufstieg der Bewegung Sorgen. Ihre Linie war nicht die Machtergreifung und die sozialistische Revolution, sondern ein langsamer Übergang auf parlamentarischem Wege – also der vorher bereits erwähnte «italienische Weg zum Sozialismus». Die gemässigte Politik der PCI orientierte sich an den bürgerlichen Institutionen und wollte die Beziehungen zu den Christdemokraten nicht beschädigen. Deswegen drückten sich die Mobilisierungen im Aufkommen und Wachstum von verschiedenen ausserparlamentarischen Gruppierungen aus, der sogenannten Neuen Linken. Diese entsprangen hauptsächlich der Studierendenbewegung.

Hier entstand ein ganzer Kosmos von Organisationen und Gruppen, welche die Frauenfrage ins Zentrum stellten und in unterschiedlichem Masse die Forderung nach einer feministischen Revolution aufstellten. Hauptmerkmal dieses Feminismus war eine Art Groll gegenüber den traditionellen Organisationen der Arbeiterbewegungen, aber auch gegenüber der Neuen Linken, die zwar von Revolution sprach, aber die Frauenfrage entweder ignorierte oder instrumentalisierte – angefangen bei den Beziehungen zwischen Genossen und Genossinnen in der Organisation selbst. Das führte zur tief verankerten Forderung fast aller Gruppen, völlig separate Frauenorganisationen aufzubauen. Nur so, glaubten sie, könnten Genossinnen frei und unabhängig ihre Persönlichkeit und ihre politischen Ansichten zum Ausdruck bringen.

Wir versuchen hier, eine kurze Beschreibung und Einschätzung der wichtigsten Gruppen und ihrer Debatten ab den späten 1960ern zu liefern.

Ein Blick auf den Feminismus: Die Gruppo Demau

Die erste Gruppe, die sich für eine autonome Organisation aussprach, war die 1966 in Mailand gegründete Gruppo Demau (von Demistificazione autoritarismo). Sie arbeitete vor allem auf der theoretischen Ebene. Sie kritisierte alle Frauenorganisationen und -bewegungen, die sich auf Forderungen nach Emanzipation und Unterstützung begrenzten – Forderungen, die es Frauen erleichtern sollten, am Leben ausserhalb der Familie teilzunehmen. Sie lehnten die Integration der Frau in die Gesellschaft ab. Denn laut der Gruppe sei  die bestehende Gesellschaft von den Werten des männlichen Autoritarismus und der «Unvereinbarkeit von der beiden etablierten Rollen» dominiert. Sie argumentierten auch, dass den Frauen in der Arbeitswelt nur zweitklassige Stellen zukämen und ihnen, falls nötig, wieder gekündigt werden könnte, um Männern Platz zu machen. Was Marx zur Unvermeidbarkeit dieses Phänomens innerhalb der kapitalistischen Verhältnisse sagte – nämlich dass Frauen im Kapitalismus einen Teil der industriellen Reservearmee bilden, was eine seiner Formen ist, um die Löhne nach unten zu drücken und die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern – wurde von der Gruppe überhaupt nicht berücksichtigt. Die Notwendigkeit der sozialistischen Revolution, die die Bedingungen schaffen würde für die Überwindung der bestehenden Geschlechterrollen und die Abschaffung der Familie, welche die Frauen in diesen Rollen festhält, wurde von der Gruppe Demau auf der Grundlage der Erfahrungen in der UdSSR in Frage gestellt. Denn dort war die Frau trotz der Umwälzung der Produktionsverhältnisse noch immer dem Mann unterworfen. Auch die alte Familie samt den Verpflichtungen für die Frauen existierte dort weiter.

Tatsächlich hatte die Existenz des sowjetischen Modell einen höchst negativen Einfluss auf die Debatten in vielen dieser Gruppen. Die stalinistische Degeneration, welche die meisten von ihnen nicht verstanden, lieferte in ihren Augen einen unbestreitbaren Beweis für das Versagen des Marxismus in der Frauenfrage.

So argumentierte die Gruppe Demau, um eine fortgeschrittenere Theorie der sozialistischen Revolution auszuarbeiten, müssten die Frauen unabhängig ein Bewusstsein über ihre Rolle erlangen und alle Bereiche des menschlichen Lebens analysieren (wissenschaftliche Theorien, Gesetze, sexuelle und Familienverhältnisse, Verhältnisse am Arbeitsplatz, usw.). So sollten sie verstehen, wie sich in diesen Bereichen die Unterdrückung der Frau durch den Mann ausdrückt. Davon ausgehend sollte dann eine Theorie entwickelt werden, wie der Mann aus seiner Rolle als Unterdrücker befreit und damit die gesamte Menschheit befreit würde.

Die aufgeworfenen Fragen hatten durchaus einen grossen Wert. Aber sie stellten die Dinge auf den Kopf. Sie verstanden nicht, dass Frauen nicht eine neue Kultur erschaffen können, indem sie sich in einem Raum isolieren und die Notwendigkeit ignorieren, gemeinsam mit der gesamten Arbeiterbewegung für den Sturz des Kapitalismus zu kämpfen. Egal wie hochgesteckt ihre theoretischen Ansprüche daherkamen, waren die Erzeugnisse der Gruppe letztlich äusserst bescheiden. Sie beschränkten sich auf Forderungen wie eine gerechte Verteilung der Betreuungs- und Erziehungsarbeit zwischen den Geschlechtern.

Es muss jedoch gesagt werden, dass diese Theorien – die damals in vielen Publikationen debattiert wurden und an denen sich viele Intellektuelle beteiligten – Ergebnisse brachten, die wir heute noch erkennen können, jedoch in immer bescheidenerer Form. Zum Beispiel wurden Bücher über Pädagogik veröffentlicht, die das autoritäre Verhältnis zum Kind in der Familie und in Institutionen scharf kritisierten. So konnte das Personal in Krippen und Kindergärten in verschiedenen Bildungsprojekten geschult werden – mit dem Ziel, die Kreativität der Kinder zu respektieren und dadurch deren Lernfähigkeit zu verbessern.

Die Debatte um die Selbstbestimmung der Frau brachte einen beträchtlichen Anteil der Ärzte dazu, die Praxis der «sanften Geburt» zu befürworten. Dabei wird die Frau nicht einfach als Opfer behandelt, das dem Arzt ausgeliefert ist, sondern als autonome Person, die gerade den berauschenden, aber auch sehr dramatischen Prozess der Geburt erlebt. Autonome Rechtshilfegruppen unterstützten Frauen bei Scheidungen, der Wohnungs- und Arbeitssuche und beim Aufbau eines Lebens ohne Ehemann. Diese Gruppen waren Referenzpunkte; sie inspirierten zahlreiche kommunale Frauenzentren. Die Familienplanungszentren, die nach den Kämpfen dieser Zeit eröffnet wurden, waren beeinflusst von den damaligen Debatten, in denen die Überwindung sexueller Tabus und die Krankheitsprävention mittels gründlicher Aufklärungskampagnen gefordert wurden.

Alle diese Dinge waren in ideologischer Hinsicht und in Bezug auf die Lebensbedingungen ohne Zweifel Errungenschaften. Sie beeinflussten den Charakter des Sozialstaats, der nach den Kämpfen der 70er Jahre errichtet wurde. Solange die wirtschaftlichen Ressourcen und die politische Macht aber in den Händen der Bourgeoisie lagen, waren diese Errungenschaften notwendigerweise vorübergehend und beschränkt. Während einige Krankenhäuser die sanfte Geburt praktizierten, war es ÄrztInnen weiterhin gestattet, die Abtreibung in öffentlichen Krankenhäusern aus Gewissensgründen abzulehnen. Gleichzeitig konnten sie ihre Dienste aber in privaten Kliniken zu horrenden Preisen trotzdem anbieten. Alle Experimente in sogenannten «kinderfreundlichen Projekten» in den Kindergärten starben durch Unterfinanzierung langsam ab und wurden faktisch eingestellt. Diese Beispiele beweisen den Widerspruch zwischen der enormen Kraft des Kampfs der Massen von unten einerseits und den weiterhin dominanten Bedürfnissen des Kapitalismus und seiner Ideologie andererseits.

Carla Lonzi und die Rivolta femminile

Eine weitere Gruppe, die sich vor allem theoretisch beschäftigte, war die Rivolta femminile, die Frauenrevolte. Sie wurde 1970 gegründet, und ihre klarsten und extremsten Theorien entsprangen der Feder von Carla Lonzi. Diese Gruppe trieb die Ablehnung der Gleichheit zwischen Mann und Frau auf die Spitze. In ihrem Manifest steht:

«Der Mann ist in Bezug auf die Frau das Andere. Die Thesen von der Gleichheit der Geschlechter ist ein ideologischer Versuch, die Frau auf einer höheren Stufe der Herrschaft zu unterwerfen. […] Jungfräulichkeit, Keuschheit, Treue sind keine Tugenden, sondern Zwänge, um die Familie aufzubauen und zu erhalten. Als Schlussfolgerung ist die Ehre der repressive Kodex.

Bei der Heirat verliert die Frau ihren Namen und damit ihre Identität, die Bedeutung davon ist der Besitzwechsel, der zwischen dem Vater und dem Ehemann stattfindet. […] Die Scheidung ist die Vollendung der Ehe; die Institution der Ehe wird dadurch gestärkt.» 

Manifesto di Rivolta femminile, in Rosalba Spagnoletti, I movimenti femministi in Italia, 1978. (Übersetzung d. R.)

Diese extreme Position bedeutete, dass Carla Lonzi das Recht auf Scheidung und Abtreibung, welche die feministische Bewegung gefordert hatten, als Zugeständnisse betrachtete, die letztlich nur die Unterdrückung der Frau zementierten. Mit dieser extreme Einstellung wurden die Theorien dieser Gruppe in der italienischen feministischen Bewegung natürlich nicht zu den vorherrschenden. Ausserdem lehnten sie, wie viele andere Gruppen, das Konzept der Organisation ab, weil es autoritär und «männlich» sei. So hatte jede Gruppe, die Rivolta femminile unterstützte, völlige Autonomie, was ihre Positionen und ihre Arbeitsmethoden anging und lehnte die Vorstellung ab, eine Mehrheit für die eigenen Ideen zu gewinnen. Nichtsdestotrotz muss man Carla Lonzi anrechnen, dass sie ihre Position klar zum Ausdruck brachte und die Annahmen des Separatismus und Antiautoritarismus konsequent zu Ende dachte. Deswegen konnte sie nicht viele Anhängerinnen gewinnen. Sie stellte aber trotzdem einen theoretischen Referenzpunkt dar. Und ihre Theorien haben – in neuer und etwas verdünnter Form – noch immer Gewicht in Teilen der Antiglobalisierungsbewegung rund um Toni Negri.

Carla Lonzi verneinte sogar den Wert aller Kultur, da diese männlich dominiert sei. Sie rief zur «Dekulturalisierung» auf:

«Die Dekulturalisierung, die wir anstreben, ist unser Werk. Sie ist keine kulturelle Revolution, die einer strukturellen Revolution folgt und sie vervollständigt, sie baut nicht auf der Verifizierung einer Ideologie auf allen Ebenen auf, sondern auf dem Fehlen jeglicher ideologischer Bedürfnisse.» 

Daraus folgt, dass im Kampf für die Befreiung der Frau «das Ziel der Machtübernahme hinfällig wird».

Sputiamo su Hegel, in Rosalba Spagnoletti, I movimenti femministi in Italia, (Übersetzung d. R.)

Eine ganze Weile lang orientierte Lonzi sich an der Hippie-Community. Sie sagte, dort seien die Geschlechterunterschiede im Alltag aufgehoben worden.

Hinzuzufügen ist, dass Lonzi in einem ihrer wichtigsten Werke, Sputiamo su Hegel («Wir pfeifen auf Hegel»), ihre Position zum Marxismus klärt und dabei die Kritik der Gruppo Demau erweitert. Es sollten also nicht nur die Erfahrungen der UdSSR kritisiert werden, sondern auch die vermeintlich «autoritäre Grundlage des Marxismus». Fourier beschrieb eine befreite Gesellschaft, in der «jedem Mann alle Frauen und jeder Frau alle Männer zur Verfügung stehen». Dagegen beharrten Marx und Engels darauf, dass den zwischenmenschlichen Beziehungen ihr privater Charakter zurückgegeben werden solle und sie von wirtschaftlichen Zwängen befreit werden müssten. Die marxistische Vorstellung wurde von Lonzi als moralistisch und autoritär abgewiesen, da sie nicht die sexuelle Befreiung der Frau forderte. Auch hier spielt die Kultur eine Rolle: Frauen und Männer haben nicht sexuelle Beziehungen zueinander wie sie Tiere haben. Dies zu leugnen (was Marx und Engels sorgfältig vermieden haben) hiesse, die kulturelle Entwicklung der Menschen zu leugnen, die sich erst nach dem Sturz des Kapitalismus voll wird entfalten können, wenn alle Ressourcen unter der Kontrolle der heute Ausgebeuteten stehen.

Natürlich war auch Lenin, der sich mit diesen Themen während und nach der Revolution beschäftigte, für Lonzi ein Vertreter des marxistischen Konservatismus, wenn es um den Kampf gegen die patriarchale Ideologie ging. Der Rivolta femminile ging es also darum, auffällige Aktionen durchzuführen, bei denen Frauen sich ihrer selbst bewusst werden sollten. In den Schlussfolgerungen ihres Manifests kommt das gut zu Ausdruck:

«Wir wollen uns einer Welt stellen können, die keine Antworten für uns hat. Wir wollen die Authentizität der Geste der Revolte und opfern diese nicht einer Organisation oder dem Predigen.»

Das Mittel dazu ist das Selbstbewusstsein. In ihren Schriften klärt Carla Lonzi, was sie damit meint. Sie stellt das Selbstbewusstsein und die «Bewusstseinsbildung» einander gegenüber: Durch letztere werden sich Frauen in linken Gruppen ihrer unterdrückten Stellung als Frauen und Arbeiterinnen bewusst und nehmen dann am gemeinsamen Kampf gegen den Kapitalismus teil. Selbstbewusstsein hingegen bedeutet «Auflösung der Kultur», «Differenz» und «von sich selbst ausgehen»; Frauen sollten sich also in kleinen autonomen Gruppen zusammenfinden, die Kultur als männlich ablehnen und von ihren eigenen Lebenserfahrungen als Frauen ausgehen, damit sie, ganz ohne Zwang, mit anderen Frauen zu einer gemeinsamen Position finden könnten.

Diese Methode von kleinen Gruppen und des Selbstbewusstseins oder der «Selbsterkenntnis» wurde in unterschiedlichem Masse von fast allen feministischen Gruppen praktiziert.

Diese Theorien und Methoden stellten trotz ihrer augenscheinlichen Radikalität in Wirklichkeit eine reaktionäre Herangehensweise an die Frauenfrage dar. Die Ablehnung der Kultur und der alleinige Fokus auf die individuelle Erfahrung stellte ihre Aktionen auf eine tiefere, rückschrittlichere Stufe. Indem sie sich auf die individuelle Erfahrung beschränkten, verkannten sie, dass die wichtigste Steigerung des Bewusstseins immer das Ergebnis von kollektiven Kämpfen und Massenbewegungen ist.

Wir können uns alle nur dann von den rückständigen Ideen befreien, die uns die herrschende Klasse aufzwingt, wenn wir das Erwachen unseres individuellen Bewusstseins mit dem kollektiven Austausch und der Massenaktion verbinden – um so der treibenden Kraft dieser Kultur, also der Bourgeoisie, ein Ende zu bereiten.

Die Ablehnung dieser Auffassung bedeutete, genau das durch die Hintertüre wieder hereinzulassen, was man durch die Vordertüre hinauswerfen wollte. Die Unterordnung unter die herrschende bürgerliche Kultur sollte rausgeworfen werden. Aber durch die Hintertür der «Selbsterkenntnis» kam sie wieder herein – nun einfach verpackt in hochtrabenden revolutionären Theorien. Die Weigerung der Gruppe, sich die Machtergreifung zum Ziel zu setzen oder überhaupt ihre eigenen Kräfte zu organisieren, muss in diesem Licht betrachtet werden.

Der Cerchio Spezzatound die römischen Gruppen

Unter den Studentengruppen, welche die Frauenfrage aufnahmen, können wir folgende nennen: diejenige des Instituts für Soziologie in Trento, Il Cerchio Spezzato (der zerbrochene Kreis) und die Frauengruppen der römischen Studierendenbewegung. In Trento wurden die oben beschriebenen Vorstellungen mit kleineren Variationen übernommen. Hier sehen wir vielleicht deutlicher als irgendwo sonst die Wut der Studentinnen auf ihre männlichen Genossen. Die Gruppe verurteilte die Vorstellung vom «Engel am Kopiergerät» als weiteres Beispiel für die Tatsache, dass die Frau nicht nur zuhause als «Engel am Herd» Mensch zweiter Klasse war, sondern auch in den politischen Organisationen. Frauen sprachen in der Öffentlichkeit weniger und hatten Angst, sich zu blamieren, weshalb sie von ihren Genossen bewusst zu organisatorischen Aufgaben, wie etwa Buchhaltung und Kopieren, eingesetzt wurden, wobei diese Aufgaben fast als erniedrigend betrachtet wurden. Mit Sicherheit gab es in vielen linken Gruppierungen einen gewissen männlichen Chauvinismus. Viele sahen die sogenannte sexuelle Revolution, die neuen libertären Werte gegen das System, nur als Gelegenheit, mit einer geeigneten politischen Rechtfertigung die engen Schranken der Monogamie zu überwinden. Es bleibt aber dabei, dass die separatistische Herangehensweise eine Sackgasse darstellte, weil sie die Mittel für einen echt revolutionären politischen Kampf auf sozialer und ideologischer Ebene nicht liefern konnte.

Die römischen Gruppen unterschieden sich von de oben Genannten, weil sie das kapitalistische System ins Zentrum ihrer Betrachtungen rückten und auf Engels’ Analyse des Ursprungs der Frauenunterdrückung aufbauten. Ihre Debatten waren inspiriert von den Ideen Livio Maitans und der Vierten Internationalen. Indem sie die Widersprüche des Kapitalismus analysierten, durchleuchteten sie die Frauenfrage aus der richtigen Perspektive. Aber es fehlte ihnen an einer offenen Kritik der dominierenden feministischen Ideen: eine Kritik, die aufgezeigt hätte, wie diese Ideen im Widerspruch standen zu ihren eigenen revolutionären Ansprüchen und marxistischen Begrifflichkeiten.

Leider waren viele Frauen – vor allem Studentinnen, aber auch Arbeiterinnen – von den feministischen Theorien fasziniert, weil in diesen Jahren keine Partei existierte, die eine wirklich marxistische, revolutionäre Analyse der Frauenfrage vorlegte.

Die PCI vertrat eine konservative Position. Sie rief zur Verteidigung von Arbeitern und Arbeiterinnen auf und zum Ausbau des Sozialstaats – aber alles nur in dem Mass, wie es den kapitalistischen Rahmen, den sogenannten «demokratischen Rahmen», nicht sprengte. Diese Position erlaubte es anderen Ideen, in der Bewegung die Oberhand zu gewinnen. Die UDI selbst, also die italienische Frauenvereinigung, war stark vom Feminismus beeinflusst, so dass sie im Verlauf der 1960er von einer Debatte dominiert wurde, die sie dazu führte, 1978 eine separatistische Position einzunehmen.

Der Beginn der Debatte um die Scheidungsfrage war der Moment, in dem die PCI ihre grösste Unterordnung unter die Christdemokraten offenbarte.

Die Scheidung und die Rolle der PCI

Anfang 1971 begannen die Debatten rund um die definitive Annahme des Baslini-Fortuna-Scheidungsgesetzes. Natürlich bekämpfte der Vatikan dieses Gesetz und die Katholiken sammelten Unterschriften, um es zu kippen. Die PCI zeichnete ein bedrohliches Bild der gesellschaftlichen Lage: In Griechenland hatte es 1967 einen Militärputsch, im Dezember 1969 auf der Piazza Fontana in Mailand einen Bombenanschlag gegeben; einen weiteren 1970 am Bahnhof in Gioia Tauro. Es folgten Scharmützel in Reggio Calabria unter Führung der neofaschistischen MSI, weil die Regionalhauptstadt nach Catanzaro verlegt werden sollte; die MSI hatte in den dortigen Lokalwahlen 1971 an Boden gewinnen können. In dieser Situation, da die Rechte erstarkte, war es laut PCI nicht tragbar, das Land mit einem religiös motivierten Referendum zu spalten. «Die gesamte kommunistische Führung hat keine Zweifel und ist mit einer alternativen Lösung einverstanden: der Revision des Baslini-Fortuna-Gesetzes» (Giuseppe Fiori, Vita di Enrico Berlinguer, Übersetzung d. R.). Schnell fand eine ganze Reihe von halbgeheimen Absprachen statt. Es war klar, dass die PCI eingewilligt hatte, für einen christdemokratischen Präsidentschaftskandidaten (vermutlich Moro) zu stimmen, wenn sich diese im Gegenzug zu einem Dialog über die Scheidungsfrage bereit erklärten, um das Referendum zu verhindern.

Die Strategie der PCI scheiterte auf ganzer Linie. Mit den Stimmen der Faschisten wurde Leone Präsident und das Referendum fand dennoch statt. Die Führung der PCI hatte die Lage völlig verkannt: Die Katholiken wurden mit 19’380’000 Gegenstimmen (59.2%) deutlich geschlagen. Auch was den angeblichen Rechtsrutsch in der Gesellschaft betraf, hatten sie unrecht. In den Wahlen 1975 erhielt die PCI einen triumphalen Schub von ArbeiterInnen, die eine politische Führung für ihre radikalen Ambitionen suchten. Die Christdemokraten erhielten 35.2%, verloren also 3.6%, während die PCI mit 33.4% um 6.2% dazugewann. In Rom, Mailand, Turin, Florenz, Venedig, Neapel, Perugia, Genua, Ancona, Cagliari und weiteren Städten wurde die PCI die meistgewählte Partei.

PCI-Generalsekretär Berlinguer war überrascht, als die Massen zur Feier der Wahlergebnisse demonstrierten. Vor dem Hauptquartier der PCI «riefen tausende AktivistInnen und SympathisantInnen: Enrico, gib uns eine geballte Faust! Berlinguer versuchte zu lächeln, brachte aber nicht mehr als eine peinlich berührte Grimasse zustande; stattdessen schwenkte er einen kleinen Schal, ein rotes Tuch, das ihm ein kleines Mädchen gegeben hatte. Währenddessen skandierte man auf den Strassen: ‘Jetzt ist die Zeit reif, alle Macht den Arbeitern, Sieg, Rotes Rom!’» (Giuseppe Fiori, Vita di Enrico Berlinguer, Übersetzung d. R.).

Wurde die Partito Radicale revolutionär?

Andere Kräfte versuchten, aus der Schreckstarre der PCI Kapital zu schlagen. Eine davon war die Partito Radicale. Sie bildete 1969 eine ihr angegliederte Struktur, die Frauenbefreiungsbewegung MLD. Die MLD hatte die neue Situation, die sich aus den stattfindenden Kämpfen ergab, vollständig begriffen und legte daher Programme und Kampfmethoden vor, die in ihrer Wortwahl sehr links klangen. Auch bei der Frauenfrage schienen sie links der PCI zu sein. So lesen wir in einem Programmentwurf der MLD: «Der Kampf für die Befreiung der Frau ist Teil des allgemeineren Kampfs für einen revolutionären Wandel hin zu einer sozialistischen, antiautoritären Gesellschaft» (Bozza di piattaforma dei principi del movimento di liberazione della donna (Mld), in Rosalba Spagnoletti, I movimenti femministi in Italia, Übersetzung d. R.)

Offenbar brachte die MLD sich in Stellung, um das Vakuum einzunehmen, das auf der einen Seite die PCI und auf der anderen Seite das Sektierertum der feministischen Gruppierungen offen gelassen hatten. Die MLD lehnte den Separatismus und organisationsfeindliche, bewegungsorientierte Ideen ab. Im Grunde waren ihre Vorschläge keineswegs revolutionär. Zur ökonomischen Frage schlugen sie folgendes vor: «den Aufbau einer Produktionsorganisation, die als kollektives Unternehmen gesehen wird, in der die Arbeit der Selbstverwirklichung dient, nicht der Entfremdung» (ebenda). Wie das Hindernis der Existenz der Bosse und Eigentümer überwunden werden sollte, blieb dabei offen. Die Begründung für die bewusst verworrenen Argumentationen war laut VerfasserInnen das «Fehlen einer Klasse, die fähig ist, die Aufgabe der Gesamterneuerung der Gesellschaft wahrzunehmen». Deswegen müsse man sich «konkrete Ziele setzen, die keine Flucht vor den realen Problemen darstellen». Und das inmitten des Heissen Herbstes!

Also waren die MLD und die Partito Radicale nicht revolutionär, wie einige zu der Zeit vielleicht dachten, sondern verwendeten sozialistische Phraseologie, um vom Kern der Sache abzulenken: der wirtschaftlichen und politischen Machtergreifung durch die ArbeiterInnen. In diesem Licht müssen auch die fortschrittlichen Initiativen dieser Gruppe betrachtet werden. Die MLD war verantwortlich für den parlamentarischen Gesetzesentwurf zur Legalisierung der Abtreibung, den Kampf für die Liberalisierung der Pille und die Bildung von öffentlichen, antiautoritären Kinderkrippen, wie sie damals genannt wurden: Räume, in denen Kinder von Arbeiterfamilien nicht einfach «abgegeben» wurden, sondern die der physischen und psychischen Entwicklung der Kinder dienten.

Die Kampfmethoden der MLD waren massenhafter ziviler Ungehorsam und Unterschriftensammlungen für Volksgesetze. Sie war letztlich aber nicht dazu fähig, Unterstützung unter den Arbeiterinnen zu gewinnen. Sie sorgte aber für einige Verwirrung, da sie die einzige Partei war, die gewisse Fragen aufwarf.

Die Lotta femminista und die militante Aktion

Die Gruppe, welche die grösste Entschlossenheit zeigte, die Streikaktionen zu fördern und eine nationale Organisation aufzubauen, war die Lotta femminista (Feministischer Kampf). Sie war unter einem anderen Namen 1971 in Padua und Ferrara gegründet worden, nachdem sie sich von ihrer Mutterorganisation Potere Operaio (Arbeitermacht) getrennt hatte. Binnen weniger Monate verfügte sie über Zentren in Mailand, Venedig, Verona, Modena, Reggio Emilia, Florenz, Neapel und Gela. Sie definierten sich als marxistische Feministinnen. Sie sagten: «Der Klassenkampf und der Feminismus sind für uns ein und dasselbe, denn der Feminismus drückt den Aufstand jener Schicht der Klasse aus, ohne die der Klassenkampf nicht verallgemeinert, ausgebreitet und vertieft werden kann» (Rapporto da Lotta femminista, in: Femminismo e lotta di classe in Italia (1970-1973), Übersetzung d. R.).

In Wirklichkeit weigerte sich die Gruppe, eine Klassenanalyse auf die Frauenfrage anzuwenden, und sie vertrat völlig separatistische Ideen. Das Ziel für Arbeiterinnen sei nicht, den Kampf der Arbeiterbewegung gegen den Kapitalismus voranzutreiben und mit dem Kampf für die Frauenbefreiung zu verbinden. Vielmehr müssten sie eine unabhängige Frauenbewegung aufbauen, in der nur sie die spezifischen Fragen der Frauenunterdrückung angehen konnten. Auf dieser Grundlage kam es mehrmals zu körperlichen Auseinandersetzungen mit Genossen aus der traditionellen oder ausserparlamentarischen Linken, die an den Frauendemonstrationen teilnehmen oder etwas beitragen wollten.

Dazu kommt, dass die Gruppe den Standpunkt vertrat, dass es falsch sei, den Eintritt der Frau in die Arbeitswelt zu fordern, um ihre Bewusstseinsentwicklung voranzutreiben. Eine Theoretikerin der Gruppe, Mariarosa della Costa, erklärte, dass Frauen zuhause schon genug arbeiteten und die Erfahrung zeige, dass sie durch die Erwerbsarbeit keinesfalls befreit würden. Deswegen solle der Kampf der Frauen vor allem gegen die Unterdrückung im eigenen Haushalt stattfinden.

Eine der Forderungen der Lotta femminista war die Entlöhnung der Hausarbeit, um damit Hausfrauen ihre Ausbeutung bewusst zu machen und sie von der Notwendigkeit zu überzeugen, den Konflikt voranzutreiben, und so die Abschaffung der Hausarbeit zu erreichen.

Tatsächlich verfehlte diese Analyse den zentralen Punkt. Sie konnte vielleicht eine Hausfrauenbewegung ins Leben zu rufen, die sich ihrer Ausbeutung bewusst war. Aber jede Hausfrau hätte die neuen Ideen vereinzelt im jeweiligen Haushalt umsetzen müssen. Natürlich wird die Frau durch Lohnarbeit nicht befreit, wie wir weiter oben schon erwähnten. Aber die Teilnahme an der gesellschaftlichen Lohnarbeit ist entscheidend, weil sie der Frau erlaubt, voll und auf derselben Grundlage wie ihre männlichen Kollegen am Klassenkampf teilzunehmen. Im Kampf gegen den Kapitalismus und gegen die Männerherrschaft muss also hier angesetzt werden. Letztlich hätte der geforderte Hausfrauenlohn – unabhängig von allen Absichten derer, die ihn forderten – die Hausarbeit legitimiert und institutionalisiert, statt die Frage nach ihrer Vergesellschaftung in einer sozialistischen Gesellschaft aufzuwerfen.

Die Perspektive der Lotta femminista war deutlich von der Autonomiebewegung (Potere Operaio) gezeichnet und die Gruppe versuchte, mit sehr aggressiven Slogans und Methoden den Kampfgeist zu wecken. Aber das einzige, was sie bezüglich  Mobilisierungen anbieten konnten, war die Teilnahme an Demonstrationen. Einmal riefen sie zu einem Hausarbeitsstreik auf. Und obwohl die Gruppe sich mit dem Ergebnis sehr zufrieden zeigte, wiederholte sie die Sache nicht. Hätte sich die Gruppe auf den Kampf für einen Hausfrauenlohn begrenzt, wäre sie sicher nicht erfolgreich gewesen. Allerdings rief sie eine sehr effektive und militante Kampagne zur Frage der Abtreibung ins Leben.

Der Kampf für das Recht auf Abtreibung

Das Abtreibungsgesetz, das dem aktuellen Gesetz Nr. 194 vorausging, hatte seine Wurzeln im Rocco-Gesetzbuch, das Abtreibungen als «Verbrechen gegen die Integrität und Gesundheit der Familie» definierte, was für Frau und Fachperson mit 5–12 Jahren Gefängnis bestraft wurde. Trotz dieser Tatsache und weil die Pille illegal war, liessen jedes Jahr drei Millionen Frauen abtreiben, um einer ungewollten Schwangerschaft zu entgehen oder um nicht ein Kind auf die Welt bringen zu müssen, das sie nicht ernähren könnten. Jedes Jahr starben 20’000 Frauen an den Folgen von Abtreibungen, und das waren nur die offiziellen Zahlen. Bei vielen Todesfällen wurde die Ursache gefälscht, um eine Bestrafung der Person, die sie durchgeführt hatte, zu verhindern. Die Abtreibungen wurden häufig von genau jenen Ärzten durchgeführt, die sich offiziell dagegen aussprachen – aber für eine grosszügige Summe durchaus bereit waren, ihre ethischen Positionen etwas aufzuweichen. Die astronomischen Preise zwangen ärmere Frauen dazu, die Dienste von Dorffrauen aufzusuchen, die man als Expertinnen betrachtete. Sie führten Abtreibungen mit Quinin, Stricknadeln und Petersilie durch, ohne Betäubungsmittel und unter besorgniserregend unhygienischen Bedingungen. Natürlich war die Prozedur unter diesen Umständen für die Frau noch sehr viel gefährlicher.

In Padua entschied sich die Lotta femminista 1973 dazu, den Prozess gegen Gigliola Pierobon zu einem politischen Fall zu machen. Sie hatte mit 17 abgetrieben und wurde sechs Jahre später angeklagt. Sie war eine ehemalige Textilarbeiterin und wechselte stets die Stelle, da wegen des laufenden Prozesses niemand sie ordentlich anstellen wollte. Es begann eine Kampagne gegen die Bosse, den Staat, die Kirche und die Ärzte, die den Frauen ihre Grundrechte absprachen.

Am 15. Februar 1974 beschlagnahmte die Polizei nach dem verdächtigen Tod einer jungen Frau alle klinischen Akten eine Arztes, den man verdächtigte, Abtreibungen durchgeführt zu haben. Alle 273 registrierten Patientinnen wurden verhaftet. Am 9. Januar 1975 führten die Carabinieri bei einem florentiner Arzt eine Razzia durch, verhafteten sechs MitarbeiterInnen und schleppten 40 Frauen auf einen Polizeiposten, wo sie gynäkologische Untersuchungen über sich ergehen lassen mussten. Alle wurden verdächtigt, eine Abtreibung gehabt oder durchgeführt zu haben.

Diese Fälle führten dazu, dass sich der Preis einer Abtreibung auf dem Schwarzmarkt verdreifachte. Aber sie setzen auch eine Bewegung in Gange.

Am 11. Februar 1975 besammelten sich in Trento 10’000 Frauen an der nationalen Demonstration der Lotta femminista, die sich wieder in Movimento femminista umbenannt hatte. Weitere Kundgebungen wurden in Florenz und Padua veranstaltet. In Rom versammelten sich am 6. Dezember 20’000 Menschen und forderten Abtreibungen, die kostenlos und mit Einsatz von Schmerzmitteln durchgeführt werden sollten. Gleichzeitig widersetzten sie sich den Versuchen der Regierung, ein neues Gesetz zu erlassen, wonach Ärzte bei der Durchführung das letzte Wort haben sollten.

Trotz des Sektierertums von Movimento femminista und anderer Gruppen war die Sache für viele Frauen offensichtlich enorm wichtig, insbesondere für weniger gut gestellte, die grösseren Risiken ausgesetzt waren, wie Arbeiterinnen und Studentinnen. Die Entschlossenheit der Frauen bei der Mobilisierung war teilweise sicherlich auf die aggressive Kampagne der Feministinnen zurückzuführen. Aber diese stiess auf den fruchtbaren Boden der allgemeinen Mobilisierungen der Arbeiterklasse und die damit einhergehende Zuversicht, die Dinge wirklich verändern zu können.

Movimento femminista führte eine Kampagne gegen die «weissen Schweine», also die Doktoren. Sie besuchten Krankenhäuser und verteilten Flugblätter für das Recht auf Abtreibung. Sie führten Interviews mit Patientinnen, die über ihre Misshandlung durch die Ärzte sprachen: Ihre Gebärmütter wurden ohne Betäubung ausgeschabt; zur «Reinigung» wurden die Wunden mit Alkohol desinfiziert. Den schreienden Patientinnen wurde entgegengebracht, dass sie beim Liebemachen ja auch nicht so geschrien hätten. Alle diese Geschichten wurden auf Flugblättern gesammelt und dann vor Arbeitsplätzen, in Schulen und Universitäten verteilt mit dem Slogan: «Wir sind viele, wir sind Frauen, wir haben genug. Wir sind keine Gebärmaschinen, wir sind Frauen, die für die Befreiung kämpfen! Zittert, Doktoren, ihr werdet teuer bezahlen, ihr werdet für alles bezahlen!» (Aborto di Stato: strage delle innocenti, Collettivo internazionale femminista, Übersetzung d. R.)

In den Jahren 1975 und 1976 war die Situation sehr angespannt. Auf Demonstrationen für das Recht auf Abtreibung folgten Wellen von Demonstrationen «für das Leben». Sie wurden von Katholiken organisiert, die eine schändliche Rufmordkampagne gegen niederträchtige Frauen führten, die arme Kinder ermorden würden. Strassenkämpfe und Übergriffe durch die Polizei verschärften die Debatte.

Die Initiativen von Movimento femminista und anderer Gruppen preschten die Proteste voran. Die Mobilisierung erreichte ihren Gipfel bei einer Demonstration in Rom am 3. April 1976 mit 50’000 TeilnehmerInnen. Sie wurde auch von der UDI unterstützt, die wenig später gänzlich zu separatistischen und feministischen Ideen überging.

1978 wurde das Gesetz Nr. 194 erlassen, welches das Recht auf Abtreibung einführte. Es war ein grosser Sieg, da Frauen jetzt selbst über ihren Körper bestimmen konnten. Das Gesetz selbst hat aber deutliche Schwächen: Es betont, dass alles Mögliche getan werden müsse, um die Angemessenheit der Abtreibung zu überprüfen; und insbesondere erlaubt es Doktoren, aus Gewissensgründen die Behandlung abzulehnen.

Konflikte mit Männerorganisationen

Was Movimento femminista jedoch am meisten kennzeichnete, war die Herangehensweise der gewaltsamen Konfrontation, bei der sie ihre Ansichten mit physischer Gewalt durchzusetzen versuchten. Auch andere Gruppen verteidigten ihre Autonomie mit Gewalt. Oft wurden Versammlungen und Demonstrationen von Feministinnen von unklar definierten «Genossen» attackiert, die einen Kampf gegen den Feminismus führten.

Feministinnen störten im Gegenzug Vorlesungen an der Universität oder sogar Treffen der PCI und ihrer Ex-Genossen der extremen Linken, wie folgende Passage aufzeigt. Sie erzählt von der Tendenz der Männer, bei der Abtreibungsfrage Kompromisse einzugehen:

«Es gab da auch diese jüngeren Männer, unsere Kampfgenossen von 1968, die heute im Parlament auf der Bank sitzen und hochnäsig verkünden, dass der Doktor natürlich das letzte Wort behalten müsse, nur um dann flüsternd hinzuzufügen, dass es vielleicht doch einen anderen Weg gibt. 1968 haben wir, zusammen mit anderen Frauen, tatsächlich immer einen Weg gefunden für ihre Freundinnen, die Abtreibungen brauchten, wir haben die Adressen [der illegalen Abtreibungskliniken] herausgesucht und je 10’000 Lire gesammelt. Aber die Zeit vergeht und man kann von Leuten nicht erwarten, sich daran zu erinnern.

Und es gibt da eine ganze Reihe von Dingen, an die man sich nie erinnert, wie etwa die Mutter, die unsere Scheisse wegputzte und sicherstellte, dass das Abendessen bereit und das Bett gemacht war. Aber wieso denken sie, dass wir einfach so still dasitzen werden?»

Collettivo internazionale femminista, Aborto di Stato: strage delle innocenti (Übersetzung d. R.)

Offensichtlich führte dieser Tonfall zu Gewalt.

Trotz dieser Methoden konnte Movimento femminista einen gewissen Einfluss erlangen, vor allem unter den StudentInnen, aber auch unter einigen Arbeiterinnen.

Die Gruppe in Gela auf Sizilien zum Beispiel führte eine Reihe von Interviews zur Diskriminierung von Studentinnen in den Mittelstufen und Gymnasien durch, oder sie besuchten in ärmeren Gebieten Frauen mit sieben, acht oder gar zehn Kindern, um mit ihnen über Verhütung zu sprechen. Bei einigen Gelegenheiten versuchten sie, bei Arbeiterinnen zu intervenieren, indem sie vor Fabriken Flugblätter verteilten und an ihren Streiks teilnahmen. Diese Frauen waren grösstenteils misstrauisch, obwohl vielen von ihnen die Vorstellung gefiel, gegen die Ungerechtigkeiten ihrer Männer zuhause aufzubegehren. Und einige wurden sogar aktive Mitglieder in feministischen Gruppen. In einigen Fällen, vor allem im öffentlichen Sektor, aber auch anderswo, wurden am Arbeitsplatz feministische Gruppen gebildet, die sich gegen die Diskriminierung bei der Arbeit und die Eintönigkeit der Beschäftigung aussprachen. Das war aber kein weit verbreitetes Phänomen.

Der rebellische Geist, den die Arbeiterinnen durch die feministische Propaganda gewonnen hatten, widerspiegelte sich in den Demonstrationen für Abtreibungsrechte und in der Hausbesetzerbewegung, an der viele Arbeiterinnen aus dem Süden teilnahmen.

Einige Schlussfolgerungen

Es folgten Jahre der Niederlagen für die ArbeiterInnen. Der Feminismus geriet in eine Sackgasse. Die Studentinnen wurden älter, und viele erhielten eine erfüllende Stelle. Es blieben einige nette Jugenderinnerungen.

Die Tragödie des Feminismus besteht darin, dass er den revolutionären Geist vieler Frauen von der Arbeiterbewegung weglenkte. Die Idee, dass Frauen gesondert und autonom stehen sollten, um nicht beeinflusst zu werden, hat sich als totale Niederlage herausgestellt: Einerseits ist der Feminismus in einer Sackgasse gelandet; zurück bleibt nur eine armselige Karikatur, die von den zeitgenössischen Epigonen aufgegriffen wird, um ihre Karrieren zu rechtfertigen; andererseits gelang es den reformistischen Arbeiterorganisationen, einen Keil zwischen die Forderungen von Frauen und jene der Arbeiterbewegung zu treiben, was zum Niedergang der letzteren beigetragen hat.

Allerdings konnte die Arbeiterklasse, trotz ihrer Führung, dank ihrer Kraft und Entschlossenheit auf der Grundlage dieser Kämpfe wichtige Siege erringen. Heute stehen das Arbeitsgesetz, das Recht auf Rente, das allgemeine Gesundheitssystem und auch das Recht auf Abtreibung wieder unter Beschuss durch die Klasse der Kapitalisten. Es gibt schon Anzeichen für einen Wiederaufschwung des Kampfs der Arbeiterklasse. Aber wenn dieser irgendwelche bleibenden Errungenschaften erkämpfen möchte, müssen die Kämpfe auf die Machtergreifung, den Sturz des Kapitalismus, die Vergesellschaftung der Wirtschaft und ihre Planung durch die heute ausgebeuteten Klassen ausgerichtet werden. Wir hoffen aufrichtig, dass diese Lektüre mit ihrer Darstellung der verschiedenen Entwicklungsstufen im Kampf um die Befreiung der Frau dich davon überzeugt hat, wie ungeheuer relevant der Marxismus und die sozialistische Revolution heute sind.

Sonia Prevatio, Sinistra Classe Rivoluzione
10. Oktober 2002