Nach dem Weltkrieg kommt der Boom. Für die Frauenbewegung bedeutet das aber vor allem Passivität und Konservatismus. Erst die 60er Jahre bringen frischen Wind und stellen gleichzeitig den Zusammenhalt der Frauen auf die Probe. Schweizer Frauenbewegung – Teil zwei.

Während die Erwerbstätigkeit der Frauen in den Kriegsjahren in die Höhe geschnellt war, sank diese nach dem Krieg wieder. 1970 erreichte sie bei den Verheirateten den Tiefststand von 10,4%. Auf dem Arbeitsmarkt bestand dabei eine grobe Benachteiligung: Die Lohndifferenz lag 1960 bei 32,5%. Auch die 1948 geschaffene AHV stellte die Frau hintan. Gleichzeitig erhob das völlig rückständige Eherecht den Mann als das rechtliche «Familienoberhaupt» über die Frau. So konnte er ihr Arbeitsverhältnis nach Belieben kündigen und über ihr Einkommen verfügen. Die Frauen waren in der Schweiz nach dem Krieg also rechtlich weiterhin völlig benachteiligt, in ein rückständiges Rollenbild gezwängt und weitgehend aus dem Erwerbsleben ausgeschlossen.

Zementierung der Verhältnisse

Weder die Gewerkschaften des SGB noch die SP stellten sich entschieden gegen diese Zustände. Die Stellung der Frau im Haus wurde weitgehend akzeptiert und in den Gewerkschaften galten sie hauptsächlich als Lohndrückerinnen. Entsprechend niedrig waren die Frauenanteile im SGB. Von 14% 1946 sanken sie auf 8,3% 1970. Auch abseits der Ökonomie zählten SP und Gewerkschaften nicht zu den Verbündeten der Frauen. Das Friedensabkommen 1937 und der Bundesratssitz 1943 verstärkten ihre Integration in den bürgerlichen Staat. In der Folge wurde ihre Bereitschaft stark gehemmt, gegen die traditionelle Vorstellung und rückständige Realität von Familie und Geschlechterrollen zu kämpfen. Die SP-Frauen überalterten zusehends und von links kam immer weniger Druck, denn die PdA versank fast in der Bedeutungslosigkeit.

Geschichte der Schweizer Frauenbewegung
Dieser Artikel ist Teil einer vierteiligen Serie zur Geschichte der Schweizer Frauenbewegung. Die weiteren Artikel findest du unter:

Stimmrecht als einzige Forderung

Das Abflauen der Frauenbewegung hatte sozialistische und bürgerliche Gruppen schon ab den 30er Jahren wieder näher zusammengeführt. Der Bund Schweizerischer Frauenvereine (BSF) wurde dabei zur wortführenden Frauenorganisation der Nachkriegszeit. Er war eindeutig ins politische System der Schweiz – sprich die bürgerliche Ordnung – eingebunden. So waren auch seine Forderungen zahm. Die Frauenbewegung als Ganzes rückte damit weit weg von wichtigen Kämpfen für die Emanzipation.

Diese Richtung wurde 1946 am dritten nationalen Frauenkongress von 67 sozialistischen und bürgerlichen Organisationen bestätigt. Die einzige gemeinsame Forderung war die Möglichkeit politischer Partizipation, d.h. volle Anerkennung der Frauen als Staatsbürgerinnen. Jedoch wurde dies weder vehement gefordert noch das konservative Rollenbild kritisiert. Die Impotenz der bürgerlichen Gleichstellungsstrategie hatte sich vor dem Krieg schon gezeigt. Die Petitionen der Stimmrechtsvereine hatten so wenig Durchschlagskraft wie der Versuch, die Männer von der Mündigkeit zu überzeugen. Das baute keinen Druck auf.

1959 wurde das Frauenstimmrecht an der Urne abgelehnt. Aus Entrüstung streikten Basler Lehrerinnen während eines Tages in einem symbolischen Protest. Während keine vergleichbaren Ereignisse folgten, führten die zustimmenden Kantone Waadt, Neuenburg und Genf in den folgenden Jahren das Stimmrecht ein. 1966 zog auch Basel-Stadt nach. All dies geschah jedoch ohne nennenswerten Kampf.

Konsumrausch statt politischer Kampf

Die oft idealisierte Zeit des Nachkriegsbooms war eine Phase der Passivität für die Arbeiter-, aber auch für die Frauenbewegung. Ein stetiger Anstieg der Kaufkraft der ArbeiterInnenklasse kompensierte die fehlende Emanzipation der Frau. Das Ernährermodell mit Familienlohn für den Mann erhielt ein erstes und einziges Mal eine materielle Basis. Immer mehr Familien besassen ein Auto, die Existenzen waren relativ abgesichert und für die Hausarbeit waren allerlei Geräte erschwinglich.

Die Hinwendung zum Konsum und damit eine Zustimmung zu den gesellschaftlichen Verhältnissen drückte die politische Machtlosigkeit, aber auch das Verschwinden von sozialistischen Ideen allgemein aus. Das Streben nach Emanzipation fiel ab. Sinnbildlich dafür kam in den 50er Jahren das Korsett, aus den USA kommend, wieder in Mode.

Das Streben nach Emanzipation fiel ab. Sinnbildlich dafür kam in den 50er Jahren das Korsett, aus den USA kommend, wieder in Mode.

Neue Linke

Die SP hatte auf die Jugendlichen keine Anziehungskraft. Sie stellte ebenso wie die bürgerlichen Parteien das Establishment dar. Nicht weil sie, wie in anderen europäischen Ländern, an der Macht gewesen wäre, sondern weil sie die gesellschaftliche Ordnung kaum infrage stellte. Im Zuge der 60er Jahre kamen ausserhalb der traditionellen Frauenorganisationen neue Themen auf. Die Jugend und vor allem die jungen Frauen wollten eine Alternative. Das waren die Keime der Neuen Frauenbewegung (NFB) – der zweiten Welle. Es entstanden verschiedene Kleinorganisationen mit neuen, provokanten Aktionsformen.

Zu einem zentralen Zusammenprall kam es 1968 an der Geburtstagsfeier des Zürcher Stimmrechtsvereins. Die neue Frauenbefreiungsbewegung (FBB) intervenierte und warf den angestammten Frauenaktivistinnen vor, sie würden duldsam darauf warten, dass ihnen politische Rechte gegeben würden. Nicht nur das Stimmrecht sollte gefordert werden, sondern die ganze gesellschaftliche Emanzipation der Frau. Ein Eklat: Ältere Frauen empfanden das als zu radikal. Doch die FBB brachte wieder Bewegung in den Frauenkampf.

1971: endlich Stimmrecht

Ende der 1960er Jahre machte der Europarat immer mehr Druck auf die Schweiz; als Mitglied des Europarates müsse die Schweiz die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnen und einhalten, inklusive des Frauenstimmrechtes. Der Bundesrat glaubte, sich mit dem skandalösen Schachzug aus der Affäre ziehen zu können, die Konvention nur «unter Vorbehalt» zu unterzeichnen – ohne das Frauenstimmrecht. Doch damit hatte er sich verkalkuliert. Die Reaktionen der alten und der neuen Frauenbewegung waren massiv.

1969 nahmen 5’000 Frauen am «Marsch nach Bern» für die Einführung des Stimmrechts teil. Immer mehr wurde nicht mehr nur die politische Partizipationsmöglichkeit gefordert, sondern beispielsweise auch das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Vielen Aktivistinnen der FBB war klar, dass das Stimmrecht allein wenig verändern würde.

Es war der kombinierte Druck der alten und der neuen Frauenbewegung, welcher den Bundesrat zur Durchführung der Abstimmung über das Frauenstimmrecht zwang und schlussendlich zu dessen Annahme 1971 führte. Diese hatte einen zweischneidigen Effekt. Es war ein wichtiger, historisch überfälliger Sieg. Doch die jahrzehntelange Versteifung auf ein einziges Thema führte zu einer grossen Genügsamkeit. Obschon die NFB die Aktivität der traditionellen Organisationen neu belebt hatte, waren diese nach mehreren Jahrzehnten einseitiger Ausrichtung nicht fähig, den Kampf weiterzutragen. Wie die NFB ihre Aufgaben in der Folge meisterte, wird Thema des Folgeartikels in der nächsten Ausgabe sein.

Michael Wepf
JUSO Waadt