Am Montag dem 3. Oktober demonstrierten Zehntausende in der Warschauer Innenstadt gegen das verschärfte Abtreibungsverbot. Die neue Volksinitiative wollte die Abtreibung für die Frauen fast völlig verbieten. Der organisierte Kampf hat Wirkung gezeigt: Am darauffolgenden Donnerstag lehnte das Parlament das Gesetz ab.

Bildquelle: Devrimci Saglik İs, Twitter

Seit 1993 dürfen Frauen in Polen während den ersten drei Monaten nur in drei Fällen abtreiben. Bei einer Vergewaltigung, wenn gesundheitliche Risiken für die schwangere Frau bestehen oder wenn im Vorfeld eine Störung des Fötus entdeckt wurde. Das Gesetz sah auch vor, dass ein besserer Zugang zu Verhütungsmittel und Sexualkundeunterricht in den Schulen gefördert werden sollten. Dies wurde aber nie umgesetzt.
Mit diesen Bedingungen gehört Polen zu den Ländern Europas, die eines der strengsten Abtreibungsgesetze haben. Das neu eingebrachte Gesetz sah sogar vor, dass die Abtreibung für polnische Frauen nur noch möglich sein sollte, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr sei. Bei Nichtbeachtung würden die Frauen und die zuständigen Ärzt*innen Haftstrafen von bis zu fünf Jahren erhalten.

In den Polinnen wurde etwas ausgelöst
Als Reaktion auf diese Verschärfung versammelten sich am Wochenende spontan zehntausende Menschen in Warschau vor der Zentrale der regierenden Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (kurz PiS). Ganz in schwarz gekleidet, als Anlehnung an einen Trauermarsch, gingen sie mit wütenden Ausrufen gegen die konservative Partei vor. Am Montag rief das Komitee „Rettet die Frauen“ zu einem nationalen Frauenstreik auf. Dabei sollten alle Frauen ihrer Arbeit fernbleiben, um ein deutliches Zeichen zu setzen. Sämtliche Aktionen standen unter dem Motto „czarny protest“, was übersetzt „schwarzer Protest“ bedeutet.
Bereits am Mittwoch musste Bildungs– und Wissenschaftsminister Jaroslaw Gowin dem Guardian zugestehen, dass die Proteste der Regierung „eine Lektion in Demut“ gezeigt hätten. Für Krystyna Kacpura, Mitglied der Sexual Rights Initiative, welche sich seit 25 Jahren für die Reproduktionsrechte für Frauen einsetzte, wurde während dieser Kämpfer etwas in den Polinnen ausgelöst. Früher konnte man froh sein, wenn sich 200 Sympathisant*innen bei ihren Aktionen gezeigt hätten, sagt sie, aber nun seien in Warschau 30’000 Menschen, zur grossen Mehrheit Frauen, aufgetaucht. Sie haben genug von der konservativen Regierung, und genug von Versprechungen, die, wie beispielsweise in Bezug auf die Verhütungsmittel, nicht gehalten wurden. Die Form des Streikes hat von daher einen grossen ökonomischen Druck auf den Staat gemacht. Mit ihren Aktionen haben die Frauen aufgezeigt, dass sie nicht bloss eine Randgruppierung sind und dass sie schon lange unter den Bedingungen in der Gesellschaft leiden. Die meisten Polinnen arbeiten im unterbezahlten Bildungs– und Gesundheitssektor. Die Entlassungen in diesen Bereichen sind hoch. Zusätzlich werden konservative Familienstrukturen auf die Frau projiziert, die sie als Mutter und Hausfrau zurücklassen und die Männer als Alleinernährer im ökonomischen Bereich fördern, weshalb viele Frauen nur Teilzeit arbeiten können. Im Jahre 2008 lag der Lohnunterschied zwischen den Geschlechtern mit Grundausbildung bei ganzen 33,3 Prozent. Die schnelle Radikalisierung der Frauen in Polen ist Resultat dieser prekären Situationen und den allgemeinen Krisen in Europa.

Erste Niederlage der Konservativen
Mittlerweile wurde das verschärfte Abtreibungsverbot vom Parlament abgelehnt. Kaczyńskis, Gründer der PiS–Partei, welche die Mehrheit ausmacht und die Initiative vor gut einer Woche noch annehmen wollte, wurde mit seinen Leuten vom Massenprotest zu einer plötzlichen Kehrtwende gezwungen. Bei so grossem Protest könnte eine Annahme die Wähler*innenschaft für 2019 vergraulen. Tatsächlich ist das jetzige Einknicken der PiS–Partei die erste richtige Niederlage seit ihrem Wahlerfolg im Herbst 2015. Der Frauenstreik und die Demonstrant*innen haben nicht nur gezeigt, dass die Arbeiterinnen bei einem Zusammenschluss ein wirkungsträchtiges Zeichen setzten können, sondern auch, wie der organisierte Kampf in einem so katholisch geprägtem Land zu Erfolg führen kann.

Nathalie Brügger
Juso Solothurn