In Basel wurde die 4-jährige Haftstrafe eines Vergewaltigers gemildert. Der Grund: Die Frau habe «mit dem Feuer gespielt», deshalb trage sie eine Mitschuld. Solche Aussagen in der Schweiz 2021 erscheinen unfassbar. Doch sie widerspiegeln nur die Realität der Frauen in der bürgerlichen Gesellschaft. Es ist Zeit, unseren Kampf gegen das gesamte System zu richten. 

Im Februar 2020 wurde eine Frau im Eingang zu ihrer Wohnung von zwei Männern vergewaltigt. Das Basler Strafgericht verurteilte den 32-jährigen Täter zu vier Jahren und drei Monaten Haft, einer Genugtuung und einem Landesverweis von acht Jahren. Der zweite Täter war zum Zeitpunkt der Tat noch minderjährig und muss sich noch vor dem Jugendgericht verantworten. 

Die Tat schlug hohe Wellen und schockierte die ganze Schweiz. Noch schockierender ist jedoch das erst kürzlich verkündete Urteil des Basler Appellationsgerichts, welches den Fall im Juli neu aufrollte. Die Gerichtspräsidentin Liselotte Henz stufte das Verschulden des Verurteilten als weniger gravierend ein. Ihre Begründung: Die Übergriffe seien relativ kurz gewesen («nur» 11 Minuten) und hätten zu keinen bleibenden Schäden bei der Frau geführt, da sie sich nicht in Therapie befindet. Weiter trage das Opfer eine Mitschuld, da sie sich im Club nicht angemessen verhalten hätte, sie habe «mit dem Feuer gespielt». Aus diesen Gründen muss der Täter anstatt über vier Jahre, nur für eineinhalb Jahre ins Gefängnis. 

Dieses Urteil ist ein Schlag ins Gesicht des Opfers und jeder Frau. Es sagt uns offen und ehrlich: Für uns gibt es keine Justiz. In der Schweiz 2021 können Männer sich an uns vergreifen und die Gerichte bestätigen: Wir seien selber Schuld, dass es passiert. 

Darauf versammelten sich am Sonntag, 8. August rund 500 Menschen vor dem Appellationsgericht, um gegen das Urteil zu demonstrieren. Die Stimmung war emotional und kämpferisch. Es war klar: So ein Urteil wird nicht akzeptiert. Unter anderem wurde der Rücktritt von Liselotte Henz und Weiterbildungen für die RichterInnen gefordert. Diese Forderungen sind korrekt, aber reichen bestimmt nicht aus, um das Problem, die systematische Misogynie in der Gesellschaft, zu lösen. 

Wem können wir vertrauen? 

Erschreckend ist, dass trotz dem massiven Frauenstreik von 2019 die Situation für Frauen in der Schweiz schlimmer wird. Das Frauenrentenalter soll erhöht werden, die Lohnungleichheit wird grösser und Gewalt an Frauen nimmt zu. Das Gerichtsurteil von Henz ist nur die Spitze eines immensen Eisbergs. Wir können tagtäglich mitverfolgen, dass Beamte (egal welchen Geschlechts), der bürgerliche Staat und seine Instanzen keine Verbündeten im Kampf gegen den Sexismus sind. Während wir hier unten auf der Strasse kämpfen, erlassen sie Gesetze oder sprechen Urteile, welche unsere Situation verschlimmern. Sie planen die Angriffe auf das Frauenrentenalter oder wehren ernsthafte Massnahmen gegen Lohnungleichheit etc. ab.

Das liegt daran, dass der Kapitalismus ein sexistisches System ist, welches von der Frauenunterdrückung profitiert. Frauen sind zum Beispiel eine gute Manövriermasse in der Krise. Muss man Leute entlassen, so entlässt man schneller Frauen, oder man reduziert ihr Pensum. Die Wahrscheinlichkeit, dass Mütter ihren Job aufgrund der Corona-Krise verlieren, ist 1.5-mal höher als bei Vätern. Frauen dienen im Kapitalismus als Puffer, um die schlimmsten Auswirkungen der Krise zu vertuschen. Dazu kommen Faktoren wie die Lohnungleichheit, welche als Mittel eingesetzt wird, um Löhne in ganzen Sektoren zu drücken. Und die Kapitalisten machen grössere Profite. 

Der Staat und seine Beamten sind die Krisenmanager des Kapitalismus. Sie verteidigen dieses System und setzen alle Hebel in Bewegung, damit es rund läuft. Heisst: Damit die Schweizer Kapitalisten ihre Profite erwirtschaften können und sich auf dem Weltmarkt durchsetzen. Wir erleben heute, wie die Krise auf die ArbeiterInnen abgewälzt wird. Das trifft die Frauen besonders hart. 

Ein Kampf gegen Windmühlen

Natürlich braucht dieses System eine ideologische Rechtfertigung. Der Sexismus legitimiert die systematische Frauenunterdrückung. Die Aussagen und das Urteil von Henz sind schockierend. Aber sie sind auch ehrlich! Henz sprach aus, was die bürgerliche Klasse über Frauen denkt: Frauen sind minderwertig in unserer Gesellschaft. Es sind genau diese Leute, welche heute in einer Machtposition sitzen, über unser Leben entscheiden und diese frauenverachtende Ideologie aufrechterhalten. 

Wir können noch lange versuchen, RichterInnen in Geschlechterfragen zu erziehen. Aber um wirklich den Sexismus loszuwerden, müssen wir gegen den Nährboden kämpfen, der ihn zum florieren bringt. Das heisst, gegen den Kapitalismus und natürlich auch gegen die bürgerliche Klasse und die VerfechterInnen des Status Quos wie Henz. Tun wir das nicht, wird der Kampf gegen den Sexismus zu einem Kampf gegen Windmühlen. Es kommt zu immer weiteren Vergewaltigungen und Übergriffen, die auch noch falsch beurteilt werden. 

Es ist an der Zeit, das Fazit aus den letzten zwei Jahren des intensiven Kampfes gegen Sexismus zu ziehen. Unsere einzigen Verbündeten sind wir selbst, die Lohnabhängigen und die Jugend. Wir müssen uns gemeinsam organisieren und all unsere Kräfte gegen das barbarische System richten. Nur durch einen gemeinsamen Kampf für den Sozialismus haben wir die Chance, den Sexismus in der Arbeiterklasse und auf der ganzen Welt auszumerzen.

S. Varela
Juso Bern