Kürzlich kam es in Zürich zu einem Fall, in dem ein Mann seiner ehemaligen Frau bis zum Schulabschluss der gemeinsamen Tochter monatlich über 10’000 Franken an ihren Unterhalt hätte zahlen sollen. Dagegen hat er geklagt und vom Schweizer Bundesgericht recht bekommen. Dies im Namen der Gleichberechtigung. Mit demselben Argument hat das Bundesgericht seit Ende 2020 in verschiedenen Grundsatzurteilen das Unterhaltsrecht «modernisiert». Ist dies wirklich ein Schritt vorwärts?

Auch heute noch bleibt in der Schweiz die Betreuung und Kindererziehung grösstenteils an den Frauen hängen. Deswegen arbeiten sie oftmals 20-40 % und im Tieflohnsektor. So sind viele Frauen finanziell abhängig von ihren Ehemännern. Kommt es zur Scheidung, bleibt die Kinderbetreuung grossteils Aufgabe der Frauen. Auch deshalb führt meist kein Weg aus der Teilzeitarbeit im Niedriglohnsektor.

Angesichts dieser realen Ungleichheit haben die Bundesrichter vollkommen recht: Wir müssen dringend für Gleichberechtigung kämpfen. Was sind aber die Folgen ausbleibender Unterhaltszahlungen für geschiedene Frauen? Ein krass sinkender Lebensstandard und Altersarmut. Solange die materielle Ungleichheit und finanzielle Abhängigkeit vom Mann weiter bestehen, sind solche juristischen Scheinverbesserungen in Wahrheit eine brutale reale Verschlechterung für Frauen. Damit reiht sich der Entscheid des Bundesgerichts in die zahllosen Angriffe auf die Lebensbedingungen der Frauen ein, welche seit Jahrzehnten stattfinden. Diese Attacke dann im Namen der Gleichberechtigung zu fahren, ist ein zynischer Schlag ins Gesicht jeder KämpferIn gegen die Frauenunterdrückung.

Wirkliche Verbesserungen können wir nicht erreichen, indem wir Gleichheit auf dem Papier proklamieren, sondern nur in dem wir bei der realen Ungleichheit ansetzen und wirkliche Verbesserungen der materiellen Bedingungen der Frauen erkämpfen. Um die Frauenunterdrückung zu beenden, müssen wir der Armut die Grundlagen entziehen, wir müssen die Ausbeutung aufheben. Das heisst nichts anderes, als den Kapitalismus zu stürzen. Keine Frauenbefreiung ohne Sozialismus!

Florian Trummer

Marxistische Studierende Zürich