Jedes Jahr gehen tausende von Menschen auf die Strassen, um gegen alle Formen der Frauenunterdrückung zu kämpfen. Es gibt bei weitem genug Gründe zu kämpfen: Die Lebensbedingungen der Frauen in der Schweiz sind miserabel.

Fast vier Jahre sind seit dem ersten Frauenstreik 2019 vergangen. Was wurde erreicht? Der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen der grössten Schweizer Unternehmen ist gestiegen. Für den Rest der Frauen sieht die Situation nicht so rosig aus. Seit 2019 haben sich die Bedingungen für die grosse Mehrheit der Frauen nicht verbessert. Im Gegenteil: Die Illusionen der stufenweisen Verbesserungen und des geradlinigen Weges zur Gleichstellung entblössen sich als Lüge. Das Gelaber der herrschenden Klasse, dass es in der Schweiz allen gut geht oder der Staat für alle schaut, wird besonders in der Frauenfrage als Heuchelei aufgedeckt. Der Schweizer Kapitalismus ist besonders reaktionär, wenn es um die Lebensbedingungen der Frauen geht.

Teilzeitarbeit und Lohnungleichheit

In der Schweiz sind 75,4 % der Frauen erwerbstätig. Dies ist einer der grössten Anteile von arbeitenden Frauen in einem Land im Vergleich mit dem Rest der EU. Aber gleichzeitig sind viele Frauen in der Schweiz am härtesten von Armut betroffen, in materieller Abhängigkeit gegenüber ihrem Partner und hauptverantwortlich für die Hausarbeit und Kindererziehung. Wie geht das auf?

Von den arbeitenden Frauen sind 60,9 % Teilzeit angestellt. Die grosse Mehrheit der Frauen geben als Begründung für die Teilzeitarbeit die Kindererziehung an. Bei den wenigen Männern, die Teilzeit arbeiten, ist dies in den meisten Fällen für «ein zeitintensives Hobby». Der grosse Anteil Teilzeitarbeit für die Frauen bedeutet in den meisten Fällen: weniger Lohn, schlechter Kündigungsschutz, mühsamere Arbeitszeiten und weniger Sozialleistungen (AHV, Pensionskasse).

Dazu kommt, dass viele Teilzeitstellen in den «typischen Frauenberufen» zu finden sind: Dienstleistungen wie Pflege, Reinigung, Erziehung etc. Dort herrschen allgemein schlechte Anstellungsbedingungen und es sind die Sektoren, die am meisten von Sparmassnahmen und Angriffen gezeichnet sind (v.a. die Pflege).

Trotz gesetzlich festgelegter Lohngleichheit gibt es in der Schweiz noch immer über 18 % Lohnunterschied zwischen Mann und Frau. Allein dadurch entgehen den Frauen in der Schweiz jährlich sieben Milliarden Franken – welche direkt in die Kassen der Bosse fliessen. Der «unerklärbare» Teil dieser Lohnungleichheit, das heisst, alles was nicht auf unterschiedliche Ausbildungen oder die Bedingungen in bestimmten Sektoren zurückzuführen ist, stieg  von 45,4% in 2018 auf 47,8% in 2020.

Die Kapitalisten profitieren davon, die Frauen schlechter zu bezahlen. Sie nutzen die bestehenden sexistischen Rollenbilder, um dies zu legitimieren: Frauen hätten nicht mehr verdient, sie seien genügsamer oder einfach ein höheres Risiko wegen allfälligen Schwangerschaftsausfällen.

Keine Geschenke vom Staat

Im Ranking für finanzielle Unterstützung und öffentliche Dienstleistungen für Familien steht die Schweiz auf dem zweitletzten Platz  in West- und Nordeuropa. Die Betreuung von Alten, Behinderten oder Kindern wird in der Schweiz speziell stark in die Verantwortung der Privathaushalte gelegt. Zum Beispiel werden 40 % der Kinder unter drei Jahren ausschliesslich von den Grosseltern, anderen Privatpersonen sowie unabhängigen Tagesfamilien betreut. Wobei der europäische Durchschnitt bei 28 % liegt.  Zusätzlich deckt das Kinderkrippenangebot in der Schweiz nur 11 % der Kinder ab. Der Vaterschaftsurlaub beträgt mickrige zwei Wochen. Dies bedeutet schliesslich, dass sich die Familien selbst – das heisst meistens die Frauen – um ihre Kinder kümmern müssen. Und dafür eben gezwungen sind, prekäre Teilzeitstellen anzunehmen.

Eine Studie der Universität Lausanne zeigt, dass auch Paare, die eine ausgeglichene Aufteilung wünschen, in eine traditionelle Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau fallen, sobald sie Kinder bekommen.

Das Familienmodell und die Geschlechterbeziehungen im Schweizer Kapitalismus sind noch immer so, dass der Mann der «Haupternährer» ist. Wenn der Lohn des Mannes wegfällt, ist es für die Frau in der Schweiz sehr schwierig, allein die Familie aufzuziehen. Alleinerziehende Mütter gehören in der Schweiz somit zu den ärmsten Schichten der Gesellschaft. Die Armutsquote ist mit 16.5 % fast viermal so hoch wie bei den restlichen Erwerbstätigen (4.2 %). 

Sexismus, Gewalt und Abhängigkeit

Die Unterdrückung der Frau beschränkt sich aber nicht auf die Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt oder die Last der Hausarbeit. Eine Umfrage von 2019 zeigte auf, dass jede Fünfte sexuelle Gewalt erlebt hat. Dazu kommt, dass die Hälfte der Betroffenen mit niemandem darüber spricht. Nur 8 % aller sexuellen Übergriffe werden angezeigt. Das ist keine Überraschung: Frauen wissen, dass sie von den bestehenden Institutionen wenig Schutz vor Gewalt oder Belästigungen erwarten können und oft noch zusätzliche Hürden und Sexismus erleben.

Zum Beispiel kriegt nur jeder dritte verurteilte Vergewaltiger eine bedingte Haftstrafe und kann sich somit gleich wieder auf freiem Fuss bewegen. Oder das Basler Beispiel von 2021, in dem die Haftstrafe eines Vergewaltigers gemildert wurde, weil die Frau «mit dem Feuer gespielt» habe. Die bürgerliche Justiz und der bürgerliche Staat sind völlig unfähig, den Frauen den nötigen Schutz gegen Gewalt und Belästigung zu bieten. Alle Instanzen des Schweizer Kapitalismus sind von Sexismus durchdrungen.

In der Schweiz muss man als Frau der Arbeiterklasse  damit rechnen, Hürden und Erniedrigungen zu erleben. Die Tatsache, eine Frau zu sein, drängt einen in unsichere Arbeitsbedingungen, in ökonomische Abhängigkeit und in das traditionelle Rollenbild der Frau. Dies ist ein Nährboden für Gewalt, Unterdrückung und unmenschliche Beziehungen zwischen den Geschlechtern. Genau diese Bedingungen müssen wir als Ganzes bekämpfen, um der Frauenunterdrückung den Boden zu entziehen.

Wir müssen die Frauenunterdrückung auf allen Ebenen bekämpfen und für Forderungen kämpfen, die die Lebensbedingungen der Frauen sofort verbessern. Wir brauchen Löhne, die zum guten Leben reichen, eine massive Arbeitszeitverkürzung, Lohngleichheit, ein gratis Gesundheitssystem für alle, gratis Kinderkrippen, niedrige Mieten, gratis Kantinen in den Betrieben, Schulen und Quartieren und ein gratis Gesundheitssystem für alle. Familien und Beziehungen müssen von jedem ökonomischen Zwang befreit werden. Die Frau muss von der ökonomischen Abhängigkeit gegenüber den Männern befreit werden. Doch wie bei allen Forderungen stellt sich auch hier die Frage: wer bezahlt dafür?

Wer hat ein Interesse an Frauenunterdrückung?

Es gibt bei weitem genug Reichtum in der Gesellschaft, um alle nötigen Verbesserungen zu finanzieren. Die Profite der Kapitalisten sind in den letzten Jahren nochmals in die Höhe geschossen. Doch die Kapitalisten haben keinerlei Interesse daran, die Arbeits- und Lebensbedingungen der lohnabhängigen Frauen zu verbessern – denn sie profitieren von der Frauenunterdrückung. Wenn wir unsere Forderungen umsetzen wollen, müssen wir uns direkt das Kapital vorknöpfen.

Natürlich sind es auch Männer der Arbeiterklasse, die gewalttätig gegenüber Frauen sind und sexistische Ideen finden auch in der Arbeiterklasse Anklang. Aber die männlichen Lohnarbeiter profitieren nicht davon, wenn sie die sexistische Ideologie der kapitalistischen Gesellschaft übernehmen und nach unten treten. Diese vermeintliche Macht ist ein Trugschluss.

Es sind die Kapitalisten, die von der Diskriminierung profitieren. Sie können die arbeitenden Frauen härter ausbeuten. Die tieferen Löhne der Frauen werden als Druckmittel für die Löhne im Allgemeinen verwendet (dasselbe bei migrantischen Arbeitern) oder das Frauenrentenalter wird als Einfallstor für die Angriffe auf die Renten der gesamten Arbeiterklasse benutzt.

Aber vorwiegend profitiert die herrschende Klasse durch die Spaltung der Arbeiterklasse. Denn sie muss ein System verteidigen, worin eine kleine Minderheit über die grosse Mehrheit der Lohnabhängigen herrscht. Ein System, das völlig irrational ist und nicht erlaubt, gute und würdige Lebensbedingungen aufrechtzuerhalten. Die herrschende Klasse muss somit auf Spaltung und Diskriminierung setzen. Damit die Arbeiter sich gegenseitig zerfleischen, anstatt sich gegen die Herrschenden und ihr System zu wenden. Das verhindert den gemeinsamen Kampf für bessere Lebensbedingungen und den Sturz des Kapitalismus. Die Frauenunterdrückung ist hier ein zentrales Instrument der herrschenden Klasse. 

Frauenkampf ist Klassenkampf

Die Interessen der Kapitalisten stehen im direkten Gegensatz zum Interesse der gesamten Arbeiterklasse an guten Lebensbedingungen, guter Bildung, Gesundheit, Kinderbetreuung und der Aufteilung der Arbeit auf alle. Aber dafür müssen die gesellschaftlichen Ressourcen den Kapitalisten entrissen werden und durch die Arbeiterklasse demokratisch geplant werden. Jede Form der Unterdrückung steht dem im Weg und muss bekämpft werden. Nur mit der sozialistischen Revolution können wir den Boden schaffen, um Ausbeutung und Unterdrückung endgültig zu überwinden.

Deshalb muss der Kampf gegen Unterdrückung als Klassenkampf geführt werden. Als gemeinsamen Kampf für den Sozialismus. Jegliche Spaltung in der Arbeiterklasse schwächt die Kampfkraft der Arbeiterklasse und schadet somit der Arbeiterklasse als Ganzes. Die Arbeiterklasse hat ein objektives Interesse daran, Unterdrückung zu bekämpfen.  

Ohne den tagtäglichen Kampf für Verbesserungen im Kapitalismus ist die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft undenkbar. Es ist im aktiven Kampf für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen, wo die Lohnabhängigen die Erfahrung machen, dass sie die gleichen Interessen haben, sich organisieren müssen und dass eine sozialistische Umwälzung der Gesellschaft notwendig ist. Besonders für Arbeiterinnen ist das von höchster Bedeutung.

Gewerkschaften müssen aktiv arbeitende Frauen am Arbeitsplatz organisieren. Besonders in der Schweiz, wo die Sektoren mit den höchsten Frauenanteilen, die am wenigsten gewerkschaftlich organisiert sind (Dienstleistung 8%, Gesundheitswesen 3%). Innerhalb der Gewerkschaften und in den Arbeitskämpfen muss gegen jeglichen Sexismus und Chauvinismus gekämpft werden, die der Organisierung der Frauen und dem Kampf schaden.

Spaltende Ideen wie Sexismus, Rassismus, Transphobie etc. müssen in der Arbeiterbewegung bekämpft werden. Doch wir können nicht einfach schlechte und reaktionäre Ideen anprangern. Wir müssen im Kampf aufzeigen, warum diese Ideen falsch sind. Mit dem aktiven Kampf der Angestellten für bspw. Lohngleichheit mit ihren männlichen Kollegen kann aufgezeigt werden, dass es die Bosse sind, die von der Frauenunterdrückung profitieren und dass alle Angestellten unabhängig von ihrem Geschlecht die gleichen Interessen haben. Es ist im gemeinsamen Kampf für Verbesserung, wo Vorurteile und spaltende Ideen überwunden werden können.

Keine Zukunft im Kapitalismus

Der Schweizer Kapitalismus ist verdammt reaktionär, was die Lebensbedingungen der Frauen angeht.  Nichts hat sich verbessert in den letzten Jahren. Im Gegenteil: Weltweit und in der Schweiz wird die Krise auf dem Rücken der Arbeiterinnen abgeladen. Das Frauenrentenalter wurde erhöht, mehr Frauen haben ihren Job während der Pandemie verloren oder ihr Arbeitspensum reduziert. Die Bedingungen in den Sektoren mit dem grössten Frauenanteil haben sich stark verschlechtert, v.a. in der Pflege. In Schweizer Frauenberatungsstellen gab es 2021 fast 12 % mehr Meldungen wegen sexueller Gewalt als 2020. Die SVP hat zwei Initiativen zur Einschränkung des Abtreibungsrechts lanciert. Die Zukunft im Kapitalismus bedeutet für die Frauen mehr Angriffe – auf ihre Rechte und auf ihre Lebensbedingungen.

Der französische Sozialist Charles Fourrier sagte: «Der Grad der weiblichen Emanzipation ist das natürliche Mass der allgemeinen Emanzipation». Besonders die Lebensbedingungen der jungen Frauen sagen uns viel über den allgemeinen Zustand des Systems aus. Von 2020 auf 2021 gab es 17  % Anstieg an Personen, die wegen psychischen Problemen ins Spital eingewiesen wurden. Bei 10- bis 14-Jährigen ist diese Anzahl um 60 % gestiegen! Als Begründung wird die allgemeine Krise angegeben: von der Pandemie, Krieg und Klimakrise zu Unterdrückung, sozialer Ungleichheit und Inflation. Die Jugend und besonders junge Frauen sehen in diesem System keine Zukunft mehr. Es braucht heute grundlegende Verbesserungen für die gesamte Arbeiterklasse in der Schweiz. 

Jugend und Frauen: die Speerspitze

Doch es sind genau auch die Jugend und die Frauen, die in die vorpreschen: Sie wollen nicht einfach einzelne Ausdrücke der Frauenunterdrückung oder der Krise bekämpfen. Jedes Jahr tritt die Schweizer Arbeiterklasse und Jugend, unabhängig vom Geschlecht, in den Kampf gegen Unterdrückung. Der 8. März und der Frauenstreik gehören zu den grössten Bewegungen in der Schweiz. Und ein immer grösserer Teil will das ganze System in den Mülleimer der Geschichte werfen. Genau das ist auch notwendig, wenn wir die Frauen wirklich befreien wollen. Die Frauenfrage hat revolutionäres Sprengpotenzial. Alle Bereiche der Gesellschaft sind kaputt. Es braucht den Sturz des kapitalistischen Systems als Ganzes.

Doch diese Bewegungen werden von ihren Führungen gebremst. Sie sind nicht bereit, mit dem Kapitalismus zu brechen. Sie setzen auf Symbolpolitik, Quoten, Worte und individuelle Befreiung. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass diese Methoden nur einer kleinen bürgerlichen Minderheit der Frauen nützen. Doch vor allem sind diese Methoden schädlich: Sie lenken ab von der Klasse (d.h. wer wirklich profitiert von Ausbeutung und Unterdrückung) und sie schüren Illusionen in die Reformierbarkeit des Kapitalismus. Diese Methoden können die Frauen nicht befreien. 

Es ist die dringendste Aufgabe, ein revolutionäres Programm in diese Bewegungen hineinzutragen. Diese Bewegungen und die Arbeiterklasse in der Schweiz brauchen eine revolutionäre Führung, die bereit ist, mit dem Kapitalismus und ihrer herrschenden Klasse zu brechen. Die IMT ist die einzige Organisation, die ein solches Programm verteidigt. Und diese Organisation müssen wir heute aufbauen. Wir müssen die IMT aufbauen.

Die Redaktion




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