Ein Jahr nach dem historischen Frauenstreik, fanden am 14. Juni in verschiedenen Städten der Schweiz Kundgebungen und Demonstrationen gegen Frauenunterdrückung statt. Das zeigt: Die Probleme, die letztes Jahr eine halbe Million Menschen auf die Strasse gebracht haben (Sexismus, Gewalt an Frauen, Lohnungleichheit etc. etc.), bestehen immer noch fort – aber so auch der Wille, gegen sie anzukämpfen! Kurze Berichte von teilnehmenden AktivistInnen vom Funken.

Zürich: «Eine kämpferische Grundstimmung»

In Zürich fand am 14.Juni keine Grossdemonstration statt, da sich alle darum bemühten, die Corona-Sicherheitsmassnahmen einzuhalten und den benötigten Abstand zu wahren. Dennoch nahmen sich hunderte Frauen kämpferisch die Strassen und besetzten die «Streik-Route» vom Sihlquai bis zum Helvetiaplatz. Der Verkehr entlang der Limmatstrasse wurde stundenlang blockiert. Die Stimmung war friedlich und ausgelassen, aber unter der Oberfläche war die Wut zu spüren. 

Kleingruppen zogen tanzend, mit kämpferischen Transparenten und viel Lärm durch die Stadt und forderten auf kreative Weise ein Ende des Sexismus, Frauenunterdrückung und Kapitalismus. Den ganzen Tag über fanden zahlreiche Aktionen statt und auch wir waren mit einem Bücherstand präsent. 

Wir führten viele interessante Gespräche und die vorwiegend jungen Frauen zeigten sich sehr offen für revolutionäre Ideen. Unsere Broschüre Frauenstreik 2019 – Wie weiter? und die aktuellste Ausgabe unserer Zeitung gingen weg wie frische Brötchen. Generell war eine kämpferische Grundstimmung bemerkbar, die Ereignisse der vergangenen Monate haben die Menschen geprägt und für viele wird es immer offensichtlicher, dass unsere Forderungen nach Emanzipation und Gleichstellung der Frau nur durch die Überwindung des Kapitalismus möglich sind. 

Bern: Mehrere hundert Frauen auf der Strasse

Bild: Frauenstreik 2020 in Bern

In Bern haben die Organisatorinnen des Frauenstreiks vom 14. Juni 2019 anlässlich des einjährigen Jubiläums des Frauenstreiks zum feministischen Postenlauf aufgerufen. In kleinen Gruppen bewegten sich vorwiegend Frauen auf dem Weg der vorjährigen Demonstrationsroute von Posten zu Posten. Dort waren Infostände mit Themen zur Frauenunterdrückung. Insgesamt haben sich mehrere hundert Frauen an den Aktionen beteiligt. Auffällig war, dass viele sehr junge Frauen daran teilnahmen. Obwohl wegen der aktuellen Pandemiesituation keine grösseren Aktionen stattfinden konnten, zeigte sich, dass die Frauen auch ein Jahr nach dem Frauenstreik sehr motiviert sind weiterzukämpfen.

Die GenossInnen vom Funke haben zur Vorbereitung auf den Tag mit einer Plakatoffensive auf unseren Stand und den Livestream vom Abend aufmerksam gemacht. Zudem wurde unser Livestream auch im Radio RaBe beworben. Am Sonntag waren wir mit einem Bücherstand auf dem Bundesplatz präsent, wo auch der Startpunkt des feministischen Postenlaufs war. Unser Stand wurde mit Interesse aufgenommen und wir konnten Zeitungen und unsere Frauenstreikbroschüre verkaufen sowie einige Kontakte knüpfen. Am späteren Nachmittag hat sich auf der Route des Postenlauf noch eine spontane Kundgebung mit mehreren hundert Teilnehmerinnen zusammengefunden, die lautstark auf zum Bundesplatz zog.

Genf: Der Frauenstreik ist noch lange nicht beendet

Mehr als 3000 Menschen – darunter Genossen des Funkens – versammelten sich letzten Sonntag (14.06) auf dem Plainpalais in Genf, um gegen die Unterdrückung der Frauen zu demonstrieren. Die Anwesenheit so vieler verärgerter und gleichzeitig enthusiastischer junger Menschen zeigt das grosse Potenzial der Bewegung. Wie kann das genutzt werden?

Dieser gewaltige Aufschrei machte es unmöglich, die ungeheure Wut und den Willen, vor allem der Jugend, gegen die Unterdrückung der Frauen und für bessere soziale Bedingungen zu kämpfen, nicht zu spüren. Dieser Zorn kommt nicht aus dem Nichts. Die gegenwärtige Krise offenbart sowohl die entscheidende Stellung der Frauen in der Gesellschaft als auch die unhaltbaren Bedingungen, denen sie ausgesetzt sind.

Ob im Pflege-, Gesundheits- oder Bildungswesen – es sind Frauen, die sich tagtäglich kaputtarbeiten, um die Schlüsselsektoren der Wirtschaft zum Laufen zu bringen und gleichzeitig den Grossteil der Hausarbeit zu erledigen. Und im Haushalt werden immer mehr Frauen (wie die Frauenhäuser zeugen) von ihren männlichen Partnern diskriminiert oder sogar missbraucht. Sie sind auch ängstlich oder sogar verzweifelt wegen ihrer instabilen Situation: Einkommensverlust, eine Welle von Entlassungen, Arbeitsplatzunsicherheit.

Wie reagieren die herrschende Klasse und ihr Staat auf diese Situation, die für immer mehr Frauen – am Arbeitsplatz und zu Hause – unhaltbar wird? Mit mehr Einschnitten im sozialen Bereich, noch schlechteren Lebens- und Arbeitsbedingungen und einer völligen Ignoranz gegenüber geschlechtsspezifischer Diskriminierung und Missbrauch.

Vielfalt der Stände statt Einheit der Kämpfe

Die 15 Forderungen, die von der «Coordination romande des Collectifs pour la grève des femmes» formuliert wurden, greifen diese Probleme weitgehend auf: für Investitionen im sozialen Bereich, gegen die Lohnungleichheit, gegen häusliche Gewalt, für die Anerkennung der Frauenarbeit usw.  

Diese Forderungen standen jedoch nicht im Mittelpunkt des Aktionstages an diesem Sonntag. Viele junge Menschen wussten nicht einmal, dass es sie gab. Anstatt eine Debatte über diese Forderungen zu organisieren (wie man sie kombiniert, wie man sie umsetzt, gegen wen man kämpft usw.), die das kollektive Verständnis fördern würde, erstellten die Organisatorinnen eine «Route» mit Ständen zu verschiedenen Themen.

Die Idee hinter dieser Art der Organisation (die auch im Klimastreik präsent ist) ist es, zu verhindern, dass die Bewegung von einer politischen Organisation «eingenommen» wird (so waren Gewerkschafts- und Parteifahnen verboten) und eine Vielfalt von Themen in den Kampf einzubeziehen. Aber diese Logik beisst sich in den eigenen Schwanz: Die verschiedenen Themen miteinander zu verknüpfen, erfordert gerade ein gutes politisches Verständnis des kapitalistischen Systems, das sie verursacht.

Ohne eine klare Klassenanalyse ist es nicht möglich, die verschiedenen Kämpfe miteinander zu verbinden. Im Gegenteil: Wenn uns am Stand der Ernährungssouveränität gesagt wird, dass wir «den Handel regulieren müssen, um die Schweizer Landwirtschaft zu schützen» (eine protektionistische, rechte Position), dann verteidigen diese Leute Interessen, die denen der in der Landwirtschaft tätigen Frauen in anderen Ländern entgegenstehen.

Der Frauenstreik braucht ein sozialistisches Programm

Ein kohärentes Programm zur Überwindung des Kapitalismus ist für die Bewegung notwendig. Denn alle Aspekte der Ausbeutung und Unterdrückung von Frauen (Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, Anhebung des Rentenalters, zunehmende häusliche Gewalt usw.) sind mit dem Kapitalismus verbunden, der sich in seiner tiefsten Krise der Geschichte befindet. Anstatt die Bewegung nur passiv zu unterstützen, muss die SP (die traditionelle Partei der Lohnabhängigen) daher Forderungen verteidigen, die deutlich machen, wer die Schuldigen für all die verschiedenen Probleme sind – und wer für die Verbesserung der Bedingungen von Frauen und anderen unterdrückten Schichten zahlen soll!

Ja, wir wollen massive Investitionen in den sozialen Bereich, um dem Mangel an Personal und Sozialleistungen zu begegnen – aber finanziert von Kapitalisten, die durch die Ausbeutung von Frauen (und Männern) Milliardenprofite angehäuft haben, und nicht von den ArbeiterInnen in Form von Steuern. Ja, wir wollen mehr Anerkennung für die Frauen, aber Anerkennung bedeutet gleiche Bezahlung und einen Mindestlohn von 4.000 Franken für alle Beschäftigten. Kapitalisten, die sich weigern, für die Lösung der sozialen Probleme zu zahlen, die sie verursacht und von denen sie jahrelang profitiert haben, müssen enteignet und ihre Unternehmen unter die Kontrolle der Arbeiter gebracht werden.